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In die Luft um jeden Preis

Gegen Wind und Patriarchat wurde Margot Duhalde zur Pionierin für Frauen in der chilenischen Luftfahrt-Geschichte. Ihr Großvater war Auswanderer aus dem französischen Baskenland, geboren wurde sie am 12. Dezember 1920 in Rio Bueno in Chile. Nach einem bewegten Leben starb sie am 5.Februar 2018 in Santiago de Chile. Margot Duhalde verwirklichte ihren Mädchentraum vom Fliegen mit kleinen Lügen, um das patriarchale System auszutricksen, das Frauen von gestimmten Berufen ausschließen sollte.

Margot Duhalde war eine der ersten Frauen in der chilenischen Luftfahrtgeschichte, ihr Weg führte sie über die französische Resistance und die britische Royal Air Force.

Weil die Nazis Frankreich besetzt hatten und der unbesetzte Teil von einem Marionetten-Regime verwaltet wurde, hatte die „freie französische Armee“ von General Charles de Gaulle während des 2. Weltkrieges ihren Standort in London. Margot Duhalde hatte sich bei dieser Truppe freiwillig gemeldet, in der Hoffnung, als Fliegerin tätig sein zu dürfen. Doch wurde sie entgegen ihren Hoffnungen dazu eingeteilt, kriegsverletzte Piloten zu pflegen, als eine Art Krankenschwester. Deshalb verließ sie die Truppe von General de Gaulle und versuchte ihr Glück bei der britischen Royal Air Force. Sie sprach kein Englisch, aber sie konnte fliegen. Und sie hatte den Atlantik nicht überquert, um Krankenschwester zu spielen.

duhalde2„Die Franzosen vom Komitee wussten nicht, was sie mit mir anfangen sollten. Sie verwechselten meinen Namen mit Marcel, das heißt, sie dachten zuerst, ich sei ein Mann. Aber unter den Piloten gab es keine Frauen, so kam jemand auf die phantastische Idee, mich zu einer langweiligen Arbeit in ein Dorf zu schicken. Ich sollte einer Französin helfen, die in ihrem Haus kranke Piloten pflegte.“ Das schrieb Margot Duhalde selbst zu jener Zeit – es ist eines der Dokumente im Besitz von Eusko Ikaskuntza. (1)

Doch das konnte es für Margot nicht gewesen sein. Sie war weder schüchtern noch träge und meldete sich bei der Königlich Britischen Luftwaffe. „Ich konnte kein Englisch, das verkomplizierte die Geschichte ungemein. Ich schaffte es wenigstens, dass sie mich nicht rauswarfen und bekam einen Job als Mechanikerin. Die Zeit nutzte ich, um mir die notwendigen technischen Begriffe anzueignen.“ Schließlich erreichte Margot Duhalde, zusammen mit anderen 165 Frauen in die Air Transport Auxiliary aufgenommen zu werden, eine Hilfstruppe für Lufttransporte. Aufgabe dieser Einheit war es, Kriegsflugzeuge an die Front zu bringen. Sie war die einzige Frau aus Lateinamerika in dieser Einheit.

Ein Mädchen mit Fernrohr

Am vergangenen 5.Februar 2018 starb Margot Duhalde in Santiago de Chile nach einem Leben, das gezeichnet war vom Fliegen – ein Wunsch, den sie sich selbst verwirklicht hatte. Im Süden Chiles wurde sie 1920 geboren, in Rio Bueno, als eines von zwölf Kindern einer traditionellen Familie. „Mein Vater war Bauer, ein willensstarker Mann, der eine große Familie durchbringen musste. In meiner Erinnerung sind zwei Bilder von meiner Mutter erhalten, bei einem ist sie schwanger, beim anderen stillt sie ein Baby.“ Viele Kinder zu haben war damals üblich, insbesondere in ländlichen Familien, das hatte auch ihre Familie geprägt, die aus dem Baskenland stammte. „Als mein Großvater starb war ich ungefähr neun Jahre alt. Er stammte aus dem nordbaskischen Luhuso, war riesig groß und hatte einen beeindruckenden Schnurrbart. Seine Spezialität war es, aus seinen Erzählgeschichten Lieder zu machen.“ Doch Margot interessierte sich mehr für den Himmel.

Im vergangenen Jahr (2017) gab sie ein Interview für den chilenischen Kanal Tele13, als sie bereits 96 Jahre alt war (2). Duhalde erzählte, wie sie mit 8 oder 10 Jahren aufs Dach des elterlichen Hauses stieg, um „die Flugzeuge aus der Nähe zu sehen“. Eine Tages musste ein Flugzeug in der Nähe des Bauernhauses eine Notlandung machen. „Ich näherte mich und konnte sogar ein Stück Flugzeug berühren. In diesem Moment wusste ich, dass ich Pilotin werden wollte. Alle dachten natürlich, ich sei verrückt. Aber was ich mir in den Kopf setzte, konnte mir nichts und niemand wieder austreiben.“ So kam es dann auch.

duhalde3Den ersten Widerstand gab es natürlich zu Hause, wenn auch nur zum Teil. „Es hat zwei Jahre gedauert. Ich hatte ziemlich heftig Scharlach, das war zu jener Zeit eine schwere Krankheit. Damals sagten sie zu mir, wenn du gesund wirst, darfst du Pilotin werden – und natürlich wurde ich gesund“, erzählte eine lachende Margot in der besagten Videoreportage. „Aber so leicht war es doch nicht. Vater sagte, wenn Mama nichts dagegen habe, sage er auch nichts. Und meine Mutter sagte dasselbe. Aber am Ende gaben sie mir beide nie die Erlaubnis. Deshalb musste ich schließlich damit drohen, dass ich mir das Leben nehme, dann endlich nahmen sie mich ernst“.

Suche nach einer Ausbildung

Margot war 16 Jahre alt und hatte die Unterstützung (oder Resignation) ihrer Familie erlangt. Aber zum Fliegen mussten noch weitere Hindernisse überwunden werden. Dabei half die eine oder andere Lüge. Im Nationalen Aeronautik-Museum Chiles existieren zwei Fluglizensen von Margot Duhalde. In der älteren steht als Geburtsdatum der 12. Dezember 1916; im anderen Dokument steht zwar derselbe Tag, aber ihr wirkliches Geburtsjahr, 1920. Die Erklärung ist, dass Duhalde ihr Geburtsdatum fälschte, um überhaupt Mitglied werden zu können im Chilenischen Flieger-Club: „Ich erzählte eine Lüge, und sagte, dass ich zwanzig Jahre alt sei. Weil es keine Bescheinigungen gab, mussten sie mir glauben. Mein Vater hielt den Mund, er sagte nichts dazu“.

Es war nicht die einzige Lüge, denn Margot musste auch verheimlichen, dass sie schlecht sah. Denn sie musste zur medizinischen Untersuchung. „Der Arzt war ziemlich alt, er war kurzsichtig. Ein bisschen schwerhörig war er auch. Ich überzeugte einen Offizier, einen Leutnant dessen Namen ich vergessen habe, dass er mir helfen und mir die Buchstaben einflüstern sollte. So geschah es dann. Fliegen war schließlich alles was ich wollte“, erzählte Margot vor den Kameras von Tele13. Ein Satz, der wie kein anderer ihr ganzes Leben beschreibt.

duhalde4Damit waren aber noch lange nicht alle Schwierigkeiten überwunden. Vor allem in einem Land, in dem Frauen erst 1949 das Wahlrecht zugebilligt wurde. „Tatsächlich hat es mich enorme Anstrengung gekostet, einen Mann zu finden, der mich zum Fliegen ausbildet, ich war schließlich eine Frau, jung und eine halbe Bäuerin.“ Einige erzählen, dass es Cesar Copetta war, einer der Pioniere der chilenischen Luftfahrt, der schließlich beschloss, sich um die fliegerische Ausbildung von Duhalde zu kümmern. Zwei Jahre später war sie zum ersten Mal allein in der Luft. Dabei war sie noch keine 18 Jahre alt – was ihr Lehrer zum Glück nicht wusste. Am 23. Februar 1938 lenkte sie zum ersten Mal ein Flugzeug, kurz danach erhielt sie den Titel einer zivilen Pilotin.

Lern- und Flugjahre

Die Aussichten, Ende der 1930er Jahre als Frau eine Arbeit als Pilotin zu finden waren minimal. Auch in der übrigen Welt war das nicht anders. Als dann der Zweite Weltkrieg begann und der französische General de Gaulle „alle Franzosen der Welt“ aufrief, sich der freien Armee anzuschließen und gegen die Nazis zu kämpfen, zögerte Margot Duhalde nicht lange. Als Freiwillige hatte sie sich bereits gemeldet. Ihren Eltern sagte sie, sie gehe als Ausbilderin nach Kanada. „Mit dreizehn anderen zusammen ging ich in Valparaiso auf ein Schiff. Mit einer französischen Krankenschwester, ein paar Chilenen und zwei jungen Basken, zwei richtig gute Typen: Juan Cotano und ein gewisser Ibarra. Mit diesen beiden freundete ich mich schnell an. Was Hausarbeit anbelangt, war ich ziemlich unnütz, sie wuschen meine Wäsche und bügelten für mich“, schrieb Margot.

Wie bereits beschrieben, die Verantwortlichen der französischen Resistance schickten die junge Frau, die ihre Wäsche nicht waschen konnte, in ein Dorf, um Kranke zu pflegen. In der Konsequenz hieß das, dass ihr französischer Patriotismus nur solange dauerte wie ihre Hoffnung schwand, fliegen zu dürfen.

Röcke und Fallschirme

Den nächsten Versuch machte sie also auf der britischen Seite. Auch in den britischen Reihen war das Patriarchat stark ausgeprägt. „Die Frauen der englischen Gesellschaft kritisierten fliegende Frauen: sie sollten nicht fliegen, sondern sich zu Hause um Ehemänner und Kinder kümmern!“ erzählte Duhalde bei Tele13 und beschrieb ein paar der unsinnigsten Regeln von damals. „Anfangs durften Frauen nicht dieselben Flugzeuge fliegen wie die Männer. Wir durften auch keine Hosen tragen, das war absolut lächerlich, stell dir vor, du trägst einen Rock und musst mit dem Fallschirm abspringen.“

Am Ende schaffte sie es doch. Insgesamt mehr als 60 verschiedene Flugzeuge durfte sie fliegen, sogar Bomber und Jagdflugzeuge. Während des gesamten Krieges flog ihre Einheit mehr als 300.000 Flugzeuge an die Front. „Dabei war unsere Arbeit äußerst schwierig. Wir flogen unter schlechtesten Wetterbedingungen, mit kurzer Sichtweite. Das war gefährlich, Radar gab es nicht, keinen Kontakt mit dem Bodenpersonal, das hätten die Nazis sofort gemerkt.“

Nach dem Krieg

duhalde5Nach dem Weltkrieg blieb Duhalde in England, wo sie für die französische Luftwaffe arbeitete. In den Jahren 1945 und 1946 machte sie eine Tournee durch Lateinamerika, auf der französische Flugzeuge vorgeführt wurden. Nach dieser Runde durch Argentinien, Brasilien, Uruguay und Chile kehrte sie Anfang 1947 in ihr Geburtsland zurück, wo sie als Handels- und Militärpilotin arbeitete, später als Fluglehrerin und Fluglotsin – in diesem Bereich war sie die erste Frau in Chile. Anschließend arbeitete sie 40 Jahre als Flugkontrolleurin für die Streitkräfte.

Margot Duhalde bewahrte auch im Privatleben ihre Unabhängigkeit. „Dass ich geheiratet habe, war so etwas wie ein Experiment, das ich sogar zwei mal wiederholt habe.“ Alle drei Ehen gingen zu Ende, aus der zweiten resultierte ein Sohn, der aber „praktisch von der Haushälterin aufgezogen wurde“. – „Auch bei meinen beiden Enkeln bin ich eine Katastrophe“, sagte Margot Duhalde mit damals 81 Jahren. „Ich lebte in einer Wohnung mit meiner Hündin Maite, die ebenso alt war wie ich, und mit einem jungen Kater. Immer wenn ich Zeit habe, reise ich ins Land meiner Vorfahren, nach Luhuso oder Bayonne, dort habe ich noch Familie.“

Margot Duhalde ging mit 80 Jahren in Rente. Jenen Geburtstag feierte sie mit einem Fallschirm-Absprung aus 3.600 Metern Höhe. Bis zum Tode blieb sie sich selbst treu.

Blinder Fleck

Im Jahr 1973 war Margot Duhalde 53 jahre alt, nach ihrer Biografie arbeitete sie in jener Zeit für die Streitkräfte. 1973 war das Jahr des Militärputsches durch General Pinochet, der Allende und Tausende andere das Leben kostete. 80-jährig, also im Jahr 2000, ging Duhalde in Rente, bereits in der Post-Pinochet-Zeit. Das Thema Diktatur spart der Gara-Artikel komplett aus, auch bei Euskonews, El País und Wikipedia (spanisch, französisch, englisch) ist in dieser Hinsicht nichts zu finden. Ein großes Manko. Als bekannte Frau in wichtiger Funktion bei den Streitkräften muss sie mit Pinochet und den Henkern der Militärdiktatur in Kontakt gewesen sein.

ANMERKUNGEN:

(1) Freie Übersetzung des Artikels „La increíble historia der la primera piloto de guerra chilena. ‘Yo solo quería volar’ - vida y milagros de Margot Duhalde”, Tageszeitung GARA, 2018/02/18 ( Die unglaubliche Geschichte der ersten chilenischen Kriegspilotin. ‘Ich wollte nur fliegen‘ - Leben und Wunder von Margot Duhalde“)

(2) Fernsehkanal Tele13, Chile (Link)

ABBILDUNGEN:

(1) Margot Duhalde (tele13)

(2) Margot Duhalde (tele13)

(3) Margot Duhalde (diario futrono)

(4) Margot Duhalde (tele13)

(5) Margot Duhalde (tele13)

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