Sprachlektionen
Sprachlich ist das Baskenland nicht der einfachste aller Lebensorte. Die beiden offiziellen Kommunikations-Varianten, Baskisch und Spanisch, stehen sich nicht gerade freundschaftlich gegenüber. Zuletzt mischte sich – über Tourismus vermittelt – auch Englisch in den Sprachsalat. Und als wäre das nicht schon genug – zu Hause sprechen wir übrigens Deutsch – erhalten wir im Fernsehen auch noch kostenlosen Unterricht in einer Zusatzsprache. Die emanzipatorischen Ereignisse in Katalonien sind derzeit Hauptthema baskischer Medien.
Sympathie zum einen und Sprachverwandtschaft zum andern führen dazu, dass viele dieser Berichte im Original ohne Übersetzung gezeigt werden. Dabei bezieht sich die Verwandschaft nicht auf das baskische Euskara (das leider nur 35% der Bevölkerung sprechen), sondern auf das Spanische, dessen mehr als 99% mächtig sind. Katalan und Castellano stammen beide aus der romanischen Tradition und haben Gemeinsamkeiten, auch wenn es heißt, dass Katalan mehr dem Französischen ähnelt als Cervantes Sprache. Wir verstehen uns schon! Mit Abstrichen bei jenen, für die Baskisch und Spanisch keine Muttersprachen darstellen. „Visca Catalunya lliure“ haben wir treuen TV-Zuschauer*innen schon gelernt: „Es lebe das freie Katalonien“. Und wenn Carles, der Regierungschef spricht, bekommen wir durchaus einen Eindruck vom Diskurs. Weil sich die Ereignisse derzeit förmlich überschlagen, darunter viele Live-Übertragungen, hat das baskische Fernsehen oft nicht die Zeit, das Katalan zu übersetzen, was uns in den Genuss sprachlicher Nachhilfe kommen lässt und das kulturelle Bewusstsein erweitert. Sicher nirgendwo anders im Staate lernen die Menschen so begierig Katalan wie im Baskenland. Wohl nicht aus intellektuellem Interesse, sondern aus Sympathie, Empathie und ideologischer Nähe. Die große Mehrheit der Bask*innen hat zu Katalonien ein weit familiäreres Verhältnis als zu jenem Staat, der ihnen die Personalausweise ausstellt. Schließlich standen beide Regionen bereits vor 80 Jahren Seite an Seite den aufständischen Faschisten gegenüber. Nicht wenige Euskaldunes schauen mit neidischem Blick auf das, was sich in Katalonien heutzutage abspielt. Auf der andren Seite stehen nicht mehr die alten Franquisten mit den blauen Falange-Uniformen, sondern deren Söhne und Töchter, zu Demokraten gewendet. In Europa genießen sie Respekt, nur manchmal, wenn Demokratie und Volksbefragung „übertrieben“ werden, geht der alte Charakter mit ihnen durch. Gegenüber stehen sich nicht zwei Nationalismen, wie es die Presse häufig gerne darstellt. Gegenüber stehen sich zwei Auffassungen von Gesellschaft und Leben: ein modernes republikanisch-föderales Konzept einerseits – ein autoritäres, rückwärts gerichtetes monarchisches auf der anderen Seite. Wie vor 80 Jahren.
Das Trapero-Syndrom
Aufstieg und Fall von … ist eine Wirklichkeitsoper, die in spanischen Gefilden gespielt wird. Sie handelt von Monarchen, die in Skandalen enden, oder von Faschisten, die gute Demokraten werden. Das Leben ist ein Auf und Ab. Die Oper handelt von solchen, denen es in die Wiege gelegt wurde, was auch immer, Reichtum, Armut, Mittelmäßigkeit. Sie handelt von erfolgreichen Politikern, die so weit nach oben rauschen, dass sie meinen, immer tiefer in fremde Kassen greifen zu können, ohne eine Reaktion erwarten zu müssen. Von Olympiasiegern handelt die Oper, die sich mit Korruption in den wirtschaftlichen Ruin manövrieren und vor langen Gefängnisstrafen bewahrt werden müssen. Von Durchschnitts-Zeitgenossen, die dem Begriff „picaresca“ Leben einhauchen. Lazaro de Tormes, Simplizissimus, Gürtel, Rajoy, Urdangarin. Galindo, der gefeierte Polizeigeneral, dem einmal zu oft die tödliche Hand ausrutschte, vom Hauptleitstand in die Gefängniskapelle. Der von der Polizei meistgesuchte Josu wird ins Parlament gewählt und schon kurz danach wieder meistgesucht, obwohl er zwischenzeitlich zum Friedenstifter geworden ist. Der IWF-Chef gibt zu viel internationales Kleingeld aus, der Fußball-Präsident Jesus verwechselt Club und Rathaus, der Kapitalist besticht die Falschen und der Parteisekretär Luis schreibt genau auf, an welche Regierungs-Mitglieder er wieviel Bestechungsgelder ausbezahlt. In einem späteren Akt der Wirklichkeitsoper tritt ein gewisser Trapero auf, der bei der Polizei Karriere macht, dessen Untergebene nicht unumstritten sind und der über einen Fallstrick fällt, den er sich im Leben nie vorgestellt hatte, weil er das Pech hatte, ausgerechnet in Katalonien seine obrigkeitstreue Rolle spielen zu müssen. Manche steigen auf, vergessen den Fallschirm und die Moral, entdecken die picaresca und fallen wie der Bub vom Watzmann. Andere folgen ihrer Berufung und erfahren denselben Aufstieg und Fall von … Spanische Schicksale, mitunter mit baskisch-katalanischer Färbung. Politisch-wirtschaftliche Berg- und Talfahrten. Erst unter der Erde treffen sich alle, Gute wie Schlechte.
Völlig losgelöst
Surrealismus ist eine Kunstrichtung. Insofern lag das Guggenheim-Museum ganz richtig mit seiner gleichartigen Programmgestaltung zum 20. Jahrestag der Eröffnung. Aus aller Welt kamen Glückwünsche in Form von Jubelorgien, die mit der Realität ziemlich wenig zu tun hatten. Weil das Jubiläum nicht wie bei Normalsterblichen einen Tag dauert, sondern einen ganzen Monat, war Raum für vielerlei Losgelöstes. 120 Saxofonisten durften einen Bläserrekord aufstellen. Eingeladen war das Volk, Karten gab es jedoch keine, die waren schon unter der Hand verteilt. Mithören durfte das erlesene Publikum, als live eine Leitung geschaltet wurde zum spanischen Astronauten P.D., der völlig losgelöst in der Europäischen Columbus-Raumstation vegetiert und von einer bekannten Bank gesponsert bei der Gelegenheit aus dem Nichts gratulieren durfte. Von der Realität losgelöst waren die Projektionen, die über den Fluss die Titantafeln beleuchteten. Denn das Volk kam in derart großer Zahl, dass der Verkehr nachts zusammenbrach, niemand zum Ziel kam und die Mehrheit so gefrustet war wie damals, als der Standort des Museum beschlossen wurde. Ansonsten durfte das Volk für einen neuen Besucherrekord sorgen. Das war schlau eingefädelt: alle Bizkaierinnen und Bizkaier hatten für Oktober eine Gratis-Eintrittskarte erhalten. Eine Menge Bilbainos und Bilbainas kamen so zu ihrem ersten und wahrscheinlich letzten Guggenheim-Besuch, denn für so was zahlen doch nur Ausländer und Touristen. Vom gesellschaftlichen Durchschnitt losgelöst fraßen sich zum Abschluss 500 extra Geladene durch ein Viele-Sterne-Menü, während am anderen Ende der Stadt Obdachlose ihre Kartons zusammensuchten, um in einem Hauseingang die Nacht zu verbringen. Was Bilbao braucht sind reiche ausgabefreudige Touristen und Politiker, die gerne in die öffentlichen Kassen greifen – bloß keine Obdachlosen und Festvermießer. „Kill the poor – feed the rich“ sangen die toten Kennedys einst, als in Bilbao die Welt noch verstunken und verstaubt aber in Ordnung war. (UB)
Härzlichen Glückwunsch!
Nach einer zwei Dekaden andauernden Rekordserie feiert das berühmteste Museum der Welt in Bilbao seinen 20. Geburtstag. Kein Jahr verging ohne Anstieg der Besucherzahlen, die der Stadt Milliarden an Einnahmen eingespielt haben sollen, so das Museum. Bei den im Sektor Beschäftigten blieb davon nichts hängen außer Prekarität. Auch wenn es eine lustige Versammlung war, die sich Anfang Oktober vor dem musealen Blumenhund abspielte, hatte sie dennoch einen traurigen Anlass: ein Jahr nach den Massenentlassungen im Museum. „Zwanzig Jahre voller prekärer Arbeitsbedingungen, über Subunternehmen oder Leihfirmen. Zwanzig Jahre Verweigerung von Arbeitsrechten“, beklagten die Betroffenen mit ihrer Gewerkschaft. Harte Worte. Vor 12 Monaten waren alle pädagogischen Kräfte des Museums auf die kalte Art entlassen, als sie begannen, ihre Rechte mit einem Streik zu verteidigen. Bessere Bedingungen und einen höheren Lohn hatten sie gefordert, beides Forderungen, die kurz zuvor den Bediensteten des zweiten großen Museums in Bilbo zugestanden worden waren. Kalte Entlassung deshalb, weil die Firmenleitung schlicht den Vertrag mit dem Subunternehmen nicht verlängerte. „Kunst soll als Fast-Food angeboten werden, sie soll in ein Gewinngeschäft für einige wenige verwandelt werden. Für die Beschäftigten bleibt da nichts als Elend. Wir wollen ein Museum von Qualität, ohne Vetternwirtschaft, ein Museum, das Rechte und Würde der Beschäftigten garantiert und verteidigt. Auch hinter der glitzernden Fassade“. Zum Jubiläum kostenlos verteilte Eintrittskarten wurden zerrissen und in die Luft geworfen, dazu spielte eine Rockband, die Stimmung war ausgelassen, motiviert für den nächsten Streik.
Diktatie oder Demokratur
Was in der Schweiz der Inbegriff direkter Demokratie ist, wird im spanischen Staat als Staatsstreich, als Putsch oder als Anschlag bezeichnet: Volksbefragung, Referendum. Begründung: es sei nicht legal, es verstoße gegen die Verfassung. Legal ist es nicht, weil der Begriff Dialog im Staat nicht bekannt ist. Was in der katholischen Kirche der Glaube an die Jungfrauengeburt, ist im politischen Leben das Festhalten an der spanischen Verfassung. „Lieber ein rotes Spanien als ein zerbrochenes Spanien“, sagte der rechte Politiker Sotelo einst. Er muss die Gefahr eines Bruchs bereits vor 90 Jahren gesehen haben. Die Gefahr der Imperien, deren politische Macht aus den Gewehrläufen kommt: 1200, 1492, 1512, 1714, 1936. In Katalonien wurde das schlimmste erdenkliche Verbrechen begangen, Wahlurnen zu fordern wo sie nicht vorgesehen waren. Das erforderte eine blutige Antwort. Nichts wird sein wie vorher. Nicht in Katalonien, nicht im Baskenland nicht in Spanien. Die Apologie des Bruchs beginnt bereits mit der Forderung von Föderalismus. Den hätte Katalonien akzeptiert. Nicht einmal über Francos Leiche, sagt die Rechte und lässt sich bejubeln von waschechten Faschisten mit Franco-Fahnen. Pre-konstitutionell werden jene Flaggen genannt, also vor der Verfassung. Wer sich nicht distanziert, hat sie gerufen. Was zeigt, welche Verfassung hier real verteidigt wird, oder vielleicht gar keine, in Hinblick auf den alle Geschicke leitenden Führer.