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Rock, Txalaparta, Alboka und Triki

Das kleine Baskenland hat eine ausgeprägte und lebendige Musikszene entwickelt. Die Ursprünge gehen in die Zeit des Franquismus zurück, als aufmüpfige Liedermacher sich mit der Zensur anlegten. Mit der kulturellen Öffnung nach dem Tod Francos entwickelte sich eine breite musikalische Bewegung. Zur Speerspitze wurde der politische beseelte Radikale Basken-Rock. Ein Interview mit dem Auswanderer und Musikfan Uwe Bein gibt Einblick in die Szene und in seine Erfahrung in der Musikszene der letzten 30 Jahre.

Mikel Laboa, Fermin Muguruza, Ruper Ordorika, Kepa Junquera, OrekaTX oder La Polla Records gehören zur bevorzugten Musik unseres Interviewpartners – im Baskenland seit 30 Jahren in Sachen Politik und Musik unterwegs.

Was waren deine ersten Konzerte im Baskenland?
Eines meiner ersten Konzerte war 1988, Kortatu bei der Fiesta von Donostia. Wir waren auf der Durchfahrt nach Salamanca und wurden von diesem Auftritt am Concha-Strand angenehm überrascht. Das war karibische Stimmung mitten im Baskenland! Ich wusste immerhin schon, wer die Muguruzas sind und was Kortatu bedeutet, in der autonomen Szene waren die bereits ein Begriff.
Dann Anfang der 1990er Jahre bei einem Jugendaustausch in Gasteiz ein Rock- und Punkkonzert in einem Fronton. Keine Ahnung mehr wer da gespielt hat, es war dunkel, kalt und tierisch laut. Zeitgleich ein Trikitixa-Konzert in einem Bürgerhaus – die Triki ist ein kleines atonisches Akkordeon, das im Baskenland viel gespielt wird. Wir waren fasziniert und haben versucht herauszufinden, wer da gespielt hat, vielleicht Kepa Junquera, aber ohne Erfolg. Das war meine ersteTriki-Erfahrung, seither begleitet mich dieses Instrument musikalisch. Anfang der 1990er Jahre trat dann die Kortatu-Nachfolgegruppe Negu Gorriak in Hannover auf, da sind wir natürlich hin.

Damals gab es noch keine CDs sondern Platten ...
IUB02Richtig, die erste Musik, die ich vom Urlaub mit nach Hause nahm waren Platten. In Gasteiz gab es einen Bücher- und Plattenladen, Zuloa, da sind wir regelmäßig vorbei und haben uns mit Musik und Propaganda aus der Bewegung versorgt, das war eine feste Station bei jeder Reise. Kurz danach kamen dann die CDs, richtig teuer noch, 2.500 bis 3.000 Peseten, das waren 30 bis 40 DM.

Was hast du dir damals gekauft?
Ich hab durchprobiert. Erst sind wir in Supermärkte gegangen und haben uns dort per Kopfhörer angehört was gerade neu war, aber gekauft haben wir natürlich bei Zuloa. Gemischtes Programm, Rock natürlich, auch Folkrock, La Polla Records, Reincidentes, MCD, Kortatu, Tapia eta Leturia. 1997 hab ich Anari entdeckt mit ihrer ersten Scheibe, das war eine große Entdeckung, ihre Stimme ist einmalig, ebenso die Musik. Die hab ich in Zarautz in einem kleinen Laden gekauft, einfach nach dem Cover, ohne sie zu kennen.

Wann bist du mit Txalaparta in Berührung gekommen?
Erst spät, als ich schon im Baskenland gelebt und Euskara gelernt habe, also Ende der 1990er Jahre. Txalaparta ist ein Schlag-Instrument mit drei querliegenden Balken, das fast ausschließlich in abertzalen und euskaldunen Zusammenhängen gespielt wird. Wer sich für diese Szene nicht interessiert, kennt Txalaparta womöglich nur aus dem Fernsehen. OrekaTX waren die großen Stars, daneben gibt es aber ganz viele Pärchen, die hier und da bei Demos, Festen und Essen spielten. Denn Txalaparta wird immer zu zweit gespielt, mit vier Stäben.

Hast du Lieblingsmusiker?
Generell ist mein Musikgeschmack ziemlich breit angelegt, ich mag alles außer Techno. Rock, Folk, Ska, Liedermacher, Blues, Reggae, Rap. Besonders häufig habe ich Ruper Ordorika und Fermin Muguruza mit ihren Bands gesehen. Beide bestimmt jeweils zwanzig Mal. Ruper ist seit seiner ersten Scheibe von 1981 eine Legende mit seiner ruhigen rockigen Musik, auch wenn ich bis heute die Euskara-Texte nicht verstehe, die sind komplex. Fermin ist ebenfalls eine Musiker-Legende, kein anderer hat so viele unterschiedliche Musikprojekte ins Leben gerufen: Kortatu, Negu Gorriak, Dut, Rap-Geschichten, Reggae in Jamaika und zuletzt Jazz mit Leuten aus New Orleans. Daneben seine Buch-, Film und Ausstellungsprojekte, wie zum Beispiel „Black is Beltza“. Fermin ist schon einmalig in der baskischen Musikszene. Er ist einer jener Musiker, gegen die es in spanischen Gegenden Auftrittsverbote gab.
IUB03Daneben hab ich in meiner Euskaltegi-Zeit viele Konzerte von Mikel Urdangarin und Anje Duhalde gesehen, das waren die Haus- und Hof-Musiker meiner Baskisch-Schule. Mikel ist ein softer Liedermacher, der mit der Zeit langweilig werden kann. Anje ist ein Liedermacher aus Iparralde, der eine lange Geschichte hat und aus der frühen Rock-Szene kommt. Er ist Jahrgang 1950 bund begann mit Errobi in den 1970er Jahren, also ein Pionier. Heute gehört er zum Mobiliar des Kafe Antzokia in Bilbao.

Kafe Antzokia? Das musst du erklären ...
In der baskischen Kulturszene hat das Kafe Antzokia eine wichtige Funktion, die Einrichtung spielt sicher eine Vorreiterrolle im Baskenland. Einige Musikcafes wurden nach seinem Vorbild gegründet, in Durango und Ondarroa zum Beispiel. Antzokia heißt auf baskisch „Theater“, weil das Lokal in einem ehemaligen Theater beheimatet ist. Es teilt sich in die Baskisch-Schule Gabriel Aresti (Euskaltegi) und eine Bühnenkneipe. Für Bilbao ist es das Euskara-Zentrum schlechthin, alle relevanten baskischen Gruppen und Musiker*innen treten dort auf. Aber auch Leute aus dem englischsprachigen Raum, Großbritannien, Jamaika und USA.
Im Kafe Antzokia habe ich fünf Jahre Euskara studiert und jede Menge Konzerte erlebt. Dort habe ich bei einem Volkslied-Workshop viele viele tradionelle Lieder singen und spielen gelernt. Im Baskenland wird sehr viel gesungen, überall, im Stadion, auf der Straße, in der Kneipe.

Musik steht im Baskenland in engem Zusammenhang mit Fiestas oder baskisch gesagt: den Jaiak.
Richtig. Das ist ein großer Vorteil. Du kannst bei den baskischen Jaiak viele Gruppen gratis sehen und hören, die Konzerte sind immer auf öffentlichen Plätzen. Ich kann gar nicht sagen, wieviele Konzerte ich in diesem Ambiente gesehen habe, manchmal wusste ich nicht einmal die Namen. Dabei kommt auch eine Musikrichtung zum Tragen, die typisch baskisch ist: Verbena.

Was dürfen wir unter Verbena verstehen?
Verbena ist absolut fetzige Folkmusik, es ist eine Mischung aus Rock und Folk mit typisch baskischen Instrumenten und Elementen. Eine Musik, die richtig reingeht und zum Tanzen einlädt. Verbena ist eine Version von moderner baskischer Volksmusik, oft im Rhythmus von Marschmusik, teilweise sind da Melodien dabei, die wir aus der deutschen Volksmusik kennen und wegen ihres Heino-Charakters verachten. Adelheid zum Beispiel, oder Rosamunde! Selbst Reggae-Rhythmen werden in die Verbena eingebaut. Dabei sind die Namen der Gruppen gar nicht so bekannt, aber sie sind äußerst beliebt. Zu den bekanntesten Bands gehören Gozategi, Alaitz eta Maider, oder Lisker, der Übergang zum Folk ist dabei fließend.

Ein paar Gruppen, die du bei Fiestas schon erlebt hast …
Zea Mays hab ich schon etliche Male gesehen, die haben eine enge Beziehung zu politischen Bewegungen, treten in besetzten Häusern auf, machen kostenlose Solidaritätskonzerte, bei verschiedensten Anlässen. Daneben Esne Beltza, die aktuell viel in Deutschland touren und sich einen guten Namen erspielt haben. Oder die Hardrocker Su Ta Gar, die Skabands Betagarri, Banda Basotti, Skalarriak. Folkmusiker wie Joseba Tapia und Kepa Junquera mit ihren Trikitixa-Akkordeonen hab ich erlebt, mehrfach auch Anari. Und die Txalapartaris von OrekaTX oder Kalakan, die über einen Film von Madonna weltbekannt geworden sind. Den Altrocker Niko Etxart aus Iparralde hab ich verschiedentlich erlebt, die Rockerin Sorkun mit ihrer Gruppe Kashbad, den Kletterkünstler Francis von Doctor Deseo ...
IUB04Wer regelmäßig auf Fiestas unterwegs ist, bekommt einen guten Überblick über die baskische Musikszene. Und zwar kostenlos. Das ist positiv, denn die Leute sehen Gruppen, die sie sich vielleicht nicht leisten könnten und für die Bands ist es eine sichere Einnahme von Jaia zu Jaia Auftritte zu haben.
In Bilbao bei der Aste Nagusia, der großen Fiesta-Woche zum Beispiel, gibt es über die Stadt verteilt sechs oder sieben Bühnen. Jede Bühne steht für eine bestimmte Musikrichtung: Welt-Musik, Hardrock, Folk, Pop, acht Nächte lang täglich ein Konzert. Dazu kommen die Minibühnen von den Txosnak, an den Komparsa-Ständen, die ebenfalls ein breites Spektrum von kostenloser Musik anbieten. Da findest du eine ungeheure Vielfalt von Gruppen und Musik! Geschätzte 200 Konzerte über neun Tage verteilt.

Bei Fiestas und Konzerten ...
Der Liedermacher Fermin Valencia spielt praktisch nur auf antifaschistischen Gedenkveranstaltungen und hat nie eine CD gemacht. Den Sänger Evaristo von La Polla Records hab ich nie mit Originalband gesehen, später aber mal mit Gatillazo. Die Rapper von Selektah Kolektiboa und Endika, der uns bei einer Solidaritäts-Kundgebung für Mumia Abu Jamal geholfen hat sind viel unterwegs. Manu Chao hab ich zwei mal erlebt, bei der Aste Nagusia auf dem Plaza del Gas und bei einem fast intimen Konzert zu einer Ausstellungseröffnung, Black is Beltza, zusammen mit Fermin Muguruza. Daneben die Liedermacher Txuma Murugarren, Javier Muguruza im Kafe Antzokia, die Legende Benito Lertxundi ist nicht mehr viel unterwegs, zwei Mal hab ich ihn erlebt. Er ist der letzte aus der Generation Laboa, nun hat er Alzheimer.
Oft auf Fiestas sind die Skagruppen Skalarriak und Betagarri, früher auch Amparanoia, auf dem Plaza del Gas gab es immer Mammutkonzerte mit vier oder fünf Gruppen, da war auch mal Linton Kwesi Johnson dabei. Gibel Urdinak machen eine bunte und fetzige Mischung aus Weltmusik, Potato war früher für Reggae zuständig. Atom Rhumba ist ebenfalls auf Fiestas, gar nicht die ehemaligen Bestandteile von Hertzainak, Josu Zabala und Gari, die treten bei extra Konzerten auf. Gari hat eine eigene Band, Josu Zabala jammt mit anderen, wenn er Lust hat, vor allem im Kafe Antzokia. Enrique Villareal „El Drogas” von der ex navarrischen Rockband Barrikada ist medial ziemlich gut vertreten, dabei macht er seinem Spitznamen alle Ehre, was sein Aussehen angeht.

Wie sieht es aus mit Musikfestivals im Baskenland?
Nun, das bekannteste Festival im Baskenland ist das BBK-Live, neben Benicassim ist es das größte Rockfestival auf staatlicher Ebene. Dabei sage ich bewusst nicht baskisches Festival, denn baskische Musik ist da marginal. Es ist kommerziell, eben ein Termin für Touristen, um die Hotels von Bilbao zu füllen. Das wird außerdem mit Steuergeldern subventioniert, skandalös!
Das bekannteste linke Festival ist Hatortxu-Rock jedes Jahr im Dezember, da sind viele Freiwillige beteiligt, es spielen die bekanntesten baskischen Bands. Ein alternatives Festival mit langer Tradition ist das EHZ, das Euskal Herria Zuzenean, auf Deutsch: „Baskenland direkt“. Das findet jedes Jahr in einem Dorf von Iparralde statt, im baskischen Norden. Es wird organisiert von einer Gruppe von jungen Leuten, wer Lust hat kann punktuell an der Organisation teilnehmen. EHZ findet im Freien statt: draußen ja, umsonst nein. Der Eintritt für drei Tage ist machbar, die musikalische Mischung ist interessant, weil Gruppen und Talente aus Iparralde und Hegoalde auftreten, also aus dem Norden und dem Süden des Baskenlandes.
An Jazzfestivals gibt es drei bekannte: in Gasteiz, in Donostia und in Getxo, die ersten beiden sind weltbekannt, Pat Metheney, Chick Korea und Konsorten sind da regelmäßig zu Gast, kostet aber auch entsprechend. An Rockfestivals gibt es noch das Azkena-Rock in Gasteiz, das über zwei Tage geht. Und das Reggae-Sunsplash in Armintza an der Bizkaia-Küste. In Getxo gibt es dann noch ein Folk- und ein Blues-Festival, jeweils über mehrere Tage und teilweise umsonst.

Was waren deine besten Konzerte?
Da gibt es eine ganze Reihe, die etwas Besonderes waren, also nicht einfach vor der Bühne stehen und den Kopf bewegen. Fermin Muguruza steht dabei an erster Stelle. Bereits das erwähnte Concha-Konzert war speziell. Doch zwei andere seiner Konzerte sind zu einmaligen Ereignissen geworden, weit über die Musik hinaus. Das erste war „Fermin Muguruza und Dut“ auf dem ehemaligen Plaza del Gas in Bilbao, der nicht mehr existiert. Das war während der Aste Nagusia, auf der Bühne stand ein riesiges Gerüst, auf dem während des Konzerts Akrobaten ihre turnerischen Kunststücke machten, darunter übrigens mein Baskisch-Lehrer. Das allein wäre schon eine Erinnerung wert. Doch während des Konzert wurden auf dem nahen Fiestagelände ein paar Dutzend Motorräder angezündet, Luftlinie etwa 70 Meter entfernt hinter einem Häuserblock. Das war surrealistisch: Fermin mit der Heavy-Musik auf der Bühne, die Akrobaten oben im Gerüst und dahinter eine grauschwarze Verbrennungswolke – in jenem Moment hatte niemand eine Ahnung, was da gerade passierte!

Und das dritte Erlebnis mit Fermin Muguruza?
IUB05Nicht weniger skurril! Vor 15 Jahren wurde im Norden Navarras der Itoiz-Stausee gebaut, absolut umstritten und umkämpft. Dafür wurden mehrere Dörfer abgerissen und überflutet. Eines jener Dörfer war Artozki, die Bewohner*innen mussten 2003 ihre teilweise uralten Häuser verlassen. Kurz vor der Flutung des Tals wurde Artozki von Stausee-Gegner*innen besetzt. Sie organisierten ein Programm, um Unterstützer*innen ins Dorf zu kriegen. Da spielte Fermin mit ein paar Musikern. Die Besetzer*innen hatten aus herumliegendem Holz eine Behelfsbühne gebaut, die bei jedem Schritt zitterte und sich bewegte. Und Fermin bewegt sich bei seinen Konzerten bekanntlich gerne und viel! Da waren kaum hundert Leute, die dieses einmalige Spektakel erlebten, nur durch Zufall hatte ich davon erfahren und fuhr um die 200 Kilometer weit bis in den Norden Navarras. Allein für den Fermin-Auftritt hat es sich gelohnt!

Weitere Konzerte aus deiner Hitliste?
Das Abschiedskonzert von Negu Gorriak in der Radrennbahn von Donostia, 2001 – sorry, aber schon wieder Fermin Muguruza! Da war ich mit meinem Neffen aus Germany. Negu Gorriak hatten gerade eine hohe Strafe zahlen müssen wegen Verhöhnung eines Guardia-Civil-Generals, der Basken hatte umbringen lassen. Mit der Abschiedstour sollte das Bußgeld beglichen werden.
Und dann nochmal Fermin, als Angela Davis im Jahr 2016 in Bilbao zu Besuch war. Innerhalb von ein paar Tagen stellte Fermin ein Abschiedskonzert für Angela auf die Beine, das es in sich hatte. Denn wenn er ruft, kommen alle gerne, die Bekannten und die noch nicht so Bekannten, Sorkun, Zea Mays, Anari, Izaro. Angela Davis war ganz gerührt, sie war es nicht gewohnt, bei ihren eigentlich politischen Besuchen und Auftritten mit Musik, Kultur und so viel Herzlichkeit empfangen zu werden.

Nun aber mal was ohne Fermin Muguruza!
Tatsächlich erinnere ich mich noch an ein paar weitere besondere Konzerte von Fermin, der Mann hat ein Talent für das Besondere. Ohne ihn? Da fällt mir noch ein Konzert in Donostia ein. Es wird mir ewig nachhängen, dass ich nie ein richtiges Konzert mit Mikel Laboa erlebt habe. Laboa ist die Legende unter den baskischen Liedermachern, er begann in den 1960er Jahren gegen den Franquismus und die Zensur anzusingen und hat Lieder gemacht, die heute jedes Kind kennt, Txoria Txori können sogar die singen, die kein Baskisch können. Nur einmal war ich bei einem Konzert von Mikel Laboa. Er war in jener Situation sozusagen „die Vorgruppe“ von Bob Dylan, der 2007 am Strand spielte. Mikel gab zu jener Zeit schon keine Konzerte mehr, er hatte Parkinson und beherrschte die Gitarre nicht mehr ganz, manchmal vergaß er Texte. Ich war so weit weg von der Bühne, dass ich ihn nicht wirklich erkennen konnte, immerhin das einzige Konzert mit Laboa, bei dem ich war. Übrigens mit einem Bundestagsabgeordneten zusammen, den ich damals ein paar Tage zu begleiten hatte.
An einen weiteren musikalischen Moment habe ich eine gute Erinnerung. Die Sängerin Maddi Oienart aus Iparralde kam zum Konzert nach Bilbao. Es sollte in einem besetzten Haus stattfinden, das dann aber gerade geräumt worden war. Die gute Maddi fuhr aber nicht einfach wieder nach Hause, ein paar Leute machten sich mit ihr auf den Weg zum Poteo, also ein paar Gläser Wein trinken in der Altstadt von Bilbo. Wir zogen von Kneipe zu Kneipe, und Maddi sang spontan ihr Repertoir.
IIUB06ch denke, solche Erlebnisse gibt es nur an wenigen Orten, in Deutschland kann ich mir das kaum vorstellen! Die bekannte Maddi zieht mit acht Leuten durch die Altstadt und singt! Das ist baskische Musikkultur. Hier gibt es nicht diese Hierarchie der Bekannten gegenüber dem anonymen Publikum. In der Euskaltegi machte ich einst einen Workshop bei einem bekannten Musiker, Rafa Rueda von der Rockgruppe PLT. Mit Ruper war ich auf Poteo und mit Fermin organisierte ich das Programm für Angela Davis.

Das hört sich tatsächlich etwas außergewöhnlich an. Hast du noch was auf Lager in dieser Preislage?
Ein Großkonzert während des Kunst- und Kulturfestivals Azken Muga im Jahr 2017, „Letzte Grenze“ heißt das auf Deutsch. Das Konzert sollte eigentlich im Wald stattfinden, auf einem Berg zwischen Gipuzkoa und Navarra, doch die Wetterlage war nicht stabil, also wurde es ins Tal in eine Kirche verlegt. Eingeladen war ein kleines Orchester mit 16 Musiker*innen, dazu vier Generationen von Rock- und Folk-Leuten: der Liedermacher Petti, Alex Sardui von der Gruppe Gatibu, Gorka Sarriegi von ehemals Sorotan Bele, die Nachwuchssängerin Izaro und der Altrocker Niko Etxart aus Iparralde. Die Kirche war proppevoll, Niko machte seine Witze, weil er trotz seiner 70 Jahre nie zuvor in einer Kirche gespielt hatte. Das Haus war voll, 500 Leute, alle Altersgruppen, von fünf bis achzig. Ein absolutes Highlight, ich machte Fotos von der Kanzel aus!

Was fehlt dir in deiner Sammlung baskischer Musik?
Was mir fehlt ist ein Konzert von Oskorri, einer der Vorzeigegruppen der baskischen Folkmusik. 30 Jahre waren die unterwegs, irgendwie hat es sich nie ergeben, nun haben sie ihre Laufbahn beendet. Bleiben die Platten. Auch die Rockgruppe Ken 7 fehlt mir noch, doch da gibt es noch Hoffnung, die sind noch aktiv. Den Sänger Eñaut Elorrieta habe ich bereits alleine erlebt bei einem Solidaritätsakt im BIBA Bilbao für das wegen Regen ausgefallene EHZ-Festival 2017. Ohne Zweifel eine der besten Männerstimmen im Baskenland!
Sehen würde ich auch gerne Juan Mari Beltran, aber das könnte auch auf einer Info-Veranstaltung sein, denn was er als Musiker macht, kann er auch als Forscher auf den Spuren der baskischen Folkmusik erzählen: Txalaparta und viele andere traditionelle Instrumente hat er erforscht und teilweise wiederbelebt. Auch die Rockgruppe Gatibu vermisse ich noch, dabei gehören sie aktuell zu den meistgefragten Bands, nur ihren Sänger Alex hab ich wie ghesagt schon erlebt beim Azken-Muga-Konzert. Auch Berri Txarrak, die sind so viel im Ausland unterwegs, sie gehören zu den zwei aktuell bekanntesten Bands außerhalb unserer Grenzen.

Sonst hast du alle gesehen?
Alle, alle, das geht überhaupt nicht. Sicher vergesse ich auch welche, die ich gesehen habe oder gerne hören wollte. Fito Cabrales zum Beispiel hab ich noch nicht erlebt. Weder mit Plateru y Tú, noch mit seinen Fitipaldis. Dabei ist er aus Bilbao! Er ist einer der wenigen Musiker, die auch im Staat viele Fans haben, er macht sympathischen Softrock und gibt sich nicht so sehr als Baske, das kann ein Vorteil sein. Dabei ist er in Bilbao ziemlich beliebt, seine Fans lassen kein Großkonzert aus.
Zwei andere haben ebenfalls viel Ruhm im Staate, sind aber im Baskenland selbst weder beliebt noch viel unterwegs. Zum einen „La Oreja de Van Gogh“ aus Donostia (Van Goghs Ohr), die verleugnen ihre Herkunft regelrecht, dafür sind sie bis in die USA bekannt. Sie nicht erlebt zu haben ist nicht wirklich ein Verlust, Popmusik, die werden nicht mal zu den Fiestas eingeladen. Ähnlich läuft es mit ....

Welche Orte empfiehlst du zum Einstieg in die baskische Musik?
IUB07An erster Stelle natürlich das Kafe Antzokia in Bilbao. Ebenfalls in Bilbao das neue BIBA-Cafe, wo es kostenlose Auftritte gibt, Theater, Musik, vor allem von Nachwuchsgruppen. Mich erinnert das stark an meine eigenen musikalischen Anfänge in Germany in kleinen aber feinen Musikschuppen wie das Laboratorium in Stuttgart, den Club Alpha in Schwäbisch Hall oder die Manufaktur in Waiblingen. In Durango in Bizkaia gibt es seit 10 Jahren das Plateruena, auch so eine Art von Kafe Antzokia, wo ähnlich interessante Konzerte stattfinden. Du siehst ich bin Bizkaia-lastig, wo du lebst kennst du dich eben besser aus. In Donostia gibt es interessante Lokale, die ich aber nie besucht habe, dasselbe in Gasteiz. Die Szene verändert sich ständig.

Bei der Erwähung des BIBA scheint dein Herz etwas höher zu schlagen ...
Gut beobachtet! Das ist ein Ergebnis er Fiesta-Gruppe an der ich beteiligt bin. Wir haben eine Kultur-Stiftung gegründet, mit privaten Einlagen eine Kaschemme gekauft und dort ein Kultur-Cafe eingerichtet, das Ende 2016 eröffnet wurde. Hier werden Musik, Theater, Kultur und die baskische Sprache gefördert. Das ist ein Talentschuppen, in dem Nachwuchsleute eine Chance bekommen. Gleichzeitig stellen bekannte Gruppen bei Pressekonferenzen ihre neuen CDs oder DVDs vor: Anari, Itziaren Semeak, Etsaiak, Josu Bergara, Governors … In diesem Projekt steckt tatsächlich viel Herzblut, ein Teil des Betriebs funktioniert über ehrenamtliche Arbeit, wir nennen das hier Auzolan, also Nachbarschaftsarbeit, das ist ein wichtiger Faktor im baskischen Leben, sowohl in politischer wie in kultureller Hinsicht.

Ein Merkmal für baskische Musik, das du hervorheben würdest?
Besonders interessant in der baskischen Szene ist, dass viele Musiker*innen bereit sind, sich für politische und humanistische Geschichten einzusetzen, die machen nicht einfach nur Musik, sie sind auch Teil einer politisch bewussten und mobilen Gesellschaft. Viele der Kreativen im musikalischen Bereich ordnen sich mehr oder weniger dem abertzalen Spektrum zu, also der baskischen Unabhängigkeits-Bewegung. Dabei haben sie eine Karriere hinter sich gebracht, die sie auch in anderen politischen Spektren hoffähig gemacht hat. Fermin Muguruza zum Beispiel ist überall gefragt, als Musiker, Buchautor, Filmer, mittlerweile auch außerhalb des Baskenlandes. In der andalusischen Linken hat er ähnlich viele Freunde. Internationalismus ist ein wichtiges Thema, egal ob es um Kuba, Kurdistan, die Zapatistas, Palästina oder die syrischen Flüchtlinge geht. Diese politische Nähe macht die Musiker*innen zu Mitkämpfer*innen, die nicht nur auf der Bühne stehen, um Geld zu verdienen. Zea Mays hat vor der Räumung des Kukutza-Besetzungs-Projekts in Bilbao-Rekalde einen Song gemacht, der zur Hymne der Bewegung geworden ist. Der wird bis heute überall gespielt, in Kneipen, in Radios.
Ein weiteres Merkmal der Szene ist, dass sie kreuz und quer zusammenarbeiten. Für ein Konzert oder ein CD-Projekt in einer speziellen Besetzung, das ist keine Seltenheit. Die Musiker*innen sehen ihre Kolleginnen nicht als Konkurrenz um Verkaufszahlen. Musik ist nicht nur etwas, das du konsumierst mit Plattenkäufen und Anwesenheit bei Konzerten, Musik wird geteilt, die Musiker*innen sind nicht die unantastbaren Stars auf der Bühne, sondern Nachbar*innen, Kolleg*innen im Streit um bestimmte wichtige Dinge im Leben. Das kann es vielleicht nur in einem so kleinen Land wie dem Baskenland geben, wo sich alle auf der Straße, bei der Demo, beim Poteo oder eben bei der Fiesta treffen.

Was fehlt bei deiner bisherigen Schilderung?
IUB08Es fehlen natürlich jene, die sich schon vor langer Zeit aufgelöst haben, oder die die musikalische Aufbruchszeit nicht überlebt haben. Cicatriz und Eskorbuto sind mit dem Tod ihrer Musiker zu Legenden geworden, gerade sind Jahrestage. Die Vulpes waren eine der ganz wenigen Frauenbands, die etwas bekannter wurden, auch den Namen kennen heutzutage alle, auch wenn sie nicht lange existierten. Und es fehlen die mittlerweile Verstorbenen, wie Xabier Lete oder Lurdes Iriondo, aus der Laboa-Generation, die eine ganz wesentliche Rolle gespielt haben in der baskischen Musikgeschichte und ein großes Werk hinterlassen haben. Es fehlt auch die Straßenmusik, die wir ständig erleben, wenn kleine Gruppen von Leuten durch die Gassen gehen, mit Triki, Alboka, Txistu und Tambor. Wenn es im positiven Sinn etwas wie Volksmusik geben sollte, dann das.

Welche aktuellen Tendenzen siehst du in der baskischen Musikszene?
Immer mehr Frauen machen Musik, einzeln wie Izaro, Anari oder Sorkun, als Bands wie „Hexen“ – richtig, ein deutscher Name – oder als DJs wie Tea Party. Bei einer Stadtteil-Fiesta in Bilbozaharra gab es im vergangenen Jahr einen Abend mit vier Frauenbands, das war herausragend.
Ein weitere Tendenz sind die Tribute-Gruppen. Die spielen das Repertoire einer bestimmten Gruppe runter, so originalgetreu wie möglich. Gehört habe ich schon Hertzainak, La Polla Records und Kortatu – mir hat das gefallen, die Sache kommt super an, weil die Leute gerne mitsingen. Und die Texte von den genannten Gruppen kennen alle auswendig.
Die baskische Musik erfindet sich ständig neu. Sie nimmt Tendenzen von außen auf – wie Rap oder Techno – und verbindet sie mit ihrer eigenen Tradition. Das bedeutet Innovation und gleichzeitig kein Verlust der eigenen Wurzeln.

Welche Instrumente spielst du selbst? Hast du mal ein baskisches in die Hand genommen?
In die Hand genommen schon, aber gelernt nicht. Txalaparta macht mich an, das liegt auf jeden Fall noch vor mir, es ist ein Frage von Zeit. Es gibt einige selbstorganisierte Kurse. Alles andere wäre zu kompliziert. Ansonsten hole ich gelegentlich meine Gitarre raus, um die alten englischen Lieder aus den 70ern zu spielen.

Haben wir gerade deine musikalischen Memoiren erlebt – kann das sein?
Na ja, sagen wir mal die baskisch-musikalischen Memoiren. Schließlich hab ich nichts von Frumpy und Udo Lindenberg, von Wader, Biermann und Vlotho erzählt. Diese Geschichte wäre etwas länger. Mittlerweile komme ich hier im Baskenland nicht mehr so viel rum, das meiste konzentriert sich auf das BIBA und die dortigen Vorstellungen. Das reicht, um immer noch was Neues kennen zu lernen.

Eskerrik asko – wir danken für das Interview!
Ez horregatik – nicht dafür!

ABBILDUNGEN:

(*) Abschiedskonzert für Angela Davis (FAT)

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