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Wind-Generatoren in Agoitz vor dem Ende

Ein neue Interpretation von “Verbundenheit“ demonstriert der Energiekonzern Siemens-Gamesa in einem kleinen navarrischen Ort in den Vorpyrenäen: hier bedeutet Verbundenheit Schließung einer Produktions-Niederlassung für Windräder und Entlassung von 239 Angestellten. Ausgerechnet in einer strukturschwachen Gegend, wo jeder Arbeitsplatz doppelt zählt. Als das Werk vor 11 Jahren eröffnet wurde, erhielt der Konzern (damals Gamesa) öffentliche Zuschüsse in Millionenhöhe. Doch das ist Schnee von gestern.

Erneuerbare Energien schwimmen trotz Coronavirus-Krise auf einer hohen Konjunktur-Welle, die in absehbarer Zeit keinen Pessimismus zulässt. Das hält den baskisch-deutschen Energie-Multi Siemens-Gamesa nicht davon ab, in der baskischen Region Navarra ein Werk zu schließen. Die Hintergründe sind nicht nachvollziehbar, Rationalisierung ist mit Sicherheit im Spiel.

Auf der Webseite des multinationalen Energie-Konzerns Siemens-Gamesa steht an oberster Stelle “Führendes Unternehmen bei erneuerbaren Energien“. Das ist keine Übertreibung. Im Jahr 2019 belegte der Konzern weltweit den zweiten Platz in der Liste der Fabrikanten von Wind-Generatoren. Weshalb soll dann im navarrischen Agoitz (span: Aoiz) eine Produktionsstätte geschlossen werden, die vor zwei Jahren ihre Produktion von Generator-Flügeln verdoppelt hatte?

Bei dieser Schließung geht es nicht um eine internationale Krise in der betreffenden Branche. Auch nicht darum, dass sich das Werk in Navarra durch niedrige Produktivität auszeichnen würde. Auch handelt es sich nicht um einen konjunkturellen Kollateralschaden der Coronavirus-Pandemie. Siemens-Gamesa schließt das Werk in Agoitz, um “langfristig seine Konkurrenzfähigkeit zu verbessern“, so die Worte der Unternehmens-Leitung. Ganz ohne Umschweife wurde die Entscheidung des Multis per Presse-Mitteilung bekannt gegeben. (1)

sg2239 Entlassungen

Man werde einen Antrag auf betriebsbedingte Entlassung einreichen für ein Maximus von 239 Beschäftigte. Fast zynisch anmutend wurde gleichzeitig die Feststellung getroffen: “Navarra bleibt weiterhin eines der Hauptzentren der Entwicklung und Produktion von bodenständigen Wind-Generatoren von Siemens-Gamesa“. Derzeit beschäftigt das Unternehmen ungefähr 1.600 Personen in Navarra. Denn neben dem Werk in Agoitz betreibt der Multi in Aratzuri und Iruñea (Pamplona) zwei weitere Logistikzentren, sowie eine Fortbildungs-Einrichtung in Noain. Dazu kommt eines der wesentlichen Forschungs- und Entwicklungs-Zentren mit Büros in Sarriguren (Eguesibar).

Damit nicht genug. Das Produktionsnetz in der Region Agoitz umfasst 300 Zulieferer, bei denen im Jahr 2019 für 190 Millionen Euro eingekauft wurde, nach Aussagen des Konzerns. Was also die “Verbundenheit mit Navarra“ sein soll, die sich die Leitung von Siemens-Gamesa so gerne auf die Fahnen schreibt, ist angesichts der Schließungs-Entscheidung schwer nachvollziehbar. Zynisch interpretiert kann das nur sein: “Seid froh, dass wir nicht alles schließen“.

Gerade einmal zwei Jahre ist es her, als ein Plan umgesetzt wurde, die Produktion in Agoitz zu verdoppeln. Statt den 170 Flügeln im Jahr 2018 wurden 2019 immerhin 350 gebaut. Gleichzeitig wurde die Belegschaft um 65% aufgestockt, in zwei Jahren wurden 150 neue Stellen geschaffen. Insgesamt waren es 380 Beschäftigte, 320 direkt Angestellte und 60 indirekt.

In Agoitz werden Windflügel für die neuesten Modelle des Konzerns hergestellt: die 3.4-132 und die Siemens-Gamesa 2.6-126, mit einer Länge von 65 bzw. 63 Metern. Die erstgenannten Flügel waren Teil des bis dahin größten bodenständigen Windgenerators von Siemens-Gamesa. Für dessen Produktion wurden 2015 mehr als 10 Millionen Euro investiert.

sg3Führend auf Weltniveau

Der Hauptsitz des baskisch-deutschen Konzerns befindet sich im Technologiepark Zamudio, gleich neben dem Flughafen Derio-Bilbao. Im Geschäftsjahr belegte Siemens-Gamesa mit einem Anteil von 15,7% weltweit den zweiten Rang unter den Fabrikanten von Wind-Generatoren, übertroffen nur vom dänischen Unternehmen Vestas mit 18%. Bei bodengestützten Windgeneratoren belegte das Unternehmen mit 12,97% Marktanteil den dritten Platz, bei den meergestützten Generatoren war es mit 39,77% der erste Rang.

Weder der Markt von erneuerbaren Energieformen, noch der Wind-Sektor im Besonderen erlebten in den vergangenen Jahren irgendwelche Krisen. Im Bericht des Baskischen Energie-Verbands (Ente Vasco de la Energía - EVE) ist von einem “konsolidierten Bereich“ die Rede, für den in den kommenden Jahren “ein bedeutendes Wachstum auf globaler Ebene“ vorausgesagt wird, insbesondere bei der erdgestützten Windenergie.

In diesem Zusammenhang überrascht die Begründung von Siemens-Gamesa, wo behauptet wird, man müsse sich “an die Bedingungen auf dem Markt anpassen“ und auf eine “neue Generation von erdgestützten Turbinen“ setzen (onshore), mit Rotoren bis zu 170 Metern. Ausgerechnet das Werk in Agoitz ist spezialisiert auf das erwähnte Modell Siemens-Gamesa 3.4-132 mit einem Rotor von 132 Metern.

Ebensowenig nachvollziehbar ist das Argument der geografischen Lage des Werks “200 Kilometer vom nächsten Hafen entfernt“. Dies sei neben “den hohen Kosten“ einer der Faktoren, die “die Konkurrenzfähigkeit für den Export“ unmöglich mache, denn bisher sei vorwiegend “für den heimischen Markt produziert worden“. Diese Argumentation stellt die Motivation in Frage, mit der die Leitung von Gamesa (noch ohne Siemens) vor elf Jahren gerade diesen Standort wählte. Dass in der Pressemitteilung “die Verpflichtung mit Navarra“ besonders hervorgehoben wird, verkommt zur bloßen Floskel, trotz des Hinweises, dass das Unternehmen “in den Alaiz-Bergen den Prototyp der letzten Turbinen-Generation Siemens Gamesa 5.X installieren und ausprobieren“ werde. Diese Gegend liegt zwanzig Kilometer südlich von Pamplona.

sg4Personal- und Strategiewechsel

Vor zehn Jahren und mitten in der sogenannten Wirtschaftskrise schloss Gamesa ein weiteres Werk in Navarra, jenes in Altsasua, wo 150 Beschäftigte arbeiteten. 90 der Betroffenen wurde angeboten, in anderen werkseigenen Betrieben übernommen zu werden, die meisten in der Niederlassung Agoitz. Dem in solchen Situationen üblichen Sprachgebrauch folgend ließ die Unternehmens-Leitung verlauten, sie habe sich “gezwungen gesehen, eine sehr komplizierte Entscheidung zu treffen“. Die Führungsriege sei sich “bewusst, welche Folgen dies hat für die Beschäftigten und für den Landkreis“.

Zugeordnet werden diese Worte dem neuen Chief Executive Officer (CEO) der Onshore-Abteilung, Alfonso Faubel. Erst vor einem Jahr übernahm Faubel diesen wichtigen Posten. Bereits damals wurde die Ernennung im Betriebsrat mit Besorgnis zur Kenntnis genommen. Denn vorher hatte Faubel 2007 im Delphi-Konzern für die Schließung von mehreren Fabriken im spanischen Staat und für die Entlassung von 2.000 Beschäftigten gesorgt, unter anderem in den Büros, die das Unternehmen in Pamplona unterhielt. Faubel arbeitete seit 1988 in verschiedenen Energie-Unternehmen weltweit, Ferrex in New York, Accenture, Exen in Rom, bei Delphi von 1996 bis 2009 und bei Alstom in der Schweiz.

Zusammenfassend deutet alles darauf hin, dass die Werkschließung in Agoitz von langer Hand geplant war. Sie steht im Zusammenhang mit einem Richtungswechsel in der Unternehmens-Strategie, die ihren Ausdruck fand im Leitungsgremium von Siemens-Gamesa. Vor wenigen Wochen wurde dort Markus Tacke durch Andreas Nauen ersetzt: “entlassen in beiderseitigem Einvernehmen“.

In frischer Erinnerung ist ebenfalls, dass der baskisch-spanische Energie-Multi Iberdrola, ehemaliger Hauptaktionär bei dem noch unabhängigen Unternehmen Gamesa, sich aus dem multinationalen Konzern zurückgezogen hat. Die Verantwortlichen von Iberdrola waren mit der Unternehmensführung aus Deutschland unzufrieden, es kam zu Rechtsstreitigkeiten wegen des Vorenthaltens von wesentlichen Dokumenten. Schließlich wurden die Gamesa-Anteile für ca. 1,1 Milliarden Euro an Siemens verkauft. (1)

sg5Widerstand gegen Schließung

Wie nicht anders zu erwarten sehen Belegschaft und Betriebsrat der Schließungsabsicht nicht tatenlos zu. Bei einer Unterredung mit der Betriebsleitung forderten sie die Rücknahme der Entscheidung und der Entlassungsmaßnahme. Gleichzeitig begannen sie am 16. Juli mit einem Streik. Beim Treffen wurde dem Betriebsrat von der Führung eine Studie über die Wettbewerbs-Fähigkeit des Unternehmens präsentiert. Interessanterweise rechtfertigt diese Studie in keinster Weise die Schließung des Werks.

Der Betriebsrat kritisierte zudem, dass die Entscheidung über die Werksschließung über die Presse bekannt gemacht wurde. Und das zu einem Zeitpunkt, als die Unternehmensführung intern verlauten ließ, dass es Aufträge gäbe bis 2021. Des Weiteren habe die Leitung gegen eine Regelung verstoßen, die besagt, dass bei grundsätzlichen Fragen, die die Belegschaft betrifft, vor einer Entscheidung der Betriebsrat konsultiert werden müsse. Folgerichtig wurde die Regionalregierung Navarra aufgefordert, sich einzumischen, um die Schließung zu vermeiden.

“Wir erinnern daran, dass das Unternehmen Millionen Euro an öffentlichen Subventionen zur Eröffnung des Standorts erhalten hat. Deshalb ist es nicht akzeptabel, dass das Werk ohne triftigen Grund geschlossen werden soll“, so der Betriebsrat. Gleichzeitig wird daran erinnert, dass die Gegend um Agoitz ohnehin schon an Bevölkerungsflucht leide, was sich durch eine Massen-Kündigung mit Sicherheit verstärken werde. Die Arbeitslosenrate der Gegend liegt bereits jetzt über dem Durchschnitt in Navarra.

Gemeinsam fordert der Betriebsrat – vertreten durch die Gewerkschaften ELA, LAB, CCOO und UGT – die Rücknahme der Entscheidung. Stattdessen sollte nach alternativen Lösungen für das Werk gesucht werden. “Für uns ist klar, dass es sich um einen Fall handelt, bei dem mit einer Produktionsverlegung die Profite gesteigert werden sollen“.

Bei den regionalen Institutionen stoßen die Verteidigerinnen des Agoitz-Standorts auf offene Ohren. Vertreter des Betriebsrats wurden vom Bürgermeister von Agoitz, vom Parlaments-Präsidenten und von der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin empfangen. Alle haben ihre Unterstützung gegen die Schließung zugesagt und sich besorgt gezeigt über die Arbeitslosigkeit in der Gegend Agoitz. In den übrigen navarrischen Niederlassungen von Siemens-Gamesa kam es ebenfalls zu Solidaritäts-Kundgebungen. Der Streik bei Siemens-Gamesa Agoitz ist vorgesehen für den 23. und 28. Juli, und wird vorläufig fortgesetzt am 6. und 7. August. Am 25 Juli wurde die gesamte Kleinstadt zu einer Unterstützungs-Demonstration aktiviert.

Derweilen hat ein Europa-Parlamentarier der linken baskischen Koalition EH Bildu zwei Anfragen gestellt an die Europäische Kommission. Dabei geht es um den sogenannten “Green Deal“, über den Standorte von sogenannten “sauberen Energieformen“ erhalten werden sollen. Gefragt wird, ob die Kommission Kenntnis habe von direkten Hilfen (Subventionen) von Seiten von europäischen, staatlichen oder autonomen Behörden für Unternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energie. (2) (3)

ANMERKUNGEN:

(1) “Compromiso por Navarra: Siemens Gamesa certifica el cierre de Agoitz” (Verbundenheit mit Navarra: Siemens-Gamesa will das Werk in Agoitz schließen), Tageszeitung Gara 2020-07-02

(2) “El comité de Siemens-Gamesa exige que se retire el expediente de cierre de la factoría de Agoitz” (Der Betriebsrat von Siemens-Gamesa fordert die Rücknahme der Entscheidung, das Werk in Agoitz zu schließen), Tageszeitung Gara, 2020-07-16 (LINK)

(3) Siehe auch Baskultur.info: “Die baskische Industrie – Aktuelle Wirtschafts-Tendenzen“ (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Wind-Generatoren

(2) Siemens-Gamesa (elmundo)

(3) Werk in Agoitz (diario de navarra)

(4) Protest in Agoitz (diario de navarra)

(5) Wind-Generatoren (solarfeeds)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2020-07-28)

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