jazzaldia0150 Jahre Jazzaldia

Das Jazz-Festival von Donostia (span: San Sebastián) ist das älteste seiner Art im Staat und eines der ältesten in Europa. Seit 1966 wird das auf Baskisch Jazzaldia genannte Musikfest jährlich durchgeführt. Dabei folgte Jazzaldia der Geschichte des zeitgenössichen Jazz. Viele der großen Figuren des Jazz hinterließen ihre Visitenkarten in der Hauptstadt Gipuzkoas. Seinen Ursprung nahm das Festival noch im tiefen Franquismus, als jegliche Art von Modernität misstrauisch beäugt wurde.

(2015-07-23) Doch 50 Jahre Jazzaldia geben sowohl den ursprünglichen Initiatoren alsauch ihren Nachfolgerinnen Recht: das Musikfest ist wie das Filmfestival Zinemaldia von Donostia zu einer weltweit festen Größe geworden. Das zeigt die Liste derer, die in den 50 Jahren seines Bestehens beim Jazzaldia aufgetreten sind, denn sie ist lang und voller großer Namen: Ella Fitzgerald, Charles Mingus, Oscar Peterson, Miles Davis, Dizzy Gillespie, Art Blakey, Ray Charles, Dexter Gordon, Sarah Vaughan, Stan Getz, Don Cherry, Gerry Mulligan, Weather Report, Ornette Coleman, Hank Jones, Sonny Rollins, Wynton Marsalis, McCoy Tyner, B.B. King, Herbie Hancock, Diana Krall, Van Morrison, Liza Minnelli, Keith Jarrett, Pat Metheny und Chick Corea. Die Liste ist nicht vollständig. (1)

Die Anfänge des Jazzfestivals

Als vor einem halben Jahrhundert einige Hartnäckige das erste Jazzaldia zu organisieren begannen, war die lokale Presse hinsichtlich eines solches Projektes äußerst skeptisch. Manche behaupteten, dieser Musikstil sei bereits aus der Mode gekommen. Als 2015 die 50. Ausgabe des Festivals eröffnet wurde mit über 80 Veranstaltungen im Programm, gab es keine Zweifel mehr, dass der damalige Einsatz gerechtfertigt war und die musikalische Orientierung stimmte. Mit den Jahren besetzte das Festival immer mehr Räume für Konzerte in der Stadt, die meisten gratis, einige mit Eintritt.

Als am 10. und 11. September 1966 das erste Fest durchgeführt wurde, blieben Franco und dem spanischen Faschismus noch 9 Jahre ihrer diktatorischen Herrschaft. In jener Zeit entstand unter anderem die baskische Liedermacher-Bewegung mit Vertreterinnen wie Mikel Laboa, Lurdes Iriondo, Benito Lertxundi oder Xabier Lete (2). Sie alle mussten sich ständig mit der franquistischen Zensur auseinandersetzen, jegliche künstlerische Äußerung lief vorher über die Schreibtische der Zensoren. Das Regime kannte nur eine Einheitskultur, zu der der Jazz nicht gerade gehörte. Der Diktator selbst verbrachte jährlich ein paar Sommerwochen in der Stadt mit dem Muschel-Strand (Playa Concha mit der Insel Santa Clara). So war das Bild eines Konzertes am Trinidad-Platz eine wahre Premiere (Dreieinigkeits-Platz). Das Festival wurde zu einem kleinen Freiraum, der nichts mit dem zu tun hatte, was drum herum geschah. Er war eine der wenigen Verbindungen zur europäischen Außenwelt, denn es kamen Musikerinnen aus Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei – so resümiert der aktuelle Direktor des Jazzfestivals in einem Interview zum Jubiläum. (3)

Jazzaldia 2015

Das Festival 2015 startet auf den Terassen des Kursaals mit neun Konzerten. Der Allrounder Jamie Cullum stellt sich zum ersten Mal auch als DJ vor, bevor er allein am Piano auftritt und später mit seiner Gruppe. Auf derselben Bühne gastieren danach Earth, Wind and Fire Experience und der Jamaikaner Jimmy Cliff. Eine weitere Attraktion sind The Cooker, ein Septett von Musikern, die schon mit allen Größen des Jazz gespielt haben. Es folgen die US-Amerikanerin Carla Cook und die Britin Claire Martin, die von Ray Geleto begleitet wird. Für die kostenpflichtigen Konzerte gab es bereits zu Beginn schon keine Karten mehr, um Jamie Cullum, Silvia Pérez Cruz und die Französin Zaz zu sehen, die in halb Europa Erfolge feiert. Auch für den Eintritt zu Melody Gardot war es während des Festivals zu spät, sie beschließt das Jazzaldia auf dem Trinidad-Platz mit der jungen katalanischen Trompetistin und Sängerin Andrea Motis, die der Direktor bei der Vorstellung als “phantastisch“ bezeichnete. Julia Biel ist im San Telmo Museum zu hören, Dee Dee Bridgewater wiederholt seinen Auftritt vom Vorjahr, zusammen mit Irvin Mayfield with the New Orleans Seven. (4)jazzaldia02

The Bad Plus kommen mit dem Saxofonisten Joshua Redman als Gast in den Kursaal, dort spielt auch Benny Golson, Saxofonist und Komponist einiger legendärer Jazzstücke. Er wird mit dem diesjährigen Donostia-Jazzaldia-Preis geehrt. Auch John Zorn kommt zum Jubiläum in den Kursaal, er gastiert erneut in Donostia, genau wie Gregory Porter. “Manchmal macht es den Eindruck, kostenlose Konzerte seien von geringerer Qualität, aber das stimmt überhaupt nicht“, sagt der Direktor, der für die Terrassen zwei weitere Saxofonisten empfiehlt: Charles McPherson und Azar Lawrence.

Daneben sind zu sehen und zu hören: Bill Laswell, The Bad plus Joshua Redman, Gregory Porter, Charles McPherson Quartet, Sly & Robbie Meets Nils Peter Molvaer, Lee Fields & the Expressions, Andre Motis & Joan Chamorro Group, Arve Henriksen Trio Medieval, Eric Honoré Heliographs, Zanmari Baré, Neumann, Kakkmaddafakka, The New Standard Trio, Mungolian Jet Set, Gonzalo Tejada Quartet, Josetxo Silguero & Pierre Jodlowski, Sidsel Endresen, Jan Bang und Julia Biel – dabei ist die Liste noch lange nicht vollständig. (5)

Geschichte des Jazzaldia

Das Festival startete mit einem internationalen Wettbewerb für nicht-professionelle Jazz-Gruppen. Dieses Konzept wurde einige Jahre durchgehalten, mit der Ausnahme eines Auftritts des Gitarristen Mickey Baker. Nach dem ersten Festival des Jahres 1966 wurde im Folgejahr von September auf Juli gewechselt, dieses Datum steht bis heute. Für die Anfangsjahre wurde als Bühne der Trinidad-Platz auserkoren, eine strategisch gute Entscheidung, denn der 1963 gebaute Platz liegt im Herzen der Altstadt und ist eingerahmt von einem Renaissance-Gebäude, der Santa Maria Basilika, den Hängen des Urkull-Berges und malerischen Häuserfassaden. Die Musikerinnen lieben den Ort, das Publikum ist nahe an der Bühne.

Mitte der 70er-Jahre wurde begonnen, große Namen zu engagieren. Nötig waren größere Räume, das Festival zog Schritt für Schritt um in den Sportpalast und in die Radrennbahn (Velodromo). Erst Anfang der 90er Jahre kehrte es zurück zu seinem Ausgangspunkt. Bei den ersten größeren Festivals standen traditioneller Jazz und Blues auf dem Programm, zu hören waren Milt Buckner, Jo Jones, Cab Calloway, Arnett Cobb, Illinois Jacquet, John Lee Hooker oder Muddy Waters. Doch das entsprach nicht ganz dem Publikums-Interesse. Deshalb wurden Stil und Programm geändert, insbesondere nach den beiden erinnerungswürdigen Auftritten von Charles Mingus 1974 und 1977. In den 80ern und 90ern wurde das Jazzaldia im ganzen Staat bekannt, das Konzerte von Chick Corea 1981 in der Radrennbahn zog mehr als 15.000 Personen an. Als sich die Festivals in anderen Städten häuften, gingen die Zahlen in Donostia zurück. Deshalb 1992 die Entscheidung der Direktion, an den Ausgangsort in der Altstadt zurückzukehren. Kurz danach kamen neue Bühnen an anderen Orten dazu, Jazzaldia verteilte sich über die ganze Stadt. Dieses Konzept besteht bis heute, das Publikum wuchs beständig, im Jahr 2013 waren es insgesamt ca. 155.000 Personen. Mit den kostenlosen Konzerten am Zurriola-Strand, im Club Nautico oder auf den Kursaal-Terrassen werden vor allem jüngere Zuhörerinnen angesprochen. Verändert hat sich der Name des Jazzaldia, nachdem sich eine bekannte holländische Bierfirma als Großsponsorin in das Festival einkaufte.jazzaldia03

Veranstaltungsorte

Mit der Ausweitung des Jazzaldia-Festivals auf die ganze Stadt wurden neue Orte für Konzerte gewählt. Neben den eben erwähnten kostenlosen Konzertbühnen und dem historischen Trinidad-Platz gibt es das Auditorium im Kursaal mit einer exzellenten Akustik und 1.800 Plätzen. Das Victoria Eugenia Theater im italiensichen Stil wurde zwischen 2001 und 2007 umgebaut, mit seinen 888 Plätzen ist es ein Raum für eine eher intime Atmosfäre. Der Umbau ermöglichte auch die Reintegration des Victoria Eugenia Clubs mit 150 Plätzen. Das Gebäude des San Telmo Museums stammt aus dem 16. Jh und wurde 2011 nach einer umfassenden Renovierung mit einem modernen Anbau wieder eröffnet. Die grüne Bühne steht am Zurriola-Strand und wird ohne Publikums-Begrenzung jede Nacht von Massen jüngeren Publikums besucht, das Konzert von Bob Dylan und Mikel Laboa im Jahr 2006 vor 83.000 Personen hält den Besuchsrekord. Der CC-Espacio am Zurriola-Strand ist jungen Talenten vorbehalten. Die Bühne des Club Nautico (Nauticool) bietet neben der Musik die unübertreffliche Kulisse des Concha-Strandes mit unvergesslichen Sonnenuntergängen. Der kleine traditionelle Jazzclub Altxerri bietet Jazz nicht nur während der Jazzaldi-Woche. Das Eureka! Wissenschafts-Museum (Eureka! Zientzia Museoa) mit Planetarium bietet Konzerte, die von Bildern und Projektionen begleitet werden. Das Basque Culinary Center BCC schließlich (6) fügt dem Festival eine gewisse gastronomische Komponente hinzu. Dieser zuletzt hinzugekommene Veranstaltungsort dient jedoch eher dem Ruhm des BCC als des Festivals.

Die Jazzaldia-Preisträger

Seit 1994 verleiht das Jazzaldia-Festival jedes Jahr den Donostia-Jazzaldia-Preis an eine relevante Figur des Jazz, die gleichzeitig beim Festival auftritt, die Ahnenhalle der Preisträgerinnen liest sich folgendermaßen: Doc Cheatham, 1995: Phil Woods, 1996: Hank Jones, 1997: Steve Lacy, 1998: Chick Corea, 1999: Max Roach und Clark Terry, 2000: Kenny Barron, 2001: Ray Brown, 2002: Elvin Jones, 2003: Bebo Valdés, 2004: Shirley Horn und Fernando Trueba, 2005: Keith Jarrett und Charles Mingus (posthum), 2006: Herbie Hancock, 2007: Wayne Shorter, 2008: Ahmad Jamal, 2009: Roy Haynes, 2010: Ron Carter, 2011: Toots Thielemans, 2012: Jimmy Cobb und Pierre Lafont (posthum), 2013: Lee Konitz y Juan Claudio Cifuentes, 2014: Toshiko Akiyoshi.jazzaldia04

Interview mit dem Jazzaldia-Direktor

Aus Anlass des Jubiläums-Festivals publizierte die baskische Tageszeitung Deia ein Interview mit Miguel Martín, seit 1978 Direktor des Festivals (3). Als das Jazzaldia initiiert wurde, war er 10 Jahre alt, Charles Mingus sah er nicht, wohl aber Herbie Hancock und John Lee Hooker. Mit 17 war er zum ersten Mal bei einem Jazzaldi-Konzert, bei Milt Buckner, “einem Organisten, der viele Jahre mit Lionel Hampton spielte und der die Melodie mit dem Mund nachvollzog“. Zu jener Zeit konnte sich Miguel Martín nicht vorstellen, eines Tages dem Festival vorzustehen.

Wie kamen Sie zum Festival?
Ich fand, das Festival kümmere sich zu sehr um die Klassiker, das sagte ich eines Tages dem Direktor des Toursimus-Zentrums, Rafael Aguirre, den ich zufällig traf. Er lud mich ein ins Organisations-Komitee, als ich mich dort vorstellte war ich 21 Jahre alt. Ich bekam mehr Verantwortung und wurde ein Jahr später zum Direktor ernannt. Das bin ich geblieben, mit Ausnahme der Jahre 1989 bis 1991, als das Festival von einem Unternehmen organisiert wurde.

Denkwürdige Auftritte?
Woody Shaw und Art Pepper, spektakulär! Stan Getz und Dexter Gordon, da habe ich mich einfach unter das Publikum gemischt. Der erste der drei Auftritte von Miles Davis und der erste von Keith Jarrett.

Alle vier in der Ära der Radrennbahn …
Ein unpersönlicher und unbequemer Ort was die Akustik anbelangt. Aber es waren die goldenen Jahre des Jazzaldia. Wir konnten organisieren was wir wollten – die Leute kamen zu Tausenden. Die Erklärung ist eher logistischer Natur. Zu jener Zeit gab es nicht viele Jazz-Festivals, es gab also nicht viele Gelegenheiten, jene Musiker zu sehen. Niemand sonst engagierte B.B.King oder Ray Charles. Aber Mitte der 80er, nach dem Wahlsieg der PSOE, erlebte die Kulturszene einen enormen Auftrieb, vielleicht übertrieben, und das Interesse sank wieder. Generell gab es mehr Konzerte in allen musikalischen Bereichen.

Die wenigen Musiker, die Donostia nicht erlebt hat?
Aus unterschiedlichen Gründen kamen John Coltrane, Duke Ellington, Bill Evans und Count Basie nie nach Donostia. Oder Tom Waits … aber ich denke, wir sollten heutzutage nicht auf solche Auftritte setzen. Unsere aktuelle Zielsetzung ist, möglichst viele Konzerte zu organisieren, die meisten möglichst kostenlos, darunter interessante und unterhaltsame Sachen, die möglichst viele Leute an den Strand ziehen. Wir arbeiten mehr mit Konzept, weniger mit Geld, denn Intelligenz und Phantasie sind nützlicher als große Ausgaben. Dieses Jahr haben wir mit demselben Haushalt zusätzlich einen Dokumentarfilm und eine Ausstellung gemacht.

Ende des Jahres endet der Vertrag mit dem Sponsor. Wird er verlängert?
Darüber sprechen wir im September. Beide Seiten gehen von einer Verlängerung aus. Es fehlen nur Details. Ohne diesen Sponsor sähe das Festival anders aus, die Zurriola-Bühne zum Beispiel könnten wir uns nicht leisten. Der Beitrag des Sponsors beträgt ungefähr 25% des Festivals.

In welche Richtung entwickelt sich das Programm?
Ich fände es gut, wenn im Jazz junge Figuren zur Erneuerung des Festivals auftauchen, denn wir können nicht immer Bobby McFerrin, Chick Corea, Pat Metheny etc. einladen. In diese Richtung gehen wir im Jubiläumsjahr, viele Künstlerinnen sind noch keine 40 Jahre alt. Letztes Jahr hatten wir zu viel Jazz, der Kartenverkauf ging zurück. (3)

 

ANMERKUNGEN:

(1) Liste der Jazzaldi-Preisträgerinnen aus Wikipedia Jazzaldia.

(2) Artikel Baskultur.info: “Baskische Liedermacher – Laboa, Lertxundi und die wilde Dreizehn“. Link

(3) Artikel "Me gustaría que el jazz generara figuras jóvenes para renovar el festival" (Ich fände es gut, wenn der Jazz junge Figuren hervorbrächte, um das Festival zu erneuern) in der baskischen Tageszeitung Deia. Link

(4) Informationen aus dem Artikel “Jazzaldia, 50 años del Festival que algunos no querían“ (Jazzaldia, 50 Jahre Festival, das einige nicht haben wollten) in der baskischen Tageszeitung Deia. Link

(5) Web seite von Jazzaldia. Link

(6) BCC – Basque Culinary Center: ist eine Einrichtung der Universität Mondragon zur Ausbildung von gastronomischen Fachkräften. Link

FOTOS:

(1) Konzert am Zurriola-Strand von Donostia (San Sebastián). Foto: Diario Vasco

(2) Plakat des Jazzaldia-Festivals 2015. Foto: sansebastianturismo.com

(3) Peine de los Vientos, Skulptur von Eduardo Chillida (Kamm des Windes), eines der Wahrzeichen von Donostia. Foto: FAT – Foto Archiv Txeng

(4) Blick auf die Insel Santa Clara in der La Concha Bucht von Donostia. Foto: FAT – Foto Archiv Txeng

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