antifemi1
Unzählige Schmierereien in Bilbao

Möglicherweise müssen sich die Sozialen Bewegungen in Bilbao von der Vorstellung verabschieden, dass das Baskenland faschismus-resistent sei. Tatsächlich hatten linke, internationalistische, antirassistische, antifaschistische und andere emanzipatorische Ausdrucksformen jahrzehntelag eine gewisse Hegemonie im öffentlichen Leben. Diese Dominanz ist jedoch in Frage gestellt durch immer häufiger zu beobachtende faschistische Umtriebe. Zerstörung, Graffitis und Todesdrohungen sind keine Seltenheit mehr.

Die Zahl der neofaschistischen Attacken gegen Personen, Medien, Objekte und Gaststätten nimmt im Baskenland in den vergangenen Jahren deutlich zu. Betroffen waren zuletzt ein antifaschistisches Netzwerk, zwei feministische Initiativen und die Bewegung Willkommen Flüchtlinge.

Bereits vor zwei Jahren führte eine postfranquistische neofaschistische Falange-Gruppe während der Sommermonate eine regelrechte Kampagne  gegen verschiedene Objekte durch. Das Portal einer linken Kneipe wurde zerstört, antifaschistische Treffen heimlich fotografiert, an exponierter Stelle wurden spanische Fahnen aufgehängt, dazu eine Menge Sprühereien. Betroffen war auch das Lokal der linken Partei Alternatiba und in Vitoria-Gasteiz der Eingang eines linken Radios. Obwohl sich die Falange-Gruppe nach den Aktionen in sarkastischem Ton regelmäßig zu ihren Taten “bekannte“, hatten diese keine strafrechtlichen Konsequenzen. Das wirft ein Licht auf die Selektion der Polizei, welche Bedrohungen verfolgt werden und welche nicht.

antifemi2Was sich seither in der politischen Landschaft verändert hat ist die Tatsache, dass Postfranquisten und Neonazis in verschiedene regionale und das staatliche Parlament eingezogen sind und seither eine enorme mediale Beachtung erfahren. Dabei sind die Figuren dieser neuen Ultrarechten gar nicht unbekannt. Die meisten haben eine Parteikarriere bei der postfranquistischen Volkspartei PP (von Aznar und Rajoy) hinter sich, die fast 40 Jahre lang in der Lage war, das ultrarechte Spektrum weitgehend an sich zu binden.

Für die bürgerlichen Medien sah die Europa-Bilanz ultrarechter und neofaschistischer Gruppen und Parteien auf den spanischen Staat bezogen noch überraschend positiv aus. Denn ausgerechnet hier gab es – im Vergleich zu praktisch allen anderen EU-Mitgliedstaaten – noch keine dezidiert neofaschistische Gruppe in den Parlamenten. Dies stellt sich heute als klarer Irrtum dar, denn die aktuell aktiven neofaschistischen Gruppen und Parteien sind nicht in den vergangenen 24 Monaten entstanden, sondern bewegten sich lediglich in einem anderen Ambiente, das weniger im Licht der Öffentlichkeit stand.

Mit der Partei VOX ist nun ein Sammelsurium für die Franco-Verehrer, Antifeministen, Ultranationalisten und andere Ultrarechte entstanden. Was nicht bedeutet, dass die diversen Falange-Gruppen zu existieren aufgehört hätten. Beide Tendenzen gründen sich stark auf Personen aus der Polizei und dem Militär, die immer wieder sensationell auffallen und dennoch beachtlich straffrei bleiben: auch wenn sie Journalisten verprügeln (Barcelona), auf linke Familien schießen (Amurrio) oder Anschläge auf den Ministerpräsidenten (Barcelona) planen. Verschiedene Wahlergebnisse haben deutlich gemacht, dass der Anteil der VOX-Stimmen in der Umgebung von Militär- oder Polizeikasernen um das sechsfache höher liegt als ihr genereller Stimmenanteil.

Bei den Kommunalwahlen im Baskenland erhielt die francophile Partei 1.910 Stimmen, was einem Anteil von 1,15% entspricht. Das ist der Unterschied zu den Kommunal-Wahlen Ende 2018 in Andalusien, wo die Ultrarechten mit 125.630 Stimmen auf 3,24% kamen und 104 Vertreter*innen in die Stadtparlamente schicken durften. Was das Baskenland betrifft: Nur im baskischen Navarra sah und sieht das faschistische Panorama etwas anders aus. Auch hier erzielte VOX mit 4.401 Stimmen und 1,29% Stimmanteil nicht gerade ein Erfolgsergebnis. Doch verschiedene militante Falange-Gruppen, die sich immer wieder neu konstituieren oder umbenennen, richten dort schon seit Jahrzehnten Schaden an. Vor allem gegen Personen (Prügel, Entführungen, Todesdrohungen) und gegen Denkmäler, die an die Gräuel des Krieges und die franquistischen Kriegsverbrechen erinnern.

antifemi3Nächtliche Großaktion in Bilbao

Wer Montag früh (28.10.2019) in Bilbao nahe der Altstadt auf die Straße ging, musste eine ganze Reihe von neonazistischen Sprühereien zur Kenntnis nehmen. Betroffen waren antirassistische, feministische und antifaschistische Gruppen und Initiativen. In der Altstadt wurde das Lokal von Ongi Etorri Errefuxiatuak (Baskisch: Herzlich Willkommen Flüchtlinge) mit rassistischen Parolen besprüht (2). Am Platz im Stadtteil Bilbozaharra wurde (bereits zum zweiten Mal) ein antifaschistisches Wandbild verunziert, das erst im Sommer innerhalb einer Nachbarschaftsinitiative angefertigt worden war. Bei diesen Schmierereien handelt es sich um sexistische Sprüche und eine Todesdrohung gegen einen Aktivisten aus dem Antifaschistischen Netzwerk Sare Antifaxista (3). Zudem betroffen war am gleichen Platz das von lokalen Bewohner*innen selbstverwaltete Kulturcafe XAKE (4). Im benachbarten Arbeiterinnen- und Migrantinnen-Stadtteil San Francisco waren zwei feministische Projekte betroffen, die Redaktion der feministischen Zeitschrift Pikara (5) und die Fraueninitiative Faktoria Lila (6).

Reparatur und Pressekonferenz

Bereits am Montag Abend wurden die neofaschistischen und sexistischen Sprühereien am Bilbi-Platz von der Autorin des antifaschistischen Wandbildes wieder entfernt. Am Dienstag Abend fand in der näheren Umgebung eine Protest-Kundgebung mit beachtlichen 200 Personen statt, alle Gaststätten der Nachbarschaft hatten dafür 30 Minuten geschlossen. Am Mittwoch Vormittag riefen die Betroffenen und andere solidarische Gruppen in den Redaktionsräumen von Pikara zu einer Pressekonferenz, zu der verschiedene Radios, das öffentliche baskische Fernsehen und Tageszeitungen ihre Leute schickten. Vertreterinnen von Pikara, Faktoria Lila und der Feministischen Koordination Bizkaia forderten in Anbetracht der wiederholten faschistischen und antifeministischen Bedrohungen “öffentliche und politische Verantwortung“.

Pikara

Andrea Momoitio von Pikara erinnerte daran, dass auf die Schaufenster der Redaktion das Wort “Huren“ gesprüht war, unterzeichnet von der Jugendorganisation einer neofaschistischen Partei. Für die Polizei, die eine Anzeige aufnahm, war dies dennoch kein Anhaltspunkt zur weiteren Nachforschung. Stattdessen die Bemerkung, dass die Anzeige mit Sicherheit im Sande verlaufen werde. “Es ist schon eine seltsame Situation, bei einer Polizeitruppe eine Anzeige zu machen, von der bekannt ist, dass nicht wenige der Polizisten ziemlich weit rechts stehen“, lautete der Kommentar einer Anwesenden. Im Fall der Frauengruppe Faktoria Lila richteten sich die Drohungen zum wiederholten Mal gegen deren Koordinatorin Irantzu Varela.

antifemi4Die Vertreterin der feministischen Zeitschrift sagte: “Der Angriff auf Pikara ist ein Angriff auf die unabhängigen Kommunikationsmedien – der Angriff auf Irantzu Varela ist ein Angriff auf die feministische Bewegung.“ Deshalb forderte sie eine Intervention der politischen Kräfte der Stadt. Im Anschluss stellte sie fest, dass sich aus dem Rathaus noch niemand mit den Betroffenen in Verbindung gesetzt habe, um sich einen Eindruck zu verschaffen von den Bedrohungen und den Bedrohten. “Wir sehen in diesen Aktionen auch einen Angriff auf die freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit“, fügte Andrea Momoitio hinzu.

Todesdrohungen

Irantzu Varela von der Faktoria Lila erklärte: “Wir haben den Institutionen das Monopol der legitimen Gewalt überlassen, damit sie uns verteidigen. Doch wenn sie genau das nicht tun, ist das eine weitere Form von Gewalt. So bleibt uns nur die Selbstverteidigung.“ Für Irantzu Varela ist es bereits die dritte Bedrohung, die sich ausdrücklich an sie persönlich richtet. Unbekannte haben bei Twitter ihre persönlichen Daten veröffentlicht, einschließlich Telefonnummer. Doch war es – im Gegensatz zu vielen anderen Fällen, wenn es gegen linke Twitter-Accounts ging – bislang nicht möglich, bei Twitter ein Löschen dieser Daten zu erreichen. Die Zurschaustellung ihrer Daten bedeutet für sie, dass “Gruppen von Heterosexuellen sich eingeladen fühlen, mich zu belästigen, sie wollen Sex, schicken Fotos von ihren Schwänzen – unerträglich!“

“Ich bin Antifaschistin, Feministin, Lesbe und ich bin Republikanerin – ich bin all das, was das System hasst“, erklärte sie vor der versammelten Presse. Für sie ist klar, dass die anfangs virtuelle Gewalt über Internet längst auch praktisch geworden ist. “Es ist zu hoffen, dass es nicht noch zu physischer Gewalt kommt.“ – “Wir haben immer mehr Rechte erreicht in den letzten Jahren und das ärgert die Privilegierten, deshalb schlagen sie jetzt zurück“, analysiert Irantzu Varela.

antifemi5“In letzter Zeit habe ich öfter den Satz gehört: Hunde, die bellen, beißen nicht. Das hat in mir einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen. Sie bellen all jene an, die identifizierbar sind und ihr Gesicht zeigen. Aber für mich ist klar, dass es eine Drohung an uns alle ist. Sie greifen ein paar wenige an, damit am Ende alle eingeschüchtert werden und ihren Mund halten. Aber wenn eine angegriffen wird, antworten wir alle.“

Reichspogromnacht

Für den 8. November haben wie jedes Jahr verschiedene Gruppen aus Bilbao in Erinnerung an die Reichspogromnacht zur Kundgebung aufgerufen: Feministinnen, Antifaschistinnen, Antirassistinnen, Lesben und Schwule. Das Bündnis für den aus der deutschen Geschichte stammenden 9. November ist in Bilbao immer breit und bewegungsübergreifend angelegt. Weil der 9.11. der Vortag der Wahlen zum spanischen Parlament ist, sind an jenem Tag politische Veranstaltungen verboten, deshalb musste die Kundgebung auf den 8.11. vorgezogen werden. Die Kundgebung war bereits vor den eben beschriebenen neofaschistischen Attacken auf verschiedene Läden geplant. Nun werden sich sicher noch mehr Personen animiert fühlen, bei der Mobilisierung präsent zu sein.

ANMERKUNGEN:

(1) Information aus Tageszeitung Gara 2019-10-30 (LINK)

(2) Ongi Etorri Errefuxiatuak – Herzlich Willkommen Flüchtlinge (LINK)

(3) Sare Antifaxista – Antifaschistisches Netzwerk (LINK)

(4) Espazio XAKE (LINK)

(5) Pikara, feministisches Magazin (LINK)

(6) Faktoria Lila (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Wandbild (FAT)

(2) Pressekonferenz (FAT)

(3) Pikara (FAT)

(4) Pressekonferenz (FAT)

(5) Pogromnacht-Plakat

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2019-11-01)

Für den Betrieb unserer Webseite benutzen wir Cookies. Wenn Sie unsere Dienstleistungen in Anspruch nehmen, akzeptieren Sie unseren Einsatz von Cookies. Mehr Information