Heiliger Tomas!
Drei Tage vor Heilig Abend ist im Baskenland der Heilige Tomas angesagt. Die Tradition besagt, dass kurz vor Weihnachten die Bauern und Bäuerinnen aus dem Umland in die Stadt kamen, um ihre Produkte zu verkaufen, ihre Pacht zu bezahlen und selbst die nötigen Einkäufe zu machen. In Arrasate ist schriftlich dokumentiert, dass das entsprechende Fest zumindest bis in Jahr 1351 zurückgeht. Heutzutage ist es der letzte Anlass im Jahr, noch einmal richtig auf das Fiesta-Pedal zu treten. In Arrasate drei Tage lang, mit Vieh-, Gefieder- und Gemüsemarkt.
Traditionell wird ein Schwein ausgestellt und anschließend verlost. Manche betrachten das als Tierquälerei, weshalb es in Bilbao schon kein Schwein mehr gibt – 1351 dachte noch niemand an solche Befindlichkeiten. Zu Santo Tomas in Bilbao kommen bis zu 120.000 aus dem Umland, die meisten ordentlich euskaldun gekleidet mit Bauernjeans, Mendigozale, Gerrriko, Abarka, Kopftuch und Baskenmütze. Im Mittelpunkt des Festes steht neben den Einkäufen der Genuss des neuen Apfelweins „Sagardo“ oder „Sidra“und eines „Talo“. Der Talo ist ein Maisfladen, in den eine Txistorra-Wurst oder anderer Schweinkram gesteckt wird. Beim Talo reicht einer, beim Sagardo hingegen liegt die Qualität in der Quantität, sodass der Tag des Heiligen nicht nur zur letzten Fiesta, sondern auch zum letzten großen Besäufnis (vor Silvester) wird. Das Wetter kann so schlecht sein wie es will, nachts um 23 Uhr wird es schwierig, nicht auf eine der Millionen von leeren Flaschen zu treten, die auf Straßen, Kinderspielplätzen, in Parks herumliegen. Männer und Frauen pissen, wo es eben gerade dringend ist. Für die Einheimischen endet die Nacht morgens um sechs, wenn die Putztrupps zum X-ten Mal ihre Runden drehen, um die Tonnen von Dreck wegzuräumen. Zum Schwein gibt es Tanz und Lied: „Gizendu jaku txarrixa / saltoka dabil herrixa / aintxinako iturrixa / umore barri barrixa. / Talua arto uruna / eta baserriko lanak / erakusten bagabiltz baña / lekutan daz horreik danak. / Sasoi bateko ohitturak / etortzen jaku gogorua / tertulian egoteko / bazan nahikua denpora.“ Na, wenn das so ist, das entschuldigt alles!
Pintxos - Tapas
Tapa heißt auf Spanisch „Deckel“. Daher soll der Name kommen für die kleinen Appetithappen, die in vielen Gegenden der iberischen Halbinsel zum Getränk gereicht werden. Das Baskenland wäre nicht Baskenland, wenn die Angelegenheit dort nicht einen anderen Namen hätte. Doch zunächst zur Geschichte des kostenlosen Miniimbisses, der von Andalusien bis Asturien und Galizien verbreitet ist. Viele Geschichten und Legenden ranken sich um seine Entstehtung. Einst soll ein Stück Brot auf das Getränkeglas gelegt worden sein, damit keine Fliegen drangehen. Praktisch. Ein König soll während einer Krankheit gezwungen gewesen sein, zur Kur zwischen den Mahlzeiten Wein und Häppchen zu sich zu nehmen. Nach seiner Gesundung soll er verordnet haben, Wein dürfe künftig nur noch mit solchen Kleinigkeiten serviert werden. Typisch Spanisch: der König steht über Gott und erfindet alles. Die pragmatischste Erklärung ist sicher, dass die Behörden einst veranlasst haben, zu jedem alkoholischen Getränk eine bissfeste Zugabe zu reichen, damit die männliche Seele nicht zu schaden komme und arbeitsfähig bleibe. Bei Tapas gibt es keine Auswahl, die Kneipiers bestimmen, was dieKüche hergibt. Dabei muss es sich nicht um Brot mit Schinken oder Käse handeln, es können auch Erdnüsse oder Oliven sein. Bis heute werden Tapas vielerorts gratis serviert – nicht so im Baskenland. Dort heißen die Teile nicht nur Pintxos. Sie sind auch weit reichhaltiger und komplizierter präpariert. Und sie kosten Geld. Wer in Bilbao gratis eine Zutat gereicht bekommt, kann sicher sein, dass er oder sie in einer galicischen oder andalusischen Kneipe gelandet ist. Der Name der aufwendigeren baskischen Version kommt vom Wort „pintxatu“ – stechen, denn die Pintxo-Elemente sind entweder auf einem langen Zahnstocher aufgereiht, bestes Beispiel die Gilda mit Oliven, Sardellen oder kleinen Heringen. Auch die horizontalen Kompositionen sind mit einem Hölzchen bestückt, damit sie besser von Teller genommen werden können. Wer im Baskenland Tapas bestellt, demonstriert damit kulturelle Ignoranz und Respektlosigkeit. Bask*innen essen nie mehr als einen Pintxo, weil es sich dabei nicht um Essen handelt, sondern um eine Zutat, oder einen Überbrücker. Wer sich also mit einem Fünferteller erwischen lässt, hat sich automatisch als „Giri“ entlarvt. Giri? Barkatu, keine Pintxo-Version, ist das Wort für Massentourist.
Txoko oder was?
Txokos sind lebendiger Ausdruck der Bedeutung guten Essens im Baskenland. Nur in Bizkaia werden sie so genannt. Im übrigen Baskenland heißen sie Sociedades, also Gesellschaften, welch ein langweiliger Name im Vergleich zum markig männlichen Begriff Txoko. Entstanden sind sie in den 1930er und 1940er Jahren, als geschlossene Lokale, in denen sich Männer zum Kochen, Essen und Zeitvertreib zusammenfanden. Txokos sind eine Art Weiterentwicklung der alten baskischen Männertradition, sich in Kneipen zum Singen, Diskutieren, Essen und Trinken zu versammeln. Erst nach dem Franquismus wurde die Männer-Regel gelockert, sodass mittlerweile auch Frauen zugelassen werden. In manchen Fällen dennnoch nur als Gäste, nicht als Mitglieder oder zum Kochen. Die Essenszubereitung bleibt Männerdomäne, bevorzugt die traditionellen Regionalgerichte. Was der Mehrheit der Männer zu Hause abgesprochen wird – die Bereitschaft, in der Küche tätig zu werden – ist im Txoko die tragende Säule der Einrichtung. Beim Einkauf, in der Kneipe, im Fußballstadion, überall wird über Essen diskutiert, werden Rezepte oder Empfehlungen ausgetauscht, jedes Fernseh-Programm hat eine oder mehrere tägliche Kochsendungen laufen. Gutes baskisches Essen ist Philosophie, Gemütshaltung, Menschenrecht, moralische Überzeugung. Nur über Politik durfte, früher jedenfalls, nicht gesprochen werden, bei vielen Txokos stand das sogar in der Satzung. Nicht alle Txoko-Mitglieder müssen sich kennen, geschweige denn Freunde sein. Andere Gemeinsamkeiten, wie der Stadtteil, reichen aus. Für die gute Koexistenz sorgt die selbstgeschriebene Hausordnung, an die sich alle strengstens halten. Das Übrige regelt ein Kalender, auf dem alle Belegungen oder Aktivitäten eingetragen werden. Für Auswärtige ist es fast unmöglich, einen Txoko von innen zu erleben, denn öffentlich findet hier nichts statt. Es würde schon einen besonders innige Freundschaft zu einem Txoko-Mitglied voraussetzen, gegen diese Regel anzukommen.
Gastronomisches Grundstudium
Nicht dass ich alle Orte der Welt kennen würde, aber nirgendwo gibt es so viele Bars, Kneipen, Cafes und Gaststätten wie in den Städten und Dörfern des Baskenlandes. Fast jedes noch so kleine Kaff hat zumindest eine kleine Bude, in der es Bier und mittelmäßigen Wein zu schlürfen gibt. Bis vor Kurzem waren die Wohnungen nur zum Schlafen, der Rest des sozialen Lebens spielte sich auf der Straße ab, vom ersten Schnapps nach dem Aufstehen bis zum Absacker nach Mitternacht. Ganz anders als ich das aus meinem bisherigen Leben gewohnt war. Zu Beginn meiner neuen Lebensetappe in Euskal Herria war ich dementsprechend motiviert, die Bandbreite dieser Seite des Lebens kennenzulernen und jedes noch so kleine Detail zu beobachten. Die politischen Vorlieben der Kneipiers zum Beispiel zu erkennen an der Auswahl an ausgelegten Tageszeitungen, aufgehängter Plakate, des zwischen den Alkoholflaschen stehenden Schnickschnacks, den Fotos an den Wänden oder den Stierkampfbezügen. Jedes Detail zählte, selbstverständlich auch das laufende Fernsehprogramm. Bevorzugt machte ich mich alleine auf die Piste, denn die Kommunikation in Gruppen war angesichts des großen Lärms von TV und Stimmen fast unmöglich. - War ich unterwegs, so wählte ich selten zwei Mal dasselbe Lokal, immer auf der Suche nach einem neuen Kick, einer unbekannten Besonderheit, einer besonderen Exotik, einem überraschenden Smalltalk. Nur gelegentlich kam ich in die fünf Ruhepunkte zurück, in denen ich mit Namen angesprochen wurde und wo ich drei Tropfen Wein mehr eingeschenkt bekam. – Vieles hat sich verändert. Meine Sturm-und-Drang-Zeit ist lange vorbei. Im Stadtteil bewege ich mich zwischen fünf oder zehn Etablissements, denen ich jeweils eine Funktion zugeordnet habe: Zeitung lesen, Fußball gucken, Freunde treffen, in Ruhe gelassen werden, oder gut essen. Meine freiwillige Selbstbeschränkung hat ihre Gründe. Zuallererst kam die Wirtschaftskrise – oder das, was so genannt wird. Das Geld wurde knapper, viele gingen nicht mehr raus, oder konzentrierten sich auf die Exzesse des Wochenendes. Die Kohle hatten kauften sich größere Wohnungen mit größeren Bildschirmen und größeren Kühlschränken. Größte Änderung war und ist jedoch die um sich greifende Konformisierung der Kneipen-Szene. Jeden Monat schließt in der Altstadt eine alte Kaschemme. Wenn zwei Monate danach an gleicher Stelle ein neues Lokal aufgemacht wird, ist von der Geschichte des Alten nichts mehr zu erahnen. Denn alle Neuen sind gleich, mit viel Spiegel und Glas, viel Pomp und Glitzer, mit englischem Namen und weder Atmosphäre noch Charme. Dafür riesige Flachbildschirme mit spanischen Müllprogrammen. - Mit Wehmut denke ich an das Küchenlokal im Bergarbeiterviertel zurück, wo Kneipe und Wohnküche integriert waren, wo im 60 Quadratmeter großen Raum an Wand und Decke kein Räumchen frei blieb, alles voll mit Relikten aus alten Zeiten, von Pferdezügeln über Ofenhaken, vergilbte Fotos oder Erinnerungskitsch, ein Raum, der den Titel „Museum des Lebens“ verdient gehabt hätte. Geschlossen wegen Ruhestand. Oder das dunkle Loch Soiz mit der langen schwarzen Theke in der Aldezaharra, wo Bierkisten dutzendweise gestapelt waren, der Boden schmutzig, der Ton unter Männern besonders rauh war und ich mehr als ein Fußballfinale zu sehen bekam. Allein Touristen fühlen sich im neuen Strahlenambiente wohl, sie können sich wie zu Hause fühlen, weil alles tatsächlich wie sonstwo aussieht. Hil da jainkoa, hil da tabernako arima.
Allium Sativum
Es fehlt mir jegliche Erinnerung, ob ich in meiner Jugendzeit mit Allium Sativum zu tun hatte. Beim Essen zum Beispiel, als Zutat. Da mein Gedächtnis ansonsten gut funktioniert, muss ich davon ausgehen, dass mir Allium Sativum im ersten Lebensabschnitt vorenthalten wurde. Die einzige Erwähnung, die es fand war abschreckend gemeint: die Türken essen es, deshalb werden sie „Knoblauch-Türken“ genannt. Zur subjektiven Beurteilung der Geschichte fehlte mir die Eigenpraxis. Die begann ich zu sammeln, als ich meine Füße unter meinem eigenen Tisch hängen hatte. Bei den folgenden Experimenten kam auch Knoblauch hinzu, es war die Zeit, als das Bewusstsein für gesunde Ernährung zu wachsen anfing. Knoblauch war gut für Blut und Herz – weniger positiv war es für dem Atem. Sagten alle Außenstehenden, Freunde und Feinde. Neben pikanten orientalischen Delikatessen gewöhnte ich mich an die Schärfe der kleinen Knolle – weshalb sollten nur Türken in diesen Genuss kommen! Es folgten die langen Jahre des Spruchs „Hast du Knoblauch gegessen? Riecht man! Ich hab ja überhaupt nichts gegen Knoblauch, soll ja sehr gesund sein“. Nach vorsichtigen Schätzungen hörte ich die Worte in 25 Jahren ca. 1000 Mal (ein Mal pro Woche). Demgegenüber weigerte ich mich hartnäckig, den Satz in meinen aktiven Sprachgebrauch aufzunehmen. Danach zog ich weg aus dem Knoblauch-Hasser-Land in eines, in dem es weder Türken gibt noch scharfe Gewürze. Die „baratxuri“ genannte Zehe kommt hier dennoch häufiger zum Einsatz als Petersilie, die praktisch nur zu Fisch gegessen wird. Gut zerkleinert oder angebraten, in allen Varianten, bis hin zur Haute Cuisine. Die Menschen im Baskenland sind große Feinschmecker*innen, ich vermute allerdings, dass sie einen genetischen Defekt haben. Dies schließe ich aus der Tatsache, dass ich in diesem Ländchen nie auch nur ein einziges Mal gefragt wurde, ob ich … naja, diese lästige tausendfache Frage eben. Nicht ein Mal! Was völlig unmöglich ist, wenn mensch bedenkt, dass ich mir die Stulle manchmal nur mit Butter und K-Scheibchen schmiere und mir selbst beim Essen die Tränen kommen. Unvorstellbar, dass dies nie einer Gesprächspartnerin aufgefallen sein soll! Bleibt nur die Erklärung der genetischen Insuffizienz der gesamten Ethnie. Der Umstand nährt meine Hoffnung, ein dreistelliges Alter zu erreichen, wie Johannes Heesters, Kirk Douglas und Joxemiel Barandiaran. In meinem deutschen Leben behalf ich mir mit scharfem Senf, der für folgende Begegnungen geruchsfrei war. Ihn gibt es in Euskal Herria nur über aufwendige Importwege. Aber egal. „Die Fahrkarte sichert die Fahrt, der Knoblauch den Platz“, so die alemannische Philosophie – „Sieben sind eins“ ist die baskische Antwort, mit oder ohne Knoblauch.