Donostia begehrt auf
Immer mehr Menschen aus der Bevölkerung von Donostia (San Sebastian) ärgern sich über die Folgen des Massen-Tourismus. Die Besucherlawine im Sommer 2023 hat erneut deutlich gemacht, dass die Massen von Reisenden nicht mit Lebensqualität in den heimgesuchten Stadtvierteln zu vereinbaren sind. Die Institutionen selbst, wie die Tourismus-Abteilung, haben Maßnahmen ergriffen, um diese Situation zu regulieren, sie setzen auf die Entzerrung des Tourismus auf das ganze Jahr und auf Internationalisierung.
180 Jahre Tourismus hinterlassen Spuren in Donostia. Einige Barrios der “Hauptstadt der Gastronomie“ ertrinken förmlich in den Massen, die jeden Sommer in die Muschelbucht einfallen. Die Nähe zur französischen Grenze potenziert die Zahlen, Anwohnerinnen rebellieren.
Vergangene Woche wurden die Zahlen über den Tourismus für den Monat Juli in der Region Baskenland veröffentlicht. Der für Tourismus zuständige Senator der baskischen Regierung, Javier Hurtado von der neoliberalen PNV-Partei, bezeichnete die Daten als "sehr positiv", da die Zahl der Besucherinnen und Besucher im Vergleich zum Vergleichs-Monat des Jahres 2022 um fast 3% gestiegen sei. Damit wird die Tatsache bekräftigt, dass die Tourismus-Branche begonnen hat, sich nach der Pandemie wieder zu erholen. Bestätigt wird dies auch durch andere Daten, denn erwartet wird, dass die Einnahmen über Tourismus wieder 6,4% des baskischen Brutto-Inlands-Produkts (BIP) erreichen, den Wert vor der Pandemie. (1)
Doch nicht alle betrachten die Entwicklung als positiv. Immer mehr Einwohner*innen von San Sebastian sind mit dem massiven Zustrom von Besucher*innen in den Sommermonaten ganz und gar nicht zufrieden. Beispiele lassen sich nicht nur in der Hauptstadt Gipuzkoas finden, sondern in etlichen Städten in ganz Spanien, in denen der Tourismus in den Sommermonaten besonders stark spürbar ist: Mallorca, Teneriffa, Málaga und Barcelona sind nur einige von ihnen.
Die Situation spitzt sich langsam derart zu, dass die Bezeichnung "Touristenphobie" immer häufiger zu hören ist. Dabei ist der Begriff falsch und irreführend, denn die Ablehnung oder “Phobie“ richtet sich nicht gegen Reisetätigkeit generell, sondern gegen die unerträglichen Massen, durch die sich der moderne postpandemische Tourismus immer stärker auszeichnet. So wurde kürzlich bekannt, dass an einigen mallorquinischen Stränden Plakate mit Falschmeldungen wie "gefährliche Quallen" oder "herabfallende Felsen" aufgehängt wurden, um die üblicherweise einströmenden Massen von Touristen abzuschrecken. (2)
Mit Phantasie gegen Massen
Die Überfüllung der Mallorca-Küste im Sommer ist allgemein bekannt, mitunter ergeben sich Warteschlangen von drei Stunden, um an den Strand zu kommen. Diese Übersättigung hat einen bekannten mallorquinischen Digitalentwickler und Marketingexperten, der zudem die satirische Seite @capdefabamborelles betreibt, dazu veranlasst, eine Karte der Küste Mallorcas zu erstellen, die voller Gefahren ist, um Touristen zu warnen.
Auf der Landkarte ist nur ein Bereich im Süden für Touristen zum Baden geeignet, während der Rest der Insel rot markiert ist, weil er voller Gefahren für Besucher sein soll. Killerquallen, Haie, explosives Material, Abwässer, Stromschläge, gefährliche Felsen und vulkanische Lava sind die Gefahren, die auf die Massen warten und die viele Mallorquiner*innen gerne bereits am Flughafen unter die Tourist*innen bringen möchten. “Tourismusphobie“ mit Humor gezeichnet und in jedem Scherz steckt ein Stück Wahrheit.
“Leben in der Altstadt“
Im Baskenland werden vor allem in der Hauptstadt Gipuzkoas immer mehr Stimmen laut, die einen fairen und gleichberechtigten Umgang zwischen den Interessen von Anwohner*innen und Reisenden fordern. Einige Bewohner*innen der Altstadt von Donostia haben sich schon vor einiger Zeit zusammengeschlossen und die Vereinigung “Parte Zaharrarean Bizi“ (bask: In der Altstadt leben) gegründet (3), um die Lebens-Bedingungen der Bewohner*innen dieses Viertels, das zu den meistbesuchten der Stadt gehört, zu verbessern.
Die Vereinigung beklagt "die völlige Überfüllung des Stadtviertels durch den Tourismus. Die vielen Touristen, die sich durch die engen Gassen der Altstadt bewegen, stellen für die Anwohner eine Belästigung dar“. Diese Belästigung findet ihren Ausdruck in einem ständigen und unerträglichen Lärm, der ihnen den Schlaf raubt, und “in den Behinderungen, die sie erleben bei der Erledigung ihrer täglichen Aufgaben", heißt es auf der Website der Gruppe. Sie stellen fest, dass Touristen-Gruppen öffentliche Räume "in Beschlag nehmen", dass es zu viel und dauernd Krach gibt und neuerdings sogar lange Schlangen gibt – bis zu Stunden – um in den Bars und Restaurants Pintxos zu bestellen.
Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Plaza de la Trinidad in der Altstadt, über die “Alde Zaharrean Bizi“ berichtet. Sie beklagen, dass die Kundschaft mehrerer Bars am Eingang zu diesem Platz "einen Teil der Sitzreihen besetzen“, weil sie vor den Bar selbst keinen Platz finden und dass dadurch die Kinder aus der Altstadt, für die der Platz vorgesehen ist, “daran gehindert werden, dort Sport zu treiben". Gruppen von Touristen hätten bereits den ganzen Platz besetzt. "Die Versuche, den Trini-Platz zu kolonisieren, sind endlos. Die Dynamik der Freizeit-, Tourismus- und Hotelbranche ist der Auslöser dafür, und die Stadtverwaltung reagiert wieder einmal mit schönen Worten, aber ohne Taten", schreiben sie.
Ausbreitung von Touristen-Wohnungen
Die Ausbreitung von Hotels und privaten Tourismus-Wohnungen hat (neben der heftigen Verteuerung von Immobilien) dazu geführt, dass es in einigen Städten mehr Nachfrage gibt, als bewältigt werden kann. Obwohl das Baskenland in Bezug auf die Zahl der Tourismus-Unterkünfte das Schlusslicht unter den autonomen Gemeinschaften bildet, ist die Zahl der privaten Wohnungen für Touristen in den letzten fünf Jahren um 41,56% gestiegen. “Diese Unterkünfte werden nicht professionell geführt und ihre Betreiber kennen den Sektor nicht. Das führt zu Problemen wie Lärmbelästigung, Schmutz, Umweltschäden und vielem mehr", erklärt Marcelo Sánchez-Oro, Professor für Soziologie an der Universität von Extremadura und Autor des Buches " Die Beziehung zwischen Gastgebern und Touristen: von der Kolonisierung zur Touristenfeindlichkeit“ (La relación entre anfitriones y turistas: de la colonización a la turismofobia), in einem Artikel in der Tageszeitung El País.
In diesem Sinne hat der Stadtrat von San Sebastián im März beschlossen, die Erteilung neuer Genehmigungen für die Eröffnung von Hotels und privaten Touristen-Unterkünften in der Stadt auszusetzen. Diese Entscheidung wird für mindestens ein Jahr verlängert, um die unerwünschten Auswirkungen des Booms dieser Art von Unterkünften in der Stadt Einhalt zu bremsen, und um der Unzufriedenheit der Einwohner und den hohen Kosten für Wohnraum entgegenzuwirken.
Baskische Regierung: nachhaltiger Tourismus
Die baskische Regierung setzt sich nach eigenen Aussagen für einen "nachhaltigen Tourismus" ein – aber was bedeutet schon nachhaltig! Nichts anderes als: weitermachen wie bisher und nur die schlimmsten Auswüchse vermeiden.
Die Verwaltungen sind sich der Probleme durchaus bewusst, die sich aus ihrer bisherigen Politik ergeben. Die Tourismus-Behörde der baskischen Regierung versichert, dass sie sich deshalb für einen "nachhaltigen Tourismus" einsetzt und bereits mehrere Maßnahmen ergriffen hat, um die Situation zu ändern. Dazu gehört die sogenannte “Entsaisonalisierung“, das heißt, den Tourismus auch zu anderen Jahreszeiten anzuziehen und nicht nur im Sommer, und somit die gleiche Zahl von Tourist*innen besser auf das ganze Jahr zu verteilen. Wie dies funktionieren soll, den Reisenden vorzugeben, dass sie nicht mehr im Sommer Urlaub machen sollen, sondern im Winter, dazu wird nichts erklärt, das bleibt Geheimnis der Behörde.
Andererseits bemüht sich das Department, "mehr internationale Besucher anzuziehen", um die “Entsaisonalisierung“ zu verstärken. Dass auf diesem Weg 2023 bereits erste Erfolge gemacht wurden, beweisen angeblich Zahlen aus den ersten sieben Monaten des Jahres, in denen die Region Baskenland bei ausländischen Tourist*innen einen Anstieg von 24% verzeichnete, gegenüber nur 6,5% bei inländischen Touristen. Dabei wird mit Zahlen jongliert, wie es gerade passt. Denn diese scheinbar gegenläufige Tendenz zwischen Aus- und Inland ließe sich auch damit erklären, dass nach der Pandemie die Zahl aus dem Ausland deutlich geringer war (Reise-Angst), die aus dem Inland jedoch deutlich größer. Dies reguliert sich nun wieder. Deprimierende Tatsache ist, dass alle Zahlen steigen, vor und im Sommer, aus dem In- und Ausland. Aus diesen Zahlen lässt sich somit keine Verbesserung ablesen, sie sind vielmehr Ausdruck einer Dramatisierung der Situation.
Schließlich wird von der Tourismus-Behörde darauf hingewiesen, dass die Region Baskenland die erste ist, die den Ethikkodex für Tourismus proklamiert hat, der von der Welt-Tourismus-Organisation (UNWTO) unterstützt wird und dem sich bereits mehr als 600 Unternehmen angeschlossen haben. "Dieser Kodex steht für einen verantwortungsvollen und nachhaltigen Tourismus. Wir setzen uns für dieses Modell ein und werden dies auch weiterhin tun", heißt es aus dem Tourismus-Ministerium.
Was deutlich macht, dass Nachhaltigkeit auch gilt, wenn die Zahlen ins Maßlose steigen. Hauptsache über das ganze Jahr verteilt. Mit Verantwortung für die lokale Bevölkerung und ihre Interessen hat das nichts zu tun. Gar nichts. Es ist reine Augenwischerei. Was angesichts dieser behördlichen Ignoranz bleibt, ist nichts als mallorquinische Satire, auf Baskisch übersetzt versteht sich.
ANMERKUNGEN:
(1) Las grietas del turismo: el descontento de los vecinos de Donostia ante la avalancha de visitantes” (Die Risse im Tourismus: die Unzufriedenheit der Einwohner von Donostia mit der Besucherlawine), Cronica Vasca El Español, 2023-08-25 (LINK)
(2) “Mallorca para espantar turistas“ (Mallorca, um Touristen zu verscheuchen), Noudiari.es, 2023-08-25 (LINK)
(3) “Parte Zaharrean Bizi“, Initiative von Einwohner*innen der Altstadt San Sebastian, die für erträgliche Lebensbedingungen eintreten (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Graffiti Donosti (el español)
(2) Mallorca-Satire (noudiari)
(3) Massen in Donosti (elpais)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-08-27)