Das Jahr der Arbeitskämpfe
Zwar stellte die Coronavirus-Pandemie 2021 auch im zweiten Jahr in Folge die meisten Schlagzeilen. Dennoch gab das soziale, politische und wirtschaftliche Leben viel Grund zum Nachdenken, Streit und Vergnügen. Keine Fiestas, lange Streiks in Industrie, Kultur und Dienstleistung. Die Strompreise steigen unermesslich, die folgende Inflation reduziert die Kaufkraft und erhöht die Armut. Eine mediale Radtour zum Weltklima-Gipfel in Glasgow, Urteil gegen die Umweltverbrecher von der Mülldeponie in Zaldibar.
Das Jahr 2021 im Baskenland von A bis Z. A wie Arbeitskämpfe, über M wie Müll-Skandal bis Z wie Zukunft. Von erfolgreichen Streiks, abgesagten Fiestas und Energiepreisen, die zum Himmel stinken.
ARBEITSKÄMPFE
236 Tage Streik in den Industrie-Betrieben Tubacex von Laudio und Amurrio haben den Beschäftigten nicht nur einen historischen Erfolg beschert, sondern gleichzeitig eine ganze Region in Aufruhr versetzt. So wurde der Kampf um 150 Arbeitsplätze, die gestrichen werden sollten, zum Kampf einer ganzen Region. Aiaraldea ist strukturschwach, etwas abgelegen. Doch für die Streikenden nicht abgelegen genug, um regelmäßig in den Hauptstädten präsent zu sein und dort die notwendige Unterstützung zu erfahren. Unerschütterliche Solidarität und eine Streikkasse der ELA-Gewerkschaft waren die Grundlagen dafür, dass Entlassungen verhindert und die meisten Forderungen erreicht wurden. Die Geschichte eines unvergesslichen Streiks erzählt ein Artikel bei Baskultur.info. (LINK)
Gestreikt wird auch bei Novaltia, einer Genossenschaft zum Vertrieb von Pharmaprodukten. Seit zwei Jahren und fünf Monaten (seit Juli 2019) sind die Beschäftigten im Ausstand. "Dies ist der längste Streik in Europa", beklagte der Sprecher der Gruppe, Ibai Carranza, der Unregelmäßigkeiten bei der Wahrnehmung des Streikrechts der 20 mobilisierten Arbeitnehmer anprangerte, die 80% der Beschäftigten der Produktion in Bizkaia ausmachen. Die Streikenden erleiden Disziplinarmaßnahmen, das Unternehmen weigert sich, in Verhandlungen zu treten.
Ebenfalls im Streik, seit mehr als 200 Tagen (Stand 31. Dezember 2021), sind die Reinigungskräfte der Tourismus-Attraktion Guggenheim-Museum. Sie fordern bessere Bezahlung durch das zwischengeschaltete Sub-Unternehmen und mehr Arbeitsstunden, weil ihre Minimalverträge nicht zum Leben ausreichen. Die Streikenden sind organisiert in der größten baskischen Gewerkschaft, ELA, und sehen sich nicht nur dem Aufsichtsrat des Museums als Arbeitgeber gegenüber, sondern auch der Stadtverwaltung Bilbo. Die schickt städtische Putzerinnen ins Museum und unterläuft damit den rechtmäßigen Streik von ELA, eine illegale Praxis. Vor Jahren hatten die Beschäftigten des Schöne-Künste-Museums Bilbao Erfolg mit einem siebenwöchigen Streik, die pädagogischen Kräfte im Guggenheim wurden nach ihrem Streik im selben Jahr alle entlassen.
ARBEITSUNFÄLLE
Im Jahr 2021 starben 61 Personen im Zusammenhang mit ihrer Arbeit, im Vorjahr waren es 70 Todesfälle. Die Zahlen beziehen sich auf das Süd-Baskenland, aus den nord-baskischen Provinzen stehen keine Zahlen zur Verfügung. 35 Todesfälle kamen durch Unfälle zustande, 16 durch andere Umstände, 10 auf dem Weg von der oder zur Arbeit (neun davon in Navarra). 19 Todesfälle ereigneten sich im Straßenverkehr, jeweils 7 in der Industrie und im Baugeschäft, 6 in der Forstwirtschaft, zwei in der Gastronomie.
Besondere Aufmerksamkeit verdient der Suizid des 20-jährigen Migranten Luis Enrique Soriano aus der Dominikanischen Republik. Von seinem Arbeitgeber (Mecanizados Manuel Aizpuru SL) wurde er zu einem 12-Stunden-Tag an sechs Arbeitstagen gezwungen, manchmal kam Sonntag dazu. Zwei Jahre hatte er keinen Urlaub, bis zu 100 Überstunden pro Monat. Als er an Covid erkrankte, wurde er angehalten, nachts und alleine zu arbeiten. In einem Fall wurden ihm 300 Euro vom Lohn abgezogen wegen einer fehlerhaften Produktion. Der Suizid hat ein gerichtliches Nachspiel, für die Gewerkschaften handelt es sich um einen weiteren Todesfall im Zusammenhang mit Arbeit.
BASKISCHE LINKE
Die baskische Linke hat sich seit Längerem in verschiedene Tendenzen aufgespalten. Dem parlamentarischen Flügel steht die außerparlamentarisch-autonome Bewegung gegenüber. Die Koalition EH Bildu mit Sortu, EA und Alternatiba (nunmehr offizielle baskische Linke genannt) setzt ihren vor Jahren begonnenen Marsch durch die Parlamente und Institutionen fort und bewegt sich auf reformistischen Wegen zielsicher in die politische Mitte. Der Mehrheitspartei Sortu ist es nicht gelungen eine breite Organisations-Basis aufzubauen, weil viele Militante Parteidisziplin nicht gewohnt sind. Realpolitische Manöver mit dem Bildu-Generalsekretär Arnaldo Otegi an der Spitze führen zudem zu Ärger in der Bewegung. Zum Beispiel die Zustimmung zum spanischen Staatshaushalt (Militär und Monarchie inbegriffen), was die größte baskische Gewerkschaft ELA scharf kritisiert. Auch der Auftritt zum 10. Jahrestag der Aiete-Konferenz, bei dem Otegi auf ETA gemünzt sagte: “Das hätte es nie geben dürfen“. Auf der Straße findet EH Bildu praktisch nicht statt.
Dem gegenüber hat sich in den vergangenen Jahren eine linke Opposition entwickelt, die immer klarere Züge aufweist: Hausbesetzer*innen, alternative Basis-Gewerkschaften, die sich gegen Zwangsräumungen und Arbeitsrepression wehren, die ATA-Amnestie-Bewegung, die marxistisch-feministische Gruppe Jarki oder die kommunistische GKS (Gazte Koordinadora Sozialista), die eine neue Generation von Unzufriedenen sammelt und in ihrem Diskurs neue Wege geht. Nicht zu vergessen die alte anarcho-syndikalistische CNT, die nach wie vor viele Junge und Alte anzieht und organisiert. Dass sich im Bereich der emanzipatorischen Linken viel tut, macht der traditionelle selbstorganisierte Weihnachtsmarkt Herri Denda (Volksladen) deutlich. Einen Monat lang stellen 40 politische, feministische, internationalistische Kollektive ihre Information, Bücher und T-Shirts zum Verkauf. Die Mieterinnen-Gewerkschaft AZET hat in der Altstadt Bilbaos zum zweiten Mal Räumlichkeiten besetzt.
BIDASOA: TÖDLICHE GRENZE
Bidasoa ist der Grenzfluss zwischen Gipuzkoa und Iparralde (oder: Spanien und Frankreich). Auf der süd-baskischen Seite liegen Hondarribia, etwas weiter südlich Irun, auf der nord-baskischen Hendaia, Hendaye. Über das Jahr ist der Bidasoa zur tödlichen Grenze geworden. Afrikanische Migranten, insbesondere aus französisch-sprachigen Ländern, die womöglich Angehörige haben in Belgien oder Frankreich, versuchen auf allen Wegen, die Grenze zu überwinden. Legale Einreisen gibt es nicht. Die französische Polizei antwortet mit “heißen Rückführungen“, unmittelbaren Ausweisungen. Auf allen Wegen heißt in diesem Fall: über den Fluss. Sieben Migranten haben dabei ihr Leben verloren.
Im April versuchte ein Eritreer vergeblich, den Bidasoa zu durchschwimmen. Im Mai wurde die Leiche eines 28-Jährigen aus der Elfenbeinküste aus der Strömung geholt. Ein 16-Jähriger wurde von Hendaia-Bewohnerinnen aus dem Wasser gezogen, zwei Stunden später wurde er von der Polizei über die Grenze zurückgeschickt. Im August versuchte der 18-jährige Abdoulaye aus Guinea die Bidasoa-Durchquerung und ertrank. Die Strömungen sind heimtückisch. Abdoulaye hatte im Boot auf abenteuerliche Art den Atlantik durchquert, die Flüchtlinge wurden eine Meile vor der Küste gerettet. Vorher hatte er mit einem Dutzend Freunden von Süden her die Sahara durchquert. Ein 38-Jähriger aus Elfenbeinküste verlor im November sein Leben im Bidasoa zwischen Irun und Hendaia.
Doch nicht nur der Fluss ist tödlich. Im Oktober wurden drei algerische Jugendliche vom Grenzzug überfahren. Sie hatten auf den Schienen übernachtet, ein vierter wurde ins Krankenhaus gebracht. Sahara, Atlantik, Mittelmeer – das Flüchtlingsdrama geht am Bidasoa weiter. In Irun und Hondarribia werden die Reisewilligen notdürftig in Herbergen betreut. Das Netzwerk Irungo Harrera (Empfang in Irun) hat über das Jahr hinweg mehr als 4.000 Migrant*innen empfangen, die große Mehrheit Männer. Die Dunkelziffer liegt deutlich höher und wird von den freiwilligen Helfer*innen auf 7.000 geschätzt. An der tödlichen Grenze.
BILBO – BILBAO
Die Stadtverwaltung setzt nach wie vor und nach der Pandemie verstärkt auf internationale Makroevents und Massentourismus. Dazu soll nun das Museum der schönen Künste aufgerüstet werden, die Tour de France wird vorbeiradeln, zwei europäische Fußball-Finale stehen an. Gleichzeitig wird die alte Industrie-Insel Zorrotzaurre zum neuen “Manhattan“ umgebaut. Der letzte große Wurf wird mit der Ankunft des unnützen Hochgeschwindigkeits-Zuges AHT-TAV erwartet. Dazu muss ein neuer Bahnhof gebaut werden, der soll unterirdisch angelegt werden, darüber entsteht eine riesige Freifläche, die den übelsten Investoren den Mund wässrig machen wird. Damit wird die alte Trennschneise zwischen Innenstadt und Arbeitervierteln geschlossen, was für letztere einen beispiellosen Gentrifizierungs-Schub, die Verteuerung der Mieten und Vertreibung der stark migrantisch geprägten Bevölkerung bedeuten wird. Die Anbindung des marginalen Stadtteils Rekalde – über eine neue Metro Linie, zum Beispiel – kommt für die Verantwortlichen hingegen nicht in Frage.
CORONAVIRUS
Eine ausführliche Chronologie und politische Bilanz der Coronavirus-Pandemie im Jahr 2021 von Baskultur.Info ist ebenfalls auf diesen Seiten zu finden. (LINK)
DONOSTIA
In Donostia wird eine unnötige Metro gebaut. Teilweise unter dem Höhenniveau der Concha-Bucht, mit Kostenexplosion, großen technischen Problemen und Tunnel-Einstürzen. Zu Beginn wurden die Kosten auf 120 Millionen geschätzt, jetzt wird bei der baskischen Regierung von 227 Millionen ausgegangen. Eine Metro ersetzt Stadtbusse, doch wird die Anzahl der Haltestellen auf ein Minimum verringert. Metro bedeutet in Donostia nicht Verbesserung, sondern Einschränkung der Mobilität.
ERNEUERBARE ENERGIE
Der Klimagipfel in Glasgow hat einmal mehr deutlich gemacht, dass in der Energiepolitik radikale Wechsel stattfinden müssen. Weg von Kohle, Erdöl und Atomkraft, hin zu erneuerbaren Energien. Die Technologie hat sich auf diesem Gebiet schnell entwickelt, doch fehlt es an vernünftigen Konzepten der Umsetzung, baskische Technologie ist führend, Siemens hat den baskischen Konzern Gamesa übernommen. Riesige Felder mit Sonnenkollektoren, die sich automatisch nach dem Licht drehen, sind nützlich, aber hässlich anzusehen, weil sie der umgebenden Landschaft ihren Stempel aufdrücken. Umso mehr im bergigen und eng besiedelten Baskenland. Windparks mit hohen Windrädern sind ebenfalls eine Alternative, doch auf welchem Berg, bitteschön, sollen sie installiert werden? Umweltverbände wehren sich gegen die Verschandelung der Landschaft und weisen auf die negativen Folgen für die Welt der Vögel hin. Was Fracking anbelangt, musste die baskische Regierung eine Niederlage einstecken, nachdem der Probebohrungen in Sunbilla, Araba für unmöglich erklärt wurden.
FIESTAS – JAIAK
Im zweiten Jahr in Folge musste die Mehrheit der baskischen Fiestas wegen der Pandemie abgesagt werden, allen voran die Jaiak in den Hauptstädten. Ein neuer Rückschlag für viele soziale Bewegungen, die bei diesen Gelegenheiten mit freiwilliger Arbeit in den Txosnas etwas Geld verdienen für ihre soziale oder politische Arbeit. Derbe Einschränkung auch für Stadtteilgruppen, für die mit der Absage eine wichtige Begegnungs-Dynamik wegfällt. Unvorstellbar für Massen von Jugendlichen, die sich in sommerlichen Massen-Besäufnissen (botellón) sozialisieren. No-Fiestas wurde erneut zum Schlagwort derer, die nicht verzichten konnten und wollten. Mobilisierung über Whatsapp und Twitter. Dass dies ohne Genehmigung, Masken und Abstand geschah, musste die Polizei auf den Plan rufen. So kam es zu einer wochenlangen Dauer-Auseinandersetzung zwischen Ordnungskräften und jugendlichen Säufer*innen und Fußballfans. Und zu einer gesellschaftlichen Dauerdebatte. Verständnis für die Bedürfnisse der Jugendlichen oder Unverständnis gegenüber den Exzessen. Denn letztendlich ging es nicht nur um illegale Feste, im Gefolge kam es zu Schlägereien, brutalen Überfällen, Vergewaltigungen, kriminelle Netze nutzten das Chaos zu Beutezügen. Die Polizei war außer Stande, den Treffen Einhalt zu gebieten. Weil dennoch zum Einsatz geschickt, wurden sie regelrecht verheizt. Kollateralschäden der Pandemie auf allen Ebenen.
FOLTER
Geschätzt wird, dass seit den 1960er Jahren – erst während des franquistischen, dann während des demokratischen Regimes – 10.000 Baskinnen und Basken gefoltert wurden, nicht wenige mit Todesfolge. Etwa die Hälfte der Folterakte gehen jeweils auf das Konto von Guardia Civil und Nationalpolizei, zu einem kleinen Teil auf das der baskischen Ertzaintza-Polizei. Immerhin 5.667 Folterfälle sind für die Öffentlichkeit zugänglich registriert, die Mehrheit davon jedoch nicht offiziell anerkannt. Im Laufe des Jahres wurden 37 Personen von der baskischen Regierung als Folter- und Misshandlungs-Opfer anerkannt und in einer offiziellen Veranstaltung gewürdigt. Eigentlich lächerlich.
FUSSBALL
Aus fußballerischer Sicht brachte das Jahr drei Großereignisse, an denen baskische Teams aber wegen Covid keine Zuschauer*innen beteiligt waren. Im Januar gewann Athletic Bilbao nach vorherigem Trainerwechsel überraschend den spanischen Supercup gegen Real Madrid, Barcelona und Real Sociedad. Im April kam es zu zwei Pokal-Final-Spielen. Zuerst das vom Vorjahr ausstehende, danach das von 2021. Im ersten Finale standen sich die beiden baskischen Traditionsclubs Real Sociedad und Athletic gegenüber, erstere behielten nach schlechtem Spiel die Oberhand. Im zweiten Endspiel vierzehn Tage später unterlag das Team aus Bilbo dem FC Barcelona und bescherte Leo Messi seinen letzten Titel im Trikot der Katalanen.
GLASGOW
Die täglichen Nachrichten im öffentlichen baskischen Fernsehen sind nicht nur Information, sondern auch Aufklärung und Erziehung. So wurden vom schicksalhaften Welt-Klima-Gipfel im schottischen Glasgow nicht nur Schaufensterreden übermittelt, sondern dazu ökologische Praxis. Dazu wurde ein dreiköpfiges TV-Fahrradteam auf die Strecke geschickt, das von Station zu Station eine Reportage lieferte. Vorgestellt wurden ökologische Projekte, Müllvermeidung in Bordeaux, Recyclingtechniken in Southampton, Nachbarschaftshilfe in Nottingham. Geflogen wurde selbstverständlich nicht, wenn es nicht direkt mit dem Rad voranging, wurden andere umweltfreundliche Verkehrsmittel benutzt. Ständig den Taschenrechner zur Hand, wieviel Energie gerade gespart wurde. Immer ging es um den energetischen Fingerabdruck, den wir hinterlassen, wenn wir reisen, konsumieren oder irgendwelchen anderen belastenden Tätigkeiten nachgehen. Das Ergebnis des Gipfels wurde geradeheraus kritisiert, Verantwortliche direkt benannt.
HOCHGESCHWINDIGKEITS-ZUG
Das AHT-TAV oder wegen seines Verlaufs auch “baskisches Ypsilon“ genannte Zug-Projekt kommt auch nach 15 Jahren Bau nicht aus den negativen Schlagzeilen und ist weit von seiner Fertigstellung entfernt. Nach wie vor fehlen große Teile der Schienen in Bizkaia und Araba, die Frage neuer Bahnhöfe für den Hochgeschwindigkeits-Zug in den Hauptstädten ist strittig. Der PNV-Vorsitzende Ortuzar machte seinem Unwillen Luft und bezeichnete die bisherigen Arbeiten als “wenig mehr als ein Fahrradweg“. Seine Partei hat von der Zentralregierung nun die Verantwortung für die restlichen Arbeiten übernommen, die Kosten sollen über den Steuer-Finanzausgleich wieder nach Euskadi zurückfließen.
Böse Worte gab es, als Madrid mit dem baskischen Umwelt-Senator (Sozialdemokrat) die Entscheidung traf, dass die neuen Bahnhöfe in Bilbo und Gasteiz unter die Erde gelegt werden und es im Fall von Bilbao in einer Vorstadt einen Interims-Bahnhof geben soll. Die Bürgermeister der beiden Städte erfuhren von der Entscheidung aus der Presse und waren schwer beleidigt (auch wenn die Emtscheidungen in ihrem Sinne waren). Das große Problem dieses Zuges ist, dass er die Verkehrs- und Transportprobleme im Baskenland nicht löst, sondern eine Überflieger-Verbindung zwischen Paris und Madrid werden soll. Im kleinen Euskadi macht Hochgeschwindigkeit keinen Sinn, weil es keine Haltestellen geben kann und wird.
INTERNATIONALER FRAUENTAG
Großdemonstrationen und organisierte Streiks wie in den vergangenen Jahren waren wegen der Pandemie nicht möglich. Dennoch waren viele Frauen und Feministinnen auf der Straße. Thematisiert wurden die Folgen der kapitalistischen Wirtschaft, bei der Frauen über Arbeitsbedingungen und Bezahlung generell noch schlechter wegkommen als Männer. Thematisiert wurde das patriarchale System, nach dem Frauen als sexuelle Objekte misshandelt und ausgebeutet werde. Thematisiert wurde auch die Situation von Migrantinnen, die in Haus- und Pflegearbeiten oft rechtlos unter sklavenähnlichen Bedingungen leben und arbeiten müssen. “Feminismus ist Antirassismus. Gegen Faschismus und Kapitalismus. Es lebe der Feminismus!“
INTERNATIONALES
Nach den US-Wahlen und dem Amtsantritt des Demokraten Biden schaute die baskische Welt hoffnungsvoll auf die Zeiten nach dem Faschisten Trump und seinem Putschversuch im Capitol – und wurde bitter enttäuscht. *** Im Januar wurde an die drei kurdischen Aktivistinnen erinnert, die 2012 in einem kurdischen Kulturzentrum in Paris ermordet worden waren. Der Mord hatte klare Verbindungen zum türkischen Geheimdienst, das Verfahren gegen einen Verdächtigen verlief im Sand, weil er im Gefängnis starb. Eine der drei Kurdinnen hatte drei Jahre zuvor Bizkaia besucht und beeindruckende Konferenzen abgehalten. *** Seit Jahrzehnten leben Tausende Personen aus der (ehemaligen spanischen Kolonie) Westsahara im Baskenland. Die waren reichlich aufgebracht über die politischen und militärischen Manöver des marokkanischen Regimes, infolge der politischen Anerkennung des Regimes als Besatzungsmacht durch die Trump-Administration. Es kam zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Kräften der Befreiungs-Bewegung Polisario und marokkanischen Truppen. Im Baskenland kam es zu einer Serie von Demonstrationen, unterstützt von der internationalistischen Bewegung in Euskal Herria.
Mit großer Sorge wurde in Euskal Herria die Verhaftung und Kriminalisierung der aus Madrid stammenden Sozialarbeiterin Juana Rishmawi verfolgt, die in Palästina seit 30 Jahren in einer international anerkannten NGO arbeitet, die sich um psychosoziale und medizinische Versorgung der palästinensischen Bevölkerung kümmert. Nach vielen Besuchen im Baskenland ist Juana im Baskenland eine bekannte und geschätzte Person. Ihre Kriminalisierung ist ein Versuch der israelischen Regierung, die aus dem Ausland geförderte humanitäre Hilfe für die palästinensiche Bevölkerung zu deslegitimieren und zu illegalisieren. Dagegen arbeitet die internationale Boykott-Bewegung BDS, die auch im Baskenland mit breiter gewerkschaftlicher Unterstützung für Boycott, Disvestment, Sanctions eintritt.
MENSCHENRECHTS-PREIS
Die Regierung der Autonomen Gemeinschaft Baskenland (Euskadi), vergibt jährlich einen mit 12.000 Euro dotierten Menschenrechts-Preis, der nach René Cassin benannt ist. Preisträgerin 2021 ist Elisa Loncon Antileo, Mapuche-Indigena und Ex-Präsidentin des chilenischen Verfassungs-Konvents. Im Dezember wurde sie von der Financial Times als eine der 25 einflussreichsten Frauen der Welt bezeichnet. Die Preisträgerin arbeitet als Akademikerin an der Fakultät für Erziehungs-Wissenschaften der Universität von Santiago de Chile und koordiniert das Netzwerk für die Bildungs- und Sprachrechte der indigenen Völker Chiles. René Samuel Cassin (1887 Bayonne - 1976 Paris) war ein baskisch-französischer Jurist, Diplomat und Erzieher. Ausgezeichnet wurde Cassin 1968 mit dem Friedensnobelpreis als Mitverfasser der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen 1948.
MÜLL-SKANDAL
Nach 15 Monaten Stabilisierungs-Bemühungen in der abgerutschten Groß-Müllhalde Zaldibar wurden die Arbeiten für beendet erklärt. Beendet ist damit auch die Suche nach dem zweiten beim Erdrutsch verschütteten Arbeiter. Zur Erinnerung: Am 6. Februar 2020 ging ein Großteil der Deponie bergab in Richtung Autobahn, zwei anwesende Ingenieure wurden mitgerissen und verschüttet. Die folgenden Stützarbeiten waren verbunden mit einem Durchkämmen des bewegten Materials, um die Toten zu finden. 410.000 Kubikmeter Masse wurde gefilzt, die Kosten beliefen sich auf 23 Millionen Euro. Eine Leiche wurde gefunden, die zweite könnte von chemischen Prozessen zersetzt worden sein.
Im Herbst 2021 standen die Deponie-Verantwortlichen vor Gericht. Um nicht ins Gefängnis zu gehen, gestanden sie ihre Verantwortung für einen Fall von “Totschlag nach schwerer Fahrlässigkeit“. Die Regierung will die angefallenen Kosten zurückfordern, die Verurteilten sind zu einer Entschädigung der Hinterbliebenen der Unfalltoten bereit. In Verfahren wurde eindeutig bewiesen, dass die Verantwortlichen über die Abrutschgefahr im Bilde waren. Zwei Tage vor dem GAU wurden mittels einer topografischen Analyse in der Deponie Risse festgestellt, Techniker empfahlen der Deponie-Leitung, die Aktivitäten umgehend einzustellen. Dies geschah nicht, mit tödlichen Folgen.
MÜLL-VERBRENNUNG
Die Verbrennungsanlage Zubieta in Gipuzkoa liefert eine Schlagzeile nach der anderen. Das von den baskischen Konservativen durchgepeitschte Projekt wird von Anlieger*innen wegen seiner Emissionen kritisiert, ein entstandener Brand wurde unter den Teppich gekehrt. Das Modell der Verbrennung überzeugt niemand außer denen, die daran verdienen. Wenn Müll verbrannt werden soll, darf er nicht recycelt werden, von Strategien der Müllvermeidung ganz zu schweigen. Als es die Anlage noch nicht gab, wurde deponiert oder der Müll nach Kantabrien und Bilbao gebracht, keine Anlage war ausgelastet. Noch weniger die dritte in Zubieta. Deshalb sollen jetzt auch Industrie-Abfälle in den Ofen geworfen werden. Müllskandale ohne Ende.
OLYMPIA
Bei den traurigsten und erstmalig verschobenen Spielen der Olympiageschichte wurden baskische Medaillen wie gewohnt quer gezählt, ein paar vom nördlichen Nachbarn (Fr), ein paar vom südlichen (Sp). Um die dreißig baskische Sportler*innen unterschiedlicher Nationalität waren am Start. Maialen Txorraut im Wildwasser holte Silber und hat nun alle drei Farben im Trophäenschrank. Vier baskische Fußballer unterlagen im Finale Brasilien, ein Handballer musste mit Bronze zufrieden sein. Fest eingeplant war eine Golfmedaille im Golf für den Ranglisten-Ersten dieser “Sportart“, Jon Rahm, doch dem Einlochen kam das Virus zuvor. Bei 110-Meter-Hürden sprang für Asier aus Navarra ein sechster Platz heraus, Hoffnungen gab es auch bei den Radlern und bei Tennis-Star Garbiñe Muguruza – vom Winde verweht. Bei den Paralympischen kamen die Radler zu Erfolgen, Alexandre Leaute gewann Gold und Bronze, Dorian Foulon ebenfalls Gold. Perle Bourge aus Baiona wurde dritte im Rudern, Iñigo Llopis zweiter.
ONGI ETORRI
“Ongi Etorri“ ist baskisch und bedeutet “herzlich willkommen“. Mit “Ongi Etorri“-Empfängen wurden in der Vergangenheit baskische politische Gefangene (von ETA oder auch nicht) nach dem Absitzen ihrer Strafe in ihren Heimatorten begrüßt, auf öffentlichen Plätzen, für alle sichtbar. Solange ETA existierte, war das offenbar kein Problem. Nun, nachdem ETA aufgelöst ist, stellt es überraschenderweise ein politisches Problem dar. “Die Opfer werden verhöhnt, der Terrorismus wird verherrlicht“ ist der Vorwurf, nichts ist weiter von der Realität entfernt. Auf dem Weg zu ihrer bürgerlichen Anerkennung versprach die offizielle baskische Linke bei einer Pressekonferenz, die Opfergefühle ernst zu nehmen und sich um die Angelegenheit zu kümmern. Zwei Monate später wurde in den Medien eine Erklärung des Gefangenen-Kollektivs EPPK publiziert, die nahelegt, in Zukunft auf solche öffentlichen Empfänge zu verzichten. Ein weiterer Kniefall vor jenen staatstragenden Kräften, die sich weigern, Staats-Terrorismus zu untersuchen, die Verantwortung für paramilitärische Todesschwadronen zu übernehmen, Hunderte von Toten durch die Polizei zu klären und Folterer zu bestrafen.
PELOTA
Der baskische Pelota-Sport kam trotz Pandemie im vergangenen Jahr wieder in Schwung. Alle drei großen Turniere – Doppel, Manomanista und Lau t´erdi (4 ½) – konnten mit Publikum durchgeführt werden. Der neue Star kommt aus Gipuzkoa und heiß Jokin Altuna. Er verspricht zum Titelsammler zu werden. Wenn wir heutzutage von Pelota sprechen, ist meistens Pelota Mano gemeint, das Spiel mit der Hand. Denn es gibt noch drei weitere Versionen: eine mit Holzschlägern (Pala), sowie Cesta Punta und Remonte, die mit dem bekannten gekrümmten Korb gespielt werden. Die sind vielleicht zu schnell und unattraktiv für das Fernsehen.
Im abgelaufenen Jahr galt es Abschied zu nehmen von zwei Legenden des Sports: Aimar Olaizola, Sympathieträger aus dem navarrischen Goizueta, klebte sich an seinem 42. Geburtstag zum Abschiedsspiel zum letzten Mal Tape an die Finger, nachdem er zwanzig Jahre lang in allen Disziplinen erfolgreich Txapela-Mützen (Titel) gewonnen hatte. Wenig später folgte der kleine Wirbelwind Oinatz Bengoetxea, ebenfalls aus Navarra, nach fast zwanzig Jahren Pelota-Karriere. Abschied ist auch in Madrid angesagt, dort steht der historische Fronton aus dem Jahr 1929 leer und unter Denkmalschutz. Abschied auch in Florida, dort wurden die letzten Partien Cesta Punta ausgetragen, der Spielbetrieb wird eingestellt, die Pelotaris arbeitslos. Die große Cesta-Zeit des 20. Jahrhunderts ist längst vorbei. Kräftig gefördert wird das Hand-Pelota der Frauen im Baskenland, Turniere, Meisterschaften, Live-Übertragungen. Nur keine Wetten. Die bleiben den Männern vorbehalten.
POLITISCHE GEFANGENE
In Andalusien gibt es keine baskischen politischen Gefangenen mehr. Warum sollte es auch? … könnte jemand naiv fragen, wo Andalusien doch so weit weg ist … Genau das war der Grund, weshalb sie dort eingesperrt waren: möglichst weit von zu Hause weg. Außer-legale Sonderstrafe. Einige Gefangene wurden sogar auf die Balearen, die Kanarischen Inseln, nach Ceuta und Melilla gebracht. Diese Art von menschenfeindlicher Strafvollzugs-Politik gegen ETA-Gefangene wurde von den Sozialdemokraten unter Felipe González ins Leben gerufen. Nun macht der Kollege Sanchez Schluss damit. Nicht, weil er humane Resozialisierung einführen will, sondern weil er baskische Stimmen für seine Minderheitsregierung mit Podemos braucht.
Zehn Jahre nach der Konferenz von Aiete und der ETA-Erklärung, endgültig auf Gewalt zu verzichten, ist das Kapitel der Dispersion zu Ende, so wurde die Zerstreuungspolitik genannt. 16 Angehörige verloren auf Besuchsreisen bei Verkehrsunfällen ihr Leben. Veränderungen waren zuerst im Sommer 2018 absehbar, mit dem Amtsantritt von Pedro Sánchez. Es begann ein Rinnsal von Annäherungen von Gefangenen. Nach Angaben der Angehörigen-Organisation Etxerat befinden im spanischen Staat sich nun 176 ETA-Gefangene, 78 davon in Gefängnissen der Autonomen Gemeinschaft Baskenland und von Navarra. Die übrigen in Gefängnissen in einem Umkreis von nicht mehr als 500 Kilometern entfernt, 20 in La Rioja, weitere 19 in Kantabrien. In französischen Gefängnissen befinden sich nach Angaben von Etxerat weitere 21 Gefangene, 13 in Lannemezan, 330 Kilometer vom Baskenland entfernt, und drei weitere in Mont de Marsan, 260 Kilometer entfernt.
Eine weitere Tatsache ist von Bedeutung: Die baskische Regierung hat gerade die Verantwortung für die Gefängnisse übernommen. Und: Die Änderungen in der Strafvollzugs-Politik lassen sich auch an der Klassifizierung der Gefangenen ablesen. Vorher waren alle bis zum letzten Tag ihrer Haft in Stufe drei: gefährliche Gefangene, manche isoliert. Nun sind viele im zweiten Grad, mit Ausgangsrechten. Einige wenige sogar im ersten Grad, sie leben wieder bei ihren Familien und müssen nicht mal mehr zum Schlafen hinter Gitter. Weil Sanchez die Stimmen von EH Bildu braucht.
POLITISCHE JUSTIZ
Auch 10 Jahre nach dem Ende von ETA ist die spanische Justiz weiterhin auf Repressionskurs. Derzeit läuft ein Verfahren (AZ 13/13) gegen acht Anwältinnen und Angestellte zweier Anwaltsbüros, die baskische Gefangene vertraten. Ihnen wird vorgeworfen, Teil von ETA gewesen zu sein und eine sog. “Anwalts-Front“ gebildet zu haben. In den Kanzleien wurden Razzien durchgeführt, die Verhafteten wurden gefoltert, mit erzwungenen Geständnissen sollen sie nun verurteilt werden.
RENTNERINNEN AUF DER STRASSE
Seit vier Jahren sind in vielen Orten des Baskenlandes Rentnerinnen und Rentner auf den Straßen, um für eine würdige Rente zu kämpfen. Gefordert werden 1.080 Euro Grundrente für alle und 1.200 für Pflegefälle. Vor allem Rentnerinnen leiden unter Armut, weil viele von der Rente ihrer Ehemänner abhängen und als Witwen keine Ansprüche haben. Jeden Montag wird zu Kundgebungen mobilisiert, mitunter zu Großdemonstrationen und Solidaritäts-Aktionen mit anderen sozialen Bewegungen. 2021 kam es zu einer Großdemo in Madrid mit Bewegungen aus anderen Regionen, eine Fahrt nach Brüssel zum EU-Parlament stand ebenfalls auf der Aktionsliste.
SARRI-SARRI
Nach mehr als 35 Jahren Flucht und Exil ist einer der bekanntesten baskischen Schriftsteller in seinen Heimatort Iurreta in Bizkaia zurückgekehrt: Joseba Sarrionandia. Als ETA-Aktivist wurde er gefoltert und saß in Donostia im Gefängnis, aus dem er 1985 bei einem Konzert in den Lautsprechern entkam. Danach verlor sich seine Spur irgendwo in Lateinamerika. Regelmäßig lieferte er jedoch seine literarischen Arbeiten, die in der baskischen Literaturszene mit Begeisterung aufgenommen wurden. Dem deutschen Publikum wurde er bekannt durch “Von nirgendwo und überall“ und “Der gefrorene Freund“. 2016 tauchte Sarrionandia zum ersten Mal wieder öffentlich auf, als er an der Universität Havanna im Auftrag des baskischen Etxepare-Instituts eine Lektorenstelle antrat. Im April 2021 kehrte er nach Euskal Herria zurück. Legendär ist der Song der Skagruppe Kortatu “Sarri Sarri Sarri“, der bis heute tausendfach im Radio gespielt wird.
SOZIALPOLITIK
Die Pandemie und ihre Folgen haben deutlich gemacht, dass das baskische Gesundheits-System, obwohl besser ausgestattet als die meisten in anderen Regionen des Staates, den Anforderungen in einer Krisensituation nicht gewachsen ist. Jede Covid-Welle (bislang sechs) hat das System an den Rand des Kollaps gebracht. Sozial-Kürzungen und ein mangelhafter Ausbau der notwendigen Strukturen haben dazu geführt. Die baskische Regierung favorisiert private Krankenversicherung. Das öffentliche System, auf das die arme Bevölkerung angewiesen ist, wird reduziert. Bekannte Tatsache ist, dass im “reichen Baskenland“ ein Drittel der Bevölkerung von Armut bedroht ist, 10% leben in extremer Armut. Neuestes Kürzungsprojekt ist die Sozialhilfe, seit Jahren erzählen rechte Politiker und Medien das Märchen vom “Missbrauch der Leistungen“. Mit einem neuen Gesetz soll der Zugang erschwert werden, vor allem alleinerziehenden Frauen wären stark betroffen. Die Pandemie hat die Situation für alle von Marginalisierung gefährdeten Gruppen verschärft, ohne Aussicht auf Besserung.
SPANISCHER STAAT
Mit dem Aufkommen der faschistischen Partei Vox und ihren ausländer- und feminismus-feindlichen Diskursen wurde die politische Landschaft stark polarisiert. Angesichts dieser Diskurse sind Übergriffe auf Migrantinnen, Schwule, Lesben und Trans-Personen zur Normalität geworden. Um von den Faschisten nicht überrollt zu werden hat die postfranquistische Volkspartei ihren Diskurs angepasst und vertritt teilweise ultrarechte Positionen. Die sozialliberale Minderheits-Regierung aus Sozialdemokraten und der zerstrittenen Protestpartei Unidos Podemos ist auf wechselnde Unterstützung von außen angewiesen. Dazu gehören die katalanischen Unabhängigkeits-Befürworter*innen (ERC, Junts per Catalunya) ebenso wie rechte und linke baskische Kräfte (PNV, EH Bildu). Dass sich die Regierung ihre Haushalte von diesen “staats-zersetzenden Elementen“ absichern lässt, treibt die Ultrarechte zum Delirium, die von Podemos werden ohnehin als “Kommunisten“ gebrandmarkt.
Vor der Wahl hatte Sanchez Versprechungen gemacht und im Koalitionsvertrag festgelegt, die brisantesten: Rücknahme der neoliberalen Arbeitsreform, eine Grundsicherung für alle, Rücknahme des Maulkorb-Gesetztes (Mordaza) und ein neues Memoria-Gesetz. Bislang ist nichts davon erfüllt, weil sich die PSOE von rechts unter Druck setzen lässt. Die mit den Unternehmern ausgehandelte Reform der Arbeitsreform droht an einer fehlenden Mehrheit zu scheitern, weil die katalanischen und baskischen Partner übergangen wurden und nun dagegen stimmen wollen. Ein Manöver der ultrarechten Ministerpräsidentin der der Region Madrid, Ayuso, führte zum Abgang von Podemos-Gründer Pablo Iglesias, seine Nachfolgerin schmiedet mit einer Frauenfront große Pläne einer neuen linken Formation. Ständig neue Aufdeckungen machen die dunklen Verstrickungen von Geheimdienst, rechten Parteien, Wirtschaft und Polizei deutlich. Korruption und illegale Spitzeleien von einem Großunternehmen gegen das andere sind an der Tagesordnung, im Mittelpunkt stehen der Ex-Schatzmeister der PP, der ehemalige Polizeichef Villarejo und die PP als Ganzes.
STROMPREISE
Mit dem baskischen multinationalen Konzern Iberdrola an der Spitze (vertreten im Staat, in Deutschland, in Lateinamerika) wurden 2021 die Strompreise im Vergleich zu 2020 verachtfacht (8x!) und erreichen wöchentlich neue Rekordziffern. Als Grund wird die Verteuerung der Gaspreise angegeben, die Rechte auf CO2-Emmissionen sowie die starke Verteuerung von Rohstoffen wie Stahl, Kupfer, Aluminium und Holz. Die Preistreiberei trifft vor allem die armen Haushalte, der Begriff Energie-Armut zirkuliert. Die Benzinpreise stiegen um 30%, Kleinunternehmer und Lieferanten stöhnen.
Aber auch die Industrie klagt, denn für Konzerne wie Mercedes, Michelin oder Volkswagen steigen die Kosten ebenfalls erheblich. Nur haben sie die Möglichkeit, den Kostenanstieg über Preiserhöhung ihrer Produkte auszugleichen. Familien können das nicht. Im Gegenteil, weil alle gewerblichen Bereiche die Preise erhöhen (Lebensmittel, Gastronomie, Mieten) stieg die Inflation auf lange nicht gekannte 7%. Alle haben weniger Geld in der Tasche, die Einkommen steigen jedoch nicht, oder nur sehr wenig. Die sozialliberale Zentralregierung reagierte mit Steuersenkungen für Verbraucher*innen, um die Not auszugleichen, der Konzern wurde kritisiert. Iberdrola reagierte mit der Drohung, Investitionen in Höhe von einer Milliarde Euro einzufrieren.
TELEKOMMUNIKATION
Mit der Übernahme des öffentlichen Telekommunikations-Unternehmens Euskaltel durch den Multi MasMovil hat das Baskenland eine zentrale Infrastruktur verloren, auf die vor allem jene gesetzt hatten, die für ein selbstständiges Baskenland mit einer starken eigenen Wirtschaft einstehen. Euskaltel hatte, finanziert unter anderem mit öffentlichen Geldern, ein Glasfieber-Netz eingerichtet, das nun von privaten Spekulanten genutzt wird. Die baskische Regierung, so Wirtschafts-Beobachter, hätte die Übernahme verhindern können, wie von der parlamentarischen Linken gefordert.
TERRORISMUS-MUSEUM
Im April wurde das “Erinnerungszentrum der Opfer des Terrorismus“ (Centro Memorial de las Víctimas del Terrorismo) in Vitoria-Gasteiz eröffnet. Mit Opfer gemeint sind jene der Aktionen der ehemaligen Untergrund-Organisation ETA, Opfer von islamistischen Aktivitäten und dem sog. “Konter-Terrorismus“. Von Staatsterrorismus, Todesschwadronen, systematischer Folter durch spanische Polizeieinheiten, Söldnermorden an linken Persönlichkeiten ist in dem Museum nur am Rande Platz. In diesem Sinn wird das Konzept des Museums von linker Seite scharf kritisiert, weil hier eine einseitige Darstellung eines politischen und militärischen Konflikts praktiziert wird, bei der sich keine Seite Verdienste erworben hat. In der historischen Darstellung wird nicht zwischen Diktatur, Übergang und Demokratie unterschieden. Direktor ist mit Florencio Dominguez Iribarren kein Historiker, sondern ein rechter Journalist, der seine Karriere damit zugebracht hat über die Gräuel von ETA zu schreiben und vom ultrarechten Opferverband Covite mit Ehrenpreisen bedacht wurde.
TOD DES GUARDIA-CIVIL-GENERALS
Ausgerechnet am Gedenktag für die vielen baskischen Folteropfern starb der Guardia-Civil-General Enrique Rodriguez Galindo an Covid. Mehr als ein Jahrzehnt lang war er der uneingeschränkte ETA-Jäger und Chef der paramilitärischen Folterbrigaden. Auf sein Konto gehen u.a. die Morde an den baskischen Aktivisten Lasa und Zabala, die 1983 im Exil in Iparralde entführt, gefoltert und ermordet wurden. Um die Morde zu vertuschen, wurden die Leichen in Alicante in gelöschtem Kalk in einer Wüste vergraben, erst 12 Jahre später konnten sie identifiziert werden. Galindo wurde erwischt und im Jahr 2000 zu 75 Jahren Gefängnis verurteilt, von denen er nur vier absaß, bevor er als haftuntauglich deklariert wurde und ein fürstliches Rentnerdasein führen konnte. Gegen Covid kam er nicht an.
TODES-NACHRICHTEN
Am 9. März starb der linke Journalist Pepe Rei (1947), der bei der baskischen Tageszeitung EGIN gearbeitet hatte (von der spanischen Justiz geschlossen) und danach die Magazine ARDI BELTZA (Schwarzes Schaf) und KALE GORRIA (Harte Straße) publizierte. Rei betrieb einen investigativen Journalismus alter Schule, dafür wurde er mehrfach verhaftet, erlitt Razzien und saß im Gefängnis. Nach einem Autounfall 2002 musste er sich vom Journalismus zurückziehen. *** Julen Madariaga (1932) gehörte 1958 zu den Gründungs-Mitgliedern von Euzkadi Ta Askatasuna, ETA, sein Leben endete am 6. April. Später war er als Anwalt tätig und bei Herri Batasuna politisch aktiv. Wegen seiner Kritik am Konzept des bewaffneten Kampfes verließ er die Partei, schloss sich der HB-Abspaltung Aralar an und wirkte sogar in der “Friedens-Organisation“ Elkarri. Wenige Wochen vor seinem Tod stellte er die spanische Version seiner Autobiografie vor: Egiari Zor (Der Wahrheit geschuldet). *** Iñaki Aldekoa (1940) war im Vorstand von Herri Batasuna und für diese Koalition im Regional-Parlament von Navarra, später auch im spanischen Parlament. Er starb am 8. April. *** Am selben Tag starb Xabier Antoñana (1933), Schriftsteller, Politiker und Verteidiger der baskischen Sprache. Er verteidigte das Selbstbestimmungsrecht der baskischen Gesellschaft und gehörte zu den Gründern der Baskisch-Schule Erentzun. *** Sehr jung starb die aus Eibar stammende Schauspielerin Rosa Martinez Alcocer (1967) am 27. April, die in vielen baskischen und spanischen Ensembles gearbeitet hatte. In guter Erinnerung ist ihr Monolog als Frida Kahlo. *** Mixel Berhokoirigoin (1952) war Landwirt, Gewerkschafter in Iparralde. In Zeiten des Endes von ETA war er aktiv in der Gruppe der nordbaskischen “Friedenshandwerker“, die nach alternativen Wegen der einseitigen Entwaffnung suchten, was schließlich auch erreicht wurde. Mixel starb am 8. Mai.
Mit Alfonso Sastre (1926) starb am 17. September der bekannteste spanisch-baskische Dramaturg, Regisseur und Schriftsteller in seiner Wahlheimat Hondarribia. Zusammen mit seiner Frau Eva Forest gehörte Sastre zu kritischen Intellektuellen, die sich gegen das franquistische Regime auflehnten und Repression erlitten. Bereits 1950 vertrat Sastre ein “Theater der sozialen Agitation“ zur gesellschaftspolitischen Funktion des Theaters, das eine Serie von Kontroversen in Zeitungen, Zeitschriften und anderen Medien auslöste. Er wurde mehrfach verhaftet, war zeitweilig Mitglied der Kommunistischen Partei. Auf Reisen lernte er Fidel Castro kennen, Sastre übersetzte Werke von Peter Weiss und Jean-Paul Sartre. In der Zeit der Illegalisierung der baskischen Linken stellte sich Sastre als linker Alternativ-Kandidat zur Verfügung.
TOURISMUS
Das Baskenland ist wieder und weiter auf dem Weg zum Massentourismus. Im Frühjahr 2022 soll der umstrittene Umbau des Museums der Schönen Künste in Bilbao beginnen. Mit dem Stararchitekten Foster soll neben dem Guggenheim-Museum (400 Meter entfernt) eine zweite Kunsthalle von internationalem Ruf geschaffen werden, für viele Millionen Investition. Das Guggenheim leckt die Wunden ausgebliebener Besucher*innen und bereitet sich auf den 25. Geburtstag vor.
Trotz fortwährender Pandemie, Bewegungs-Beschränkungen und Testpflicht machten sich wieder Zehntausende auf den Weg, vor allem nach Bilbo und Donostia. Weniger Auslands-, mehr Binnen-Tourismus, die Free-Tour-Gruppen hielten erneut massiven Einzug in den Altstädten, zahlreicher und lästiger denn je. Schwer nachvollziehbar, was den unbändigen Reisedrang ausmacht, vor allem in Zeiten von Gesundheitsrisiko. Tourismus hat zur ursprünglichen und schnellen Verteilung des Virus geführt. Jede in der Not wieder möglich gemachte Reisesaison (2020 und 2021) hat in den besuchten Zonen neue Massenansteckungen nach sich gezogen. Im Juli steckten sich mehrere Tausend Jugendliche aus allen Teilen Spaniens bei Klassenfahrten nach Mallorca an. Donostia erlitt nach dem Reisesommer (aus Frankreich) die nächste Ansteckungswelle.
ÜBERSCHWEMMUNGEN
Nichts ist wie es war beim baskischen Wetter. Ein heißes Frühjahr, ein nasser Sommer, bis November halbsommerliche Temperaturen und viel zu wenig Regen. Das änderte sich vom 9. bis 14. Dezember radikal, mit Dauerregen und Schneefällen, die vor allem in Navarra, vom Norden bis in den Süden Überschwemmungen und andere Katastrophen provozierten, zwei Tote inbegriffen. Von “nie zuvor erlebten Regenfällen“ war die Rede, 12.000 Hektar Anbaufläche wurde zerstört. In Araba, Bizkaia und Gipuzkoa waren stellenweise ebenfalls Wasserschäden zu beklagen, wenn auch in geringerem Umfang. Als hätte es nach dem gefloppten Klimagipfel in Glasgow einer Bestätigung bedurft, dass die natürlichen Rhythmen aus dem Gleichgewicht gekommen sind.
WERFT-SCHLIESSUNG
Nach hundert Jahren Schiffbau hat die Großwerft La Naval de Sestao definitiv die Werkstore geschlossen. Seit 2005 wurde schon unter anderem Namen gearbeitet, Schiffbau Nord übernahm die Installationen und einen Teil der Belegschaft. 2021 kam das Ende der größten Werft in Euskal Herria. Für den stolzen Preis von 36 Millionen Euro im Konkursverfahren tritt die belgische Logistik-Gruppe VGB aus Brüssel das Erbe an: Gelände, Montage-Hallen und Maschinerie werden künftig nicht mehr zur industriellen Produktion benutzt, stattdessen soll ein Logistik-Zentrum eingerichtet werden auf den 300.000 Quadratmetern der Werft, die seit 1916 riesige Schiffe gebaut hatte. Dass im Konkursverfahren allein der Verkaufspreis eine Rolle spielte und nicht die künftige wirtschaftliche Tätigkeit, wurde aus Kreisen der parlamentarischen Opposition kritisiert. Die baskische Regierung jedoch mochte sich finanziell nicht einmischen, um den Produktions-Standort zu sichern. Letztendlich geht es um Arbeitsplätze in der alten Industrie-Region Ezkerraldea am “Linken Ufer“ (des Nervion-Flusses), die in den vergangenen 40 Jahren eine Serie von Rückschlägen hinnehmen musste. Sestao war bis 1995 auch Standort der Hochöfen von Altos Hornos Vizcaya.
WIRTSCHAFT
Die Folgen der Pandemie haben vor allem kleine und mittelgroße Geschäfte nicht überlebt, in diesen Sektoren werden die Karten neu gemischt. Die Arbeitslosigkeit sinkt, geschaffen werden jedoch keine Arbeitsplätze von Qualität und Dauer, alles bleibt prekär. Die immens steigenden Strompreise haben zu einem allgemeinen Preisanstieg geführt, weil alle die zusätzlichen Kosten an die Verbraucher*innen weitergeben. Einer Inflation von 5% stehen stagnierende Familien-Einkommen gegenüber.
Großunternehmen wie VW in Pamplona-Landaben, Michelin und Mercedes in Gasteiz haben mit neuen Aufträgen und Investitionen die Produktion für die nächsten Jahre sichergestellt. Gelegentliche Kurzarbeit aufgrund von Lieferausfällen von Bauteilen sind zur Gewohnheit geworden. Bei Tubacex (Araba) wurden massive Entlassungen mit einem entschlossenen Streik verhindert. Nicht so beim Rüstungsbetrieb Aernnova in derselben Provinz, 82 Arbeitsplätze wurden gekürzt. Bei Alestis Gasteiz wurden 77 Stellen gestrichen, vor allem Frauen waren betroffen. Die Firma Valvospin in Amurrio wurde geschlossen, was den Verlust von 79 Arbeitsplätzen zur Folge hatte. In Pamplona wurden bei Miasa 95 Personen entlassen, 64 bei MTorres. In Bizkaia erklärte das Oberste Gericht die Entlassung von 90 Beschäftigten des Stahlbetriebs PCB als nicht rechtmäßig, die Betriebsleitung weigerte sich dennoch, die Entlassenen wieder einzustellen.
ZUKUNFT 2022
Die 22. Korrika durchläuft vom 31. März bis 10. April alle Provinzen des historischen Baskenlandes: Araba, Bizkaia, Gipuzkoa, Nafarroa, Nieder-Navarra, Soule und Zuberoa. Dieser Solidaritätslauf für die baskische Sprache geht elf Tage und Nächte lang auf 2.180 Kilometern von Amurrio nach Donostia durch eine große Anzahl von Orten. Lokale Gruppen organisieren die jeweiligen “Kilometer“ und geben die Staffelhölzer von einer Hand in die andere. Es geht um die Förderung der baskischen Sprache. *** Die baskische Radrundfahrt Euskal Itzulia kann im April die aktuell weltbesten Spitzenfahrer sechs Tage lang willkommen heißen. Auf sechs Etappen geht es ab 4. April von Hondarribia nach Eibar. *** Am 11. Juni 2022 feiert die bizkainische Industriestadt Portugalete ihren 700sten Geburtstag. Das heißt nicht, dass es den Ort nicht schon vorher gegeben hätte. Es ist vielmehr der Tag der Verleihung der Stadtrechte durch die damalige Landherrin von Bizkaia Maria Díaz Lope de Haro. *** Ob die großen Musik-Festivals stattfinden, steht in den Covid-Sternen, ebenso die ersehnten Fiestas. *** Die ungeliebte spanische Radrundfahrt Vuelta trifft im August in zwei Etappen auf Bilbao und führt gleichzeitig durch Gasteiz und Irun.
ABBILDUNGEN:
(1) Rückblick 2021 (publico)
(2) Streik (diario.es)
(3) Fußball (mundodeportivo)
(4) Protest (naiz)
(5) Sastre/Forest (premiosmax)
(6) Menschenrechte (naiz)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-01-21)