Gegen Gentrifizierung und Vertreibung
Bis vor 35 Jahren war Bilbao eine Industriestadt. Während Fabriken geschlossen und gleichzeitig Museen und Hotels eröffnet werden, wird die Stadt interessant für internationalen Tourismus. Massentourismus. Bilbo ist zur Attraktion geworden, auch für Investoren. Interessiert nicht nur an Hotels, auch an privaten Unterkünften. Haifisch-Fonds “entmieten“ bisher billigen Wohnraum und bringen ihn auf den Tourismus- und Kapitalmarkt. Vertreibung von Einheimischen und Gentrifizierung sind die Folge.
Tourismus-Attraktion und Immobilien-Spekulation haben tiefgreifende Konsequenzen für den Alltag der Bevölkerung von bisher unattraktiven Stadtteilen. Airbnb und Haifisch-Fonds legen den Mietmarkt trocken, wenig zahlungskräftige Menschen werden vertrieben.
Der Bilbao-Stadtteil San Francisco, nach einem mittelalterlichen Franziskaner-Kloster benannt, wurde bisher von der übrigen Bevölkerung der Hauptstadt gemieden: anfangs waren es zu viele Proletarier, Prostituierte und Travestis, die der Gegend einen gefährlichen Charakter beimaßen. Später waren es Drogen und der Zuzug von Migrations-Familien, die als Argumente dienten, auf keinen Fall durch das Barrio zu gehen. Dasselbe gilt für die Nachbar-Stadtteile Zabala und Bilbo Zaharra.
Mit dem aufkommenden Massentourismus in Bilbo ist diese bisherige Insel-Situation in Bewegung geraten. Weil die gegenüber liegende Altstadt bereits völlig übersättigt ist mit Tourismus, Airbnb und Reisenden, geht die Tendenz nunmehr über den Fluss in die alten Arbeiterviertel. Hunderte von Wohnungen werden legal oder illegal an Touristen vermietet, die finanzschwache einheimische und migrantische Bevölkerung schaut immer mehr in die Röhre. Die Mietpreise steigen, Haifisch-Fonds kaufen sich ein, um fette Profite zu machen. Dafür werden Altmieterinnen herausgeklagt und unter Polizeischutz auf die Straße geworfen.
Am Montag (30. Mai) ließ einer der besagter Geier-Fonds im Stadtteil San Francisco eine Wohnung räumen. Dagegen protestierte die Wohnungs-Gewerkschaft AZET (Alde Zaharreko Etxebizitza Taldea), ein autonomer Zusammenschluss von Personen, die unter der verschärften Situation auf dem Wohnungsmarkt leiden. Bei AZET zusammengefunden haben sich Afrikaner*innen, Marokkaner*innen, Saharaui-Frauen sowie Baskinnen und Basken. Vor der geräumten Immobilie wurde am Tag darauf (31.5.) eine Pressekonferenz durchgeführt, die Erklärung:
Am 30. Mai 2022 hat der Investitions-Fonds "Global Pantelaria", der sich im Besitz der Kapitalgemeinschaft "Cerberus" und der Santander-Bank befindet, fünf Bewohner eines Wohnblocks im Bilbo-Arbeiterviertel San Francisco mit Gewalt geräumt. Vor wenigen Wochen führte derselbe Spekulations-Fonds eine weitere Zwangsräumung im Nachbar-Gebäude durch. Gleichzeitig wird im Laufe dieser Woche im Nachbarhaus eine neue Ferienwohnung eröffnet. Daneben können wir vergessen, dass vor weniger als einem Monat zwei Obdachlose auf der Straße starben.
In den Arbeitervierteln wird das Wohnungsproblem zur Hölle auf Erden. Und das Barrio San Francisco (Bilbao), wo Klassengegensätze, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit eng miteinander verwoben sind, ist ein deutliches Beispiel dafür. Die Immobilien-Spekulation nimmt hier unterschiedliche Formen an. Zum Beispiel die nach Zimmern vermieteten Wohnungen, die von Vielfach-Besitzern angeboten werden und in denen unsere Nachbarinnen (mit unbekannten Personen zusammen) unter miserablen Bedingungen leben müssen. Dazu kommt der institutionelle Rassismus, mit Bestrafungs-Mechanismen von Erpressung und Belohnung der sozialen Dienste und Institutionen. Und nicht zuletzt die gigantischen Immobilien-Spekulanten, die als Geier-Fonds im Windschatten von Banken und der Tourismus-Industrie im Anmarsch sind und immer mehr Immobilien in unseren Arbeiter-Vierteln in Besitz nehmen.
Spekulation und Tourismus
Das Arbeiter-Viertel San Francisco in Bilbo ist heute ein solches Gebiet der Immobilienspekulation. Dieses Barrio hat sich von einem randständigen, verabscheuten und ausgegrenzten Viertel zu einem Ort entwickelt, der für das Spekulations-Kapital interessant ist. Und dafür sind mehrere Faktoren verantwortlich:
* Einerseits haben profitgierige Investitions-Fonds und Banken große Kapitalmengen in Stadtviertel wie San Francisco verlagert, wo sie perfekte Voraussetzungen für einfach zu erzielende Gewinne vorfinden, indem die Mietpreise für neue "wohlhabende Klassen" erhöht werden, die hier angeworben und erwartet werden.
* Am gleichen Strang zieht die Tourismus-Industrie. Immer mehr Eigentümer ziehen es vor, die Häuser, die sie früher auf dem allgemeinen Markt vermieteten, in Ferien-Wohnungen umzuwandeln (legal oder illegal), um so ihre Gewinnspanne zu erhöhen. Die Folge ist, dass immer mehr Personen keine bezahlbare Bleibe mehr finden und das Gemeinschafts- und Nachbarschafts-Leben langsam verschwindet.
Widerstand
Das einzige Problem für diese Kapitalisten, die sich weiterhin grenzenlos die Taschen füllen wollen, sind jene, die sich gegen diese Entwicklungen wehren: Wir – die Armen. Die Nachbarinnen aus der Arbeiterklasse. Diejenigen, die sich weigern, ihre Nachbarschaft und ihr Zuhause zu verlassen. All jene, die jeden Tag unter den Kollateralschäden dieser großen Investitionen und Gentrifizierungs-Kampagnen leiden. Wir erleben die Militarisierung unserer Straßen (wegen Pandemien und angeblich fehlender öffentlicher Sicherheit), ständige Mieterhöhungen, rassistische Übergriffe (durch Polizei und xenophobe Bewohner) und immer häufiger Zwangsräumungen. Mit anderen Worten: Elend und noch mehr Elend.
Deshalb sind wir heute hier in San Francisco auf der Straße, nicht nur um diese so-und-so-vielte Zwangsräumung anzuprangern und die Verantwortlichen dafür zu benennen. Wir sind hier, um die Bewohnerinnen im Viertel von San Francisco aufzurufen, sich zu organisieren und sich zu wehren. Wir werden aus unseren Wohnungen vertrieben, wir sollen aus unseren Lebens-Vierteln vertrieben und auf die Straße gesetzt werden, um der Gentrifizierung und der Vertreibung von armen Leuten Platz zu machen. So betrachtet ist der Versuch, sich zu organisieren und Widerstand zu leisten, nicht nur eine moralische Pflicht, sondern eine Notwendigkeit und eine Frage des Überlebens.
AZET
Aus all diesen Gründen ruft AZET Etxebizitza Sindikatua (bask: Wohnungs-Gewerkschaft) all jene Nachbarinnen und Nachbarn auf, die von Vermietern, Banken oder Geierfonds in irgendeiner Form ausgegrenzt und erpresst werden, in der Gewerkschaft aktiv zu werden, sich zu organisieren und mit uns gemeinsam zu kämpfen. Alle diese Ausbeuter werden unseren Widerstand erleben, gemeinsam und organisiert!
ANMERKUNGEN:
(1) “Desahucios en San Francisco“ (Zwangsräumungen in San Francisco), Baskinfo, 2022-05-31 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Räumungs-Protest (FAT)
(2) Räumungs-Protest (FAT)
(3) Räumungs-Protest (FAT)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-06-01)