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Wenn die Trauben schlafen

Der Klimawandel beeinflusst mittlerweile auch die Ernte in den Weinbaugebieten. Nicht überall, aber immer mehr. Zuletzt wurde versucht, die Trauben nachts einzuholen, um die Auswirkungen der Tageshitze auf die Früchte zu verhindern. Die neue Technik hat verschiedene Vorteile und gewinnt – vor allem in südlichen Weingegenden – immer mehr Befürworter*innen. Doch nicht alles ist positiv an der neuen Szenerie, die auch schon den Weintourismus auf den Plan gerufen hat, der ebenfalls kräftigen Zulauf erhält.

Der Klimawechsel ist mit ein Grund, weshalb Weintrauben mittlerweile auch nachts geschnitten werden. Önotouristen finden das romantisch und besuchen die Szenerie, die für andere knallharte Arbeit bedeutet.

Es ist in ganz besonderes Bild, das neuerdings in vielen Weingebieten und Weinbergen zu sehen ist. Lichter gehen an, Gruppen von Arbeiter*innen sind mit Bergbaulampen unterwegs. Große Maschinen mit riesigen Scheinwerfern werden angeworfen. Denn es ist Nacht, die Temperatur ist angenehm, feiner Tau bedeckt die Weinreben. Die Trauben schlafen, so der Eindruck, in der kühlen Atmosphäre, die Enzyme in ihrem Inneren sind an einem toten Punkt. Nicht lange und sie verwandeln sich in Wein und einige besonders schlaue Weinproduzent*innen heben auf den Etiketten bereits die Tatsache hervor, dass die Lese nachts durchgeführt wurde. Damit wollen sie auf dem engen Weinmarkt ein kleines Plus herausholen, um ihre Ware besser an die Konsument*innen bringen zu können. (1)

Trauben bei Mondschein zu pflücken hat den Anschein einer romantischen Erfahrung. Deshalb ist es kein Wunder, dass dieser Form der Lese eine immer größere Anzahl von Weintourist*innen beiwohnen will – die moderne Bezeichnung dafür ist Önotourismus. Es macht den Eindruck, als ob die ganze Szenerie auf den Weinfeldern – mit Lichtern, die die Dunkelheit brechen, mit Nebel, mit dem ersten Saft im Morgengrauen – ein einziger Abenteuerpark zum Thema Wein wäre. Doch in Wirklichkeit ist alles ganz anders. Die nächtliche Weinlese ist keine neue Marketingstrategie, um auf dem Markt mehr Mondlichtflaschen zu verkaufen. Die Gründe, die in vielen Weingebieten für romantische Nachtprozessionen sorgen, sind eher nüchtern. Die Hitze drückt.

nachtlese02„Dieses Jahr haben wir die Weinlese ziemlich weit vorgezogen. Normalerweise beginnen wir Ende August oder Anfang September. Aber mit den Temperaturrekorden, die wir dieses Jahr hatten, sind die Trauben viel eher reif, die Lesekampagne begann deshalb schon Anfang August“, erklärt der Präsident des Weinverbandes Jerez in Andalusien, Beltrán Domecq, einem Zusammenschluss von zweitausend Weinbauern und sechzig Weinkellern. Es ist nicht der einzige Fall.

Beispiel Rioja

Auch die Weinproduzent*innen aus dem Weingebiet Rioja (mit den Regionen Baskenland und La Rioja) können ein Lied singen über das „extrem seltsame Jahr 2017” (2). Auch die Kellerei-Kooperative „Viñedos de Aldeanueva” hat ihre Weißweinlese bereits Anfang August begonnen, zum frühesten Zeitpunkt seit 20 Jahren. Der gesamte Wachstumszyklus sei in diesem Jahr früher abgelaufen, erklärte der Chef der Kooperative, Abel Torres, vom Knospen über das Wachstum bis hin zum Reifeprozess.

Die hohen Temperaturen haben dazu beigetragen, den Wachstumsprozess zu beschleunigen, die Feuchtigkeit der Regenfälle der Juliwochen haben die Pflanzen schneller wachsen lassen als üblich. Aufgrund dieser Umstände schätzt der Weinbauer, dass die Ernte von mäßigem Umfang sein wird. Bei entsprechendem Fortgang der Bedingungen könnte sie aber auch ähnlich werden wie 2016. Da wurden ca. 20 Millionen Kilo Trauben geschnitten.

Die besagte Kooperative ist die größte in der Rioja-Weingegend mit dem Qualitätssiegel DOC Rioja (3), sie hat 900 Mitglieder und umfasst 3.000 Hektar Anbaufläche. Die Weinstöcke sind auf sehr unterschiedlichem Terrain angesiedelt, auf unterschiedlicher Höhe zwischen 350 und 600 Metern. Was die Qualität anbelangt wird die Ernte ziemlich gut, so der Önologe. Die niedrigen Temperaturen der Tage vor Lesebeginn haben den Pflanzen gut getan, sie haben den Reifeprozess etwas gebremst, besonders bei den roten Trauben.

nachtlese03Insofern wünschte sich der Kooperativendirektor für August „mäßigen Regen”, um eine möglichst langsame Reife zu gewährleisten. Kalte Nächte und keine übermäßige Hitze am Tage wären das Beste, so Torres. Bei diesen Worten wird klar, dass in der Rioja die Frage der Nachtlese kein Thema ist. Wenn es regne, so erklärt er, könne die Ernte noch um bis zu 10% gesteigert werden, bis zu 21 Millionen Kilo Trauben könnten dann erzielt werden, nachdem die Kooperative in diesem Jahr mehr Anbaufläche mit weißen Weinsorten aufgenommen hat.

Seit Jahren macht sich der Klimawandel im Weinbau bemerkbar, das stellen unterschiedlichste Weinproduzent*innen überall fest, vor allem in den südlichen Gebieten wurde deshalb begonnen, die Weinlese nachts durchzuführen.

Zwanzig Grad kühler

Die Nachtlese ist alles andere als eine Innovations-Laune der Verantwortlichen in den Weingebieten. „Im Süden und in Mittelmeergebieten wurde begonnen, im Morgengrauen mit der Lese zu beginnen, um die Stunden der Hitze zu vermeiden“, so Gema Peyro, eine Önologin der Weingesellschaft VEREMA, die sich die Promotion der Weinkultur der iberischen Halbinsel zur Aufgabe gemacht hat (3). Diese sich immer mehr ausbreitende Technik hat einige entscheidende Vorteile.

Während der Weinlese am Tag können Weintrauben bis zu 35 Grad heiß werden. Das fördert in ihrem Inneren die Enzym-Aktivität enorm, eine mögliche Folge sind spontane und unerwünschte Fermentierungen. „Was die Önolog*innen beunruhigt sind die Konsequenzen der Lese unter Hitzebedingungen. Die Trauben werden mittags geschnitten und auf Anhänger geladen, in solchen Mengen, dass die Trauben durch ihr eigenes Gewicht aufplatzen und Saft freigeben, der dann mit der Fermentierung beginnt“, erklärt die Önologin.

nachtlese04Nachts sind die Bedingungen völlig anders. In den Weinbergen des andalusischen Südens zum Beispiel sinken die Temperaturen teilweise um mehr als 20 Grad. Die nächtliche Lese geschieht zu einem Zeitpunkt, in dem die Enzym-Aktivität der Trauben an einem Minimum angelangt ist. Dadurch wird verhindert, dass die Hitze die Traubenhaut zur Ausdehnung und zum Platzen bringt, eine ungewollte Oxidierung wird so vermieden.

Ein zweites wichtiges Argument – so widersinnig es auf den ersten Blick erscheinen mag – ist die Einsparung von Energie, die ebenfalls für die nächtliche Lese spricht. Denn wenn die Trauben 35 Grad warm in die Weinkeller kommen, müssen sie zuallererst abgekühlt werden, um weiter verarbeitet werden zu können. Auf ungefähr 17 Grad herunter, das erfordert einen großen Einsatz von Kühlenergie. Bei Weinlese während der Nacht wird dieser Energieaufwand vermieden. Zusätzlich sichert die Weinernte bei niedrigen Temperaturen auch eine kontrollierte Fermentierung.

Menschen und Maschinen

nachtlese05Dazu kommt der menschliche Faktor. Es ist ein Unterschied, ob die Weinlese bei sengender Sonne stattfindet oder bei angenehmer Nachttemperatur im Mondlicht. Die Arbeitsleistung der Weinleser*innen liegt aus objektiven Gründen entsprechend höher. Doch ohne Zweifel hat die Dunkelheit auch ihre Nachteile. Tatsache ist, dass die Nachtlese dem Einsatz von Maschinen bei der Ernte bzw. der mechanischen Lese entgegen kommt. Weil die Trauben aufgrund der Kühle eine härtere Haut haben, sind sie resistenter gegen die Vibrationen der Erntemaschinen. Insofern führt die Nachtarbeit zu immer mehr maschineller Lese, in Jerez sind das bereits 50% der Gesamternte. In kleineren Kooperativen oder an schwer zugänglichen Weinbergen ist die Handarbeit allerdings nicht zu ersetzen.

Unabhängig vom Erntesystem scheint es im Übrigen keine schlechte Idee, dem Wein eine Nachtnote beizugeben. Den bislang bekannten Beschreibungen wie „Beeren- und Gewürzaroma, unter Mithilfe von Früchten und einer köstlichen Spur Menthol“, wie es auf der Etikette eines Merlot-Weines heißt, könnte künftig „Nachgeschmack des zunehmenden Mondes“ zugefügt werden. Das Problem ist nur der fehlende Zusammenhang. „Die nächtliche Lese verkauft sich ganz gut“, hebt die Önologin Gema Peyro hervor, „sie lässt sich mit vielen Attributen beschreiben. Aber bei einer Weinprobe wird kein Unterschied zu schmecken sein zwischen Tag und Nacht“.

ANMERKUNGEN:

(1) Ein Teil der Information zu diesem Text stammt aus dem Artikel „Cuando las uvas duermen“, der baskischen Tagseszeitung El Correo (Wenn die Trauben schlafen), 5.9.2017. Es handelt sich um keine Übersetzung, an verschiedenen Stellen wurden Änderungen und Ergänzungen eingefügt.

(2) Information aus dem Artikel „La vendimia arranca en Rioja … el 10 de agosto“ (Die Weinlese in Rioja beginnt … am 10. August), in der Internetpublikation Lomejordelarioja vom 10.8.2017 (Link)

(3) VEREMA (katalanisch: Weinlese) ist ein Zusammenschluss von Weinproduzent*innen, Handel, Vertrieb und Gastronomie, der die Promotion von Weinen im spanischen Staat zum Ziel hat (Link)

(4) DOC – Denominación de Orígen Calificada: in der deutschen Weinindustrie gibt es kein vergleichbares Prädikatssiegel, mit dem sich in Spanien oder Frankreich nur DOC-Mitglieder verschiedener Gegenden schmücken dürfen, die gleichzeitig harte Bedingungen erfüllen müssen. Solche Gütesiegel gibt es auch für Wurst, Käse und Gemüse.

ABBILDUNGEN:

(*) Nächtliche Weinlese (elpais.com)

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