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Im Schicksal vereinte Feinde

Am 21. Dezember 2018 jährt sich zum 40. Mal der Todestag von José Miguel Beñarán, Argala genannt. Ein Tag davor – am 20.12. – sind es 45 Jahre, dass Luis Carrero Blanco bei einem Attentat starb. Beide Schicksale sind eng miteinander verbunden, auch wenn ihre Biografien gegensätzlicher nicht sein könnten. Der Baske Beñaran war wichtiger Ideologe der im Franquismus gegründeten Untergrund-Organisation ETA. Der Spanier Carrero war Militär und Faschist. Argala war am Tod Carreros beteiligt – und umgekehrt.

Dass die Todestage von José Miguel Beñarán Argala (1949-1978) und Luis Carrero Blanco (1904-1973) eng nebeneinander liegen, ist kein Zufall. Sie waren historische Gegenspieler. Argala auf der linken und baskischen Seite – der Militarist Carrero auf Seiten des niedergehenden spanischen Faschismus. Eine tödlich endende Konstellation.

arg02Am 20. Dezember 1973 starb der designierte Nachfolger Francos bei einem Bomben-Attentat, die spanisch-faschistische Diktatur war an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen. Luis Carrero Blanco war erst kurz zuvor dazu erkoren worden, die franquistische Diktatur weiterzuführen. Am Attentat beteiligt, so die offizielle Geschichtsschreibung, war der bei ETA organisierte Baske José Miguel Beñarán, „Argala“ genannt. Fünf Jahre und einen Tag später starb Argala auf dieselbe Art, durch eine unter seinem Fahrzeug angebrachte Bombe. Dass die Todestage fast aufeinanderfallen ist sicher kein Zufall. Carreros Erben – in diesem Fall eine aus Faschisten und Polizisten zusammengesetzte Todesschwadron, die verschiedene Attentate beging – hatten genau geplant. Somit sind die Schicksale von Carrero Blanco und Argala untrennbar verbunden.

José Miguel Beñarán „Argala”

„Argala“ ist Baskisch und bedeutet “dünn, schlank”, der Beiname beschrieb die körperliche Konstitution von José Miguel Beñaran. Er wurde 1949 im Bilbao-Nachbarort Arrigorriaga geboren, übersetzt im „Ort der roten Steine“. Seine Familie war baskisch-nationalistisch gesinnt, seine Mutter baskisch-sprachig. Früh begann er den Marxismus zu studieren und bewegte sich in links-oppositionellen Kreisen des Baskenlandes. Sein Weg führte ihn zur Untergrund-Organisation ETA, der damals wichtigsten Fundamental-Opposition des Franquismus, die auch in der staatlichen Linken viele Sympathisant*innen hatte.

Nach verschiedenen Verhaftungen in seinem Umfeld sah sich Argala gezwungen, seinen Heimatort zu verlassen und für längere Zeit im gipuzkoanischen Oñati unterzutauchen. Dort nahm er einen Decknamen an. 1970 war er an der Aktion „Operation Flasche“ (Operación Botella) beteiligt, bei der die Angeklagten im Burgos-Prozess befreit werden sollten. Bei jenem international Aufsehen erregenden Verfahren im Dezember 1970 waren 16 Personen der Mitgliedschaft bei ETA angeklagt, es drohte die Todesstrafe. Die Zeit war geprägt von einem Franquismus, der nach Wegen der diktatorischen Kontinuität suchte. 1969 war ein Borbonen-Sprössling zum Staatschef für die Zeit nach Franco designiert worden, er schwor Franco die Treue, schwor auf die Prinzipien der faschistischen Bewegung und die franquistischen Gesetze.

Gleichzeitig stieg die Spannung im Land, es kam zu Streiks, die Opposition organisierte sich. 1969 kam es zu Unruhen an den Unis von Barcelona und Madrid, das politische Sondergericht verurteilte 93 Aktivist*innen illegaler Parteien zu 223 Jahren Haft. Vier Anwälte wurden deportiert, waren aber rechtzeitig zum Burgos-Prozess zurück, um die Verteidigung zu übernehmen. 1970 gab es 1.500 Streiks mit 400.000 Streikenden im Baskenland, in Barcelona, Asturien, Madrid, Sevilla und Granada. All das vor den Augen des aufmerksamen Analytikers Argala.

arg03Die pragmatischen Sektoren des Regimes setzten auf einen Kapitalismus auf breiter Ebene, sowohl national wie international, sowie auf die Einbindung in die Europäische Gemeinschaft EU. Gesucht wurde nach einem Konzept von Franquismus ohne Franco, politische Liberalisierung gehörte nicht dazu. Der harte Kern der Falange hingegen setzte auf Repression und Kontinuität. Der Burgos-Prozess sollte Härte demonstrieren, er fand im In- und Ausland große Aufmerksamkeit und machte letztendlich die Ankläger zu Angeklagten. Der öffentliche Druck verhinderte schließlich, dass die für sechs Angeklagte ausgesprochenen Todesurteile vollstreckt wurden.

Der Plan, die vom Tode bedrohten Bask*innen über einen heimlichen Tunnel zu retten, scheiterte. Danach ging Argala ins Exil im nördlichen Baskenland, baskisch Iparralde. Er nutzte die Zeit für politische Schulung. Mit neuem Decknamen ging Beñarán 1973 nach Madrid, um mit anderen zusammen einen Anschlag auf den designierten Nachfolger Francos vorzubereiten. Die „Operation Menschenfresser“ (Operación Ogro) kostete Carrero am 21. Dezember 1973 das Leben und warf die Pläne des Regimes für die Zeit nach dem dahinsiechenden Franco über den Haufen. Die Attentäter blieben unerkannt.

Zurück im Exil in Iparralde beteiligte sich Argala am Neuaufbau des baskischen Widerstands. Bei der Organisation ETA gab es ideologische Unterschiede und unterschiedliche Sichtweisen, wohin der künftige Weg gehen sollte. Argala übernahm eine doppelte Funktion. Er analysierte das Ende des Franquismus und die politischen Änderungen, die sich anbahnten. Gleichzeitig arbeitete er an einem Organisationsmodell, das den verschiedenen Kräften der baskischen Befreiungs-Bewegung ihre jeweilige Funktion zuordnete. ETA teilte sich in ETA-militar und ETA politico-militar, mit unterschiedlichen Strategien.

Argala wurde auf die französische Insel Yeu (vor der Küste von Nantes) deportiert, dort heiratete er die Lebensgefährtin eines in Gernika von der Polizei getöteten Basken. Nachdem sie die Insel verlassen konnten, mietete das Paar eine Wohnung in Anglet im Nordbaskenland (baskisch: Angelu). Die aus Faschisten und Militärs bestehende Todesschwadron Batallón Vasco Español (BVE – Baskisch-Spanisches Bataillon) setzte am 21. Dezember 1978 mit einer Autobombe seinem Leben ein Ende.

Über Jahre hinweg trug ein Platz in seinem Heimatort Arrigorriaga Argalas Namen. Im Jahr 2009 wurde die dortige Stadtverwaltung vom spanischen Sondergericht Audiencia Nacional gezwungen, den Namen zu ändern, weil er – so der Richter – die „Würde der Opfer des Terrorismus“ verletze. 2018 fand zum ersten Mal seit Jahren wieder eine Gedenkveranstaltung in Arrigorriaga statt.

Luis Carrero Blanco

arg04Als Carrero Blanco im Zentrum von Madrid mit einer Autobombe über ein fünfstöckiges Gebäude geschleudert wurde, waren viele unter dem Franquismus Leidende ziemlich glücklich – weit über die Sympathistan*innen von ETA und weit über das Baskenland hinaus. Symbolisch wurden Zigarrettenblättchen angezündet, um sie in die Luft fliegen zu lassen, es gab sogar ein Schmählied, das bis heute bekannt ist. Jene heimliche Freude wollen heutzutage viele nicht mehr wahrhaben, weil sie die Geschichte von ETA mittlerweile mit anderen Augen sehen. Doch jene Autobombe vom 20. Dezember war nicht irgendein Anschlag, es ging um Tyrannenmord und das Ende des Franquismus.

Luis Carrero Blanco (1904-1973) war ein spanischer Militär (Admiral) und Politiker. Er galt als Graue Eminenz des Franquismus und rechte Hand des Diktators Francisco Franco. Von diesem wurde er 1973 als Regierungschef vereidigt. Sechs Monate später starb er durch ein Attentat von ETA. 1918 trat er in die Seefahrtsschule der Marine ein. Von 1924 bis 1926 nahm er am Rifkrieg in Marokko teil (in dem gegen die Kabylen deutsches Giftgas eingesetzt wurde) und spezialisierte sich auf U-Boote. Seit 1934 lehrte er an der Seefahrtsschule in Madrid. Bei Ausbruch des Spanienkriegs flüchtete er aus Furcht vor republikanischen Milizen in die Botschaften von Mexiko und Frankreich. (1)

Im Juni 1937 gelang es ihm, von franquistischen Truppen besetztes Gebiet zu erreichen. Im Krieg war er Kommandant des Zerstörers Huesca und später des U-Bootes General Sanjurjo. Danach stieg er zum Stabschef der Marine auf. Während des Zweiten Weltkriegs vertrat er die Position der Neutralität Spaniens und stand damit im Gegensatz zum falangistischen Außenminister Ramón Serrano Súñer, der einen Kriegseintritt an der Seite der Achsenmächte forderte. Während Serrano Súñer 1942 seine Regierungsämter verlor, wurde Carrero Blanco zum Vertrauten Francos. 1941 wurde er zum Staatssekretär ernannt. (1)

1941 veröffentlichte er das Buch „España y el mar“ (Spanien und das Meer), in dem seine Neigung zu antijüdischen Verschwörungstheorien sichtbar wird: „Die Welt befindet sich in einem ununterbrochenen Krieg, der im wesentlichen religiöser Natur ist. Es ist der Kampf des Christentums gegen das Judentum. Ein Krieg auf Leben und Tod, wie es unvermeidlich ist im Kampf des Guten gegen das Böse, der Wahrheit gegen die Lüge, des Lichtes gegen die Dunkelheit. In diesem jahrhundertealten Kampf hat das Judentum es verstanden, auf Mittel aller Art zurückzugreifen. Das Ziel ist immer dasselbe: alles zerstören, vernichten, herabwürdigen, was die christliche Zivilisation repräsentiert, um auf ihren Ruinen das utopische zionistische Reich des auserwählten Volkes zu errichten.“ (1)

1951 wurde Carrero Blanco Präsidentschaftsminister. In diesem Amt wirkte er als Koordinator zwischen den verschiedenen Ministerien und Staats- und Regierungschef Franco. Er war daher an allen bedeutenden politischen Entwicklungen unmittelbar beteiligt. Er wirkte an der Zurückdrängung des politischen Einflusses der Falange mit. Ende der fünfziger Jahre unterstützte er die Neuorientierung der Wirtschaftspolitik und die bedingte wirtschaftliche Öffnung des Landes nach Europa hin. Er vertrat eine Politik wirtschaftlicher Modernisierung, der durch den Franquismus Grenzen gezogen waren.

1963 wurde Carrero Blanco zum Vizeadmiral, 1966 zum Admiral befördert. 1967 ernannte ihn Franco zum Vize-Regierungschef. Er übernahm in immer stärkerem Maße Regierungsaufgaben. Am 11. Juni 1973 wurde er als Nachfolger Francos als Regierungschef vereidigt. Der 80-jährige Franco zog sich offiziell aus dem Regierungsgeschäft zurück und fungierte nur noch als Staatsoberhaupt. Carrero Blanco, der schon zuvor an exponierter Stelle an den Planungen zur Überführung des Regimes in eine Monarchie mit König Juan Carlos I. mitgewirkt hatte, wurde als „starker Mann“ und Garant für politische Kontinuität in Spanien über den Tod Francos hinaus angesehen. (1)

Tatsächlich aber starb Carrero Blanco knapp zwei Jahre vor Franco: Am 20. Dezember 1973 explodierte in Madrid eine unterirdische Bombe unter seinem gepanzerten Auto. Die Wucht der Explosion war so heftig, dass sein Wagen über das Dach eines fünfstöckigen Hauses geschleudert wurde, bevor er auf einer Terrasse im 2. Stock landete. Carrero Blanco hatte in der Kirche die Morgenmesse besucht. ETA bekannte sich zum Attentat, der sogenannten Operación Ogro – Operation Menschenfresser, so der Spitzname Carrero Blancos bei den Antifranquisten. Postum wurde Carrero Blanco 1973 zum Duque (Herzog) ernannt, den Titel erbte sein Sohn (*1930). (1)

Literatur

arg05Die katalanische Journalistin Eva Forest machte nach dem Carrero-Attentat ein umfangreiches Interview mit dem ETA-Kommando. Die entsprechende Publikation trägt den Namen „Operación Ogro“, auf Deutsch: „Operation Menschenfresser. Wie und warum wir Carrero Blanco hingerichtet haben“. Eva Forest (1928-2007) erlebte die franquistische Repression am eigenen Körper: sie wurde gefoltert und eingesperrt. Eine deutsche Buchübersetzung wurde vom Trikont-Verlag und später vom imaginären Phantom-Verlag herausgegeben.

Zu seinem 40. Todestag hat der baskische Verlag Astero eine umfangreiche Biografie herausgegeben, mit dem Titel „Argala. Pensamiento en Acción” (Argala. Denken in Aktion), verfasst von der Journalistin Mertxe Aizpurua. Die Biografie wird begleitet von Texten und politischen Analysen aus der Feder von Argala. Sie beinhaltet zahlreiche Interviews mit Zeitzeug*innen, die Beñaran kannten oder ihm nahestanden.

(Publikation: Baskultur.info 2018.12.21)

 

BIBLIOGRAFIE:

1. „Argala“ - Politische Biografie, Casanova-Asensio, Txalaparta Verlag
2. „Argala. Pensamiento en Acción” (Argala. Denken in Aktion), Mertxe Aizpurua, Astero-Verlag
3. “Nacionalismo Revolucionario. Etxebarrieta, Txikia, Argala” (Revolutionärer Nationalismus) Lorenzo Espinosa, Gil de San Vicente, Boltxe-Verlag, 2018

ANMERKUNGEN:

(1) Luis Carrero Blanco (Wikipedia)

ABBILDUNGEN:

(1) Argala (Zazpika Sonntagsmagazin Gara 2.12.2018)

(2) Carrero, Franco (elperiodico)

(3) Argala, Monzon (Zazpika)

(4) Carrero, Attentat (infolibre)

(5) Argala Beerdigung (Zazpika)

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