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Nicht nur eine Pandemie ...

Trotz Dauerthema Pandemie bietet ein baskischer Jahres-Rückblick 2020 weit mehr. Sicher haben viele Ereignisse mit dem Coronavirus und seinen Folgen zu tun, beleibe nicht alle. 2020 geht einher mit der Unmöglichkeit von Groß-Ereignissen, keine Fiestas, keine Rock-Festivals, keine Europa-Meisterschaft. Die baskische Natur (Bolintxu, Zaldibar, AHT) wurde weiter ausgebeutet, die Wirtschaft schwer gebeutelt. Die Monarchie (der anderen) ist am Ende, und Archäologie wird vor Gericht ausgetragen.

Die Fußball-Europa-Meisterschaft in Bilbao und alle Fiestas des Jahres blieben im Jahr 2020 auf der Strecke, ebenso die letzte Großwerft in Sestao, Bizkaia. Baskische Nachricht des Jahres war trotz der Coronavirus-Pandemie die Katastrophe in der Mülldeponie von Zaldibar, eine Geschichte von Korruption, eine Tragödie ohne Ende.

AHT – HOCHGESCHWINDIGKEIT

Der AHT-Hochgeschwindigkeits-Zug entzweit seit 20 Jahren die baskischen Gemüter. Aufgrund seiner Strecken-Form auch “baskisches Ypsilon“ genannt, führt dieser Zug auf drei Trassen durch die drei Provinzen der bergigen Region Euskadi: meist über Brücken und durch Tunnels. Gewerkschaften und Bürgerinitiativen fordern sehr wohl einen Ausbau der bisherigen, völlig unzureichenden Eisenbahn-Linien. Aber keinen Hochgeschwindigkeitszug. Denn der löst das Transport-Problem nicht. Um auf Geschwindigkeit zu kommen, kann der Zug lokale Haltestellen nicht bedienen und stoppt nur in den Hauptstädten. Dahinter steckt das aus Europa geförderte Konzept, Paris mit Madrid zu verbinden, ohne Rücksicht auf das Baskenland. Das anti-ökologische Projekt wird finanziert über den baskischen, den spanischen und den europäischen Haushalt. Milliarden fließen in ein europäisches Vorzeigeprojekt, das für die betroffene Region keinerlei Funktion oder Vorteil hat.

ARBEITSUNFÄLLE

70 Personen starben im Jahr 2020 in den Regionen des Baskenlandes bei der Arbeit, die meisten in der Industrie und im Baugewerbe, aber auch in der Landwirtschaft. In mehr als der Hälfte der Fälle handelt es sich um Bedienstete von Subunternehmen, die sich um Sicherheits-Auflagen wenig scheren. Die durchgeführten Arbeitsschutz-Kontrollen reichen bei Weitem nicht aus, um diese Fahrlässigkeiten ausfindig zu machen und zu bremsen. Kapitalismus ist tödlich.

2020x2ARCHÄOLOGIE

Streit um die Römerstadt: Dass Wissenschaft keineswegs objektiv ist, zeigt das Beispiel der Römerstadt Iruña Veleia, 10 Kilometer westlich der Euskadi-Hauptstadt Vitoria-Gasteiz. Dort wurden seit 2002 Ausgrabungen und 2006 spektakuläre Funde gemacht, die die Geschichte des Baskenlandes und seiner Sprache Euskara nachhaltig hätten beeinflussen können. Gefunden wurden Tonscherben, die mit lateinischen und baskischen Schriftzeichen und ägyptischen Hieroglyphen graviert waren. Für die einen bedeuteten diese Funde neue Erkenntnisse, für die anderen die Bedrohung ihrer bisherigen Forschungen mitsamt Literatur. Die Echtheit dieser Funde hätte bedeutet, dass die baskische Sprache früher als bislang angenommen im heutigen Baskenland existierte und eine Schriftform hatte. Deshalb wurden die gefundenen Tonscherben zu Fälschungen erklärt, die entsprechenden Archäologen wurden im Februar 2020 wegen Fälschung zu Haftstrafen verurteilt. Die Römerstadt wurde zum Politikum, an dem sich die politischen, historischen und wissenschaftlichen Geister im In- und Ausland scheiden.

BASKISCHE LINKE

Die baskische Linke – die Koalition EH Bildu mit Sortu, EA und Alternatiba als Komponenten – ist weiter auf dem Weg in die politische Mitte. Und auf dem Weg nach Madrid. Zur Überraschung vieler forderte der Chef-Koordinator Arnaldo Otegi seine Basis im Herbst auf, bei der Mitglieder-Befragung für die Zustimmung zum spanischen Staats-Haushalt zu stimmen. Die Abstimmung endete 95 zu 5 pro Spanien. Im Hintergrund wurde die Gefahr gezeichnet, die spanische Rechte könnte die sozial-liberale Koalitions-Regierung PSOE-Podemos zu Fall bringen. Deshalb ist Otegis Devise: besser schlechte Sozialdemokraten als noch schlimmere Ultrarechte in der Regierung. Dass mit dem Haushalt auch die korrupte Monarchie, neoliberale Wirtschafts-Politik, tödliche Migrations-Politik und ein anti-ökologischer Schnellzug abgestimmt wurden, wurde dabei nicht einmal diskutiert. Seit Jahren und umso mehr nach dieser Entscheidung, formiert sich links von EH Bildu eine neue außerparlamentarische Linke, die mit institutioneller Arbeit wenig am Hut hat.

BILBO – BILBAO

Das Jahr 2020 sollte für die Hauptstadt Bizkaias erneut zu einem historischen Jahr werden, an Coronavirus war dabei nicht gedacht. Bilbao sollte zu einem der 12 Spielorte für die Fußball-Europameisterschaft werden. Das hätte Millionen von Besucher*innen gebracht und Millionen Steuereinnahmen. Aus bekannten Gründen wurde daraus nichts. Zwar wurde der (in der Stadt ungeliebte) Event auf 2021 verschoben, aber niemand glaubt mehr daran, weil die Pandemie nicht unter Kontrolle zu kriegen ist. Der in den vergangenen Jahren stark gepuschte Tourismus ist ebenfalls in die Knie gegangen, Hotels und Ferienwohnungen bleiben zu oder müssen sich nach neuer Kundschaft umschauen, ins Guggenheim gehen nur noch einheimische. Die Tourismus-Gegnerinnen sind glücklich über diese Entwicklung, weil viele Negativ-Erscheinungen wegfielen und die Stadt endlich wieder den Eingeborenen gehörte.

Metro / Tempo 30: Die vielgelobte Metro-Untergundbahn wurde 25 Jahre alt, verlor jedoch viele Fahrgäste, weil Distanzlosigkeit in Zeiten von Coronavirus (vor allem zur Rush-Hour) nicht gefragt ist. / Im September beschloss die Stadtregierung, sich jenen europäischen Städten anzuschließen, die im Stadtgebiet Tempo 30 als Maximal-Geschwindigkeit vorgeben. Offizielles Ziel ist die Reduzierung der Unfälle und der Abgas-Emissionen sowie eine bessere Koexistenz mit Radfahrer*innen. Eine gute Entscheidung, mit dem Nachteil, dass sie nicht eingehalten wird, weil es keine Kontrollen gibt. Viele sprechen deshalb von einer Entscheidung für die Galerie und um die Stadt wieder einmal in die internationalen Schlagzeilen zu bringen. Tatsächlich ist Bilbao die erste Stadt im Staat mit mehr als 300.000 Einwohner*innen, die eine solche Maßnahme beschloss.

Streik: Rekordverdächtig war der Streik im Hafen Bilbao (der mittlerweile außerhalb der Stadt in Meeresnähe liegt). Die 315 Ladearbeiter (estibadores) gingen 57 Tage in den Ausstand, die Hafenbehörde verhandelte nicht, Lastwagen standen Schlange und eine Menge Einnahmen gingen verloren. Am Ende musste ein Schiedsspruch des spanischen Arbeits-Ministeriums helfen, um die Streitparteien an einen Tisch zu bringen. Ein Abschluss liegt noch nicht vor, im Hintergrund steht eine Liberalisierung der Arbeitsverhältnisse im Hafen, ein Thema, das auch bei Hafenarbeitern in anderen spanischen Regionen auf starkes Interesse stößt.

DONOSTIA

Nach dem Rummel um die europäische Kulturhauptstadt ist in der Küstenstadt relative Ruhe eingekehrt. Wegen der Pandemie fiel die jährliche Sommer-Invasion französischer Tourist*innen weitgehend aus. Das Internationale Zinemaldia-Filmfestival zwar nicht, musste sich aber mit wenig Besucher*innen auf die Medien-Darstellung beschränken. Zweites bemerkenswertes Ereignis war, dass das spanische Verteidigungs-Ministerium die Loyola-Kasernen gegen entsprechendes Kleingeld an die Stadtverwaltung abgeben wird. Damit erfüllt sich aus Stadtsicht ein lang gehegter Traum. Möglich wurde dies durch die Verhandlungen der PNV-Partei über den Staats-Haushalt, die Kasernen waren der politische Preis für die Zustimmung. Die direkt im Stadtgebiet liegenden Loyola-Kasernen bieten enorme urbanistische Möglichkeiten. Gleichzeitig symbolisieren sie ein wichtiges Kapitel in der Donosti-Geschichte: Nach dem Militärputsch der Franquisten wurden die Kasernen von Anarchisten zurückerobert und konnten immerhin bis September 1936 gehalten werden, bis die Aufständischen Nachschub aus Navarra erhielten.

ERTE GEGEN ARBEITSLOSIGKEIT

Mit diesem Programm vorübergehender Arbeitslosigkeit steuerte die Zentralregierung gegen einen sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit durch Entlassungen. Der Staat übernahm dabei Lohnzahlungen bei Unternehmen, die wegen der Covid-Schutzmaßnahmen kurzzeitig geschlossen werden mussten. Die Unternehmen verpflichteten sich gleichzeitig, dieses Personal nach Ablauf der ERTE-Zahlung wenigstens ein halbes Jahr weiter zu beschäftigen. In den Genuss dieser Maßnahme kamen sowohl Minibetriebe wie Kneipen alsauch Multis vom Typ Mercedes in Gasteiz. Die baskischen Arbeitgeber distanzieren sich mittlerweile von diesem Programm und wollen Entlassungen durchsetzen.

FIESTAS

Seit Beginn des Lockdown war es absehbar: Die baskischen Fiestas waren angesichts der Pandemie unmöglich durchführbar. Die San Fermines von Iruñea-Pamplona, Hemingways Lieblings-Orgie, waren die ersten, die (für Juli) gecancelt wurden. Es folgten die Festwochen der anderen Hauptstädte Baiona, Gasteiz, Donostia und Bilbao und sämtliche lokale Jaiak. Weil sich viele mit dieser enttäuschenden Absage nicht abfinden konnten, kam es in einigen Orten zu sogenannten “Nicht-Fiestas“ (No-Fiesta), bei denen illegale Treffen und Besäufnisse organisiert wurden, teilweise mit anschließendem Zusammenprall mit den Ordnungskräften. Besonders heftig trafen die Fiesta-Absagen die Initiativen und Festgruppen der sozialen Bewegungen im Baskenland, die überall Tausende von Kultur-Aktivitäten organisieren und von den Fiesta-Einnahmen ihre politischen Aktivitäten über das Jahr finanzieren. Ihre teilweise kritische Situation hat zu einem regelrechten Wettlauf um Crowdfunding geführt. Abgesagt wurden auch Großereignisse wie das Kobetamendi-Rockfestival mit normalerweise 120.000 Besucher*innen. Ebenso viele kommen üblicherweise jeweils zu den fünf Provinz-Fiestas der baskischen Schulen, mit deren Erlös neue Projekte finanziert werden. Alle Diskotheken und Konzertsäle sind seit August geschlossen.

2020x3FILM

Von Kino zu sprechen ist out. Mehr denn je während einer Pandemie, die viele dazu genutzt haben (oder sich dazu gezwungen sahen), sich in die neuen Film-Plattformen einzukaufen, um die neue Kinowelt zu Hause auf dem Sofa zu konsumieren. Kinos als Orte von Massenkultur wurden in Zeiten von Ansteckung und Abstand zu No-Go-Areas. Beim Heim-Kino geht die Tendenz weg von den Fernseh-Kanälen und hin zu den Plattformen, bei denen die interessantesten Neuheiten produziert werden.

“Patria“: Zum Renner des Jahres wurde die Verfilmung des Verkaufs-Schlagers auch unter den Büchern über den Konflikt im Baskenland: “Patria“ (Vaterland) von dem in Deutschland lebenden Autor Fernando Aramburu. Inhalt von Buch und Film ist eine Aufarbeitung der Geschichte der Gewalt zwischen ETA und spanischen Sicherheits-Kräften. Der Plot: Ein Dorf wird gespalten an der Frage, wer zu wem hält. Das Thema lässt niemanden gleichgültig, von einigen wurde “Patria“ hochgejubelt, von anderen als mieses propagandistisches Machwerk betitelt.

“La Línea Invisible“ (Die unsichtbare Linie) ist ein weiterer Plattform-Beitrag zur Geschichte von ETA. Es geht um das erste tödliche Attentat im Jahr 1968 gegen den Faschisten und Folterer Manzanas. Auch zu dieser Produktion in vier Teilen gingen die Meinungen weit auseinander. Für die Rechte kamen die ETA-Militanten zu gut weg, für Linke war die Darstellung des Nazis-Kollaborateurs unerträglich.

"Caminho Longe" - hinter dem portugiesischen Titel verbirgt sich ein ausgesprochen baskisches Thema. Der Aktivist Alfonso Etxegarai blieb ganze 31 Jahre auf Sao Tomé deportiert, einer kleinen Insel am afrikanischen Äquator. Die jungen Filmemacher Josu Martínez und Txaber Larreategi hatten mit "Sagarren Denbora" (Zeit der Äpfel) bereits vor 10 Jahren Etxegarais Fall dem baskischen Publikum vorgestellt. Nun kehrte der aus Bizkaia stammende Langzeit-Deportierte zurück und wurde dabei vom selben Filmteam begleitet. 

“Altsasua“ war ausnahmsweise eine Produktion des öffentlichen baskischen Fernsehens, mitten in der Pandemie und in baskischer Sprache. In vier Teilen wurde die Geschichte eines Kneipenkonflikts im Jahr 2016 zwischen linken Jugendlichen und der Guardia Civil (in zivil) geschildert, aus dem die spanische Justiz einen Terrorismus-Vorwurf ableitete und der zu langen Haftstrafen führte. Spanische Rechte und Guardia Civil forderten die unmittelbare Absetzung der Miniserie, weil sie als “Terroristen-freundlich“ identifiziert wurde. EITB weigerte sich, dieser Drohgebärde zu folgen.

“La trinchera infinita“ (Der unendliche Schützengraben) ist auf dem Weg nach Los Angeles. Erzählt wird die Geschichte eines Paares in Zeiten des Spanienkrieges. Auf der Flucht vor den Franquisten versteckt sich Higinio in einem Erdloch im eigenen Haus, bei aller Liebe zu Rosa wird aus dem Provisorium ein 30 Jahre dauerndes Drama. Eine reale Geschichte. Von der Film-Akademie wurde der Film zum spanischen Beitrag für die Oscar-Preise 2021 ausgewählt.

FLUCHT UND MIGRATION

Seit etwa fünf Jahren kritisiert die Bewegung “Ongi Etorri Errefuxiatuak“ (Herzlich willkommen Flüchtlinge) die migrations- und migranten-feindliche Politik der baskischen und der spanischen Regierung. Diese Anstrengung hat im vergangenen Jahr eine wichtige Stärkung erhalten. Die Migrant*innen selbst haben begonnen, sich zu organisieren und als politische Subjekte öffentlich aufzutreten. Hauptforderung der Gruppen aus Afrika und Lateinamerika ist die Legalisierung aller Migrant*innen: Papiere für alle.

Thema für viele war der Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria und die Folgen für die Lagerleute, insbesondere angesichts der Bedrohung durch das Coronavirus. Die Initiative der Straßenverkäufer Mbolo Moye Doole streitet darum, ihre Leute vor der Polizei-Repression zu schützen. Die Arbeit gegen rassistische Polizei-Übergriffe in Bilbaos Migrations-Stadtteil San Francisco war ein weiteres wichtiges Thema für die Bewegung.

FRACKING

Bereits vor Jahren scheiterten die Pläne, in der Provinz Araba mittels der Fracking-Technik nach Gas zu bohren. Erneut wurde nun versucht, in der Gegend der Hauptstadt Vitoria-Gasteiz eine Fundstelle aufzumachen. In Subijana-Armentia wurde ein unterirdisches Gaslager vermutet, das den baskischen Energie-Bedarf angeblich über Jahre gesichert hätte. Das hätten die Probe-Bohrungen gezeigt. Aus diesen Plänen wird nun vorläufig nichts. Denn eine urbanistische Norm zwang den PNV-Bürgermeister, den Antrag abzulehnen. Die Gesellschaft für Kohlenwasserstoffe SHESA, deren Hauptaktionärin die baskische Regierung ist, will gegen diese Entscheidung vorgehen. Solange muss sie sich mit dem Fracking-Projekt in der Region La Rioja zufrieden geben, wo sie Schürfrechte besitzt. Dort wird seit Jahren gebraben.

2020x4FUSSBALL

Fußball-EM: Wichtigstes Sportereignis des Jahres 2020 sollte im Baskenland (und selbstverständlich in Spanien) die Fußball-Europa-Meisterschaft (Eurocopa) sein. Dafür war Bilbao als “spanischer“ Austragungsort ausgewählt. Es sollte die erste dezentrale EM werden, mit insgesamt 12 Spielorten und einem entsprechend gigantischen Reiseaufwand für Teams und Publikum. Die baskischen Fans waren von diesem Event überhaupt nicht begeistert, weil er drei Spiele der ungeliebten spanischen Auswahl vorsah – einmal mehr wurde deshalb die internationale Zulassung einer baksichen Fußball-Auswahl gefordert. Geplant war bereits ein Anti-Eurocopa-Kongress – doch dann kam Covid und machte alles hinfällig. Zwar wurde die Eurocopa in der Not auf 2021 verschoben, aber die Zweifel bleiben. Erstens ist kaum vorstellbar, dass die Pandemie bis Juni überwunden ist; zweitens gibt es in der UEFA Überlegungen, zum alten Modus zurückzukehren und das Turnier in einem Land auszutragen. Womöglich ohne Zuschauer*innen oder mit reduziertem Publikum, in einer Stadt mit mehreren Stadien, London zum Beispiel. Damit wäre Bilbao aus dem Spiel. Weiter verschoben werden kann nicht, weil die nächste WM vor der Tür steht.

Pokalfinale: Zweiter Hit war die Tatsache, dass überraschend die Teams aus Donostia und Bilbao das “spanische“ Pokalfinale erreichten. Die Pandemie machte aus diesem Endspiel eine Dauerdiskussion. Mehrfach wurden neue Termine abgesprochen und wieder abgesagt. Am Ende einigten sich die beiden Clubs, das Finale erst dann auszutragen, wenn Publikum wieder zugelassen ist. Das sollte eigentlich im April 2021 der Fall sein, doch inzwischen ist auch dieser Termin utopisch, weil sich die Pandemie nicht kontrollieren lässt und zu jener Zeit wahrscheinlich die vierte Welle grassiert.

Profi-Ligen: Der Pandemie-Lockdown zwischen März und Juni machte einmal mehr die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern im Fußball deutlich. Bei den Chicos wurde der Spielbetrieb – ohne Zuschauer*innen und mit viel Termin-Problemen – wieder aufgenommen, bei den Chicas nicht. Zu viel Geld und mediale Übertragungsrechte standen auf dem Spiel. Sportlich qualifizierte sich Real Sociedad San Sebastian für die Europa-League, absteigen musste kein baskisches Team. Bei den Frauen stieg mit SD Eibar ein drittes baskisches Team in die erste Liga auf. Bei Athletic beendete Torhüterin Ainhoa Tirapu nach 16 Jahren ihre Karriere, nachdem sie vorher die Spielerinnen-Gewerkschaft in einen Streik geführt und so den ersten Tarifvertrag für Profi-Kickerinnen erreichte. Auch bei den Männern machte eine Legende Schluss: Aritz Aduriz musste mit fast 40 Jahren seine dritte Etappe bei den Rot-Weißen wegen einer Hüftoperation beenden.

Selekzioa: Ende des Jahres stellte der baskische Fußball-Verband einen offiziellen Aufnahme-Antrag bei UEFA und FIFA – die Spanier fanden das gar nicht lustig und kündigten umgehend die Verweigerung jeglichen Dialoges an. Einen kleinen Erfolg hat der baskische Verband schon errungen: An dem von der UEFA für Qualifikations-Spiele belegten Herbsttermin dürfen auch die Basken “Länderspiele“ austragen, zuletzt gegen WM-Teilnehmer Costa Rica (2:1-Erfolg).

Osasuna: Das Profiteam von CF Osasuna (aus Iruñea-Pamplona) feierte sein 100-jähriges Bestehen unter fragwürdigen Umständen. Denn nachdem sie vor Jahren bei Bestechungsversuchen erwischt wurden, steht eine Reihe von ehemaligen Club-Funktionären vor Gericht und muss sich auf Haftstrafen einstellen. Die dunkle Seite des baskischen Fußballs. Das Jubiläumsspiel gegen Athletic wurde jedenfalls gewonnen.

GASTEIZ – VITORIA

Ruhige Zeiten in der Euskadi-Hauptstadt. Das geplante Fracking widerspricht gesetzlichen Normen und kann nicht genehmigt werden, vorerst zumindest. / Das mittlerweile in halb Europa bekannte besetzte Stadtviertel Errekaleor existiert trotz immer wieder ausgesprochener Räumungsdrohungen weiter. / Das Basketball-Team Saski Baskonia hat im Final-Four unter Pandemie-Konditionen überraschend den spanischen Liga-Titel gewonnen. / Deportivo Alavés hat in der ersten spanischen Fußball-Liga ein weiteres Jahr den Klassenerhalt geschafft. / Die aus der Stadt stammende Erfolgs-Schriftstellerin Eva García Sáenz erhielt für ihren Historien-Roman “Aquitania“ den ehrwürdigen Planeta-Preis. Nachdem ihre faszinierende Thriller-Trilogie um den Kommissar Ayala auch in die deutsche Sprache übersetzt wurde, wurde aus einem der drei Werke bereits 2019 ein Film gemacht.

GOLF

Einer der wenigen Sportarten, die mangels Zuschauer-Massen problemlos weitergehen konnten war ... Golf. Ausgerechnet in diesem millionenschweren Bereich der Leibesübungen kam es zu einem baskischen Ranglisten-Durchbruch. Der in Barrika (Bizkaia) geborene und seit Jahren in den USA lebende Jon Rahm Rodriguez (*1994) erreichte nach wiederholten Turniersiegen das Sahnehäubchen seiner Sportart und führte zumindest zwei Monate lang die Welt-Rangliste seiner Zunft an. Vorher belegte er bereits die Nummer eins bei den universitären Nichtprofis. Rahm ist es zu verdanken, dass seit ca. drei Jahren keine Woche vergeht (zeitweise kein Tag) ohne umfangreiche Berichterstattung in baskischen Tageszeitungen über Trumps Lieblings-Sport.

HURRIKAN ETA

Dass im Oktober 2020 ein Hurrikan so benannt wurde, ist mit großer Wahrscheinlichkeit keine späte Hommage für die baskische Untergund-Organisation. ETA begann am 31. Oktober im Golf von Mexiko und zog im Laufe seines Verlaufs zuerst nach Florida und dann über die Länder Mittelamerikas hinweg. Bleibt die Frage, welcher Idiot auf diese Namens-Idee kam? Einzige Erklärung könnte sein, dass ETA eine zweite Bedeutung hat, auf Baskisch bedeutet es “und“ – ein Hurrikan namens “Und“.

INTERNATIONALES

US-Wahlen: Wie fast die ganze Welt blickte auch das Baskenland am 4. November 2020 in die USA, weil sich dort entscheiden sollte, ob der Faschist Trump weiter seine Spuren in die Weltgeschichte setzt. Besondere Note aus baskischer Sicht war, dass im Nordwesten viele euskaldune Einwanderer leben, die sich mehrheitlich den Republikanern zugehörig fühlen. Im Baskenland selbst hingegen waren nur die Ultras von Vox für die Wiederwahl des großen Blonden, selbst im Fernsehen machte man keinen Hehl aus der Ablehnung des bisherigen Amtsinhabers und seines rassistischen und autoritaristischen Stils.

“Die Gründungs-Väter der ersten modernen Demokratie der Welt waren alle Sklavenbesitzer“, schrieb dazu der baskische Journalist Mikel Reparaz. “Das Land wurde aufgebaut auf der Ausbeutung dieser kostenlosen Arbeitskräfte, aus denen eine unterdrückte Minderheit wurde, die die Folgen bis heute zu erleiden hat.“ Reparaz ist Auslands-Korrespondent des öffentlichen baskischen Fernsehens EITB. Er war jahrelang in den USA und hat Interviews geführt mit Vertretern aller denkbaren politischen Richtungen. Diese Arbeit hat zur Herausgabe eines Buches geführt, mit dem Titel “Las grietas de Amerika“ (Die Risse Amerikas). Bilanz: “Rassismus gehört zum Erbgut der US-Demokratie.“

Palästina: Dass es der Trump-Administration gelang, die arabischen Länder weiter auseinander zu treiben, wurde im Baskenland mit großer Besorgnis zur Kenntnis genommen. Das Emirat Oman war (zu welchem Preis auch immer) bereit, Israel und die fortschreitende Besetzung Palästinas anzuerkennen. West-Sahara: Kurz darauf stand Marokko gleich doppelt im Scheinwerferlicht. Zuerst, weil der nordafrikanische Staat einen neuen Krieg provozierte gegen die Polisario-Armee, die für einen unabhängigen Staat West-Sahara steht. Zudem, weil Marokko Israel ebenfalls anerkannte, zu dem Preis, dass die USA die illegitime Besetzung der Sahara-Gebiete akzeptieren und sie Marokko zuschlagen. Damit hat die UNO ein zusätzliches Problem. Vor 30 Jahren garantierte sie ein Referendum zum Thema West-Sahara, was Marokko zu verhindern wusste. Der nun angezettelte Krieg ist auch auf den Straßen des Baskenlandes sichtbar. Einerseits durch die vielen marokkanischen Migrant*innen (die sich in diesem Fall eher bedeckt halten); und durch Tausende von Saharauis, die seit Jahrzehnten wohl integriert und geschätzt im Baskenland leben und nun in großen Demonstrationen ihre Wut in die Welt schreien. In Jahren ohne Pandemie kommen Hunderte Saharaui-Kinder ins Baskenland, um hier in Familien die Sommermonate zu verbringen und nebenbei einen Gesundheits-Check bei Osakidetza zu machen.

Brexit: Weil es im Baskenland vielseitige gute Beziehungen zu Nordirland, Schottland und England gibt, waren viele –Geschäftsleute, Studierende, Arbeitsmigrant*innen – besorgt um die Folgen von Brexit und die künftigen Bedingungen für Geschäfte und Aufenthalt. Erste Reaktion auf das im Dezember erfolgte Abkommen war Erleichterung, es muss sich zeigen, wie die konkrete Praxis aussieht. Von Bilbao geht täglich eine Fähre nach Portsmouth, das soll so bleiben. Wenn möglich ohne Touristen.

2020x5MENSCHENRECHTS-PREIS

Den Menschenrechts-Preis René Cassin, vergeben durch die baskische Regierung, erhielt 2020 der baskische Mediziner und Psychologe Carlos Martín Beristain, der sich mit seiner Arbeit um Menschenrechts-Verletzungen in Lateinamerika einen Namen gemacht hat. In der Wahrheits-Kommission Guatemalas und zuletzt in jener von Kolumbien. Der Preis ist benannt nach dem aus Baiona (Bayonne) stammenden Juristen René Cassin (1887-1976), der einer der Verfasser der universellen Menschenrechts-Erklärung war und im Jahr 1968 den Friedens-Nobelpreis erhielt. Der Cassin-Preis wird seit 2003 an Personen und Organisationen verliehen, die sich um Menschenrechte und Rechte von Minderheiten verdient gemacht haben. 2017 (zum Beispiel) an eine Organisation, die sich um sexuelle Vielfalt und LGTBI-Rechte in Uganda bemüht. 2015 ging der Preis an die Plattform, die über eine Klage in Argentinien die Verurteilung franquistischer Verbrechen erreichen will.

MÜLL

Müll-Vermeidung, Müll-Trennung, Müll-Deponierung, Müll-Verbrennung – Dauerthemen im Baskenland. Solange sich mit Müll Geld verdienen lässt und Müll-Verbrennung rentabel ist, kann von Trennung und Vermeidung keine Rede sein. Die baskische Linke von EH Bildu wurde in Gipuzkoa nach einem Versuch konsequenter Trennung abgewählt. Die PNV in der Nachfolge ließ in Zubieta im Schweinsgalopp eine Verbrennungsanlage bauen, während jene in Bilbao nicht ausgelastet ist. Derweil wurde der Müll für viel Geld nach Kantabrien gefahren. Zuletzt machte der Supergau in einer halblegal geführten Deponie in Bizkaia deutlich, dass eine Mafia es wohl versteht, gutes Geld mit Müll zu verdienen. In Zaldibar war ein ganzer Müllberg abgerutscht und hatte Todesopfer gefordert (siehe Umwelt-Katastrophe), die Regierungsparteien PNV und PSE waren mit Postenschiebereien im Todesgeschäft beteiligt. In Zubieta fürchten die Anwohner*innen Emissionsgifte, in Zaldibar bleibt ein Toter unter Tausend Tonnen Müll verschollen.

MUSIK

Pandemie ohne Fiestas, Festivals, Konzerträume und Musikmesse – so wurde die Berufsgruppe der Musiker*innen zu den großen Leidtragenden des Jahres. Mehr denn je wurde deutlich, wie prekär die Existenz dieser geliebten Kulturschaffenden ist, die vielfach von der Hand in den Mund leben, ohne jegliche Sicherheit für die kommende Zeit – gemeinsam mit den Bühnen-Monteur*innen für Konzerte, Events und Theater. Letztere organisierten sich und führten eindrucksvolle Demonstrationen durch.

Nach dem Bühnen-Abschied der legendären Band Berri Txarrak im vergangenen Jahr, gab es im September Todesnachrichten. Im Alter von 54 Jahren starb Iñigo Muguruza, Gitarrist der ebenfalls populären Bands Kortatu und Negu Gorriak, treibende Kraft von Delirium Tremens, Sagarroi und Joxe Ripiau, sowie Bruder von Fermin und Javier Muguruza, an Krebs. Wenige Tage nach Jahreswechsel 2021 starb mit 58 Jahren der Gitarrist, Sänger und Gründer der navarrischen Rockgruppe Barricada (1982-2013), Francisco Javier Hernández Larrea, besser bekannt unter seinem Spitznamen Boni, an Kehlkopf-Krebs.

NATURZERSTÖRUNG

Eine der letzten ökologischen Verheerungen der neoliberalen PNV-Regierung trägt den Namen Bolintxu. Es handelt sich um ein schwer zugängliches Tal nahe Bilbao, das nun einer Autobahn-Verbindung zum Opfer fällt. Aufgrund seiner Abgelegenheit ist Bolintxu ein Ort von seltener Flora und Fauna, damit ist Schluss. Vor zehn Jahren hatte die PNV eine Umgehungs-Autobahn als Entlastung der durch Bilbao führenden Autobahn bauen lassen, die weitgehend ungenutzt bleibt. Nun soll diese Umführung verbunden werden mit der nach Gasteiz führenden A-68, was eine Weg-Ersparnis von ca. drei Kilometern darstellt. Dafür muss Bolintxu sterben, weil eine Brücke durch das enge Tal gebaut wird.

PELOTA

Wie viele Sportarten wurde auch das baskischste aller Ballspiele von der Pandemie im Herzen getroffen. Alle drei Varianten – Holz, Hand und Korb – wurden suspendiert. Vor allem das populäre Esku-Pilota (Hand-Pelota), das regelmäßig live im Fernsehen übertragen wird und die einzige sportliche Konkurrenz zum Fußball darstellt, war stark betroffen. Das kurz vor dem Finale stehende Doppelturnier wurde unterbrochen, die Spieler wurden in den Hausarrest geschickt und konnten wochenlang nur noch gegen die Wohnzimmer-Wand oder die Garagentür trainieren.

Nach der Wiederaufnahme der Aktivität im Herbst gewannen im Dezember Ezkurdia und Martija gegen Olaizola II und Urrutikoetxea das Doppelturnier. Das im Schnellgang ausgespielte Manomanista-Einzelturnier brachte eine Überraschung und bescherte Erik Jaka seine erste “Txapela“ als Profi (eine Baskenmütze als Zeichen des Siegers) gegen den Favoriten Jokin Altuna. Beim ebenfalls in kurzen Zügen durchgeführten “Lau t'erdi“-Einzelturnier (Cuatro y media / Viereinhalb – mit anderen Spielregeln) schaffte der junge Altuna die Revanche gegen Jaka und gewann klar sein zweites 4½ Turnier. Dabei stellte er den Rekord auf, zum 5. Mal in Serie im Finale zu stehen.

2020x6Streik: Erwähnenswert ist der erste Ausstand im Männer-Pelota, bei dem es im November um die Rücknahme von Entlassungen und bessere Bezahlung ging und dem mehrere Turniere zum Opfer fielen. Das Seltsame in diesem Sport ist, dass sich drei zahlungsfähige Unternehmer den Kuchen teilen, ohne Ortsbezug, ohne Clubs, ohne Lokalkolorit. Der Streik endete erfolgreich. Bleibt festzustellen, dass Pelota nicht nur als Sport einen wichtigen Platz in der baskischen Kultur einnimmt, sondern auch als Wettplatz. Denn während der Partien nehmen Wettanbieter (corredores) vom Spielfeldrand aus Wetten zum Spielausgang entgegen, eine alte baskische Tradition. Oder auch Unsitte, die derzeit suspendiert ist, weil keine Zuschauer*innen zuglassen sind. Bis heute stellen Männer die große Mehrheit des Publikums bei Pelota-Spielen. Frauen-Pelota wird derzeit kräftig gefördert und hat den Sprung in die Live-Übertragungen und langsam auch in die Gunst der Zuschauer*innen ebenfalls geschafft.

POLITISCHE GEFANGENE

Auch neun Jahre nach dem Ende von ETA, drei Jahre nach der freiwilligen Entwaffnung, sitzen in spanischen und französischen Gefängnissen nach wie vor Hunderte von Gefangenen, alle weit entfernt von ihren Wohnorten, teilweise schwer krank oder über siebzig Jahre alt. Erst die neue Regierung PSOE-Podemos begann mit einer vorsichtigen Änderung dieser Vergeltungs-Politik. Mittlerweile wurden 30 bis 40 Gefangene angenähert, die Mehrzahl in baskische Nachbar-Regionen, einige sogar in baskische Gefängnisse. / Die in einem mit Polemik geführten Verfahren verurteilten katalanischen Politiker*innen wurden von den katalanischen Knast-Behörden mit Freigang bedacht, doch die spanische Justiz konterte und machte die Maßnahme rückgängig. Der katalanische Ministerpräsident Torrà wurde über ein Verfahren wegen Ungehorsams zum Rücktritt gezwungen. Spanische Justiz ist politische Justiz, das erfuhren auch Jugendliche aus Altsasua, die wegen einer Körperverletzung wegen “Terrorismus“ vor Gericht gestellt und zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden. Ihre Haft nähert sich dem Ende.

RASSISMUS

Die Polizei in Bilbao, Stadtpolizei und Ertzaintza, nutzte die Lockdown-Situation zu Personen-Kontrollen mit rassistischem Charakter. In einer Zeit, in der es keinerlei Möglichkeit zu öffentlichen Protesten gab, abgesehen von Töpfeschlagen vom Balkon. Kontrolliert wurden fast ausschließlich Personen, die als Migrant*innen erkennbar waren. Augenzeugen, die solche Polizei-Übergriffe mit Mobiltelefonen filmten, erhielten hohe Bußgelder. Während des Lockdowns entstand auf diese Art ein Zustand von repressiver Handlungsfreiheit für die Sicherheitskräfte. Dieser rassistische Umgang beschränkte sich auf den Bilbao-Stadtteil mit der größten Zahl von Migrant*innen und wiederholte sich bezeichnenderweise an keinem anderen Ort des Baskenlandes.

RENTNERINNEN AUF DER STRASSE

Drei Jahre sind es bereits, in denen baskische Renter*innen für eine würdige und ausreichende Rente auf die Straße gehen. Mit Ausnahme der Lockdown-Zeit an allen Montagen, in vielen Städten von Hegoalde (Süd-Baskenland) gleichzeitig. Gefordert wird eine Minimal-Rente von 1.080 Euro, für Pflegebedürftige sollen es 1.200 Euro sein. Nicht nur zu den montäglichen Kundgebungen kommen regelmäßig viele Personen, auch zu den Demonstrationen, die alle zwei Monate organisiert werden, teilweise mit anderen kämpferischen Berufsgruppen zusammen, wie den Altersheim-Beschäftigten oder Vertreter*innen aus dem Gesundheits-Bereich. Besonders unterstrichen wird jeden Montag die Situation von Frauen und Witwen, die bei den Renten völlig unterversorgt sind und zu den Ärmsten der Gesellschaft gehören.

SOZIALPOLITIK

Die Chronologie der Coronavirus-Pandemie erfolgt bei baskultur.info an anderer Stelle. Hier geht es um die Konsequenzen. Die Folgen der Pandemie haben die Mängel deutlich gemacht, die das neoliberale Gesellschafts-Modell auch im Baskenland charakterisieren. Vor Covid lebten 30% der baskischen Bevölkerung in relativer Armut, 10% waren von sozialer Ausgrenzung bedroht. Nachdem der informelle Sektor durch den Lockdown ohne jegliche Abfederungs-Maßnahmen im Nichts verschwand – Straßenverkauf, Müllsammeln, Prostitution, Obdachlose – kam es in Einzelfällen zu dramatischen Situationen, die durch Nachbarschafts-Hilfe mühsam und unzureichend aufgefangen wurden. Stark betroffen sind die üblichen Randgruppen: Migrant*innen, Frauen und sozio-politische Initiativen zur Verbesserung der Situation von Marginalisierten.

Kürzung von Sozialausgaben und Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen sind zwei Seiten neoliberaler Politik. Sozialausgaben wurden in den vergangenen Jahrzehnten derart eingefroren oder beschnitten, dass Extrem-Situationen wie eine Pandemie nicht mehr bewältigt werden können. Dabei steht Euskadi nicht einmal am schlechtesten da. Privatisierung bedeutet die Einführung kapitalistischer Mechanismen in Bereichen, in denen solche Markt-Konzepte tödliche Folgen haben. Private Gesundheits-Versorgung soll nicht die Gesundheit garantieren, sondern Profite für die Aktionäre, weil die Klientinnen zur wohlhabenden Klasse der Gesellschaft gehören. Den Armen bleibt das geschrumpfte öffentliche System vorbehalten. Im Baskenland sind es die PNV und die sozialdemokratische PSE, die eine solche Politik vorantreiben.

SPANIEN

Am 7. Januar 2020 wurde die erste Koalitions-Regierung des spanischen Post-Franquismus gewählt, eine soziale-liberale Verbindung zwischen der sozialdemokratischen Partei PSOE und der ehemaligen Protestpartei Podemos. Als Minderheits-Regierung waren (und sind) kontinuierliche Abstimmungs-Verhandlungen notwendig, an denen alle politischen Kräfte beteiligt sind außer den Faschisten von Vox. Für die spanische Rechte war es ein Skandal, dass sich Sanchez von katalanischen Unabhängigkeits-Befürwortern zum Ministerpräsidenten wählen ließ. Die baskischen Kräfte – PNV und EH Bildu –konnten bei Votationen entscheidende Rollen spielen. Für die PNV geht es um die Übertragung von längst fälligen Kompetenzen aus Madrid, für Bildu geht es um politische Anerkennung nach ETA. Die PNV zieht aus ihrem Management politischen Profit, Bildu zahlt zu Hause einen politischen Preis. Mit dem Einzug der faschistischen Partei Vox in die Parlamente (mittlerweile auch im Baskenland) erhalten neo-franquistische, rassistische und frauenfeindliche Statements immer mehr Raum in der täglichen Berichterstattung. Für die postfranquistische PP und die rechte Partei Ciudadanos ist Vox ein geeigneter Partner für parlamentarische Mehrheiten. Im Baskenland wurde die einzige Vox-Abgeordnete medial isoliert.

Monarchie am Ende: Die spanische Monarchie – im Baskenland mit großer Mehrheit abgelehnt – ist in ihrem Ansehen am Tiefpunkt angelangt. Eröffnet wurde eine öffentliche Diskussion, ob sie abgeschafft werden soll. Die Negativ-Protagonisten: Vater, Sohn und Schwiegersohn. Letzterer sitzt wegen millionenschweren Betrugs im Knast. Der Borbone Juan Carlos I. trat vor sieben Jahren zurück, weil er nach einer Vielzahl von Skandalen (Elefantenjagd, Sex-Geschichten, illegale Kommissionen für Geschäftshilfe, Schwarzkonten in Steuerparadiesen, Korruption auf höchster Ebene) nicht mehr tragbar war. Mitten in der Pandemie, August 2020, floh der Borbone nach Saudi Arabien, weil mittlerweile staatsanwaltliche Untersuchungen liefen. Weihnachten 2020 machte er einen Deal mit der spanischen Steuerbehörde und zahlte eine dreiviertel Million Steuern nach für vorher nicht deklarierte Einnahmen. Thronfolger Felipe II. als Oberbefehlshaber des Militärs schweigt zu den öffentlich geäußerten Genozid-Phantasien alter und neuer Generäle mit franquistischem Gedankengut.

2020x7TODES-NACHRICHTEN

Antonio Alvarez Solis (1929-07-30 / 2020-03-30) war kein Baske, sondern ein echter Madrileño. Journalist, der für eine Unzahl von Zeitungen und Radios arbeitete, in seinen letzten Lebens-Jahrzehnten auch im Baskenland. Für Radio Euskadi sprach er eine tägliche Kolumne, für Deia und Gara schrieb er solche. Einer der wenigen Nicht-Basken, die die baskische Unabhängigkeits-Seele verstand und nicht verurteilte. Auf der schwierigen Suche nach Wieder-Legalisierung wurde er zu einem der wenigen Spanier, die sich für eine Kandidatur für die baskische Linke bereit fanden, was ihm enorme Sympathie einbrachte.

Joxe Ulibarrena (1924-01-25 / 2020-04-20) Bildhauer und Anthropologe aus dem Süden Navarras. Als er 12 Jahre alt war, wurden sein Vater und eine 15-jährige Kusine von den Franquisten erschossen, später wurde er Zeuge von weiteren Erschießungen, was seine Seele prägte. Aufgrund seiner Opposition gegen den Franquimus musste er sieben Jahre nach Venezuela ins Exil. Der antifaschistische Erinnerungs-Park in Sartaguda (das Dorf der Witwen) und das monumentale Denkmal für die Schlacht in Noain (kastilische Eroberung Navarras 1512) gehen auf Ulibarrena zurück.

Jose Luis Zumeta (1939-04-19 / 2020-04-23) studierte Kunst in Madrid, Stockholm und London, arbeitete mit Mendiburu, Oteiza, Chillida, Balerdi und Basterretxea zusammen und war 1965 Mitgründer der avantgardistischen Kunstgruppe Gaur. Zumeta entwickelte einen abstrakt-farbenfrohen Stil und blieb dem Baskenland und verschiedenen politischen Bewegungen bis zu seinem Tod treu.

Antonio Gonzalez Pacheco alias Billy El Niño (1946-10-10 / 2020-05-07) war kein Baske, sondern der bekannteste und berüchtigtste Folterer von Baskinnen und Basken. Als spanischer Polizist war er für hunderte von Folterfällen verantwortlich. Anstatt für seinen Terror irgendwann zur Verantwortung gezogen zu werden, wurde Pacheco mehrfach befördert und geehrt, auch von sog. “demokratischen Instanzen“. Es musste zu einer Pandemie kommen, um diesem Scheusal und Franquismus-Erbe das Licht auszublasen. Bis zu seinem Ende blieb Pacheco ein lebendes Beispiel für die Nicht-Aufarbeitung des spanischen Faschismus.

Gregorio Urionaguena (1917 / 2020-05-12) konnte bis zum biblischen Alter von 103 Jahren von seinen Erfahrungen im Jahr des Militärputschs von 1936 erzählen. Mit 19 Jahren war er einer der Überlebenden des Bombenangriffs auf Durango (Bizkaia), der 335 Menschen das Leben kostete; sechsundzwanzig Tage später befand er sich in den Schützengräben des Bizkargi-Bergs und wurde Augenzeuge des verheerenden Angriffs auf Gernika. Nur wenige Zeitzeugen des Spanienkrieges bleiben noch.

Lucio Urtubia (1931-02-18 / 2020-07-18) war in baskisch-nationalistischen Kreisen mindestens genauso bekannt und beliebt wie in anarchistischen Zirkeln. Bis zu seiner Rente arbeitete Lucio in Paris als Maurer und unterstützte linke Bewegungen aller Tendenzen in aller Welt. Einen Namen machte er sich erst als Geldfälscher und später als Scheckfälscher, der die damalige First National Bank in den USA um Millionen brachte, dafür aber nie zur Verantwortung gezogen werden konnte. In Paris gründete er das Kulturzentrum Louise Michel.

Joan Mari Torrealdai (1942-11-24 / 2020-07-31) war Journalist, Schriftsteller und Soziologe. Er gründete Zeitschriften und Verlage und arbeitete für die Akademie der baskischen Sprache Euskaltzaindia. Als Vorsitzender des Aufsichtsrates der einzigen baskisch-sprachigen Tageszeitung Euskaldunon Egunkaria wurde er nach der Zwangs-Schließung der Zeitung, von der spanischen Justiz angeordnet, verhaftet und gefoltert. Der (später zurückgenommene) Vorwurf lautete: die Zeitung sei von ETA gesteuert. Torrealdai hinterlässt ein immenses Werk für die baskische Sprache Euskara, er starb an Krebs.

TOURISMUS

Genau jener Wirtschafts-Bereich, der in den vergangenen zwei Jahrzehnten den stärksten Zuwachs erfahren hatte, wurde durch die Folgen der Pandemie fast auf Null gefahren. Viele der Hotels, die in den vergangenen Jahren aufgemacht wurden, blieben 2020 zu. Den zuletzt heftig kritisierten privaten Tourismus-Vermieter*innen gingen alle ausländischen Kundinnen verloren, was blieb, war ein mäßiger Binnen-Tourismus in den Lockerungs-Zeiten. Die Absage (oder Verschiebung) der Fußball-Europa-Meisterschaft traf Bilbao hart, es wird mit Einnahme-Verlusten um die 100 Millionen gerechnet. Gleichzeitig waren die verheerenden Folgen im T-Bereich Wasser auf die Mühlen jener Kritiker*innen, die erstens vor den Folgen von Massen-Tourismus warnen und zweitens vor der Abhängigkeit, die ein solcher Monokultur-Bereich nach sich zieht. Bilbo und Donostia waren stärker betroffen als Gasteiz und Iruñea, wo “nur“ die San Fermines flachfielen.

UMWELT-KATASTROPHE

Wie eine Schneelawine ging am 6. Februar 2020 in Zaldibar (Bizkaia) kurz vor 18 Uhr eine am Hang liegende Mülldeponie zu Tal. Eine halbe Million Tonnen Erde und Unrat bewegten sich hinab und verschlangen die Autobahn Bilbao-Donostia unter sich. Zwei Arbeiter wurden in den Tod gerissen, nur eine Leiche konnte inzwischen geborgen werden. Unabhängige Untersuchungen ergaben eine Unzahl von Unregelmäßigkeiten, Vetternwirtschaft, illegale Machenschaften und Korruption durch die Parteien PSOE und PNV. Ein parlamentarischer Untersuchungs-Ausschuß wurde abgelehnt, dafür beschäftigt sich die EU mit dem Skandal.

WAHLEN

Trotz Coronavirus-Pandemie bestand die rechte PNV auf einem Wahlvorgang. In einem Moment der Lockerungs-Maßnahmen wurde die Euskadi-Gesellschaft am 12. Juli zu den Urnen bestellt. Nicht alle, denn wo es aufgrund von Massenansteckungen zu lokalen Lockdowns kam, herrschte Wahlverbot – Kollateralschäden der Demokratie. Die Wahlbeteiligung sank stark, eine Koalition aus PNV und Sozialdemokraten holte die absolute Mehrheit, die einzige politische Kraft, die realen Stimmenzuwachs hatte, war die linke EH Bildu. Die Faschisten von Vox erreichten knapp einen Sitz.

2020x8WERFTEN-SCHLIESSUNG

Chronik eines angekündigten Todes. Nach 111 Jahren Schiffbau im bizkainischen Industrie-Zentrum Sestao wurde die historische Werft La Naval im Dezember definitiv geschlossen, die materiellen Reste zum Verkauf angeboten. Zwei Jahre lang wurde um die Rettung gekämpft, politische Instanzen wollten sich auf nichts einlassen: keine Investoren in Sicht, Bankrott und angebliche Schulden von 120 Millionen Euro. Im November wurde die Entlassung der letzten 177 Beschäftigten gerichtlich bestätigt.

WETTEN VERBIETEN

Nach der Zulassung und Eröffnung von Dutzenden von Wettbüros hat sich in allen größeren Städten des Baskenlandes eine Bewegung gegen diese sucht-schaffenden Einrichtungen organisiert. Weil auf legalem Weg keine Aussicht auf Verbot besteht, fordern vor allem Eltern, dass zumindest im Umkreis von 500 Metern von Schulen keine Wettbüros genehmigt werden sollen. Die wohlgemeinte Kampagne hat einen Haken: die Leidenschaft einer Menge von Baskinnen und Basken für eben diese Wetten. Bei Pferderennen und Pelota wird gewettet, die ONCE-Lotterie fährt Millionen ein, bei der Weihnachts- und Dreikönigs-Lotterie werden pro Familie Unsummen ausgegeben, in jeder Kneipe steht ein Spielautomat, an den jede Sechsjährige rankommt. Dass die Wettbüros wegen der Pandemie meist geschlossen blieben, war kein Trost, weil sich die Spielerei auf das Internet verlagerte. Dass Wetten süchtig macht, steht außer Frage, doch hat die traditionelle baskische Gesellschaft Probleme mit dieser Einsicht.

WIRTSCHAFTSKRISE

Bereits vor der Pandemie gab es Anzeichen für eine erneute Wirtschaftskrise, insbesondere in den Bereichen Energie und Fahrzeugbau. Seit Herbst 2020 kam es in Hegoalde zu einer langen Reihe von Betriebs-Schließungen, Entlassungen und Personal-Reduzierungen. Wie stark sich die Krise auf den Kleinhandel auswirkt, wird sich zeigen, wenn die Pandemie überwunden ist. Alle Wirtschafts-Sektoren, die von Massen und Tourismus leben (Gastronomie, Kultur, Hotels, Transport) erlebten die einschneidendsten Konsequenzen.

WWW – DIE LIEFER-GESELLSCHAFT

Während des Lockdowns erlebten alle Unternehmen, die über Telefon oder Internet Bestellungen und häusliche Lieferungen anbieten, einen immensen Aufschwung: das Baskenland ist keine Ausnahme. Diese Tendez hielt auch nach Wieder-Öffnung der Läden an, die Zahl der Biker und Bulli-Lieferanten multiplizierte sich sichtbar. Der Liefer-Multi Amazon profitierte enorm von der Krise, Besitzer Jeff Bezos schwang sich auf zum reichsten Mann der Welt. Nur langsam setzt sich das Bewusstsein durch, dass Lieferservice den Tod des Einzelhandels bedeutet. In Bilbao haben Gegen-Kampagnen begonnen: “Kauf im Viertel“.

YESA-STAUSEE

Gebaut wurde der an der Grenze von Navarra zu Aragon liegende Stausee unter Franco. Weil die Bewohner*innen der Anliegerorte ihre bewirtschafteten Gebiete verloren, blieben Geisterdörfer zurück. Vor zehn Jahren wurde der Stausee erweitert, indem er ausgebaggert und die Hänge abgegraben wurden. Das Volumen und gleichzeitig auch das Gewicht der Wassermassen wurden deutlich erhöht. Für Umweltschützer zu stark, weil steilere Uferhänge abrutschen und zu einem Supergau führen könnten. Tatsächlich werden in der Gegend häufig kleinere Erdbeben registriert, an den Hängen taten sich wiederholt Spalten auf. Bereits vor Jahren wurde eine am Hang liegende Siedlung in der Nähe des Staudamms bei Esa (Yesa) wegen Abrutschgefahr geräumt. Doch von einer Gefahr durch Abgleiten großer Erdmassen vom Hang, wie 1963 in Langarone (Italien) geschehen, will die nationale Energiebehörde CHE nichts wissen. In Italien waren mehr als 2.000 Personen umgekommen, als ein neuer Stausee durch einen Erdrutsch überfloss und der ausgelöste Tsunami das Dorf auslöschte.

ABBILDUNGEN:

(1) Zaldibar-Katastrophe (elcorreo)

(2) Iruña Veleia (elcorreo)

(3) La Línea Invisible (movistar)

(4) Fußball (cadenaser)

(5) René Cassin

(6) Jokin Altuna Pelota (elcorreo)

(7) Jose Luis Zumeta (eitb)

(8) La Naval Werft (elpais)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-01-27)

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