mariam1
Afrika und den Atlantik überlebt

Mariam ist eine Frau aus Kamerun, die in Bilbao von einer Aktivistin zu Hause aufgenommen wurde und ihrem Grenzübertritt nach Frankreich plant. Sie erzählt von ihrer fast vierjährigen Reise, auf der Flucht vor Gewalt und Armut. Mariam, die bereits fünf riesige Länder durchquert hat, hat sich zum Ziel gesetzt, über die Grenze zu ihren Verwandten in Frankreich zu gelangen. Sie ist 36 Jahre alt und hat einen Traum. Ihre Erinnerung umfasst 10.000 km Reise, mit viel Kummer, aber auch mit guten Freunden.

Im behäbigen Europa können wir uns kaum vorstellen, was eine Flucht aus dem Mittleren Osten oder Afrika bedeutet. Jahrelange Odysseen, Ausbeutung, Misshandlungen, Lebensgefahr und Gewalt aushalten, um womöglich nach der Ankunft am gewünschten Ziel zurückdeportiert zu werden. Bei Migrantinnen, manchmal schwanger oder mit kleinen Kindern, multipliziert sich diese Qual.

Vor vier Jahren hat sie ihre Heimatstadt verlassen, die Großstadt Douala in Kamerun, und ist vor wenigen Tagen in Bilbao angekommen. Aber auch hier ist sie nur auf der Durchreise. Sie wartet auf günstigere Tage, einen guten Moment, um die Grenze nach Frankreich zu überqueren, ihrem endgültigen Ziel, wo sie Familie hat. Ihre Tante lebt seit 20 Jahren in Bordeaux und eine ihrer Freundinnen wohnt in Paris. (1)

Sie erinnert sich noch genau an das Datum, an dem sie ihr Land verlassen hat: am 17. Juni 2017. Seither hat sie halb Afrika durchquert. Überall wird sie als illegal angesehen und muss untertauchen. Sie wurde ausgeplündert, ausgezogen, verhaftet, misshandelt. Aber sie kam auch voran, dank der Hilfe von wohlgesonnenen Menschen. Mariam ist der Name, den sie gewählt hat, um ihre Geschichte zu erzählen. Sie ist eine von Hunderten von Überlebenden einer schrecklichen Odyssee, die meist an der andalusischen oder kanarischen Küste endet. Die einen wollen nach England, andere nach Skandinavien, nach Belgien oder Deutschland, je nachdem, wo sie Kontakte, Freunde oder Familie haben, die beim Neuanfang helfen können. Dafür muss als nächstes die Grenze von Irun-Hendaia überquert werden. Nach dem Beginn der Pandemie ist dies zu einem fast unmöglichen Unternehmen geworden.

Raus aus Kamerun

"Ich beschloss, mein Land zu verlassen, als ich eines Tages nach der Arbeit niedergestochen und ausgeraubt wurde". – "Zweieinhalb Jahre habe ich in Marokko gelebt, bis ich genug Geld hatte für die Reise im Cayuco-Boot: 2.080 Euro". Im Moment ruht sich die junge Frau in Bilbao aus, im Haus einer Aktivistin der Plattform Ongi Etorri Errefuxiatuak, auf Baskisch: Herzlich Willkommen Flüchtlinge. Die Mitarbeiterinnen dieser Plattform nehmen Menschen auf, die in Bilbo auf der Durchreise sind. Eine Freundin vermittelte ihr den Kontakt. "Ich bin mehr als dankbar. In Bilbao bin ich sehr gut aufgenommen worden, obwohl ich hier nicht bleiben möchte".

mariam2Mariams Mutter in Kamerun ist Witwe, die vorläufig in Bilbao gelandete Frau hat zwei Brüder und eine Tochter, die bei ihrem ehemaligen Lebensgefährten lebt. Sie studierte Informatik und Hotel-Management und arbeitete in einem Hotel in der 2,8-Millionen-Stadt Douala. Aber auf den Straßen geht es immer gewalttätiger zu, die Unsicherheit steigt. Als sie fast getötet wurde, wurde ihr klar, dass sie nach Europa gehen musste. "Eines Tages, nach der Arbeit, kamen sie, um mich auszurauben und stachen mich nieder. Ich habe eine Menge Blut verloren und wurde ins Krankenhaus gebracht, aber weil ich kein Geld hatte, wollten sie mich dort nicht behandeln. Ich habe meine Schwester angerufen und erst als sie bezahlt hat, haben sie mich geheilt."

Dann, am 17. Juni 2017, trat sie eine Reise an, die noch nicht beendet ist und die wie Mariam jedes Jahr Tausende von Menschen beginnen, um vor Elend und Krieg zu fliehen. Sie möchte gerne studieren. Um einen Job zu finden und "ein ruhiges Leben in Freiheit" zu haben. Viele erreichen ihren Traum nie: Sie enden in Gefangenschaft, werden getötet oder begraben auf den blauen Meeres-Friedhöfen der Straße von Gibraltar oder der Passage zu den Kanarischen Inseln.

Quer durch Nordafrika

Sie brauchte zwei Tage, um von Kamerun nach Nigeria zu gelangen. Weitere zwei, um das Land zu durchqueren und weitere fünf, um das nördlich gelegene Land Niger zu passieren. Dann lebte sie ein Jahr lang in Algerien. Wenn sie nach diesem Land gefragt wird, kommen ihr die Tränen. Sie arbeitete in einem Hotel in Oran, spricht Französisch, Spanisch und ein wenig Englisch. Weil die Drohungen mit Abschiebung ständig präsent waren, entschied sie sich weiterzuziehen. Mit drei weiteren Personen zusammen reiste sie an die Grenze zu Marokko. Die algerische Polizei zwang sie, sich "völlig nackt" auszuziehen. “Nie habe ich mich so gedemütigt gefühlt. Sie stahlen alles, was wir hatten, die Männer wurden geschlagen.“ Sie nahm einen Bus nach Oujda in Marokko, wo sie im Juli 2018 ankam und fünf Tage lang bei einer Freundin blieb. Dann lebte sie mehr als eineinhalb Jahre in Tanger, anschließend die letzten elf Monate auf der anderen Seite, in Al-Aaiun, in der von Marokko besetzten Westsahara. "Marokko ist ein furchtbarer Ort für Migranten", urteilt sie.

Viermal wurde Mariam inhaftiert. "Ich konnte nie richtig arbeiten. Ich hatte keine Papiere. Viele von denen, die eine Arbeit finden, werden am Ende nicht bezahlt und wenn du dich beschwerst, kannst du von der Polizei abgeschoben werden.“ Sie schaffte es zu überleben, dank der Unterstützung von Vereinen, die ihr halfen, Nahrung und Unterkunft zu bezahlen. Auch durch Betteln auf der Straße. "Einige Leute haben mir geholfen, andere haben mich angespuckt, und die Polizei hätte mich festgenommen, wenn sie mich beim Betteln erwischt hätten. Eine Freundin wurde mit ihrem Sohn zusammen verhaftet, sie wurden weit weg gebracht, in einen Wald, und wurden verprügelt", erzählt sie. In Tanger lebte sie allein mit einer Miete von 60 Euro, in Al-Aaiun wohnte sie mit anderen zusammen.

mariam3Mit dem Cayuco-Boot Richtung Kanaren

Schließlich schaffte Mariam es, genug Geld aufzutreiben, um die Passage auf dem Cayuco-Boot zu bezahlen. Es ging von Al-Aaiun in Richtung der Kanarischen Inseln, eine äußerst gefährliche Route. Im vergangenen Jahr starben hier 1.239 Migranten oder gelten als vermisst. Zweiundsechzig Migrantinnen und Migranten gingen an Bord, darunter acht Frauen und drei Kinder. Mariam zahlte 2.080 Euro. Die Reise war schrecklich. Das Schiff war meterhohen Wellen ausgesetzt, Wassermassen fielen über die Passagiere.

Die Überfahrt war eine zweitägige Reise ohne Essen, Trinken und Schlaf. "Der Geruch von Diesel brachte mich mehrmals zum Erbrechen. Uns war sehr kalt und die See war ziemlich wild. Ich dachte, ich würde sterben", erinnert sie sich. Am Nachmittag des 25. Januar 2021 wurden sie etwa 13 Kilometer südlich von Fuerteventura gesichtet und gerettet. Sie machten einen PCR-Test, der negativ ausfiel, so musste sie nur kurze Zeit in der Quarantäne-Station verbringen.

Schlechte Behandlung

Sie wurde in eine Herberge geschickt, die von einem katholischen Verein betrieben wird. An die Kanarischen Inseln hat sie keine guten Erinnerungen. "Wir wurden sehr schlecht behandelt, dabei sind wir menschliche Wesen. Wir wissen, dass die Regierung Geld schickt, aber es gab dennoch keine Mittel. Die Kirche, in der wir schliefen, war sehr sauber. Aber sie gaben uns Essen, von dem wir Durchfall bekamen, abgelaufenes Fleisch. Sie haben uns aggressiv angesprochen, dabei braucht man in diesem Moment nur etwas Trost. Wir hatten große Angst.“

Im März ging sie mit anderen zusammen zu einem Reisebüro, um ein Flugticket nach Bilbao zu kaufen. Die Coronavirus-Pandemie hat alles verkompliziert, viele kommen immer noch nicht von den Inseln weg. Mariam schaffte es, einzuchecken und ohne Probleme die Hauptstadt Bizkaias zu erreichen. Hier wartet sie auf eine Freundin, die sich noch auf den Kanarischen Inseln befindet. Gemeinsam wollen sie ihre Reise in die Freiheit zu Ende bringen. Auf dem Weg “zu einem ruhigeren Leben“.

Weitere Artikel zum Thema: 

Fluchtpunkt Baskenland – Bilbao: Migranten auf der Straße (LINK

Flucht über das Baskenland – Solidarität am Grenzübergang Irun (LINK)

ANMERKUNGEN:

(1) Zitate aus: “El largo viaje de Mariam hacia Francia” (Mariams lange Reise nach Frankreich) Autorin: Eva Molano, Tageszeitung El Correo, 2. Mai 2021 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Mariam (elcorreo)

(2) Cayuco-Boot (canarias7)

(3) Mariam (elcorreo)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-05-05)

Für den Betrieb unserer Webseite benutzen wir Cookies. Wenn Sie unsere Dienstleistungen in Anspruch nehmen, akzeptieren Sie unseren Einsatz von Cookies. Mehr Information