Rioja und baskischer Txakoli
Die Önologin Ana Martín (Bilbao) gilt als eine der Geburtshelferinnen des neuen Txakoli-Weins, einer typisch baskischen Produktion. Als überzeugte Verfechterin der Arbeit in den spanischen und baskischen Weinkellern hat sie wissenschaftliche Methoden in die Weinproduktion eingebracht. Nach 1995 war Ana Martín als Beraterin für die Provinzverwaltung Bizkaia mit der Neu-Entwicklung des traditionellen baskischen Txakoli-Weins beschäftigt. Bis 2000 arbeitete sie 5 Jahre lang am Wiederaufleben des Txakoli.
Ana Martín, Chemikerin und Önologin aus Bilbao (*1960), mit umfangreicher Erfahrung in der Herstellung von Weißweinen in ganz Nordspanien, Rias Baixas, Valdeorras, Ribeiro, Kantabrien und im Baskenland.
Der Wein wurde Arrate genannt. Aber alle kannten ihn unter dem Namen "Arrate Nuclear". In einer Literflasche, mit fünf Sternen auf dem Etikett, einem flachen Plastikverschluss - und mit mehr zerstörerischer Kraft als ein Punk-Konzert. Die Önologin Ana Martín Onzain (63) ist sich darüber im Klaren, dass wir uns daran erinnern müssen, was wir vor 40 Jahren getrunken haben, um zu verstehen, was wir heute trinken. (1)
"Heute trinken wir weniger, aber wir trinken bessere Qualität. Das ist unvergleichbar. Es gibt kaum noch Weine mit Defekten. Ich kann mir nicht erklären, wie wir früher Geld für die Weine bezahlt haben, die in der Alhóndiga (genossenschaftlicher Weinkeller in Bilbao) ankamen (2). Die Weine von heute sind gut, reichhaltig, ausgewogen und erschwinglich. Was für mich ein guter Wein ist? Er sollte ausgewogen sein, ohne Säure, magenfreundlich und nicht nur nach Alkohol riechen, wenn man daran schnuppert. Gute Weine sind solche, die sich verkaufen", bemerkt sie.
Ana Martín, Önologin
Bei Ana Martín, der Frau, die sich auf das romantische Weinabenteuer im Zentrum von Bilbao namens “Taberna Urbana“ eingelassen hat, ist kein Platz für halbe Sachen oder Metaphern. Während andere sich mit Weinberg-Poesie, zwitschernde Vögel oder Postkarten-Landschaften schmücken, setzt die Chemie-Absolventin der baskischen Universität UPV auf die Gas-Chromatographie als System zur Erkennung und Ausmerzung von Fehlern. Wissenschaft gegen Unwissenheit. Technologie gegen Folklore. Die Grundlagen des Fortschritts. "Die Weinherstellung ist eine Erfahrung. Ich bin eine Verfechterin des Wissens; nicht alle können alles. Jetzt kommen drei Sommeliers zusammen und machen einen Wein. Und niemand kontrolliert sie. Es müssen Spezialisten sein. Die Welt des Weins hat sich ebenso verändert wie die Welt", sagt sie.
Die wissenschaftlichen Kenntnisse von Ana Martín stehen hinter bekannten Marken wie Terras Gauda, Guitián, Astobiza Txakoli (2) (jetzt auch als Wermut), Irusta, dem ersten Itsasmendi und dem Txakoli von Marqués de Riscal aus Gipuzkoa. Sie ist auch verantwortlich für das gesamte Sortiment von Castillo de Cuzcurrita aus La Rioja (wo sie seit 22 Jahren tätig ist und jetzt ihr Spitzenprodukt “Tilo“ anbietet), Traslanzas (Cigales) oder Casona Micaela in Kantabrien. Ana Martín stellt auch ein Projekt mit weißen Trauben im Mena-Tal zusammen, ein anderes mit ihrer bevorzugten Traube Garnacha de Gredos in den Granitfelsen von Cebreros, während sie in Arriondas (Asturien) einen Wein aus dem nördlichsten Weinberg der Halbinsel vorbereitet, in der Nähe des Mirador del Fito und des Dorfes La Salgar, im Besitz des Kochs Nacho Manzano. (1)
Txakoli
Txakoli (spanisch: Chacolí) ist ein traditioneller Wein aus dem Baskenland. Es handelt sich um einen sehr trockenen, leicht moussierenden Wein mit hohem Säuregehalt. Bis in die 80er Jahre war die Qualität des Txakolis sehr dürftig, so dass der Wein praktisch nur im heimischen Bereich und in ländlichen Gebieten getrunken wurde. Mit der Gründung von drei geschützten Marken “Denominación de Origen“ wurde die Basis für einen qualitativ hochwertigen Wein geschaffen. Txakoli wird weitgehend aus weißen Weintrauben der Rebsorte Hondarribi Zuri hergestellt, es gibt aber auch einen roten Txakoli aus der Rebsorte Hondarribi Beltza. Hondarribi Zuri ist verwandt mit der französischen Rebsorte Courbu. Txakoli ist kein lange haltbarer Wein und sollte deshalb innerhalb eines Jahres nach der Abfüllung getrunken werden. Er wird landestypisch im hohen Bogen in die Gläser ausgeschenkt. Das wichtigste Anbaugebiet des Txakolis in Gipuzkoa ist die Region um Getaria an der Küste (Getariako Txakolina). In Bizkaia (Bizkaiko Txakolina) sind Bakio und Balmaseda die wichtigsten Anbaugebiete, in Araba ist es die Region um Amurrio (Arabako Txakolina). In und um Getaria produzieren 17 Weingüter auf ca. 170 ha ca. 10.000 hl. (2)
Navarra, Merlot, Chardonnay
"Ich habe schon immer gerne in Gegenden gearbeitet, in denen die schreckliche Sünde des Ausreißens von Rebstöcken begangen wurde, wie in La Mancha. Damals glaubte man, dass unsere Arbeit nicht gut wäre, dass unsere alten Rebstöcke schlecht seien. In Navarra wurden sie ausgerissen, um Merlot und Chardonnay anzubauen. In Alicante, Syrah, Merlot und Petit Verdot. Jetzt sind wir zu unseren eigenen Rebsorten zurückgekehrt, weil wir wissen, dass wir hier nie den besten Cabernet herstellen werden. Das ist eine französische Angelegenheit".
In Anas Haus war, wie damals üblich, das kleine Glas Wein zum Essen ein fester Begleiter. "Wenn wir den Tisch deckten, wurden Brot, Wasser und Wein auf den Tisch gestellt, den wir in einen Weidenkorb legten. Mein Vater fuhr nach Navarra, um Wein zu holen, den wir dann in Flaschen abfüllten. Damals war es immer Rotwein. Ich hätte beinahe selbst mit dem Txakoli angefangen", erklärt sie voller Bescheidenheit. Ana Martín ist eng verbunden mit den Anfängen dieses Weißweins, der heute Grenzen überschreitet. Ihr Können wird in der Branche geschätzt.
Geruch von Schwefel, Blumenkohl und Pferdeschweiß
Nach ihrem Abschluss an der Universität Leioa (Bilbao) erhielt sie ein Stipendium der baskischen Regierung, um an der Spanischen Akademie für wissenschaftliche Forschungs (Consejo Superior des Investigaciones Cientificas, CSIC) Weinanalyse zu studieren. In ihrer Dissertation untersuchte sie die Unterschiede zwischen Riesling- und Albariño-Trauben. Sie machte einen Master an der Akademie La Vid, wo sie ihren späteren Geschäftspartner Pepe Hidalgo kennenlernte. Mit ihm gründete sie ein Unternehmen, das Weinkellereien berät und Kurse für Weinproben anbietet ("Rafael Ruiz Isla hat mir am Nationalen Institut für Herkunfts-Bezeichnungen das Weinkosten beigebracht"). Außerdem übernahm das Unternehmen in Sierra Cantabria die Vorstellung des legendären Jahrgangsweins Murmurón der Familie Eguren ("sie wollten ihre Produkte verbessern"). "Ich liebe das Kratzen in Weinen, weil das für Struktur und Säure sorgt, was wiederum für Langlebigkeit zur Folge hat", erklärt sie.
Sie kam in Kontakt mit Jesús Madrazo (Contino, CVNE, Weingesellschaft Nord-Spanien), einer der Pioniere eines Universums, das seine ersten Schritte machte und spanische Weine an die Weltspitze bringen sollte. Auch mit Juan Ignacio de Miguel, Spitzname "el Chicarrón", Sänger von Los Elegantes und Sohn der Besitzer des Restaurants Sobrino de Botín, dem ältesten Steakhaus Spaniens (1725). "Ich habe in Madrid Tausende von Weinen verkostet und nach Fehlern gesucht, die beseitigt werden sollten. Die Hauptfehler liegen meist in der Reduktion, wenn der Wein nach schlechtem Schwefel, Blumenkohl, Schmutz oder Pferdeschweiß riecht. Was mir stattdessen gefällt? Riesling", sagt sie mit Nachdruck. "Damals war es auch eine Offenbarung, ins katalanische Priorat zu fahren und die Kapelle zu besuchen, mit Freunden in einem Gasthaus in Falset zu übernachten: in einer angenehmen Umgebung schmeckt ein Wein besonders gut", stellt Ana fest.
"Manche Weine sind laut, andere verkaufen sich"
“Damals", erinnert sie sich, "gab es wenige Weine: Dubois, Pinord, Recaredo, Raimat, Fino Quinta, La Gitana, Torres mit ausländischen Sorten oder Estola Manchego, die sich gut verkauften. Spanien war für alles verschlossen. Heute ist das Problem ein anderes, der Wein verliert Konsumenten. Wir müssen den jungen Leuten beibringen, dass Wein Kultur und Territorium bedeutet; man muss seine Sorten kennen und wissen, welche Weine in der eigenen Region hergestellt werden. Die Leute haben vielleicht keine Ahnung von Wein", warnt sie, "aber alle mögen einen gut gemachten Wein. Es gibt Etiketten, die viel Lärm veranstalten. Wir lassen uns von Trends mitreißen, die sich ändern. Ich möchte keine Weine machen, die nur vier Leute trinken.
Es gibt junge Winzer, die sehr hilfsbereit sind und tausend Flaschen zu 50 Euro herstellen. Wen erreicht diese Flasche wirklich? Ich wiederhole: Es gibt Weine, die viel Aufsehen erregen, und andere, die sich verkaufen. Und sie verkaufen sich sehr gut. Wir dürfen nicht vergessen, dass im Rioja-Weingebiet jedes Jahr 400 Millionen Flaschen hergestellt werden. Ich verstehe, dass Erfolg bedeutet, dass sich mein Geschmack mit dem anderer Leute deckt. Sehen Sie, vor ein paar Jahren ging der Trend zu superharten, stark tanninhaltigen Weinen, die gefielen. Jetzt ist das Gegenteil der Fall. Ich weiß, was angesagt ist, ich weiß, wie man natürliche Weine macht, denn in Cuzcurrita (in der Region Rioja) mache ich Eco, ohne Sulfite. 3.000 Flaschen. Ein gutes Produkt, ich liebe ihn, aber ich weiß, dass die breite Öffentlichkeit Weine mag, die ein Jahr im Fass und zwei weitere in der Flasche reifen", sagt sie.
"Wein für Reiche gekauft"
Ana Martín, die bereits Hunderte von Kursen und Verkostungen im ganzen Staat organisiert hat, nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie analysiert die Welt der Weinkellereien aus einem privilegierten Blickwinkel. "Heutzutage ist es üblich zu sagen, dass Wein im Weinberg gemacht wird. Natürlich, denn die Weinkellerei steht ja schon. Die haben wir in den 90er Jahren gebaut! Das Modell, an dem wir uns orientieren sollten, ist Frankreich. Wenn ich mir eine Flasche aussuchen könnte, würde ich einen Burgunder trinken: einen Romanée Conti La Tâche. Um ein Etikett zu verkosten, das Teil eines Mythos ist. Ich habe Wein für reiche Leute gekauft, die sich zu Hause einen guten Weinkeller anlegen wollten. Sichere Werte. Und da es sich um großzügige Leute handelt, habe ich viele von ihnen probiert. Weine, die innerhalb von drei Jahren um 16% an Wert gewonnen haben. Ich bin eine praktische, effiziente Person. Ich versuche, schmackhafte, langlebige Weine zu machen, die auch in 10 oder 15 Jahren noch gut sind. Meine Weine sind beliebt, sie verkaufen sich", seufzt sie. "Und das Beste am Wein ist, dass er uns Erinnerungen schenkt“. So soll es sein.
ANMERKUNGEN:
(1) “Una mujer entre viñas“ (Eine Frau zwischen Weinreben), Tageszeitung El Correo, 2023-02-18 (LINK)
(2) Txakoli, Chacolí – Wikipedia (LINK)
ABBILDUNGEN:
(*) Ana Martín (elcorreo)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-02-22)