Der frühe Skandal um die Vulpes
Sie wollten keine feministischen Ikonen sein oder Aushängeschilder von irgendetwas. Sie waren Rocker-Mädchen aus der Nachbarschaft, die Gruppen wie Sex Pistols oder Ramones hörten und eine eigene Punkband gründen wollten. Das war alles. Das Punk-Projekt “Las Vulpes“ entstand in den frühen 1980er Jahren im Bilbao-Stadtteil Irala, wo auch Gruppen wie MCD entstanden, mit familiären Verbindungen. Doch vor dem erfolgreichen Durchbruch kam der politische Skandal, weil die Texte zu provokativ waren.
Las Vulpes, das waren die Schwestern Loles und Lupe Vázquez mit Schlagzeug und Gitarre, Mamen Rodrigo als Sängerin und Bego Astigarraga am Bass. 1982 nahmen sie ihr erstes Demoband auf, eine Reihe von punkigen Songs mit politischen Inhalten und voller bissigem Humor: "Inkisizion", “Punkies de Plástico“, “María, Dulce María“ (Inquisition, Plastik-Punks, Maria, Süße Maria). Weil sie jung waren und ihrer Zeit voraus, überlebte die Band nicht lange.
Schlampen oder Schlimmeres
Zu jener Zeit, als der Radikale Baskische Rock (Rock Radical Vasco) noch in den Kinderschuhen stand, wurde in lokalen Radiosendungen und in der Zeitschrift Muskaria viel über die Mädchen-Band gesprochen. Es blieb nur abzuwarten, wie die Vulpes (Füchsinnen) auf der Bühne ankommen würden. Das Konzert an der Universität von Leioa war eines ihrer ersten Konzerte. Der ungastliche Ort, der morgendliche Auftritt und das Publikum waren nicht gerade ideal für ein Punk-Rock-Konzert, aber vielleicht funktionierte die Provokation gerade deshalb besser wie selten. Es war eines dieser halb-improvisierten Feste der Zeit – in der die Bands nur so aus dem Boden sprossen und alle etwas Wichtiges mitzuteilen hatten. Vom ersten Vulpes-Song in Leioa an war klar, dass die Aufnahme dieser gesungenen Botschaft für die meisten im Publikum zu schwierig war. Viele haben nicht einmal Punk herausgehört. Bald begannen die dummen Witze der Vollidioten. (1)
Aber die jungen Frauen ließen nicht locker und ärgerten sich nicht, sie entluden ihre erstaunlichen Lieder auf der Bühne, voll von Spitzen und Zynismus, mit denen sie die Narren lächerlich machten. Die Vulpes waren Teenager, die der baskischen Welt zuriefen, dass sie ebenso frei sein wollten wie ihre Brüder, dass auch sie die Nacht ohne Anmache genießen wollten, dass sie an der Party teilnehmen und tanzen wollten. Diese jungen Frauen waren sich der verkrusteten patriarchalen Verhältnisse in der Gesellschaft derart bewusst, dass sie sich laut über den unsinnigen und zweifelhaften Begriff der "Liebe" lustig machen wollten, bei dem Frauen immer den Kürzeren zogen. Ein paar Monate lang waren sie überall zu sehen und zu hören … allein ihr Auftreten sprengte den Rahmen und dann kam der Skandal.
Skandal im spanischen Fernsehen
Im April 1983 war die Gruppe nicht mehr nur unter den Rockfans in Euskadi bekannt, sondern sprang auf die Titelseiten von spanischen Zeitungen. Die Sendung "Caja de Ritmos" (Rhythmus-Kiste) von Carlos Tena nahm eine Folge in Bilbao auf und lud die Vulpes-Frauen zum Programm ein. Was sie aufnahmen, war ausgerechnet der Song "Me gusta ser una Zorra", auf Deutsch ungefähr: “Es gefällt mir, eine Schlampe zu sein”. Dabei blieben sie dem Bandnamen treu, denn “Vulpes” wie “Zorra” bedeuten jeweils “Füchsin” – in der Macho-Männerwelt ist “Zorra” ein zutiefst abwertender Begriff, der sich auch mit “Hure” übersetzen ließe. (2 – VIDEO)
"Si tú me vienes hablando de amor / Que dura es la vida, el caballo me guía / permíteme que te dar mi opinión / Mira imbécil que te den por culo" – "Wenn du mir mit Liebe kommst / Wie schwer ist das Leben, mich führt ein Pferd / Hör dir meine Meinung an / Schau mal, du Arschloch, fick dich", so der Text. Die Generalstaatsanwaltschaft reichte eine Klage ein gegen die Vulpes, wegen "öffentlichen Ärgernisses". Damit begann der reine Wahnsinn. Aus heutiger Sicht überrascht es, die unsäglichen Kommentare von Rosa Montero, Camilo José Cela (Nobelpreis) oder Francisco Umbral zu lesen. Gemeinsam schufen sie ein Monster, das nichts mit der Realität zu tun hatte.
Die Absurdität wuchs in dem Maße, dass jeder ihrer Auftritte zu einem Zirkus wurde. Der Zwischenfall überrollte die Vulpes förmlich und die Band löste sich auf. Die baskische Linke hielt sich bei diesem Thema zurück, viele hielten die westliche Rockmusik damals noch für eine perverse Abart des kapitalistischen Systems und ein Hindernis auf dem Weg zur Wiederbelebung der baskischen Musik und Kultur. Der damalige Feminismus, so erinnert sich Loles, identifizierte sich nicht mit ihnen. Jetzt werden die Vulpes von beiden Seiten unaufhörlich rehabilitiert. Es scheint, dass ihnen endlich Gerechtigkeit widerfahren ist. "Too Much Too Soon" - "Gehiegi, Goizegi": Diese innovativen Musikerinnen waren ihrer Zeit voraus, sie waren ein perfektes Beispiel für Johnny Thunders Song: “Zu viel, zu früh“. (3)
Las Vulpes, vier Jahrzehnte später
Loles Vázquez, die Gitarristin und Autorin des Songs "Es gefällt mir, eine Schlampe zu sein“ (Me gusta ser una zorra) erinnert sich an das Aufsehen, das ihr Auftritt im Fernsehen auslöste, als es ein nationaler Skandal war, öffentlich über sexuelle Freiheit und die Lust der Frauen zu sprechen. (4)
Am Samstag, den 23. April 1983, traten vier Teenager unter dem Namen "Las Vulpess" (in jenem Fall mit Doppel-S) in einer Musiksendung des spanischen Fernsehens auf. Was sie spielten war “Es gefällt mir, eine Schlampe zu sein“ (Me gusta ser una zorra), eine freie Übersetzung von “I wanna be your dog“ von der englischen Punkband The Stooges. Als ob der Titel nicht schon deutlich genug gewesen wäre, verkündet der Liedtext von der Vorliebe einer Frau für fleischliches Vergnügen anstatt Geschichten von romantischer Liebe. Der Titel wurde um die Mittagszeit unzensiert ausgestrahlt, nachdem die Musikerinnen die Bitte abgelehnt hatten, den Inhalt zu ändern. Nicht einmal die Schimpfwörter wurden (wie damals üblich) mit Pieptönen übertönt, obwohl ihnen dies zunächst angekündigt worden war.
"Wenn wir ein bisschen später aufgetaucht wären, mit dem Rock Radical Vasco im Hintergrund, wäre es vielleicht anders gewesen. Aber alle haben uns verachtet. Für Herri Batasuna haben wir den Kapitalismus, den Amerikanismus, die angelsächsische Kultur vertreten. Die baskischen Parteien, einschließlich der PNV, wollten keinen Rock auf ihren Fiestas. Für sie war das etwas Fremdes."
Gegen die bürgerliche Moral
Direkte Folgen hatte die Sendung erstmal keine. Bis vier Tage später die ultrarechte Zeitung ABC dem Vorfall eine Seite widmete, unterzeichnet im Namen der Zeitung, mit der Schlagzeile "Jetzt reichts". Darin wird der Text des Liedes vollständig wiedergegeben und der öffentlich-rechtliche Sender beschuldigt, "die verfassungsmäßigen Grenzen weit überschritten" zu haben. Die Sendung habe einer Botschaft Raum gegeben, die "die spanische Gesellschaft entwürdigt, die Familienväter erzürnt, die verantwortungs-bewussten Bürger empört und die häusliche Privatsphäre in Frage stellt". Laut Artikel sollten mit "der Unterwelt der sexuellen Pathologie" moralische Werte angegriffen werden: "Zweifellos sind Kampagnen im Gange, um die Gesellschaft zu entchristlichen und die Jugend zu verderben". Die ultimative Punkband-Fantasie, kurz gesagt.
Das Programm wurde unterbrochen. Der Staatsanwalt des Territorialgerichts von Madrid reichte eine Klage wegen öffentlichen Skandals gegen Carlos Tena, den Moderator der Sendung “Caja de Ritmos“ ein, der später den Dienst quittierte, weil er offen angefeindet wurde. Anzeige auch gegen Loles Vázquez (alias Anarkoma Zorrita, Autorin der Texte) und gegen Mamen Rodrigo (Evelyn Zorrita, Sängerin). Drei Jahre später wurde das Verfahren eingestellt. Und fast vier Jahrzehnte später erinnert sich die Komponistin und Gitarristin Loles Vázquez (55 Jahre, Bilbao), heute Krankenpflegerin, wie vier junge Frauen eine politische Auseinandersetzung in der ersten Reihe erlebten, die auf der Tribüne des Abgeordnetenhauses endete.
Warum, glauben Sie, hat die Ausstrahlung von “Me gusta ser una zorra“ einen solchen Skandal ausgelöst: wegen des politischen Moments, wegen der Sprache oder einfach wegen des Mackertums?
Natürlich wegen des Mackertums, aber vor allem war es eine politische Angelegenheit. Die damalige Regierung der PSOE sollte angegriffen werden und das spanische öffentliche Fernsehen. Einen Skandal gab es erst, als ABC den Text in der Zeitung dokumentierte, weil der Live-Ton nicht gut zu verstehen war. Völlig klar. Das ging sogar in die Abgeordnetenkammer.
Haben Sie sich vor der Aufnahme des Songs vorgestellt, dass so etwas passieren könnte?
Wir haben eine Reaktion erwartet, aber nichts Außergewöhnliches – einen Brief einer katholischen Gruppe, so etwas in der Art. Das Übliche. Aber nicht diese künstliche Aufregung. Als wir den Song aufnahmen, wurde uns gesagt, dass die Schimpfwörter mit einem Piepton zensiert würden. Das passierte dann doch nicht. Für uns, die wir aus dem Norden kamen und einiges gewohnt waren, war das einzige starke Wort "cabrón" (Bock). Für Empfindliche kann auch "einen Schnabel auf den Schwanz stecken" stark wirken ... Deshalb haben sie sich am Ende entschieden, nicht zu zensieren. Die Beschuldigung lautete, es habe sich um eine Kindersendung gehandelt, aber in Wirklichkeit war es eine Jugend-Sendung, um ein Uhr mittags. Wie gesagt, es gab keinen Skandal, bis ABC Wirbel machte.
Und wie erleben vier junge Punks aus Bilbao eine nationale Kontroverse?
Ich erinnere mich, wie mein Vater mich anrief und sagte: "Was habt ihr angerichtet!" Nach der ABC-Geschichte wurden wir von Radios und Medien angerufen. Das war zu viel für uns. Aber nicht nur das. Hier in Madrid mussten wir (die Single mit den Liedern “Me gusta ser una zorra“ und “Inkisicion“) in aller Eile aufnehmen, die Plattenfirma hat uns betrogen, wir haben nie Tantiemen erhalten. Wir wurden komplett abgezockt. Sie versprachen uns eine Tour, gaben uns Konzerttermine, aber als wir zu den Clubs kamen, in denen wir spielen sollten, waren sie geschlossen. Wir konnten nicht auftreten. Gleichzeitig hatten wir Angst, den Vertrag zu brechen, womöglich mussten wir selbst noch bezahlen. An anderen Orten konnten wir auftreten, aber es kamen Busse voller Faschisten, die uns mit Flaschen bewarfen. Deshalb trennten wir uns bald darauf. "Ich verließ die Musik wegen meines Privatlebens. Ich hatte aufgehört zu spielen und zu komponieren, weil es mir nicht gut tat. Alles, was ich schrieb, war traurig und düster, so war es besser für mich, Distanz zu haben."
Haben Sie sich zumindest innerhalb der Punkszene oder im Baskenland unterstützt gefühlt?
Die Epoche hat eine wichtige Rolle gespielt. Es stimmt, dass später baskische Gruppen wie La Polla Records, Cicatriz oder Kortatu auftauchten, aber wir waren die Avantgarde. Es gab noch keine Szene. Eine Szene gab es in Madrid, aber die ging zu Ende. Wir bekamen keine Unterstützung. Auch nicht von anderen Punkbands. Die Jungs von Eskorbuto wurden in einem Interview über uns befragt. Als ob sie sich darüber lustig machen wollten, sagten sie, dass alles, was wir spielten, zu Gold wurde. Sie deuteten an, dass wir verkauft waren, dass wir Geld machten und deshalb nicht authentisch waren. Ich glaube, wir waren naive Neulinge. Wenn wir etwas später aufgetaucht wären, mit dem Rock Radical Vasco im Rücken, hätte es anders laufen können. Aber niemand stand auf unserer Seite. Für Herri Batasuna haben wir den Kapitalismus, den Amerikanismus, die angelsächsische Kultur vertreten.
In den letzten Jahren sind mehrere Künstler wegen ihrer Liederinhalte vor Gericht gestellt worden. Könnte die Vulpes heute das gleiche Schicksal ereilen?
Die Situation hat sich nicht sehr verändert. Der Mangel an Demokratie von damals besteht immer noch, wenn auch nicht auf dem gleichen Niveau. Das Gleiche passierte uns später bei Radio Nacional, das einen Konzert-Ausschnitt sendete. Wir hatten einen Song, der die Polizei kritisierte, auf der gleichen Linie wie später andere aus dem Rock Radical Vasco. Das war einfach unsere gesellschaftliche Realität. Auch dieses Programm wurde danach eingestellt. Wir sind immer noch sehr aufmerksam, was Schauspieler*innen oder Sänger*innen sagen, die Meinungsfreiheit ist immer noch bedroht. Wir müssen weiterhin sehr vorsichtig sein.
Was halten Sie davon, dass der Song heute als feministische Hymne gehört wird?
Das ist interessant, denn wir haben uns nie als Fahnenträgerinnen des Feminismus gesehen. Ich erinnere mich, dass wir damals von einer Frauenzeitschrift interviewt wurden, sie haben uns belächelt. Leggings waren nicht in Mode so wie jetzt, aber wir kauften Strümpfe, wir zerrissen sie, wir trugen Miniröcke. Natürlich wurden wir als Huren dargestellt, sie sagten, wir würden provozieren. Wir hatten nicht den Eindruck, dass wir Forderungen stellen würden. Ich war 15, als wir die Gruppe gründeten, und 17 oder 18, als wir uns auflösten. Wir waren nur Freundinnen, aus der gleichen Clique wie die von Eskorbuto und Zarama, und wir wollten unsere eigene Gruppe haben. Wir hatten keine Ziele. Es war unser Leben, wir hatten Spaß, wir mochten Rock, hingen gemeinsam im Proberaum ab und gingen zu Konzerten. Das wars.
Euer Song basierte auf dem Song "I wanna be your dog" von The Stooges. Hatte das eine bestimmte Bedeutung?
Iggy Pop, der ehemalige Stooges-Frontmann, war mein Idol, ich hatte zwei Poster von ihm in meinem Zimmer. Wir haben "I wanna be your dog" ausgesucht, weil es ein einfacher Song war. Wir hatten keine Erfahrung, hatten gerade erst angefangen. Der Refrain war eindeutig. Wenn Iggy Pop sagte "I wanna be your dog", dann mussten wir "zorras" sein (Schlampen, Huren). Ich habe den Text geschrieben, als ich über Beziehungen nachdachte, über diese Typen, die dir am ersten Tag sagen, wie sehr sie dich lieben. Wir schickten sie zur Hölle. Die mit viel Geld, weil sie Führungskräfte sind, ebenfalls zum Teufel. Das gilt für alle, die damit anfingen, von Liebe zu faseln.
Überrascht es Sie, dass der Song immer noch so berühmt ist?
Ja. Ich erinnere mich, dass ich mich völlig von der Musik abgekoppelt hatte und dachte, dass sich an uns niemand erinnert. Dann fand ich plötzlich all diese Artikel im Internet, manche sagten, dass sie mit uns aufgewachsen seien, junge Leute, die über den Song sprechen. Ich war ziemlich überrascht.
Warum haben Sie sich von der Musik abgewandt?
Wegen meines Privatlebens. Ich hatte aufgehört zu spielen und zu komponieren, weil es mir nicht gut getan hat. Alles, was ich komponierte, war traurig, sehr düster, also war es besser, mich abzuwenden.
Außerhalb von Vulpes waren Sie musikalisch nicht aktiv?
Nicht viel. Ich ging nach Barcelona, um dort eine Weile zu leben und war mit Theaterleuten zusammen. Wir gründeten auch eine Rap-Gruppe namens Aves de Rapiña. Jetzt möchte ich meine Memoiren schreiben, ich arbeite daran. Und ich denke gar nicht daran, wieder auf Tour zu gehen, ich bin im Ruhestand.
Im Jahr 2003 gaben Sie einige Konzerte und drei Jahre später veröffentlichten Sie ein komplettes Album. Was war der Grund für diese Wiedervereinigung und warum wurde sie nicht fortgesetzt?
Anlass dieser Wiedervereinigung war der Jahrestag des Todes meiner Schwester Lupe Vázquez, mit dem Alias Pigüy Zorrita, sie war unsere Schlagzeugerin. Das war vor zehn Jahren. Außerdem hatten wir eine schlechte Erinnerung, weil wir das Album nie gemacht hatten, wir trennten uns ganze 15 Tage bevor wir es aufnehmen sollten. Wir wollten zeigen, dass wir keine Ein-Song-Band sind, dass wir mehr gemacht haben als “Me gusta ser una zorra“. Wir wollten mehr sein. Als wir die Platte vorstellen sollten, wurde ich schwanger. Dinge passieren. Der Wunsch, auf der Bühne zu stehen, hat mich dazu gebracht, über eine neue Band nachzudenken. Aber ich musste das Kind aufziehen und dann kam die Krise. Schon immer hatte ich im Gaststätten-Gewerbe gearbeitet, nachdem ich einen Abschluss in Wirtschaft and Tourismus gemacht hatte. Aber nach meiner Rückkehr nach Euskadi musste ich umdenken und studierte Pflegeassistenz, um wieder in den Arbeitsmarkt einzusteigen. In diesem Land kann man vom Rock 'n' Roll nicht leben.
Auf diesem Album gibt es einige Songs wie “Plastik-Punks“ oder “Mach Platz“, die sich kritisch mit der Musikszene auseinandersetzen. Waren Sie enttäuscht von der Entwicklung der aufstrebenden Musik der achtziger Jahre im Baskenland und Madrid?
Für uns waren die aus Madrid keine Punks. Im Baskenland hat die Polizei auf uns eingeprügelt, überall mussten wir aufpassen und uns schützen. Wir haben auch ETA erlebt. In Madrid haben sie Party gemacht, Kinder aus der Kinowelt, die keine Probleme hatten, über die Runden zu kommen. Unser Leben war völlig anders. Die Leute von der Movida Madrileña (postfranquistische Musikszene) erschienen uns wie Snobs, die Spaß haben wollten. Zur Zeit der Transition (bis 1979) waren sie gut. Aber unsere Entwicklung war ungleich, wir konnten uns nicht mit denen identifizieren. Für uns war Punk das, was in London gemacht wurde, nicht dieses bunte Leben in Madrid, das wir nicht verstanden. Uns kam es so vor, dass sie für alles eine Lösung hatten. Wie auch immer, als wir nach Madrid kamen, suchten wir nicht den Kontakt mit der Movida, sondern mit Leuten aus der dritten Reihe. Mit Leuten aus Vallecas, zum Beispiel.
Haben Sie noch Kontakt zu Mamen Rodrigo (Evelyn Zorrita, Sängerin) und zu Begoña Astigarraga (Ruth Zorrita, Bassistin)?
Wir leben in verschiedenen Städten im Baskenland und sehen uns leider nur bei bestimmten Anlässen. Begoña studierte Journalismus, nachdem sie Mutter geworden war, und schreibt heute für die Zeitung Deia. Und Mamen machte weiter Musik mit der Gruppe Puro Chile. Aber auch sie ist Mutter von zwei Kindern, Musik ist mehr Hobby als professionelle Tätigkeit.
Glauben Sie, dass es Frauengruppen gibt, die in gewisser Weise den Staffelstab von den Vulpes übernommen haben, mit ähnlich provokativen Botschaften?
Ja, es gibt jetzt mehr. Damals waren wir leider die Ausnahme, solche Gruppen gab es nicht, es sei denn, irgendein Produzent suchte punktuell vier Mädchen für etwas Bestimmtes. Danach wurde es einfacher, es kam mehr Musik ins Baskenland, mehr Bands aus dem Ausland waren zugänglich. Das hat Frauen ermutigt, auf Konzerte zu gehen und eigene Bands zu gründen. Jedenfalls war es anfangs nicht meine Absicht, eine Band ausschließlich für Mädchen zu machen. Aber ich hatte keine Wahl, meine Brüder waren älter als ich und sie nahmen mich nicht ernst, um mit ihnen bei M.C.D. zu spielen (Loles Brüder Niko und Bernar Vázquez spielten Bass und Schlagzeug in der ursprünglichen Band). Ich halte es mit einem Zitat der Sängerin Joan Jett: "Gitarre wird nicht mit der Vagina gespielt". Auf typische Vulpes-Art würde ich hinzufügen: auch nicht mit dem Schwanz.
Hat die feministische Bewegung auch etwas mit dieser Normalisierung zu tun hat?
Da bin ich mir sicher. Frauen sind besser integriert, sie erreichen mehr Orte. Obwohl viele Menschen über die Demonstrationen gelacht haben. Ich muss zugeben, dass ich damals auch eine Vorstellung von Feminismus hatte, dass Männer verteufelt werden, als ob es das Schlimmste in der Welt wäre, mit Männern zu schlafen, und wir nur Sex mit Frauen haben sollten, um wirklich feministisch zu sein. Das ist nicht so. Mit der Zeit haben alle verstanden, dass es nicht so ist, sondern dass es einfach darum geht, in Gleichheit zu leben.
ANMERKUNGEN:
(1) Zitate aus: “Vulpes, gehiegi, goizegi“ (Vulpes, zu viel zu früh), Tageszeitung El Correo, 2021-05-03. Der Autor Roberto Moso (*1960) ist selbst ein Kind jener Zeit, von 1977 bis 1991 spielte er bei der Gruppe Zarama (Müll), die ebenfalls zur Gattung des Rock Radical Vasco gehörte. (LINK)
(2) ”Me gusta ser una zorra”, Youtube (VIDEO)
(3) Johnny Thunders, seit 1970 Punk-Pionier mit den New York Dolls (LINK)
(4) Interview: Las Vulpes, 37 años después” (Die Vulpes, 37 Jahre später) Tageszeitung El Pais, 2020-03-06 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Las Vulpes (facebook)
(2) Las Vulpes (elcorreo)
(3) Las Vulpes (pikara)
(4) Las Vulpes (efe)
(5) Las Vulpes (elpais)
(6) Loles, Las Vulpes (elpais)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-05-09)