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Nicht überall ist Pandemie

Nicht überall in der Wüste ist das Leben unmöglich, es gibt Oasen mit Wasserquellen. Oasen gibt es neuerdings auch im Baskenland, in Bizkaia. Oasen, in die das Coronavirus nicht vorgedrungen ist. Die Mehrheit dieser von Virusbefall umzingelten Oasen-Dörfer liegt in oder in der Nähe des Biosphären-Reservats Urdaibai, bekanntes Vogelschutz-Gebiet mit Mikroklima und bäuerlich-ländlicher Struktur. In unmittelbarer Nähe der Industrie- und Viren-Zentren Bermeo und Gernika und doch Lichtjahre entfernt.

Siebzehn kleine Orte in der baskischen Provinz Bizkaia haben bislang keine Fälle von Coronavirus erlebt. Weitere zwanzig Gemeinden haben nur in einem Fall die Coronavirus-Erfahrung gemacht. Bei allen handelt es sich um Orte mit weniger als 1.000 Einwohner*innen.

Bis eine entsprechende Impfung gefunden ist, kann niemand sicher sein vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus. Dennoch gibt es in der baskischen Provinz Bizkaia siebzehn Gemeinden, die dem Covid-19 bisher getrotzt haben. Ähnlich wie das Dorf der unbeugsamen Gallier Asterix und Obelix den Römern wiederstand, tun die Bewohner*innen dieser Orte dasselbe gegen die scheinbar unaufhaltsame Welle der Pandemie. Trotz dieser privilegierten Situation sind sie sich bewusst, welche Macht dieser klitzekleine stille Feind besitzt, der die Welt in Schach hält. Niemand wird nachlässig. “Wir sind froh, dass wir nicht betroffen sind, aber wir sind genauso besorgt wie die übrigen Sterblichen“, ist zu hören. (1)

cfrei02Die Gemeinden dieser baskischen Oase haben eines gemein: sie alle umfassen weniger als 1.000 Bewohner*innen, viele nicht einmal die Hälfte davon: Amoroto, Ajangiz, Arakaldo, Arantzazu, Arrankudiaga, Bedia, Ea, Garai, Gizaburuaga, Ispaster, Izurtza, Lanestosa, Mallabia, Maruri-Jatabe, Mendata, Munitibar, Murueta. Alle haben kleine Ortskerne, die von Mini-Barrios umgeben sind, alles gut verteilt in der grünen Landschaft, viele alte Baserris, wie die Bauernhäuser in der baskischen Sprache genannt werden, mit und ohne Landwirtschaft. Deren Bewohner*innen bewegen sich nicht so stark in Richtung der urbanen Zentren, in denen der Menschenfluss bedeutend größer ist. Mit den Massen steigt bekanntlich auch die Gefahr, von diesem Virus angesteckt zu werden. Ein Journalist hat eine Reihe dieser Dörfer besucht – acht davon gehören zu den Landkreisen Busturialdea und Lea-Artibai – um sich ein Bild vom Gemütszustand der Leute zu machen.

Ajangiz, Mendata

Erste Haltestelle ist Ajangiz, fünfeinhalb Kilometer von Gernika entfernt. Hier herrscht eine Stille wie auf dem Friedhof. Keine Seele auf der Straße. Nur der entfernte Lärm eines Rasenmähers in einem entfernten Bauernhaus bricht den morgendlichen Frieden. Zufälligerweise ist es der Bürgermeister des Ortes, Koldo Carbonell, der vor dem täglichen Gang ins Rathaus den Rasen seines Gartens in Ordnung bringt.

“Die Leute hier passen gut auf sich auf. Sie drehen eine Runde um das Baserri. Nur wenn es nötig ist, fahren sie zum Einkauf nach Gernika“, erzählt der Ortsvorsteher. Aitor González ist einer der wenigen, die sich auf der Straße blicken lassen. Er kommt nicht an einer Fahrt nach Gernika vorbei. “Angst habe ich keine, ich bin nur ziemlich verärgert, weil sich dieses kleine Biest von Virus so stark in meinen Alltag eingemischt hat. Morgens habe ich an der Nautik-Schule in Bermeo studiert und nachmittags in einer Pizzeria gearbeitet. Beides hat sich in Luft aufgelöst. Ich habe eine zeitlich befristete Kündigung erhalten. Genau deshalb muss jetzt ich in die Stadt fahren, um die Formalitäten zu erledigen“, erzählt er, bevor er auf sein Motorrad steigt. Ein örtlicher Reinigungstrupp desinfiziert die Müll-Container, ein weiterer Bewohner, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, steht neugierig an seiner Haustür. “Wir haben keine positiven Fälle, weil keine Tests gemacht werden. Aber einer ist zumindest in Quarantäne“, weiß er.

Im Nachbarort Mendata, vier Kilometer weiter, ist das Panorama ähnlich. Der kleine Ortskern mit Kirche, Fronton, Restaurant und ein paar Häusern ist verlassen. Einzelne Leute mit dem Auto auf dem Weg zum Einkaufen sind zu sehen. Einer von ihnen ist Jesús Mari Sardui, ein Nachbar aus dem Barrio Lamikiz. “Meine Frau schickt mich, um den Fischverkäufer abzufangen, nur deshalb bin ich überhaupt auf der Straße. Die meisten Besorgungen mache ich per Telefon, mit etwas Vorlauf, denn mittlerweile brauchen sie fast eine Woche, bis sie geliefert werden“, erklärt er beim Warten. Alle haben viel Zeit.

cfrei03Warten und Ausliefern

Sardui ist Rentner. Für ihn ist es reine Glückssache, dass es im Dorf noch keinen positiven Corona-Fall gibt. “Wir müssen die Ausgangssperre beachten, damit wir kein Risiko eingehen.“ Dennoch zeigt er sich optimistisch. “Obwohl diese Geschichte noch eine Weile dauern wird, mit der Zeit gerät das wieder in Vergessenheit. Schau nur nach China, da haben sie schon wieder angefangen, die Situation zu normalisieren.“

Nächste Station ist Aulesti, zwanzig Kilometer von Gernika und elf von Lekeitio an der Küste entfernt. Ausgerechnet gestern wurde hier der erste Corona-Fall entdeckt. José Ramón vom Alonso-Fischgeschäft in Lekeitio parkt seinen Lieferwagen am Ortseingang, um einen Klienten zu bedienen. Seit mehr als 40 Jahren macht er mit seinem Schwager zusammen die Fisch-Tour durch die kleinen Orte. “Mit der Ausgangssperre sind unsere Verkaufszahlen gestiegen“, erklärt er.

Ispaster und Ea

Ispaster und Ea, das Küstendorf mit dem kürzesten Namen im Baskenland, sind die letzten Stationen der Bizkaia-Reise auf der Suche nach dem Virus, fünf bzw. zehn Kilometer von Lekeitio entfernt. Die in Ispaster angetroffenen Leute sind besorgt über das gegenwärtige Panorama. “Auch nach zwei Monaten ist nirgends eine Maske aufzutreiben. Außerdem ist die dritte Etage des Krankenhauses in Gernika leer, Betten werden keine vorbereitet. Warum eigentlich nicht?“ fragen sie.

Die Bewohner*innen von Ea hingegen sorgen sich noch nicht um die Tatsache, dass der Ort im Sommer ein touristisches Ziel ist. Viele aus anderen Bizkaia-Orten haben dort eine Sommer-Residenz, internationaler Tourismus ist zum großen Glück abwesend. “Die Ertzaintza-Polizei macht ständig Kontrollen in Lekeitio und Gernika, um Bewegungen zu verhindern, auch nach hier“, sagt ein gewisser Joseba von seinem Balkon aus. Auch Kerman zeigt sich unbesorgt, “denn momentan sind wir unter uns, nur Leute aus dem Dorf“. Wie die Zukunft aussieht, ist eine andere Sache. “Aber was machen wir im Sommer?“ fragt er sich.

Die Unüberwindlichen

Momentan haben siebzehn Dörfer das Coronavirus nicht in ihre Häuser gelassen. In weiteren zwanzig Orten wurde jeweils eine einzige Person positiv getestet: Bolibar, Aulesti, Nabarniz, Muxika, Mendexa, Mañaria, Gamiz-Fika, Fruiz, Errigoiti, Ereño, Berriatua, Artzentales, Arrieta, Sukarrieta, Morga, Gautegiz-Arteaga, Forua, Gatika und Etxebarria, und zwei weitere. All diese Orte liegen im Umfeld des Naturschutzgebietes Urdaibai und im Landkreis Lea-Artibai.

cfrei04Der erste im spanischen Staat registrierte Patient war am 31. Januar ein Deutscher auf der Kanareninsel Gomera. Ende Februar dann sprang das aus China stammende Coronavirus endgültig auf die Halbinsel über. Seither hat es sich praktisch überall ausgebreitet, abgesehen von den eben erwähnten Orten. Dazu kommen acht Orte in Araba und noch einmal vierzehn in Gipuzkoa ohne Corona. Es ist müßig festzustellen, dass auch hier ausschließlich die Rede ist von kleinen Orten zwischen 200 und 1.000 Einwohner*innen.

Und die Moral von der Geschicht …

Die meisten genannten Orte liegen um das Biosphären-Reservat Urdaibai verteilt, zwischen Gernika und Lekeitio an der Küste – kein besonders zugängliches Gebiet, nur das abgelegene Lanestosa im äußersten Süden des Baskenlandes macht eine Ausnahme. Die 58 Kilometer von Bilbao in die Küstenstadt Lekeitio erfordern eine gute und kurvige Autostunde. Gernika selbst und die zweite größere Hafenstadt Bermeo sind von Coronavirus relativ stark betroffen, beide Städte zeichnen sich aus durch Massen von Menschen, sprich Wohnblocks und urbane Enge. Die gibt es in den virus-freien Orten so gut wie nicht. Dort sind eher Einzelhäuser zu finden, meist mit Garten, im schlimmsten Fall Blocks mit sechs Wohnungen. Forua zum Beispiel liegt einen Kilometer von Gernika entfernt und verzeichnete nur einen Fall. Obwohl die meisten Bewohner*innen zur Arbeit, zum Einkauf oder zum kulturellen Vergnügen nach Gernika tendieren.

Das Coronavirus zu vermeiden ist nicht nur eine Frage von Alter, Risikogruppe oder Vorerkrankungen. Es ist auch eine Frage des Lebensstils, der Wohnsituation, der Naturverbundenheit. Vor dem Hintergrund der Pandemie schneiden ländliche Gebiete und grüne Umgebungen deutlich besser ab als urbane Zentren wie Madrid, Gasteiz, Bilbao, Barakaldo mit ihrer Massifizierung. Bestes Beispiel ist der Ballungsraum Groß-Bilbao. Die rote Virus-Linie zieht sich von der am südlichen Nervion-Ufer liegenden Hafenstadt Santurtzi über Bilbao bis zu den schwer betroffenen Industrie-Städten Basauri und Galdakao, um dann auf der nördliche Flussseite zurückzugehen bis Getxo, der 90.000-Personen-Stadt gegenüber von Santurtzi. Auf dieser Virus-Linie fehlt kein Ortsname, insgesamt leben hier mehr als eine Million Menschen, Industrie und enge Wohnsiedlungen prägen die Szene, alles dicht an dicht, von Verkehrsschneisen durchkreuzt.

cfrei05Zweiter Steigbügelhalter für die Pandemie war das gekürzte, zurückgebaute und privatisierte “Gesundheits-System“, hier wird immer mehr nach wirtschaftlichen Kriterien gearbeitet, die Investoren wollen Profit sehen. Für die Altersversorgung gilt in etwa dasselbe – katastrophale und inhumane Zustände sind in der Coronavirus-Krise zutage getreten. In verschiedenen Medien hat bereits die Diskussion begonnen, ob diverse gesellschaftliche und wirtschaftliche Missstände, die in dieser Krise offenbar geworden sind, nach Bewältigung der Bedrohung korrigiert werden können.

Vergangene Erfahrungen sprechen jedoch dafür, dass diese Lektion in der kapitalistischen Gesellschaft nicht verstanden geschweige denn umgesetzt wird. “Wir müssen die Wirtschaft wieder in Schwung bringen“ wird es heißen – heißt es jetzt schon, wie die Schlagzeilen des heutigen Tages beweisen. Auf Kosten der Arbeitenden und Prekären wird das geschehen. Und wenn es geschafft ist, erinnert sich niemand mehr an die tödlichen Missstände.


ANMERKUNGEN:

(1) Information aus dem Artikel “Recorrido por los pueblos vizcaínos donde el virus no ha llegado” (Rundgang durch die bizkainischen Dörfer, in die der Virus nicht kam) Tageszeitung El Correo, 2020-04-13 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Bizkaia Virusfrei (FAT)

(2) Bizkaia Virusfrei (FAT)

(3) Bizkaia Virusfrei (elcorreo)

(4) Bizkaia Virusfrei (FAT)

(5) Bizkaia Virusfrei (FAT)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2020-04-15)

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