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Spanien verstehen – Raul Zelik lesen

Wer Spanien nicht versteht, versteht das Baskenland nur unzureichend. Um die aktuellen Vorgänge in Katalonien nachzuvollziehen ist ein Blick in die spanische Geschichte und in die politische Mentalität der Machthaber ebenfalls von großem Nutzen. Mit seinem Werk „Spanien, eine politische Geschichte der Gegenwart“ versucht der Schriftsteller und politische Aktivist Raul Zelik, diesen potenziellen Wissensmangel zu beheben und zu zeigen, weshalb der demokratische Übergang nach Franco gescheitert ist.

Im Bertz + Fischer-Verlag hat der Schriftsteller Raul Zelik das Buch „Spanien, eine politische Geschichte der Gegenwart“ publiziert. Dabei geht es nicht allein um die neuere Geschichte des ehemaligen Weltreichs, sondern auch um das Verstehen der Entwicklungen in Katalonien und im Baskenland. Vor allem aber um den Postfranquismus und die Protestpartei Podemos. Eine Rezension.

„Die Demokratisierung Spaniens nach dem Ende der Franco-Diktatur gilt als europäische Erfolgsgeschichte. Doch die Wirtschaftskrise ab 2008, die Protestbewegung der Indignados, die katalanischen Unabhängigkeits-Bestrebungen und die Korruptions-Skandale der Volksparteien PP und PSOE haben deutlich gemacht, dass Spaniens Modernisierung sehr viel widersprüchlicher verlaufen ist.“ (1) Diese Worte sind auf der Rückseite des Zelik-Buches als Einführung zu lesen. Wer Zelik als Autor von Artikeln zu aktuellen Themen aus dem Baskenland und Katalonien kennt, wird schnell merken, dass es ihm mit diesem Buch nicht allein um Spanien geht. Vielmehr um das bessere Verständnis der rebellischen und anders gestrickten Peripherie. Dazu Ausschnitte einer Rezension:

RZ022„Ist die katalanische Unabhängigkeitsbewegung eine egoistische und wirtschaftschauvinistische Bewegung? Etabliert sich Podemos als eine neue erneuernde Linkspartei? Hat Spanien ein Problem mit der Aufarbeitung des Franquismus? Wie sehr scheint die spanische Elite korrupt zu sein? Was ist diese Diskussion über den Zentralstaat?“ (2)

Beim näheren Hinsehen stellen sich viele Fragen zu Monarchie und Politik auf der iberischen Halbinsel. Der Politikwissenschaftler Raul Zelik versucht sie in seinem Buch ‘Spanien – Eine politische Geschichte der Gegenwart‘ zumindest teilweise zu beantworten. Auf knapp 200 Seiten bietet dieses Werk eine interessante Zusammenfassung und einen guten Einstieg in die politischen und historischen Verhältnisse Spaniens seit dem Beginn des Franquismus in den 1930er Jahren.

Die Chronologie des Buchs ist einfach und verständlich, „beginnend mit der postfranquistischen Ära ab den 1970ern, der sogenannten Transición, als Übergang mit dem Tod von Francisco Franco von einer rechten, autoritären und ultrazentralistischen Diktatur zu einer parlamentarischen Monarchie. Hierbei steht vor allem die Verfassung von 1978 im Zentrum der Kritik, in der eine große Kontinuität und kein tiefer Bruch mit dem Franquismus arrangiert wurde“. (2)

Für Raul Zelik ist es wichtig, eine vor 40 Jahren erarbeitete Verfassung in den Blickpunkt zu stellen, um deren Rolle zu hinterfragen im Zusammenhang mit den Konflikten, die der Zentralstaat mit der aufbegehrenden Peripherie immer und immer wieder provoziert. „Zuletzt im Konflikt mit der wiederentfachten Ambition in Katalonien um Selbstbestimmung“.

„Anschaulich erklärt Raul Zelik die Problematik und macht gerade in den letzten beiden Kapiteln an den Beispielen der Unabhängigkeits-Bewegungen im Baskenland und Katalonien deutlich, dass Spanien ein großes Problem mit der vom Franquismus postulierten Maxime des Zentralstaats hat“. Zelik legt nahe, dass „die gesellschaftliche Linke einen klaren Bruch erzwingen muss und nicht an diesem Überbleibsel festhalten kann“. Das macht er deutlich mit seiner Kritik an der 2014 entstandenen Linkspartei Podemos.

RZ033„Podemos, die ihre Wurzeln in der während der großen Bankenkrise 2008/2009 entstandenen sozialen Bewegung um den 15.Mai (15M) hatte, stellt einen Gegenstand intensiver Analyse in diesem Buch dar. Nach dem Erklären der Korruptionswelle und Wirtschaftskrise in Spanien geht er auf die neu entstandene Partei ein“. Podemos startete mit dem demokratischen Anspruch einer Bewegungspartei, gab in ihrer politischen Praxis neue Impulse, doch ließ sie sich „relativ schnell auf den Kurs zu einem Bürokratie- und Wahlapparat ein. Die zentralen Figuren um Pablo Iglesias und Íñigo Erejón, der mittlerweile eine zur Mitte weichende neue Wahlplattform etabliert hat, setzten in relativ kurzer Zeit ihre eigenen Leute auf alle wichtigen Positionen und machten die Partei zu einem populistischen und geistlosen Apparat.“

„Nicht nur, dass die Partei eine stark zentralistische Struktur aufweist und die Kandidaten bei den Wahlen aus Madrid aufgestellt werden. Auch im Kurs um die Unabhängigkeits-Bewegung Kataloniens positionierte sie sich nicht solidarisch mit den Millionen Katalaninnen und Katalanen, die für politische Selbstbestimmung von massiver Polizeigewalt begleitet wurden“. Zelik macht deutlich, dass es auf dem Weg zu einer politischen Änderung wichtig ist, Menschen zu politisieren und sie in konkrete Bewegungen einzubinden. Die zermürbenden Flügelkämpfe innerhalb von Podemos und deren populistischer Ansatz sind für ihn fatal und kontraproduktiv.

Der Politikwissenschaftler stellt die These auf, dass der demokratische und linke Aufbruch in Spanien schon immer von den peripheren Regionen ausging, was auch stimmt. Während des Franquismus wurde am stärksten im Baskenland, aber auch in Katalonien und Galizien, massenhaft antifaschistischer Widerstand geleistet. Auch in den größeren sozialen Kämpfen Ende des 20. und Anfang des 21.Jahrhunderts wurde Widerstand in den besagten Regionen besonders stark geführt.

Zeliks Erklärung ist, dass sich die aktuelle katalanische Unabhängigkeits-Bewegung durch Anstrengungen von sozialen Bewegungen nach links bewegt hat. „Das ist vor allem an der bürgerlichen CiU (Convergència i Unió) – heute PDeCAT (Partit Demòcrata Europeu Català) zu sehen, die mit der linksradikalen CUP (Candidatura d’Unitat Popular) und anderen linken Parteien progressive ökologische und soziale Reformen“ verabschiedete. Wie zum Beispiel ein „Fracking-Verbot, stärkere Besteuerung von Atomenergie, von großen Einkaufszentren und Tourismuskomplexen, Verbot von Gummigeschossen der Polizei, Bekämpfung von Energiearmut, Teillegalisierung von Cannabis, stärkeres Bekämpfen des Klimawandels, Öffnen des Gesundheitswesens für alle und Schließen von Abschiebezentren“. Die meisten dieser Beschlüsse wurden in der Folge vom spanischen Verfassungsgericht wieder gekippt. Was erstens deutlich macht, dass das katalanische Autonomie-Statut eine Farce darstellt und zweitens den Aufschwung der katalanischen Unabhängigkeits-Bewegung erklärt, eingeschlossen das Umdenken der bürgerlichen katalanischen Parteien, die lange ein durchaus kollegiales Verhältnis zu den reaktionären spanischen Regierungen hatten.

Das Buch hilft, die Situation in den verschiedenen regionalen und politischen Sphären Spaniens verständlich zu machen. Es verliert sich nicht im Detail und ist kurzweilig geschrieben. „Man verschlingt dieses Werk in kurzer Zeit und kann daraufhin viele Zusammenhänge verstehen, es öffnet neue Blicke für tiefergehende Auseinandersetzungen. Ein absolut empfehlens- und lesenswertes Buch“. (2)

Baskenland und Katalonien

RZ044Die ersten sechs Kapitel von Zeliks Analyse (bis Seite 152) beschäftigen sich der Reihe nach mit dem „Übergang“ genannten franquistischen Überleben (S.12-41), dem folgenden Wirtschaftswunder (S.42-58), sozialen Bewegungen auf Staatsebene (S.59-85) und dem Phänomen Podemos (S.86-141). Die Kapitel vier und fünf bilden mit der Schilderung des Entstehens und Wirkens der Protestpartei Podemos den Schwerpunkt des Buches. Auch das folgende sechste Kapitel – Munizipalismus – steht mit dem Aufbruch des 15M in Zusammenhang.

Danach (Kapitel sieben und acht) sind Euskal Herria und Catalunya an der Reihe (S.154-173 bzw. S. 174-208). Die Vorgänge im Baskenland werden mit Anomalie betitelt. Beleuchtet werden der 40-jährige Ausnahmezustand, die politischen Ursachen des Konflikts, die Verhandlungen zwischen ETA und Madrid und das Ende der bewaffneten Phase des Konflikts. Die katalanische Republik wird besprochen unter den Stichworten Bürgerbewegung, demokratische Souveränität, Puigdemont, Referendum und spanische Zwangsverwaltung.

Ausblick

In Kapitel neun seines Buches wagt Zelik einen kritisch-pessimistischen Ausblick auf kommende Zeiten. „Spaniens Krise geht einfach nicht zu Ende. Das liegt daran, dass die strukturellen Probleme ungelöst geblieben sind. Das Entwicklungsmodell ruht nach wie vor viel zu stark auf dem Tourismus. (…) Die sozialen Gegensätze wachsen weiter, die unteren Klassen haben gewaltige Einkommens-Einbußen verzeichnen müssen. Laut Eurostat liegt der Faktor zu Messung der Einkommens-Ungleichheit bei 34,5 deutlich über Deutschland mit 29,5. (…) Die territorialen und verfassungsrechtlichen Probleme sind durch die harte Haltung der Rajoy-Regierung verschärft worden. Das Verhältnis zwischen dem Zentralstaat und Katalonien war noch nie so schlecht wie heute, der politische Konflikt mit dem Baskenland kann sich jederzeit wieder zuspitzen“. (1)

Die Gründe für das Scheitern einer politischen Änderung sieht Zelik nicht allein in der lange herrschenden Dominanzklasse, die sich nie vom Franquismus befreit hat. „Es liegt an den soziologischen Mehrheiten und den Machtstrukturen, die die Rechte über Jahrzehnte im Staatsapparat, der Ökonomie und den Medien aufgebaut hatte“. Gleichzeitig sieht er die Ursachen der Stagnation aber auch bei der Linken, bei „den Akteuren des politischen Widerstands“. Mit anderen Intellektuellen stellt er die Frage, ob es nach der Bewegung der „Empörten“ vom 15M nicht besser gewesen wäre, „gesellschaftliche Gewerkschaftsarbeit“ (sindicalismo social) zu betreiben, anstatt eine Partei zu gründen und sich in Bürokratie und Richtungsstreits zu verlieren.

„Die Fixierung auf Institutionen und Massenmedien sowie autoritäre Führungsstrukturen haben das Versprechen einer neuen Politik in der Praxis konterkariert. Podemos ist nicht demokratischer als die alten Linksparteien und der Politisierungseffekt des 15M ist durch Orientierung auf die Spitzenpolitiker/innen völlig verpufft. (…) Die politischen Debatten kreisen heute nicht mehr um gesellschaftliche Widersprüche, sondern um Politiker/innen und mögliche Parteikoalitionen. (…) Drittens haben sich die munizipalistischen Projekte, die sich stärker vor Ort verankern wollten, in den Großstädten weit von ihren Ausgangspositionen entfernt“, weil sie auf ordentliches Verwalten gesetzt haben. Das Versprechen, mit klassischen Politikformen zu brechen, wurde nicht eingehalten. (1)

Der Autor Raul Zelik

RZ055„Raul Zelik ist Politikwissenschaftler und arbeitet seit 1996 als freier Autor. 2009 wurde er zum Professor für internationale und vergleichende Politik an die National-Universität Kolumbiens berufen, kehrte aus familiären Gründen jedoch 2013 nach Deutschland zurück. Mit den politischen Konflikten in Spanien beschäftigt sich Zelik seit Mitte der 1980er Jahre. 2007 veröffentlichte er den viel beachteten Baskenland-Roman „Der bewaffnete Freund“ (Blumenbar, Berlin). Sein Sachbuch „Continuidad o Ruptura“ (Capitán Swing, Madrid), das die neuen sozialen und politischen Bewegungen auf der iberischen Halbinsel analysiert, wurde auch in Spanien viel diskutiert. Der Autor begleitete die Gründung der spanischen Linkspartei Podemos und der offenen kommunalen Listen 2014 aus nächster Nähe und gilt als einer der besten Kenner der Nationalitäten-Konflikte Spaniens im deutschsprachigen Raum“ (Klappentext Zelik-Buch). (1)

In einer zweiten (demnächst folgenden) Besprechung geht Baskultur.info speziell den Kapiteln Baskenland und Katalonien von Raul Zeliks Buch „Spanien, eine politische Geschichte der Gegenwart“ auf den Grund.

(Publikation Baskultur.info 2019-04-01)

ANMERKUNGEN:

(1) Publikation Raul Zelik: „Spanien, eine politische Geschichte der Gegenwart“, Bertz+Fischer-Verlag, 2018

(2) Die Rezension erschien am 22.03.2019 im Internet-Portal „Die Freiheitsliebe“, Autor ist Sergen Canoglu. (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Zelik-Buchtitel (FAT)

(2) Raul Zelik (wikipedia)

(3) Franco und König

(4) ETA-Symbol (baskultur)

(5) Katalonien (rtve)

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