egin001Spanische Pressezensur

Am 15. Juli 1998 verwirklichte der Richter des spanischen Sondergerichts Audiencia Nacional, Baltasar Garzón, mit seiner Unterschrift die Wünsche von José María Aznar (PP) sowie von José Antonio Ardanza (baskischer PNV-Ministerpräsident) und Juan María Atutxa (baskischer Innensenator): die linke baskische Tageszeitung EGIN wurde geschlossen. Einen Tag später überwanden die EGIN-Angestellten den Schock, während einige sich auf das Gefängnis einstellten, brachten andere eine neue Zeitung heraus.

Die Schließung der baskischen Tageszeitung EGIN war politische Zensur, angestrebt sowohl von der spanischen wie der baskischen Regierung. Ausführungsgehilfe war Richter Garzon vom post-franquistischen Sondergericht in Madrid. 2009 hob ein Gericht den Schließungsbefehl auf.

Der 25. Jahrestag der Schließung von EGIN (bask: machen) ist Grund genug für einen Rückblick aus der Sicht von ehemaligen EGIN-Angestellten, die später bei der neu eröffneten Nachfolge-Zeitung GARA (bask: wir sind) weiter publizierten. Journalismus in erster Person. Nach einem Viertel Jahrhundert gibt es immer weniger Arbeitnehmer bei GARA gibt, die jenen 15. Juli 1998 direkt miterlebt haben.

Viele in der heutigen Redaktion von GARA und NAIZ erinnern sich nur noch an Baltasar Garzón, weil sie am eigenen Leib die Last der Schulden von EGIN tragen mussten (GARA wurde gezwungen, 5 Millionen an die Sozialversicherung zu bezahlen). Sie wissen, dass José María Aznar ein Mann mit Schnurbart und faschistischem Aussehen ist; und um etwas über den Ultrarechten PPler Jaime Mayor Oreja zu erfahren, müssen sie aus Wikipedia Informationen ziehen, um herauszufinden, dass er einer ultrakatholischen Stiftung mit außerirdischen Vorstellungen vorsteht.

egin002Einige dieser GARA-Angestellten machten gerade ihre ersten Schritte, nicht beruflich, sondern in ihrem Leben, als in der Nacht des 15. Juli 1998, während ein Teil der Belegschaft sich auf die bevorstehende Hochzeit der Redakteurin Mertxe Aizpurua einstellte, Hunderte Polizisten und Zivilgardisten die zentrale Redaktion von EGIN und EGIN RADIO stürmten. Dazu eine Druckerei im Industriegebiet Eziago in Hernani und die EGIN-Büros in Bilbo, Gasteiz und Iruñea (span: Pamplona). Auf Anordnung von Baltasar Garzón hatten sie bereits elf Personen verhaftet, Direktoren und ehemalige Direktoren von mit EGIN verbundenen Unternehmen.

José María Aznar kommentierte von seiner Reise in die Türkei: "Vielleicht dachten sie, wir würden es nicht wagen". Dieser Satz wurde später, als Zeichen der Reaktion der Angestellten, zur letzten Schlagzeile der Not-Zeitung "Euskadi Información" wurde, die nur einen Tag nach der EGIN-Schließung auf die Straße gebracht wurde.

Die letzte Titelseite von EGIN

Die letzte Titelseite von EGIN am 14. Juli 1998 erschien an den Zeitungsständen mit einer Schlagzeile, von der zu hoffen war, dass es keine böse Vorahnung sei: "Aznar und die PNV werden während der gesamten Legislaturperiode zusammenbleiben".

Die bewaffnete Schließung dieser Zeitung, die im September 1977 von einer baskischen Volks-Initiative ins Leben gerufen worden war, war der Höhepunkt einer politischen Verfolgung, der EGIN während seiner gesamten Existenz ausgesetzt war. Die Tatsache, dass diese Schließung 11 Jahre später gerichtlich für illegal erklärt wurde, als sie bereits unumkehrbar war, war der Schlusspunkt einer perversen Tradition. Journalisten wurden verhaftet und polizeilichen Schikanen unterworfen, der Tod der Redakteure Xabier Galdeano und Josu Muguruza durch rechtsradikale Killer prägten die Geschichte der Zeitung. Die Blockade von öffentlichen Hilfen, Werbung und Abonnements, was ebenfalls gegen das Gesetz verstieß, waren ein ständiges Thema.

Was die jüngere Generation bei GARA nicht mehr erlebt hat: die Regierungen von Ministerpräsident José Antonio Ardanza und Innensenator Juan María Atutxa standen in den letzten Jahren mit EGIN auf Kriegskurs. Die offizielle Ausrede war die angebliche Zusammenarbeit von EGIN mit ETA oder die Markierung baskischer Ertzaintza-Polizisten. Realer Hintergrund war, dass EGIN einerseits viele Korruptionsfälle ans Licht brachte, die andere Medien lieber verschwiegen. Und vor allem, dass die Zeitung mit ihren Informationen täglich Tausende von Menschen erreichte. Denn das trug dazu bei, den Zusammenhalt von gesellschaftlichen und politischen Sektoren im Baskenland aufrechtzuerhalten, innerhalb der für die Unabhängigkeit eintretenden Linken. Für jene politischen Kräfte, die wie die baskisch-christdemokratische PNV auf Autonomismus setzten oder auf den spanischen Unionismus, war diese abertzale Kräftebündelung ein Ärgernis erster Klasse.

“Euskadi Información", der große Erfolg

egin003Dieser kollektive Zusammenhalt, die Praxis der Solidarität und der Auzolan (Nachbarschaftsarbeit), die Fähigkeit, Leben und politischen Kampf zu vereinen, und ein Anteil journalistischer und politischer Klarheit führten dazu, dass sich die Proteste gegen die Schließung der Zeitung im ganzen Baskenland ausbreiteten, auch in Kreisen, die EGIN nicht als „“ihre“ Zeitung betrachteten. Gleichzeitig hatte eine kleine Kerngruppe das Ziel, bereits am nächsten Tag wieder eine Zeitung zu veröffentlichen und sie auf die eine oder andere Weise wieder im ganzen Land zu verteilen.

Die Geburt war schwierig. Als sich die Tür der Deia-Druckerei in letzter Minute schloss, trat schon fast im Morgengrauen eine alte Solna 125 Druckmaschine auf den Plan, mit der gewöhnlich libertäre Ideen gedruckt wurden, und die mit Personen verbunden war, die in einem von Bertolt Brechts Gedichten als “unverzichtbar“ bezeichnet werden.

Eine kleine Redaktion fand Aufnahme in den Räumen der rein baskisch-sprachigen Tageszeitung "Euskaldunon Egunkaria", die vier Jahre später ein ganz ähnliches Schicksal erleiden sollte wie EGIN. Diese Adresse war nichts als eine Wohnung der Kleinstadt Hernani in Gipuzkoa, ein paar Mobiltelefone, die mit Karten so groß wie Kreditkarten gespeist wurden, und die Solna 125 Druckmaschine machten es möglich, dass "Euskadi Información" schon am 16. Juli mit der Schlagzeile "Egin, egingo dugu" erscheinen konnte: “Machen, wir werden es machen“.

Diese wundersamen ersten 3.000 Exemplare von kaum 8 Seiten wurden mit Fotokopierer vervielfacht. Beim ultrarechten PPler Mayor Oreja löste das eine erste Allergie aus. Er sagte, das sei ein anfängliches Getöse, das sicher zu nichts führen würde. Eine erneute Demonstration seines Scharfsinns und seiner Fähigkeit zur Analyse. Er bewegt sich immer noch in seiner abstrusen Welt und sieht überall ETA.

Die Solna 125 Druckmaschine war solidarisch und revolutionär, aber langsam. Am nächsten Tag wurde eine weitere Maschine gefunden, die in einer Nacht 30.000 Exemplare drucken konnte, aber die Hälfte davon kam nicht auf der Straße, weil erst die Verteilungswege neu organisiert werden mussten.

Die Gemeinschaft, die sich um die beiden geschlossenen Medien gebildet hatte (Zeitung und Radio), zeigte ihre Vitalität. Es entstanden Räume, in denen Redaktions-Sitzungen improvisiert werden konnten. Computer und andere notwendige Geräte wurden gespendet, weiterhin wurden Zeitungs-Exemplare fotokopiert und an alle möglichen Orte geschickt. “Euskadi Información" wuchs, als noch im Jahr 1998 wurde die Fernseh-Programme auf den Seiten publiziert wurden, konnte das als qualitativer Sprung zur Normalität angesehen werden. In der Zwischenzeit mussten die 131 Mitarbeiter der geschlossenen Zeitung und des Radiosenders feststellen, dass sie nicht nur arbeitslos geworden waren, sondern auch kein Arbeitslosengeld beziehen konnten. Bürokratische Probleme, die später gelöst wurden.

Musikgruppen boten sich an, Solidaritätskonzerte zu geben, bei allen festlichen, kulturellen oder sportlichen Veranstaltungen des Sommers gab es Aktivitäten für EGIN. Und wieder einmal schlug eine Volksinitiative einen dreifachen Salto mit dem Start der Kampagne "Mila milioi baietz" ( Ja zu 100 Millionen Peseten), um eine neue echte Zeitung wieder an die Kioske zu bringen. Um die Lücke zu füllen, die die verbotene Zeitung EGIN hinterlassen hatte und die "Euskadi Información" nur unzureichend hatte ersetzen können.

Am 30. Januar 1999 erschien GARA

Wie schon 1976 und 1977 beim Aufbau von EGIN trugen Tausende von Menschen und sozialen Einrichtungen finanziell dazu bei, dass am 30. Januar 1999 unter der Leitung von Mertxe Aizpurua die ersten Exemplare von GARA an den Kiosken erschienen. Es war die Zeit des Waffenstillstands von ETA, des Lizarra-Garazi-Abkommens. Die Schlagzeile auf der Titelseite der Zeitung lautete: "Das Treffen der gewählten Vertreter soll einen demokratischen Prozess fördern", in Anspielung auf die Keimzelle von Udalbiltza.

Das Auftauchen der GARA und ihre anschließende Entwicklung verliefen nicht ohne Schwierigkeiten. Eine davon war der von vielen Leser*innen praktizierte Vergleich mit EGIN oder besser gesagt, mit dem idealisierten Bild von EGIN, das einige gesellschaftliche Sektoren hatten.

GARA auf den Markt zu bringen war der zweite große Erfolg dieser Monate und die praktische Bestätigung der Niederlage all derer, die von beiden Seiten zur (illegalen) Schließung der Zeitung und zur Verlängerung des Leidens beigetragen hatten, in Form der langjährigen Inhaftierung von Journalisten und Managern. Achtzehn Personen wurden angeklagt und 13 von ihnen verurteilt.

Änderung des Jahrestages, Zeit für Ehrungen

egin004Fünfundzwanzig Jahre nach der Schließung von EGIN sind Grund genug, jenen antidemokratischen Unsinn wieder auf die Titelseite zu bringen. Der kürzliche Tod des letzten EGIN-Direktors, Jabier Salutregi (1950-2023) hat dies schmerzlich in Erinnerung gerufen. Unvergessen sind auch Xabier Galdeano (1985) und Josu Muguruza (1989) vergessen, die durch die Kugeln von bezahlten rechten Killern ermordet wurden. Manu Aranburu und José Ramón Aranguren starben, während sie von der Staatsanwaltschaft verfolgt wurden. Isidro Murga starb 2019 nach acht Jahren Gefängnis. Pepe Rei erlitt 2002 einen schweren Verkehrsunfall, der es unmöglich machte, weiter investigativen Journalismus zu praktizieren, er starb 2021 im Alter von 73 Jahren. Davor starb Juan Carlos Elorza, eine der Säulen der letzten Phase von EGIN, dem Funktionieren von "Euskadi Información" und dem Start von GARA.

“Wir verstehen diesen 25. Jahrestag der Schließung von EGIN als eine Art von Abschluss jener Geschichte. Denn wirklich wert ist es vielmehr, sich zu erinnern und zu feiern, dass es nun 25 Jahre her ist, als die versammelte Macht des spanischen Staates in Zusammenarbeit einiger baskischer Statthalter es nicht schaffte, ein verachtetes journalistisches Projekt zu zerschlagen. Dieses Projekt wurde mit dem Slogan "Wir machen weiter, wir werden weiter machen" und mit seiner tiefen Verwurzelung im Land als Euskadi Información wiedergeboren, um dem Faschismus eine Ohrfeige zu verpassen.“ So lautet die Bilanz eines Journalisten, der sowohl bei EGIN wie auch bei GARA gearbeitet hat. “Am kommenden 30. Januar 2024 werden wir den 25. Jahrestag des Neustarts von GARA feiern können. Schließlich handelt es sich um das derzeit langlebigste journalistische Projekt seiner Art, das noch die ganze Zukunft vor sich hat.“

ANMERKUNGEN:

(1) “Una crónica personal de dos o tres 25 aniversarios” (Persönliche Chronik von zwei oder drei Jahrestagen), Tageszeitung Gara, 2023-07-15 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) EGIN (egin)

(2) EGIN (naiz)

(3) EGIN (naiz)

(4) Salutregi (naiz)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-07-16)

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