drei01Normalisierungsprozess stagniert

In Zeiten von Coronavirus historische Rückblicke zu unternehmen ist nicht einfach. Sie scheinen fehl am Platz und finden nur wenig Publikum. Am 8. April 2017 (vor drei Jahren) übergab die baskische Untergrund-Organisation ETA auf französischem Territorium ihre Waffen. Ein Jahr später löste sie sich auf. Doch bedeuten Entwaffnung und Auflösung von ETA noch lange keine Befriedung oder Normalisierung. Zwei Mitglieder des zivil-gesellschaftlichen “Permanenten Sozial-Forums“ wagen einen kritischen Rückblick.

Am 8. April 2017 ließ die baskische Untergrund-Organisation ETA einer zivilen Gruppe die Standorte ihrer Waffenlager zukommen. Seither gilt die Organisation (die ein Jahr später ihre Auflösung bekannt gab) als entwaffnet. Licht und Schatten des Normalisierungs-Prozesses aus der Sicht der Beobachtungsgruppe “Permanentes Sozial-Forum“.

Nicht nur die Frage des Normalisierungs-Prozesses im spanisch-baskischen Konflikt, auch viele andere relevante gesellschaftliche Themen und Problemstellungen sind vor dem Panorama der Coronavirus-Pandemie und ihrer Bekämpfung stark in den Hintergrund getreten. Das ist angesichts einer für viele lebens- und existenzbedrohenden Krankheit durchaus verständlich. Gleichzeitig können wir die Zeit, die uns die relative Ausgangssperre beschert hat, zu einer genaueren Betrachtung nutzen.

drei02Normalisierung – Zwischenstand

Die beiden Friedens-Aktivist*innen und Sprecher*innen des “Permanenten Sozial-Forums“ Argus Hernan und Nekane Alzelai beschäftigen sich in einem offenen Brief mit der aktuellen Situation im spanisch-baskischen Friedensprozess, den manche lieber Normalisierungs-Prozess nennen, weil “Frieden“ ein zu großes Wort ist. In einem Rückblick beschreiben sie Erfolge und Misserfolge und machen deutlich, wo in den kommenden Jahren Arbeit wartet.

Vorausgeschickt sei eine grundsätzliche Bemerkung. So ganz unabhängig sind die Themen Normalisierung und Coronavirus dann doch nicht. Denn Teil dieses Prozesses waren und sind auch die politischen Gefangenen, von ETA und nicht von ETA. Sie sind mit einer ganz neuen Situation konfrontiert, in der sie nicht nur eingesperrt sind, sondern zusätzlich isoliert. Denn mit dem von der Regierung verkündeten Alarm-Zustand wurden sämtliche Gefängnis-Besuche ausgesetzt, auf unbestimmte Zeit. Die Enge der Gefängnisse macht zudem die Einhaltung von Schutzmaßnahmen völlig unmöglich, der Zugang zu schützendem Material bleibt ihnen verwehrt. Informationen über die konkrete Situation in jeder Anstalt existieren praktisch nicht. Nur die Anzahl der genehmigten Telefongespräche wurde erhöht, nicht zuletzt, um Ereignisse wie in Italien zu verhindern, wo es aufgrund der Kontaktsperre zu Gefängnis-Revolten kam.

2016: Permanentes Sozial-Forum

Das “Permanente Sozial-Forum“ (Foro Social Permanente) wurde im Oktober 2016 gegründet, als Nachfolge-Organisation für das “Sozial-Forum zum Erreichen des Friedens-Prozesses“ (Foro Social para Impulsar el Proceso de Paz). 14 Organisationen und 14 Einzelpersonen setzten sich damals (5 Jahre nach dem definitiven Gewaltverzicht von ETA) zum Ziel, den Konflikt mit der Entwaffnung und Auflösung von ETA zu beenden, neue Wege zu suchen für die gesellschaftliche Koexistenz und für eine vorzeitige Freilassung der politischen Gefangenen. Institutionen, Parteien und Politik waren aufgefordert, an diesem Prozess teilzunehmen. Ein Teil der Ziele des Forums konnte mittlerweile erreicht werden (Entwaffnung, Auflösung), die Frage der Gefangenen hingegen steht Lichtjahre vor ihrer Beantwortung. Lediglich im französischen Staat gab es Bewegung, indem eine Zahl von Gefangenen in Baskenland-nahe Gefängnisse verlegt wurde.

Weiteres Ziel war, die von ETA unternommenen Schritte von internationalen Beobachter*innen bestätigen zu lassen. Folgerichtig nahmen an der Forums-Gründung auch die Mitglieder der vormals aktiven “Kommission zur Verifizierung und Vermittlung“ (Comisión de Verificación y Monitoreo) teil. Bereits im Moment der Forums-Gründung kritisierte der künftige Koordinator die “blockierende Haltung“ der Regierungen in den beiden Zentralstaaten Frankreich und Spanien bei der beabsichtigten Entwaffnung. Auch die Unfähigkeit der politischen Parteien hinsichtlich Vereinbarungen stand im Fokus seiner Kritik. Deshalb setzte das Forum von Beginn an auf eine stärkere Mobilisierung der Zivil-Gesellschaft für den Friedens-Prozess.

drei03Das “Permanente Sozial-Forum“ wurde von folgenden Organisationen gegründet: von den Gewerkschaften ELA, LAB, CCOO und Steilas, sowie von den Friedensgruppen Paz con Dignidad, Sare, Baketik, Etxerat, Gernika Batzordea, Uharan, Bake Bidean, Egiari Zor, Ahotsak und Antxeta Irratia. Dazu 14 Einzelpersonen. Bei der Gründung im Aiete-Palast von Donostia anwesend waren drei Mitglieder der “Internationalen Kontakt-Gruppe“ (Grupo Internacional de Contacto, GIC): Brian Currin, Raymond Kendall und Alberto Spektorowski. Daneben waren verschiedene Parteien vertreten: Andoni Ortuzar und Joseba Aurrekoetxea von der baskischen Regierungs-Partei PNV, Arnaldo Otegi und Pello Urizar von EH Bildu, Pili Zabala und Iñigo Martínez von Elkarrekin Podemos. Auch die sozialdemokratischeGewerkschaft UGT schickte Beobachter.

Rückblick

“Die Forums-Gründung vollzog sich in einem Kontext vielfältiger Blockaden. Dennoch sahen wir die Grundlagen für eine Lösung des gewaltsamen Konflikts gegeben.“ (1) So das Einstiegs-Resümee von Hernan und Alzelai. “Hätte jemand gedacht, dass wir trotz dieser Blockaden seither so viele Fortschritte machen konnten? Bei unserer Bilanz gibt es jedoch Licht und Schatten. Auf zivilem Wege hat sich die Entwaffnung von ETA vollzogen, komplett und verifiziert, sowie die Auflösung dieser Organisation, verifiziert durch die internationale Gemeinschaft. Es wurden politische, gewerkschaftliche und gesellschaftliche Konsense erarbeitet, die bis dahin unvorstellbar waren. In erster Linie betrafen sie die Rechte aller Opfer von allen Formen von Gewalt, ihnen stehen Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu. An zweiter Stelle ging es um die Überwindung des Ausnahmezustands in den Gefängnissen und einer normalisierten Praxis für gefangene Personen. Drittens haben sich große Teile der baskischen Gesellschaft in Richtung eines neuen demokratischen Zusammenlebens bewegt. Die Zivil-Gesellschaft war bei diesen Anstrengungen eine eminent wichtige Protagonistin. Wir erinnern an Luhuso, nur drei Monate vor der Mobilisierung in Baiona anlässlich der Entwaffnung.“ (2)

Das politische Panorama

Was diese Frage betrifft ergibt die Betrachtung große Unterschiede zwischen dem Baskenland und dem Staat. Die große Mehrheit des politischen Spektrums und der Zivil-Gesellschaft im Baskenland unterstützt Normalisierungs-Bestrebungen in Form von Dialog, in Bezug auf Opfer verschiedener Formen von Gewalt, sowie hinsichtlich der politischen Gefangenen. Konkret existiert im Baskenland eine Mehrheit in Bevölkerung und Politik, die die Rücknahme der Zerstreuungs-Politik gegenüber den Gefangenen befürwortet und eine schrittweise vorzeitige Freilassung. Insbesondere für Gefangene ohne “Bluttaten“ und kranke Insassen. Diese Mehrheit geht von der baskischen Linken über Podemos und die baskischen Christdemokraten der PNV bis hin zu großen Teilen der spanisch-orientierten Sozialdemokratie. Nur die Ableger der postfranquistischen Volkspartei und andere unbedeutende Rechts- oder Ultrarechts-Parteien schließen sich davon aus. Die baskische PSOE (PSE) zeigt sich lediglich ablehnend, wenn es an die Aufarbeitung staatlicher Gewalt in Form von Folter und Todesschwadronen geht. Ungefähres Ziel aller Beteiligten ist eine künftige gewaltfreie Koexistenz unter Verschiedenen.

drei04Auf spanischer Seite sieht das Panorama komplett anders aus. Die nationalistischen, postfranquistischen und rechts-sozialdemokratischen Kräfte haben ihren anti-baskischen und anti-ETA-Diskurs derart konsequent beibehalten, dass Beobachter*innen davon sprechen, diese Kräfte hätten mit ETA besser gelebt als ohne (Thema Feindbild). Für diese Kräfte gibt es keinen politischen Konflikt, nur Terror. Für sie gab es nie Folter und schon gar nicht systematisch. Die islamistischen Attentate von Madrid 2004 werden nach wie vor ETA zugeordnet. Und die juristisch nachgewiesenen Todesschwadrone (GAL, BVE, etc.) war ein Haufen Durchgeknallter, mit dem sie nichts zu tun hatten. Sie fordern von den politischen Gefangenen und der baskischen Linken jede vorstellbare Art von Unterwerfungs-Gesten und Reue-Beteuerungen. Für die Geschichtsschreibung sprechen sie von einem “Totalen Sieg über den Terrorismus“. Bis vor Kurzem war aus diesen Kreisen regelmäßig zu hören, die “Gefangenen sollen im Gefängnis verfaulen“. Gleichzeitig gibt es im Staat eine Vielzahl kleiner linker Gruppen und Gewerkschaften, die den baskischen Weg loben und mehr denn je Zusammenarbeit suchen. In der Medienlandschaft sind sie, mit Ausnahme der andalusischen Gewerkschaft SAT, weitgehend unsichtbar.

“Die Veränderungen werden in der Bevölkerung wahrgenommen. Das zeigen nicht zuletzt Umfragen der baskischen Regierung. Die Entwicklung des Friedensprozesses im Baskenland sehen heute 55% als fortgeschritten an, 2014 waren es lediglich 28%. 38% sehen den Prozess heute als blockiert an, vor sechs Jahren waren es 58%.“ (1) Die Autor*innen interpretieren diese Zahlen positiv und sehen dafür zwei Gründe. Einerseits die massive Einmischung der Zivil-Gesellschaft, andererseits agieren die nicht organisierten Opfer von Gewalt überaus großzügig und weisen einen Weg der gegenseitigen Anerkennung.

Opferverbände

Diese Aussage zu verstehen setzt das Wissen um die Organisierung der Opfer von Gewaltanwendung im Staat voraus. Viele Opfer von ETA haben sich in zwei politisch äußerst einflussreichen Verbänden organisiert: COVITE und AVT (die sich vor Jahren aus ideologischen Gründen gespalten haben). Sie zeichnen sich aus durch rechte bzw. ultrarechte Orientierung, politische Nähe zur postfranquistischen PP und zur neofaschistischen Vox, und durch eine unnachgiebige Haltung in der Gefangenen-Politik. Staatliche Gewalt und polizeiliche Exzesse wie die nachgewiesene tausendfache Folter gab es nicht, der Konflikt wird ausschließlich als “Terrorismus“ definiert, ein historisch-politischer Konflikt wird kategorisch negiert.

drei05Wegen der prägnant rechten Ausrichtung dieser beiden spanischen Opfer-Lobbys blieben viele Angehörige von ETA-Opfern unorganisiert, vor allem aus dem Umfeld der PSOE, ebenso die große Mehrheit der Opfer von Folter und Polizeigewalt im Baskenland. Hier gibt es seit Jahren Verständigungs- und Austausch-Begegnungen in allen Richtungen – Dynamiken, die im spanischen Staat völlig undenkbar sind und verächtlich betrachtet werden. Leuchtendes Beispiel ist die Witwe eines baskischen Polizisten und ETA-Opfers, die bei abertzalen Demonstrationen für die Rechte der politischen Gefangenen mehrfach in der ersten Reihe stand.

Schattenseiten

Trotz Fortschritten verzeichnen die Aktivist*innen des Sozial-Forums auch Schattenseiten im Normalisierungs-Prozess. An erster Stelle wird die Blockade in der parlamentarischen Diskussion über ein Gesetz zum Thema “Erinnerung und Zusammenleben“ erwähnt, die in verschiedenen Anläufen an fehlendem Konsens zwischen den Parteien gescheitert ist. In dieser Frage setzt die baskische Regierung – PNV und PSOE – nicht auf eine einfache Mehrheit, sondern auf einen Konsens zwischen allen Parteien und politischen Tendenzen, die jedoch in ihrer Gesamtheit weder konsensfähig noch konsensbreit sind. Wie sollte die baskische Linke mit postfranquistischen Positionen einen gemeinsamen Nenner finden, ohne ihre Identität preiszugeben! Oder umgekehrt, aus der Sicht der Rechten. Um den unmöglichen Konsens der Gegensätzlichen zu suchen wurde eine Experten-Kommission eingesetzt, eine Art “Rat der Weisen“, die einen einenden Vorschlag machen sollte. In diesen Rat wurde ein bekannter Altfranquist aus Navarra bestellt – das Scheitern war vorprogrammiert. Jede der vorhandenen politischen Tendenzen hat eine eigene Lesart des Konflikts und seiner Ursprünge. Entsprechend werden “Schuldzuschreibungen“ verteilt. Wie Hernan und Alzelai beklagen: geht es um den “Krieg der Geschichtsschreibung“, um das, was übermorgen in den Geschichtsbüchern stehen soll. Doch ist Frustration hier nicht angesagt, weil sich letztendlich wie vor 84 Jahren Franquismus und Antifranquismus gegenüberstehen.

“Wir müssen feststellen, dass die Parteien sich in der Frage der Geschichtsschreibung drehen wie ein Riesenrad, dieselben Argumente werden eins ums andere Mal wiederholt, Fortschritte verhindert.“ Dieser Frust im Sozial-Forum ist vergebene Mühe. Die eine Seite spricht von Sieg gegen ETA, leugnet Folter, Polizeigewalt und Staatsterrorismus. Die andere Seite – im Baskenland vorherrschend – nimmt in dieses Fragenpaket sogar noch die Aufarbeitung von Krieg und Diktatur mit auf – historisch gesehen durchaus logisch! Wo ohne Gesichtsverlust kein Konsens möglich ist, sollte die Suche schnellstmöglich beendet werden.

drei06Rolle der spanischen Regierungen

“Eines der wesentlichen Probleme im Normalisierungs-Prozess ist die unnachgiebige Haltung der spanischen Regierung. Zwischen 2016 und 2018 war sie geprägt von der Unbeweglichkeit der Rajoy-Regierung. Die von der Regierung Sanchez vorsichtig unternommenen Schritte in der Gefangenen-Frage haben in deren baskischem Umfeld für Enttäuschung gesorgt.“ Tatsächlich hat das Kollektiv der politischen Gefangenen verschiedene Schritte gemacht, Forderungen erfüllt, wie zum Beispiel das Eingeständnis, dass die Strategie von ETA zu Opfern und Schmerz geführt hat. Die Reaktion der spanischen Gegenseite war, nach jedem Eingeständnis die Hürden höher zu legen und neue Forderungen zu stellen. Nach wie vor sind mehr als ein Dutzend schwerkranke Gefangene eingesperrt, immer noch müssen Angehörige für Besuche bis zu 1.000 Entfernung zurücklegen. Einzige Verbesserung der Situation war, dass einige Gefangene vom dritten in den zweiten Haftgrad umdefiniert wurden, was ihnen die Möglichkeit von kurzen Ausgängen bietet. Immerhin.

Für die nähere Zukunft sieht sich das Sozial-Forum vor folgenden Aufgaben: “1. Beendigung der Diskriminierung der verschiedenen Opfergruppen. 2. Ende des Ausnahmezustands in den Gefängnissen. 3. Aufbau einer einschließenden, kritischen Erinnerung, die andere Interpretationen respektiert.“ Entsprechend der vorherigen Schilderung sind hier realpolitische mit illusionären Zielen gemischt.

Forum-Schlussfolgerungen

“Die vergangenen Wochen der Ausgangssperre haben gezeigt, dass die Zivil-Gesellschaft in Eigenorganisierung in der Lage ist, auf Probleme und unmittelbare Notwendigkeiten zu antworten, wozu die Behörden nicht in der Lage sind. Im Zentrum stehen die Menschen, ihre Gesundheit, gegenseitige Hilfe. In grenzwertigen Situationen ist ein empathisches Zusammenleben wichtiger denn je. In den letzten Tagen mussten wir beobachten, wie Rechte mit Füßen getreten werden und sich autoritäre Verhaltensweisen breit gemacht haben, Arroganz bei Vertreter*innen aus der Politik. Diese Schlaglichter zeigen die Gefahr, dass in naher Zukunft gesellschaftliche Freiheiten beschnitten werden könnten. Gleichzeitig beinhaltet der Neubeginn nach der Krise enorme Chancen, eine bessere Zukunft aufzubauen und die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen.“

Epilog

Ohne an ihre Grenzen gekommen zu sein, wurden in der baskischen Gesellschaft – zivil und politisch – bedeutende Schritte gemacht, die in spanischen Gefilden undenkbar sind. Opfer verschiedener Gewaltformen treffen sich hier regelmäßig zum Erfahrungsaustausch, über ideologische Grenzen hinweg. Die baskische Regierung fasst – zumindest theoretisch – unter Aufarbeitung und Normalisierung nicht nur den von ETA verursachten Schaden, sondern auch die franquistische Geschichte, polizeiliche Folter und staatliche Gewalt. Damit ist sie der spanischen “Aufarbeitung“ meilenweit voraus und wird dafür von der spanischen Rechten scharf kritisiert. Die Urkullu-Regierung folgt somit einer Vielzahl von Basis-Initiativen, die schon Jahre existieren oder sich aufgrund der neuen historischen Situation gegründet haben.

Positive Impulse anderer Art kommen aus dem französischen Staat. Die dortige Regierung hat gegen den erbitterten Widerstand der spanischen Hardliner-Opferverbände tatsächlich die Situation der Gefangenen geändert, zumindest jener, die sich im Endstadium ihrer Strafe befinden. Zivilgesellschaftlich ist in Iparralde, dem französischen Teil des Baskenlandes, viel in Bewegung. Dort wurde die Entwaffnung von ETA geplant und durchgeführt. Wider aller spanischen Logik.

drei07Verteidiger von Gefangenen-Rechten

Rufer in der Wüste könnten es sein, die auch in Zeiten von Pandemie die Rechte von Gefangenen einfordern. Soziale Gefangene wurden in vielen Teilen der Welt zu Tausenden entlassen, in Großbritannien allein 4.500. Bei den politischen Gefangenen sieht es anders aus. Nur wenige Stimmen dazu sind in den Medien zu hören. Eine Stimme ist die von Joseba Azkarraga, ehemaliger baskischer Justiz-Minister und heute Sprecher von SARE, einer Unterstützungsgruppe für die baskischen Gefangenen. Eine andere Stimme ist die des Bürgermeisters von Baiona (Bayonne), der gleichzeitig Vorsitzender der nord-baskischen Städtevereinigung ist. Auch in schweren Zeiten lässt Jean René Etxegaray, ein konservativer Politiker, keine Gelegenheit aus, auf die Situation der Gefangenen hinzuweisen. So viele wie irgend möglich sollten entlassen werden angesichts der Virus-Situation, so seine Forderung.

Nachtrag: USA

Die dramatischen Auswirkungen der Pandemie in den USA und ihre gravierenden Folgen für die Inhaftierten fanden auch in europäischen Medien ihren Widerhall. Die Justizvollzugsbehörde von Pennsylvania zum Beispiel reagierte auf die Pandemie zunächst mit Besuchsverbot bis 10. April und der Aufforderung an die Insassen, Abstand zu halten und häufiger die Hände zu waschen. Am 29. März wurde eine landesweite Quarantäne über alle 25 Haftanstalten des Bundesstaats mit rund 47.000 Insassen und 15.000 Beschäftigten verhängt. Ein Insasse sei positiv auf das Coronavirus getestet worden. Danach Stillschweigen. Mehr als wahrscheinlich, dass in den Haftanstalten nicht auf das Virus getestet wird. Inoffiziell werden unter Häftlingen mehr Fälle vermutet.

Informell wurde bekannt, dass mehrere Gefangene am Virus erkrankt sind. Laut Aussage eines Journalisten sei es in einem Gefängnis bereits Ende März zu fünf Todesfällen gekommen. Die zuständige Behörde in Pennsylvania verlege ständig Häftlinge von Gefängnis zu Gefängnis, ohne Tests durchzuführen. Dort ist auch Mumia Abu-Jamal eingesperrt, unschuldig eingesperrter schwarzer Journalist, ursprünglich zum Tode verurteilt. Er beschrieb die Lage im Staatsgefängnis Mahanoy als zunehmend “repressiv“. Gefangene seien den ganzen Tag in ihren Zellen eingeschlossen. Für 45 Minuten werde der Einschluss unterbrochen. Dann dürften sich “maximal vierzehn Männer auf dem Traktflur aufhalten“, so Abu-Jamal, um entweder “zu duschen, zu telefonieren, am Kiosk einzukaufen oder die Zelle zu putzen“.

Besonders hart trifft die Gefangenen die Streichung des täglichen Hofgangs und damit der völlige Entzug von frischer Luft und Sonne. Abu-Jamal sagte, seine Haftbedingungen seien derzeit von Isolation gekennzeichnet “wie früher im Todestrakt“. Gesichtsmasken sind Mangelware, Waschen lediglich mit Handseife und kaltem Wasser. Dazu Probleme wie Überbelegung und der Kontakt zu Anstaltsbediensteten, “die keine Masken tragen und sich außerhalb unkontrolliert bewegen“. Ein Anwalt warnte, in den Gefängnissen werde sich “die Infektionsrate erhöhen und den Ausbruch von Covid-19 unweigerlich verlängern“. Es gebe “mehr Gefängnis-Betten als Krankenhaus-Betten in diesem Land“. Als vernünftige Reaktion auf die Krise sei deshalb “eine koordinierte nationale Anstrengung“ erforderlich, “so viele Menschen wie möglich aus dem Gefängnis zu holen – und zwar schnell“. Dem seien bislang nur Behörden in Los Angeles, Cleveland und New York City nachgekommen, wo jeweils Hunderte Gefangene aus der Haft entlassen wurden. Diese Forderung gilt in gleicher Form für baskische Gefangene.

ANMERKUNGEN:

(1) Tageszeitung Gara “Tres años desde el desarme civil de ETA” (Drei Jahre seit der zivilen Entwaffnung von ETA), 2020-04-08

(2) Luhuso: In diesem nord-baskischen Ort versuchten vier Personen in einem Landhaus, von ETA übergebene Waffen mit einfachem Werkzeug unbrauchbar zu machen. Eine eher symbolische Aktion, die von der Polizei entdeckt wurde und mit Verhaftungen endete. Daraufhin entwickelte sich eine Solidaritäts-Initiative, mit deren Hilfe die Freilassung der Beteiligten erreicht wurde. In einem späteren Prozess wurden sie freigesprochen – im Spanien wären sie mit Sicherheit zu Jahren Gefängnis verurteilt worden.

ABBILDUNGEN:

(1) ETA-Graffiti (publico)

(2) Friedenshandwerker aus Iparralde (elmundo)

(3) ETA-Erklärung (eitb)

(4) Internationale Kontaktgruppe (elespanol)

(5) Graffiti (elpais)

(6) Demonstration für Gefangenen-Rechte in Paris

(7) Waffenarsenal (okdiario)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2020-04-13)

 

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