ercilla1Von Bermeo in die Kolonien

Im 15. und 16. Jahrhundert wurde die einflussreiche Ercilla-Familie in der baskischen Hafenstadt Bermeo sesshaft. Die aufeinander folgenden Ercilla-Männer prägten nicht nur ihre Heimatstadt am Atlantik, sondern in gewisser Weise auch die Geschichte der Provinz Bizkaia und des gesamten Baskenlands. Am Geschlecht der Ercilla lassen sich modellhaft einige der sozialen und politischen Veränderungen erklären, die das Leben in Euskal Herria zwischen dem 15. und dem 20. Jh. maßgeblich prägten.

Die Familien-Saga Ercilla in Bermeo. Spätmittelalterliche Geschichte der baskischen Küstenstadt. Politik und Fueros in Bizkaia und Hegoalde. Einfluss in Kastilien. Kolonialismus.

Soweit aus heutiger Sicht nachvollziehbar, ließ sich der erste Ercilla in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Bermeo nieder. Er entstammte einer Familie erfolgreicher Kaufleute aus Gipuzkoa, die ihren Reichtum mit Eisenschmieden (ferrerias) erwirtschaftet hatten und später versuchten, über die wichtigsten Häfen der Region zu expandieren. "Bis zu diesen Zeiten", so der Geschichtsschreiber Esteban de Garibay im 16. Jahrhundert, "befand sich der wichtigste Handelsposten der nördlichen Bevölkerung in der Stadt Bermeo" (1).

Ankunft in Bermeo

ercilla2Als er in Bermeo ankam, war dieser erste Ercilla mit einer der politisch wichtigsten Familien des Gebietes verwandt: mit der Familie Arteaga. Tatsächlich war das Turmhaus, das heute als Ercilla-Turm bekannt ist und das Fischerei-Museum beherbergt, früher der Wehrturm der Familie Arteaga (2). Diese Familie spielte im 14. und 15. Jahrhundert eine aktive Rolle in den mittelalterlichen Familienkriegen (guerras banderizas) als es darum ging, Macht, Ländereien und Besitztümer neu zu verteilen. Dabei wurde eine Reihe von kriegerischen Auseinandersetzungen ausgetragen, bei denen das Recht des Stärkeren sowie politische Bündnisse zwischen verschiedenen Clans maßgeblich waren. Mitglieder dieser einflussreichen Familie bekleideten über lange Zeit hinweg die wichtigsten Funktionen der Gegend und nahmen an den Verwaltungs-Versammlungen (juntas) der Provinz Bizkaia in Gernika teil.

An zwei Beispielen wird die Bedeutung der Familie deutlich. Ein Arteaga unterzeichnete als Zeuge das “Fuero Viejo“ (Alte Rechts-Charta), ein anderer Arteaga war der erste Vorsteher des Klosters, das die Franziskaner auf der vor dem Urdaibai-Gebiet liegenden Insel Izaro gründeten. Bis weit ins 15. Jahrhundert hinein repräsentierte Martín Ruiz de Ercilla, der zweite bekannte Ercilla aus Bermeo, das Bizkaia des späten Mittelalters, dessen Hauptstadt nicht Bilbao, sondern Bermeo war.

Gernika war Jahrhunderte lang Versammlungsort der Gemeinde-Vertretungen von Bizkaia (die Städte waren ausgeschlossen). Jede Gemeinde entsandte ihre Vertretung, um die gemeinsamen Probleme des Verwaltungsgebiets zu besprechen (Voraussetzung war ein gewisser Reichtum und Spanisch sprechen zu können). Die Versammlungen fanden zunächst unter der Eiche von Gernika und ab 1825 im eigens dafür gebauten Parlaments-Gebäude (Casa de Juntas) statt und wurden General-Versammlungen von Bizkaia (Juntas Generales de Bizkaia) genannt. Sie basierten auf den sogenannten Fueros, den alten Selbstverwaltungs-Gesetzen, die das Leben in Bizkaia regelten.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts (nach den Karlistenkriegen) verloren die Fueros jedoch an Bedeutung. Nach teilweisen Einschränkungen verlor das Baskenland diese rechtlichen Besonderheiten nach militärischen Niederlagen in den drei Karlistenkriegen (3). Ein Gesetz vom 21. Juli 1876 besagt, dass die Fueros aufgehoben und ein Teil von ihnen in Form von "Verträgen" mit dem neuen spanischen Staat in Steuer- und Verwaltungs-Angelegenheiten, das heißt "Wirtschafts-Vereinbarungen", neu formuliert wurden.

Martín und Juan

Bald verbündeten sich Martín Ruiz de Ercilla und das gesamte baskische Territorium mit der Infantin Isabella im (militärische geführten) Nachfolge-Streit, durch den sie im Jahr 1474 unter dem Namen "Isabel la Católica" Königin von Kastilien wurde (Isabella von Kastilien, oder, Isabella die Katholische, 1451-1504) (4). Juan, der Älteste der nächsten Ercilla-Generation, sollte den Wehrturm, die Schiffe und das Geschäft erben. Der Jüngste, Fortún, der Feinsinnige, sollte Jurist und Politiker werden, der ganz im Zeichen des Zeitalters der Renaissance stand.

Fortún trug nicht zufällig bis weit ins Erwachsenenalter den Nachnamen Arteaga seiner Großmutter, er war Professor an der Universität von Bologna. Später war Fortún Assessor des erst Prinzen, dann Königs und schließlich Kaisers Karl V. Daneben fungierte er als Verwalter von Navarra, zusammen mit Iñigo von Loiola war er Verhandlungsberechtigter gegenüber dem Gemeinde-Verband von Gipuzkoa, Mitglied der kastilischen Ratsversammlung und Mitglied der engen Beratergruppe des Kaisers.

Fortún Ercilla y Zuñiga

ercilla3Fortúns jüngster Sohn, Alonso (1533-1594), der auch den Nachnamen seiner Mutter (in diesem Fall Zuñiga) benutzte, war Erbe all dieser diplomatischen Quellen und Erfahrungen, und gleichzeitig ein Mann einer neuen Welt. Er war kein mittelalterlicher Mensch mehr, wie sein Großvater Martín, kein reines Beispiel für das Ideal der Renaissance, wie sein Vater Fortún, sondern eine Figur des beginnenden „“Goldenen Jahrhunderts“ (so zumindest die kastilisch-spanische Sicht auf die historischen Ereignisse).

Sein Großvater hatte der Königin Isabella gedient, sein Vater dem Kaiser Karl V. und Alonso lebte in seiner Kindheit im nahen Umfeld des späteren Königs Philipp II. Die beiden waren erst Spielkameraden, dann begleitete Alonso den Prinzen auf seinen Jugendreisen. Doch Alonso begnügte sich nicht damit, als Höfling im Schatten des Königs zu stehen, in einer Position, die er nicht durch seine eigenen Verdienste, sondern durch seine familiäre Stellung erlangt hatte. Dieses traditionelle Adels-Modell hatte nichts mit dem Konzept des Adels zu tun, das erst sein Vater und dann er selbst schriftlich verteidigten. Beide gingen davon aus, wirklicher Adel sei derjenige, der mit den Taten des eigenen Lebens geschaffen wurde.

Alonso beschloss, bei erster Gelegenheit nach Peru zu fahren und von dort nach Chile (1556), wo eine Expedition (Hurtado de Mendoza) die dortigen Verhältnisse militärisch und administrativ unter Kontrolle bringen sollte. Am 9. Januar 1557 brachen die Kastilier mit einer gut ausgerüsteten Streitmacht auf. Alonso de Ercilla erhielt den Auftrag, die Taten seines Vorgesetzten zu dokumentieren. In den folgenden beiden Jahren nahm er als Soldat und Chronist an den Operationen gegen das Indigena-Volk der Mapuche in Südchile teil. Nach eigenem Zeugnis notierte er seine Beobachtungen und Erlebnisse täglich auf Briefrückseiten, Lederresten und Baumrinden, wobei diese Kriegstagebuch-ähnlichen Notizen bereits ganze Gedichtstrophen seines späteren Hauptwerkes enthalten haben sollen. Der aus seinen Aufzeichnungen entstandene Roman La Araucana prangert die Gräueltaten der Konquistadoren und ihre Gier nach Gold und Macht an und bemüht sich um eine, wie Ercilla selbst beteuert, wahrheitsgemäße Darstellung. (5)

Alonsos Notizen zeugen von seiner Fähigkeit, die Legitimität des Widerstands der Mapuche und die Würde ihres Kampfes schriftlich zu verteidigen. Ebenso zollte er der Identität und den politischen Umgangsformen dieses Volkes Respekt und beschrieb die Mapuche in seiner Geschichte als Helden. Die balladenartige Dichtung von “La Araucana“ im Stil der Renaissance ist in der Modegattung der damaligen Zeit abgefasst, dem so genannten “heroischen Epos“ in achtzeiligen Strophen. Mit der Verwendung dieser aus der italienischen Dichtung übernommenen Versform begründete Ercilla deren epische Tradition in Kastilien, wo sie sich zur Standardform der Kunstepik des “Goldenen Jahrhunderts“ entwickelte und in der Zeit von 1585 bis 1625 große Verbreitung in der epischen und dramatischen Dichtung fand. Alonsos Rolle als Soldat, Dokumentarist und späterer Schriftsteller bleibt widersprüchlich.

Die Ercilla-Saga

Diese sich über 200 Jahre erstreckende Familiengeschichte beinhaltet Stoff für einen interessanten historischen Roman oder eine Netflix-Serie. Sie erzählt den Übergang vom Mittelalter und seinen Werten zur Renaissance und der Geburt des “Goldenen Zeitalters“ des kolonialen kastilischen Reiches und seiner Verbrechen gegen die amerikanischen Ureinwohner*innen. Sie erzählt auch von der politischen Konstruktion des baskischen Territoriums, von einem Gebiet, das an seiner besonderen Identität festhielt. Von einem Señorío (spanisch Grafschaft), dessen Verantwortliche in der Lage waren, noch zu Lebzeiten von König Heinrich IV. (1425-1474) dessen Schwester als spätere Königin “Isabella die Katholische“ zu unterstützen. Der Grund: Heinrich zeigte sich den alten baskischen Fuero-Gesetzen gegenüber nicht loyal. Jene Haltung der damaligen Vertreter Bizkaias spricht für ein großes Selbstbewusstsein in Vertretung einer souveränen Region mit eigener Identität.

ercilla4Die Ercilla-Familiengeschichte erzählt von einer Königin Isabella, die die baskischen Fueros gleich mehrfach beschwören musste. Sie erzählt von einem Regenten Navarras, Fortún Ercilla, den die beiden verfeindeten Fraktionen Navarras (die beiden Adelsgeschlechter Agramontes und Beaumontes) als gerecht akzeptierten und der zum ersten Mal in der Geschichte für eigenständige und gemeinsame Institutionen der vier historischen baskischen Süd-Territorien eintrat (Nafarroa, Bizkaia, Araba, Gipuzkoa), die eine gemeinsame Sprache und Identität aufwiesen.

All das vor dem Panorama einer Hafenstadt Bermeo, die zum wirtschaftlichen Motor der Señorío-Grafschaft Bizkaia geworden war und heute über ein kulturelles Erbe von unbestreitbarem Wert verfügt. Von der imposanten (verschwundenen) Kirche Santa María de la Atalaya über die aus dem 13. Jahrhundert stammende Kirche Santa Eufemia bis hin zum Kloster San Francisco mit seinem gotischen Kreuzgang. Und einer nicht minder beachtlichen Zivilarchitektur, wobei der Ercilla-Turm, Stammsitz der Familie Ercilla, herausragt.

Die Geschichte erzählt auch von der unsichtbaren, aber grundlegenden Rolle der Frauen, wenn es darum geht, die Entwicklung dieser männlichen Akteure zu verstehen, deren Namen in die Geschichte eingegangen sind. Diese Protagonisten wurden von ihren Müttern und Großmüttern (deren Nachnamen gelegentlich bevorzugt wurden) wie von ihren Ehefrauen geprägt, die in vielen Fällen das Schicksal und die Entwicklung der Familie bestimmten. Die Aufgabe, die Geschichte Bizkaias besser zu erforschen und kennenzulernen, ist für die Folgegenerationen unverzichtbar. Die Sage der Familie Ercilla bietet eine ausgezeichnete Gelegenheit, in die Vergangenheit zu blicken und einen Beitrag zu leisten zum Geschichtsverständnis, auch wenn die Darstellung teilweise mangelhaft ist.

Die baskische Internationalismus-Bewegung steht seit Langem in Kontakt mit einer Reihe von unterdrückten Völkern, darunter auch das Mapuche-Volk zwischen den Staaten Argentinien und Chile. Wenig erfreut sind jene Aktivist*innen über die Bronze-Statue von Alonso de Ercilla, die seit 1998 im Stadtteil Indautxu in der gleichnamigen Ercilla-Straße vor dem Ercilla-Hotel steht. Sie ist ein Geschenk der Baskisch-Chilenischen Gesellschaft und soll an den Schriftsteller erinnern, nicht an den Kolonisatoren. Eine gleiches Monument steht übrigens - keine große Überraschung - in der ehemaligen bizkainischen Hauptstadt Bermeo.

Die Autoren

Asier Romero Andonegi ist Doktor in spanischer Philologie, sowie Professor und ehemaliger Dekan der Fakultät für Erziehungs-Wissenschaften der baskischen Universität in Bilbao (UPV/EHU). Er ist der Kopf der EUDIA-Forschungsgruppe (akkreditierte Forschungsgruppe des baskischen Universitätssystems) und Autor des Blogs itsosupetekondarea.eus, der sich mit der Verbreitung der Geschichte und des Erbes von Bermeo befasst.

Mikel Mancisidor hat promoviert in Internationalen Beziehungen und Diplomatie. Er lehrt internationales Recht an der Jesuiten-Universität in Bilbao-Deusto und internationales Menschenrecht an der American University in Washington D.C., sowie am Internationalen Institut René Cassin in Straßburg. Derzeit arbeitet er an einer Doktorarbeit über Fortún García de Ercilla.

ANMERKUNGEN:

(1) Information vorwiegend aus dem Artikel “Los Ercilla, una historia de Bizkaia” (Die Ercilla-Familie, eine Geschichte aus Bizkaia), Tageszeitung Deia, 2022-07-09 (LINK)

(2) Der Ercilla-Turm (bask: Ertzila dorretxea) ist ein Wehrturm aus dem 15. Jahrhundert in der Gemeinde Bermeo, oberhalb des alten Hafens, der einzige seiner Art, der in Bermeo noch steht (es gab viele andere). Die Fassade weist auf den Verteidigung-Charakter des Gebäudes hin. Zu Beginn des 20. Jhs. befand es sich in einem schlechten Zustand, blieb aber erhalten, da es Mietwohnungen mehrerer Familien beherbergte. Im Jahr 1944 wurde es zum kunsthistorischen Denkmal erklärt, seit 1948 ist in seinem Inneren das Fischerei-Museum untergebracht. (LINK)

(3) Karlistenkriege: (1833-1840), (1846-1849), (1872-1876). Auslöser der Kriege war der Streit um die spanische Thronfolge. Baskische Monarchisten (Karlisten) unterstützten die Thron-Prätendenten Carlos sr. und Carlos jr., weil diese versprachen, die baskischen Fuero-Selbstverwaltungsrechte aus dem 13. Jahrhundert zu respektieren, die liberale Gegenseite hatte daran kein Interesse. Mit der Niederlage in den Kriegen gingen diese Rechte für das Baskenland verloren.

(4) Isabella die Katholische (Isabel la Catolica), 1451-1504, Königin von Kastilien und León von 1474 bis 1504 und von 1479 bis 1504 als Gattin Ferdinands II. auch Königin von Aragón. Unter ihrer Herrschaft wurde im Jahr 1492 mit der Eroberung von Granada die 500-jährige Präsenz der arabischen Emirate auf der Halbinsel beendet. Im selben Jahr beauftragte sie den Seefahrer Kolumbus mit der Suche nach einem Seeweg nach Indien, was zur “Entdeckung“ Amerikas und zum Völkermord an 70 Millionen Indigenas führte.

(5) Alonso de Ercilla, Wikipedia (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Ercilla, Mapuche (Chile, wikipedia)

(2) Fortún Ercilla (deia)

(3) Bermeo (deia)

(4) Kolonialismus (deia)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-01-02)

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