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Der Todesschlag von 1937 in Romanform

Die baskischen Historiker Alberto Irigoyen und Xabier Irujo schreiben in ihrem gemeinsamen Roman "Ein Geschenk für Hitler" über die Taten von Wolfram von Richthofen, dem Chef der Nazi-Flugstaffel Legion Condor, die im Spanienkrieg eingesetzt war und an der Vernichtung der baskischen Stadt Gernika (Bomben gegen die Zivilbevölkerung) beteiligt war. Im Buch geht es auch um die Last der Schuld, die auf Richthofens Nachkommen lastet. Irujo arbeitet seit Jahren an der Aufarbeitung dieser Geschichte.

“Ein Geschenk für Hitler“ ist der Titel eines Buches, mit dem die Historiker Irujo und Irigoyen die Geschichte der Vernichtung von Gernika darstellen. In Romanform, weil Geschichtsbücher von vielen nicht gelesen werden.

Der Ursprung dieses von zwei HIstorikern geschriebenen Romans, erklärte Irigoyen per Videokonferenz, sei die Erkenntnis, dass mit Geschichtsbüchern kaum Studierende und Historiker*innen erreicht werden könnten. "Xabier und ich haben darüber gelacht, wie wenig Leser wir haben, und dachten, dass wir dieses Hindernis überwinden könnten, indem wir einen Roman schreiben, der eine breitere Öffentlichkeit erreicht". Der Roman "Ein Geschenk für Hitler" (Original: “Un Regalo para Hitler“, Verlag Alberdania) untersucht die historische Episode der Bombardierung und Vernichtung von Gernika aus der Sicht der deutschen Täter. Zu diesem Zweck versetzen sich die Historiker Alberto Irigoyen (Montevideo, 1959) und Xabier Irujo (Caracas, 1967) in die Lage des Chefs der Legion Condor, Oberstleutnant Wolfram von Richthofen, seiner Tochter Ellen und deren Sohnes.

geschenk2Das Ergebnis ist "Ein Geschenk für Hitler", eine Geschichte, in der die Autoren auf der Grundlage zahlreicher Dokumente aus dieser Zeit sowie persönlicher Interviews mit der Tochter und dem Enkel Wolfram von Richthofens ein Panorama des spanischen Staates während des Spanienkriegs und Deutschlands in der Zeit nach dem Weltkrieg zeichnen. Die Arbeitsweise der beiden Autoren bestand darin, dass Irujo allgemeine Aktions-Linien zeichnete und Irigoyen auf dieser Grundlage Handlungen konstruierte. Er gestand scherzhaft, dass er von Irujo "einer echten Zensur" unterzogen wurde, da dieser sich streng an die Tatsachen halten wollte. "Er hat ganze Kapitel rausgeschmissen und Figuren entfernt, weil er die volle Wahrheit über die Bombardierung von Gernika erzählen will. Wir kämpfen gegen die Verleugnung der Geschichte und gegen diejenigen, die sie für politische Zwecke benutzen", sagte er.

Auf dieser Suche nach der "vollen Wahrheit" stießen sie auf die Aussagen der Flieger der Legion Condor, die einst in Großbritannien in Kriegsgefangenschaft waren. "Wir haben uns darauf konzentriert, herauszufinden, was sie fühlten. Es muss festgestellt werden, dass sich nur wenige von ihnen in den Anfängen als Attentäter bewusst waren, an welcher der Barbarei in Gernika sie beteiligt waren. Doch nachdem sie sich daran gewöhnt hatten, wetteiferten sie sogar darum, wer der begabteste Killer ist, wie einer der Piloten zugibt. Diese Leute waren sehr seltsam in ihrer Denkweise", stellte Irigoyen fest.

Der Roman ist in 55 Kapitel gegliedert, von denen 47 im spanischen Staat und Deutschland spielen, zwischen Juli 1926 und August 1937. Weitere sechs Kapitel spielen zwischen Dezember 1944 und Juli 1945, als Nazi-Deutschland praktisch besiegt ist und als Wolfram von Richthofen in Anwesenheit seiner Tochter Ellen im Sterben liegt. Das Werk beginnt und endet mit zwei Episoden, die im Jahr 2001 spielen und in der dritten Person erzählt werden, wobei Ellen selbst die Protagonistin ist und mit gemischten Gefühlen für ihren eigenen Sohn kämpft.

Diese Gefühle reichen, so Irigoyen, vom "anfänglichen Stolz" der 1930er Jahre über "die Schuld" des Kriegsendes und der Nachkriegszeit bis hin zur "Scham" der Gegenwart, im Fall des Enkels des Condor-Chefs. Niemand triumphiert in Kriegen, jeder ist ein Verlierer", lautet die abschließende Botschaft dieses Werks, so der uruguayische Historiker und Autor der Romane "El bastardo" (2001, Der Bastard) und "El requeté que gritó gora Euskadi" (2006, Der Requeté, der es lebe Euskadi rief). (1)

geschenk3Alberto Irigoyen

Alberto Marcelo Irigoyen Artetxe wurde 1959 in Montevideo, Uruguay geboren, er arbeitet als Schriftsteller und hatte wichtige Funktionen in verschiedenen Verbänden der baskischen Diaspora des Landes, was auch zum Gegenstand von seiner Schreiberei wurde. Er stammt aus einer baskischen Familie, die zur Auswanderung nach Uruguay gezwungen war, sein Großvater mütterlicherseits war ein Abgeordneter der baskischen Exilregierung nach dem Spanienkrieg von 1936/1937. (2) Von 1993 bis 1995 war Irigoyen Präsident des Euskal Etxea (Baskisches Haus) in der Stadt Durazno (3), in den folgenden drei Jahren Vizepräsident. Im Jahr 1996 vertrat er Uruguay auf dem 1. Internationalen Kongress der baskischen Diaspora-Gemeinschaften in Vitoria-Gasteiz. 1998 referierte er auf dem Kongress "Basken in der heutigen Welt" an der Universität von Nevada und hat seither an weiteren Kongressen von Kollektiven teilgenommen.

Xabier Irujo Ametzaga

Xabier Irujo Ametzaga wurde 1967 in Caracas (Venezuela) geboren, als Sohn baskischer Flüchtlinge bzw. Auswanderer, er arbeitet als Hochschullehrer, Historiker und Schriftsteller. Irujo studierte Philologie (1991), Geschichte (1994) und Philosophie (1998) an der spanischen Fern-Universität UNED. Siebenmal wurde er mit dem akademischen Preis für die besten Studienleistungen ausgezeichnet. Er promovierte in Geschichte an der Öffentlichen Universität Navarra (2004) und in Philosophie an der baskischen UPV/EHU (2011) mit summa cum laude. Zwischen 1996 und 2005 unterrichtete er an einer Ikastola-Schule und war 2005 Direktor des Programms Baskische Studien an der Boise State University im US-Bundesstaat Idaho. Derzeit ist er Direktor des Zentrums für Baskische Studien an der Universität von Nevada und Professor für Völkermord-Studien. (4 ) (5)

Irujo hat Seminare über Völkermord und kulturellen Völkermord an der Boise State University und der Santa Barbara University of California gehalten. An fast hundert Universitäten sowie akademischen und kulturellen Einrichtungen in Amerika und Europa hat er gelehrt und Vorträge gehalten. Gleichzeitig ist er Mitglied des Redaktionsbeirats von vier europäischen und amerikanischen akademischen Verlagen und gehört der Kommission des Friedensmuseums Gernika und anderer akademischer Einrichtungen an. Er war Leiter mehrerer Doktoranden-Programme an der Universität von Nevada und Mitglied mehrerer Doktoranden-Kommissionen an den Universitäten Baskenland und Barcelona.

Politische Aktivität

Irujo gehört zu einer Familie baskischer Politiker, die in den letzten fünf Generationen sechs Mal ins Exil gehen musste. Er wurde während der Diktatur Francos im Exil geboren und kehrte nach dem Tod des Diktators (1975) ins Baskenland zurück. Seit 1985 war er als Vorsitzender der Jugendorganisation Gazte Abertzaleak (Abspaltung der christdemokratischen PNV) politisch aktiv. Sein Engagement galt dem Eintreten für die sozialen und kulturellen Rechte der europäischen Minderheiten, seit dreißig Jahren arbeitet er mit verschiedenen Vereinigungen zusammen, die sich für die Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung einsetzen. Wie andere baskische Männer verweigerte er in den 1990er Jahren den Dienst in der spanischen Armee. Von 1989 an beteiligte er sich an der Bewegung gegen die allgemeine Wehrpflicht bis zu deren Abschaffung im Dezember 2001. Derzeit schreibt er regelmäßig für mehrere Zeitungen und andere digitale Medien.

geschenk4Denken und Arbeiten

Irujo hat jahrelang über sogenannte “Panik-Bombenangriffe“ geforscht, insbesondere über die “Panik-Bombenkampagne“ der Nazi-Luftwaffe Legion Condor und die Bombardierung von Gernika im Frühjahr 1937. Das Ergebnis dieser Studien ist die Gernika-Trilogie. Der Autor analysiert die diplomatischen und politischen Folgen des Bombardements in dem Buch “Gernika: The Market Day Massacre“ (2015). In einem zweiten Aufsatz “Gernika: 26. April 1937“ (2017) erörtert er detailliert die technischen und strategischen Details der Panik-Bombenkampagne von 1937, und im letzten Werk dieser Reihe “Gernika: Genealogie einer Lüge“ (2018) analysiert er das Netz offizieller Lügen, die von den Regimen, die die Bombenangriffe durchführten, verbreitet wurden, die Probleme, die sowohl im Bereich der Geschichtsschreibung als auch bei der Wiederherstellung der historischen Erinnerung (Aufarbeitung des spanischen Faschismus) auftreten.

Im Bereich der Völkermord-Forschung vervollständigen drei Aufsätze von Irujo die Trilogie über sein Exil: “El exilio político vasco en Uruguay“ (2005: Das baskische politische Exil in Uruguay), “Expelled from the Motherland“ (2012: Aus dem Mutterland ausgewiesen) und “La hora vasca de Venezuela“ (2020: Die baskische Stunde in Venezuela). Ausgehend von seinen persönlichen Erfahrungen und der Lebensenergie seiner Verwandten hat der Autor den Zyklus des baskischen Exils analysiert, der vom Beginn des 19. Jahrhunderts 1975 durch den Tod von General Franco abgeschlossen wurde. Irujo hat die in Amerika entstandenen soziopolitischen, diplomatischen und kulturellen Netzwerke erforscht, mit besonderem Augenmerk auf die para-diplomatischen Beziehungen zwischen der baskischen Exil-Regierung und der US-Regierung unter Roosevelt, sowie Abkommen zur Beteiligung an Geheimdienst-Aktivitäten während des Zweiten Weltkriegs. Er hat auch die Organisation komplexer politischer und diplomatischer Netzwerke analysiert, die in der Diaspora außerhalb des Baskenlandes entstanden sind, sowie die trans-ozeanischen administrativen und soziokulturellen Merkmale und Ressourcen, die notwendig waren, um eine aktive Exil-Regierung über vier Jahrzehnte hinweg durch die Exil-Gruppen in Buenos Aires, London, New York und Paris zu unterhalten.

Die Vertiefung des Konzepts der Entwurzelung im Exil hat es Irujo ermöglicht, die Auswirkungen auf die Entwicklung der individuellen und kollektiven Identität von Kindern im Exil zu untersuchen. Über die Schaffung transnationaler Identitäten in der baskischen Diaspora und die Dissertation von Dr. Joseba Achotegui hat Irujo auch über die Folgen des Odysseus-Syndroms (6) geschrieben, extreme psychologische Situationen, die Einwanderer oder Exilanten erleben. Dabei geht es um Aspekte wie chronischen Stress und multiple Identitäten.

Auf dem Gebiet des kulturellen Völkermords analysiert der Autor in “Historia jurídica de la lengua vasca“ (2011: Juristische Geschichte der baskischen Sprache) und “Language Rights and Cultural Diversity“ (2013: Sprachrechte und kulturelle Vielfalt) die Folgen des Linguistizids (Sprachenmords) und den Einfluss von Völkermord-Politik auf die Entwicklung von Sprachen und Kulturen. Aus philosophischer Sicht hat der Autor die Wurzeln der menschlichen Gewalt analysiert. Das Ergebnis seiner Forschung auf diesem Gebiet ist “Ethics and instict“ (2010: Ethik und Instinkt). Dies ist die Hauptrichtung seiner Vorlesungen an der University of Nevada (Genocide Studies und Transnational Indentity). (4)

Xabier Irujo hat als Interview-Partner mitgewirkt an einem Dokumentarfilm des baskisch-deutschen Kulturvereins BASKALE über den Kriegseinsatz der Legion Condor im Baskenland bzw. in Spanien. Der Film ist im Internet bei freiem Zugang zu sehen (deutsch, spanisch, baskisch synchronisiert). (7)

ANMERKUNGEN:

(1) Artikel “El bombardeo de Gernika desde el punto de vista de los perpetradores“ (Die Bombardierung Gernikas aus Tätersicht), Tageszeitung Diario Vasco, Gipuzkoa, Alberto Moyano, 18. Oktober 2021 (LINK)

(2) Alberto Marcelo Irigoyen Artetxe, Wikipedia baskisch, Übersetzung Baskultur.info (LINK)

(3) Euskal Etxea: “Baskisches Haus. Bei den Euskal Etxeak handelt es sich um ein internationales Netz von baskischen Kulturzentren in aller Welt, von Nevada, Berlin und Montevideo bis Australien und China. Über die baskische Regierung stehen sie in Verbindung. Bei baskultur.info erschien 2014 ein Artikel mit dem Titel “Baskische Auswanderung / Euskal Etxeak – Baskische Zentren“ (LINK)

(4) Xabier Irujo Ametzaga, Wikipedia baskisch, Übersetzung Baskultur.info (LINK)

(5) Zu Xabier Irujo erschien ein Artikel bei baskultur.info mit dem Titel “Euskara und baskisches Exil – Xabier Irujo, baskischer Historiker“ (LINK)

(6) Das Ulysses- oder Odysseus-Syndrom zählt zu den Pseudosyndromen. Der Begriff ist abgeleitet von Odysseus (engl: Ulysses), dessen Odyssee häufig als Synonym für eine Irrfahrt steht. Er bezeichnet eine, durch starke psychische Belastungen induzierte, psychische Störung bei Flüchtlingen oder Asylsuchenden (auch: Einwanderer-Syndrom). Andere Verwendung findet der Begriff auch als Bezeichnung für eine Irrfahrt von Arzt zu Arzt und/oder einer irreversiblen Selbstbindung (siehe den Abschnitt Abgrenzung). (LINK)

(7) Dokumentarfilm, Kulturverein Baskale: Der Dokumentarfilm “LEGION CONDOR. Vergangenheit und Gegenwart eines Kriegsverbrechens” basiert auf einer Ausstellung, die der Arbeitskreis Regionalgeschichte Neustadt erforscht, konzipiert und publiziert hat unter dem Titel “Ein voller Erfolg der Luftwaffe. Die Vernichtung von Gernika am 26.4.1937“. Im Film kommen interessante Details zur Sprache über die Entstehung dieser deutschen Militäreinheit und deren Protagonismus bei der Bombardierung und Vernichtung Gernikas, die den Nazis als Experimentierfeld für den bevorstehenden Zweiten Weltkrieg diente. (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Buchtitel (Alberdania)

(2) Irigoyen (diariovasco)

(3) Buchtitel (alberdania)

(4) Irujo (elcorreo)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-10-21)

 

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