Medizin ist Männersache
An der Fakultät für Medizin und Krankenpflege der baskischen Universität wurde auf Antrag von Studierenden ein Gemälde abgenommen. Auf dem Bild war die Geschichte der baskischen Medizin bis Mitte der 1950er Jahre dargestellt, in Form der wichtigsten Vertreter des Sektors, einschließlich Anthropologen und anderen Wissenschaftlern. Die einzigen weiblichen Figuren, die auf dem Gemälde zu sehen sind: die Statue einer nackten Frau, zwei Nonnen und eine anonyme Frau mit Kind. Viele Studentinnen fanden die Darstellung sexistisch, diskriminierend, beleidigend.
Das Bild sei „hypersexualisiert“, so das Schlagwort der Kritik. Beim Corpus Delicti handelt es sich um die Reproduktion eines Wandbilds, das der Fachbereich vor fast 40 Jahren bei einem baskischen Maler in Auftrag gegeben hatte – das Original hängt im Museum der Geschichte der baskischen Medizin, ebenfalls innerhalb des Unibereichs. Die Kopie war bislang an zentraler Stelle zu sehen, wo Kongresse, Versammlungen und Vorstellungsgespräche stattfinden. Der Fachbereichsrat musste entscheiden, die Abstimmung ergab 35 Stimmen für das Entfernen des Bildes, 21 dagegen bei 12 Enthaltungen. Eigentlich ein klares Ergebnis. Doch die Herren der Schöpfung konnten sich damit nicht abfinden. „Man kann nicht die Geschichte verändern, denn damals gab es eben noch keine Frauen in relevanten Stellen der Medizin“. Deshalb sei das Entfernen des Männerbilds „ein Akt der Zensur“ – jeder verteidigt eben seinen Besitzstand. „Die Geschichte ist wie sie ist“, so ein weiterer lakonischer Kommentar – die Privilegierten hatten noch nie ein Interesse an Änderungen der Realität zu ihren Ungunsten. Die beste Analyse lieferte der Direktor des besagten Medizin-Museums. Er sprach von „Geschichtsfälschung“. Auf den Müll geworfen wird das Werk sicher nicht. Bereits jetzt drängeln sich verschiedene Professoren darum, die Macho-Darstellung in ihren Büros aufhängen zu dürfen. Trotz des Beschlusses sitzen sie fest im Sattel ihrer Medizin.
8M: Sechs Millionen beim Streik
Am zurückliegenden internationalen Tag der arbeitenden Frauen – 8.März – haben im spanischen Staat 6 Millionen Personen gestreikt. In den typischen Frauen-Arbeitsbereichen waren es 75%. Die von verschiedenen Gewerkschaften publizierten Zahlen machen den großen Erfolg des Frauen-Streiktages deutlich. Praktiziert wurde der Streik nicht nur an den üblichen Arbeitsplätzen, er erstreckte sich auch auf die Bereiche Betreuung, Schulen und Universität, sondern galt ganz allgemein für den Konsum. Zur Demonstration in Madrid kamen nach offiziellen Angaben 350.000 Personen, praktisch das Doppelte der Zahl des vergangenen Jahres, die ohnehin schon ein riesen Erfolg war. Ebenfalls offizielle Angaben aus Barcelona sprechen von 200.000 Teilnehmerinnen, in Sevilla und Bilbao waren es jeweils 50.000. Für Bilbao bedeutet das: ein Siebtel der Stadtbevölkerung. In feminisierten Arbeitssektoren wie Telemarketing, Erziehung, Gesundheitswesen lag die Streik-Beteiligung am 8M laut der linken Gewerkschaft CGT bei 75%. Trotz übertriebenen Minimaldiensten in Bereichen wie Gesundheit. Hervorgehoben wird, dass der Streik selbst in der Industrie deutlich spürbar war, mehr als im Vorjahr, obwohl es sich um einen stark maskulinen Arbeitsbereich handelt. Von Seiten der anarcho-syndikalistischen CNT wird die 75% Streikbeteiligung bestätigt. Generell lag die Beteiligung bei 27%, in den großen Städten sogar bei 50%. Die sozialdemokratische UGT und die ehemals kommunistische CCOO hatten zu Minimalstreiks von zwei Stunden aufgerufen. Laut UGT waren am Streiktag 31% der insgesamt 19 Millionen Arbeitstätigen im Staat nicht oder nur teilweise bei der Arbeit. Besonders gut befolgt wurde der Streik in Sektoren der öffentlichen Verwaltung, Erziehung und Gesundheit, sowie in großen Industrie- und Dienstleistungsbetrieben: Banken, Medien und Transport. Am meisten gestreikt wurde an den Universitäten. Laut CCOO, die in der Erziehung zu 24 Stunden Streik aufgerufen hatte, lag die Beteiligung an den Unis bei 80%, in Berufsschulen und Gymnasien bei über 60%, in Kindergärten und Grundschulen bei 42%. Ein runder Erfolg.
Weibliche politische Gefangene
Frauen stehen in der Gesellschaft immer an zweiter Stelle, egal worum es geht, auch im Strafvollzug. Gefängnisse sind für Männer gebaut, die stellen auch fast 90% der Knastbevölkerung. Frauentrakte hingegen sind oft improvisierte Umbauten oder Anhängsel von Männertrakten. Die im spanischen Staat eingesperrten weiblichen politischen Gefangenen – 27 an der Zahl – sind aufgeteilt auf 19 verschiedene Gefängnisse. Nur in drei Knästen sind jeweils zwei Baskinnen eingesperrt, in einem besonders ausgestatteten Gefängnis bei Valencia sind es sechs, weil dort Frauen mit Kleinkindern bis zu drei Jahren festgehalten werden. Die übrigen 15 Gefangenen sind jeweils ohne baskische Begleitung, teilweise sogar in Isolation. Mit einer Ausnahme, in Logroño an der baskischen Südgrenze, sind alle weit entfernt von zu Hause. Dispersion wird das im Staat genannt und ist eine extra Strafe, vor allem für die zu Besuch kommenden Angehörigen, die nicht vom Gesetz abgedeckt ist. Im französischen Staat sieht es nicht viel besser aus. In drei weit vom Baskenland entfernten Knästen sind 9 baskische Frauen untergebracht. Die Regierung dort zeigte sich, nach der Auflösung von ETA, zuletzt bereit, Gefangene näher Richtung Baskenland zu bringen. An der Grenze zum französischen Baskenland existieren zwei Vollzugsanstalten. Doch die haben keine Module für Frauen. Keine Chance, der Heimat näher zu kommen vor der endgültigen Entlassung.
Antifeministische Querschüsse
Dass der feministische Frauenstreik am 8. März der spanischen Ultrarechten ein schmerzlich glimmender Metallspan im Auge ist, dürfte von Natur aus klar sein. Denn außer banalen Dummsprüchen und dem Versuch der feindlichen Übernahme („Wir und die Frauenrechte“) hat der Konservatismus zum Thema nichts zu melden. Drei Tage vor dem mit Spannung erwarteten lilafarbenen Aktivtag hat die Ultrarechte nun ihre Geschütze in Stellung gebracht – die peinlich militaristische Wortwahl sei an dieser Stelle ausnahmsweise erlaubt – und feuert auf alles, was nach Gleichberechtigung und Feminismus klingt, riecht oder so aussieht. In Valencia wurde ein Werbebus der ultrakatholischen und rassistischen Organisation HazteOir (Schaff dir Gehör) von der Polizei gestoppt. Wegen des Verdachts, Hass zu predigen. Der in gedämpftem Falange-Blau gehaltene Bus trägt die Aufschrift „Es ist keine Geschlechter-Gewalt, es ist häusliche Gewalt“. Damit soll den unzähligen jedes Jahr von ihren Männern ermordeten Frauen im Land abgesprochen werden, dass es bei den Bluttaten einen patriarchalen Hintergrund gibt. Häuslich hört sich hingegen an wie eine defekte Gasleitung. Und vom Patriarchat leben die blauen Kumpels. Nicht genug mit dieser Provokation. Neben dem eher schlichten Spruch ist ein Konterfei des Franco-Freundes Hitler zu sehen. Dessen Militärmütze ist mit einem lila Frauenzeichen versehen, auf Backe und Mund hat der Obernazi lila Punkte. Untertitel der Karikatur ist „StopFemiNazis“. Falls an dieser Stelle eine Erklärung nötig ist: alle Feministinnen sind Faschistinnen. Bis hin zu Angela Merkel würde die Hände über dem Kopf kreuzen, würde sie das erfahren. Es ist nicht das erste Mal, dass der Begriff „FN“ in die Medienöffentlichkeit des spanischen Staates getragen wird. Derlei Diffamierungen sind praktisch an der Tagesordnung. Ein dritter Schriftzug befindet sich auf dem Falange-Bus, nun geht es um das Kleingedruckte. „Die Geschlechter-Gesetze diskriminieren den Mann“ steht da voller Empathie für die mordenden Amokläufer. Und gleich darunter ein Aufruf an die Rettungsanker der spanischen Menschheit, die da Casado, Rivera und Abascal heißen (die Präsidenten der Parteien PP, Ciudadanos und Vox – für alle Iberia-Ignorantinnen). „Schafft die Geschlechter-Gesetze ab“ lautet der Aufruf, der sicher auch als Wahlempfehlung für den 28. April verstanden werden darf, wenn Francos Viertes Reich zum Urnengang aufgefordert ist. Ginge es nach den Bus-Sponsoren, müssten die Uhren ins Mittelalter zurückgedreht werden – oder zumindest auf 1939, als die Welt nach umfassenden Massenmorden zum ersten Mal in Ordnung war. Bemerkenswert an der PR-Aktion, die als Rohrkrepierer endete und für zwei von drei Angesprochenen sogar unerwünscht sein dürfte, ist allein, dass ausgerechnet der Franco-Kumpan Hitler als Feindbild herhalten muss. Es könnte wie ein Widerspruch erscheinen. Aber die Faschisten haben gelernt, sich mit antifaschistischen Feindbildern den Weg in schlichte Gemüter zu ebnen. So war es neulich alles andere als ein Zufall, dass bei der ultranationalistischen Hetzdemo in Madrid hinter C-Chef Rivera zwei Gay-Flaggen wedelten – des Gegners Symbole benutzen und wertlos machen. Die Feministinnen haben einen winzig kleinen Grund mehr, am kommenden 8M auf die Pauke zu hauen und klarzustellen, wer auf welcher Seite steht. Das Patriarchat hat sich bereits in Stellung gebracht.
Streiktag
Zwei Stunden, vier Stunden oder gleich den ganzen Tag – dass am 8. März, dem internationalen Kampftag der Frauen, gestreikt wird, ist zwischen Donostia und Cadiz völlig klar. Die Frage ist nur, wie lange und mit welcher Entschlossenheit. Jede Frauengruppe, jede Gewerkschaft verfolgt dabei ihr eigenes Konzept, bei Koordinationstreffen werden die Ideen auf einen Nenner gebracht. Die baskischen Gewerkschaften setzen mehrheitlich auf Generalstreik, im Rest des Landes machen die feministischen KO-Treffen den übrigen Gewerkschaften Druck: die bisherige Praxis der zweistündigen Abwesenheit von der Arbeit sei „eine Schande“. Für den Bildungsbereich ist inzwischen ein Aufruf erfolgt, gerade hier arbeiten bekanntlich viele Frauen. Eher sozialdemokratisch orientierte Gewerkschaften setzen auf die Durchsetzung von „Gleichberechtigung, Koedukation und die Eliminierung von Gewalt im bildungspolitischen Diskurs, jede Belegschaft soll streiken, wie sie es für richtig hält, der Aufruf soll realistisch und durchführbar sein“. Andere Aufruferinnen sehen die Wurzel der Geschlechter-Unterdrückung im heteropatriarchal-kapitalistischen System – die Zielkoordinaten sind klar formuliert. Dieser Terminologie angeschlossen haben sich die anarcho-syndikalistischen Gewerkschaften CGT und CNT, sowie jene baskischen Gewerkschaften, die vom Standpunkt der Klassenwidersprüche ausgehen. Der 8. März verspricht spannend zu werden. Es geht nicht allein um Rechte und die Ablehnung patriarchaler Gewalt. Es geht auch um die Zurückweisung der neopatriarchalen Diskurse der neuen populistischen und ultrarechten Parteien und Strömungen in aller Welt, von Brasilien bis Polen, von Andalusien bis zum Weißen Haus. „Frauen, die nichts fordern, werden beim Wort genommen …“, schrieb Simone de Beauvoir: „… sie bekommen nichts“. Deshalb ist Generalstreik die logische Konsequenz.
Feminismus im Aufwind
Der internationale Tag der arbeitenden Frauen wirft seine Schatten voraus. Nach der sensationell großen Beteiligung am erstmals ausgerufenen Frauenstreik am 8. März des vergangenen Jahres wird es 2019 schwer, den Erfolg zu wiederholen. Zum ersten Mal in der Geschichte dieses internationalen Kampftags der Frauen wurden nicht nur Demonstrationen veranstaltet, es wurde auch ein Streik ausgerufen: zwei Stunden, vier Stunden, oder auch den ganzen Tag.
Gleichzeitig wurden die Protest-Aktivitäten konkretisiert – Arbeitsstreik, Erziehungsstreik, Versorgungsstreik, Konsumstreik – um deutlich zu machen, wo Frauen normalerweise tätig sind und wo sie fehlen können. Die massenhafte Teilnahme am Streik – in Bilbao gab es zwei Großdemonstrationen am selben Tag – und der weit über Symbolik hinausgehende Charakter des 8M 2018 hat dazu geführt, dass die Themen Frauenkämpfe, Frauenstreiks und Feminismus auch über das Jahr hinweg ständig präsent waren. Insbesondere junge Frauen werden aktiv. Kein Wunder, dass auch die Gegenseite dabei ist, sich zu formieren. Wenn auch mit angezogener Handbremse hatten sogar die Konservativen bestimmten antisexistischen Gesetzen und Aktionsplänen zugestimmt. Eine neue ultrarechte Partei bläst nun allerdings zum Angriff auf alles bisher Erreichte. Sie fordert die Abschaffung des im Jahr 2004 verabschiedeten Gesetzes zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, ein Abtreibungsverbot, Geschlechts-Umwandlung soll nicht mehr aus der Sozialversicherung bezahlt werden. Und mehr. Viele aus der feministischen Bewegung sehen darin den Versuch „die Fesseln des Patriarchats wieder fester zu schnüren“. Die alte Konfrontation unter neuen Vorzeichen.
ABBILDUNGEN:
(*) Collage FAT
(ERST-PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2019-01-22)