Blinde Flecken der Kriegs-Aufarbeitung
Nicht nur Männer waren von der franquistischen Repression betroffen. Weniger bekannt und erforscht ist, dass der spanische Diktator Franco auch baskische Frauen erschießen und in der Provinz Bizkaia zwei zusätzliche Gefängnisse ausschließlich für Frauen einrichten ließ. Über das Frauen-Gefängnis Saturraran in Mutriku ist einiges bekannt, deutlich weniger über die Anstalten in den Kleinstädten Zornotza (Amorebieta) und Durango, in denen viele Spanierinnen und weniger Baskinnen eingesperrt waren.
Frauen wurden während des Franquismus ermordet und auf besondere Art unterdrückt – die Erforschung dieses Aspekts des Spanienkrieges von 1936 ist nach wie vor im Anfangsstadium.
Die Geschichte der Repression von Frauen im Krieg von 1936 und während des Franquismus blieb unter Historikerinnen und Historikern lange Zeit unbeachtet und war in der Folge über Jahrzehnte hinweg auch in der Zivilgesellschaft kein Thema. Auch heute, mehr als achtzig Jahre nach Putsch und Krieg, gibt es nur wenig Forschungsarbeiten, die sich im Baskenland mit dem Thema gefangener Frauen während des Krieges und der anschließenden Diktatur befassen. Nur langsam kommen die Schicksale ans Licht der Öffentlichkeit, in Form unterschiedlicher Aufarbeitungen. Dabei wird offensichtlich, dass die Aufarbeitung dieser Repressions-Geschichte gegen Frauen erst begann, nachdem die Geschichte der Männer bereits weitgehend geschrieben war. (1)
„Baskische Frauen waren genauso Protagonistinnen jener Zeit wie die Männer, nur eben auf andere Art. Nur wenige Frauen waren an der Front, dennoch hatten sie unter starker Repression zu leiden: sie erlitten Bestrafungs-Aktionen, Gefängnisstrafen in speziell für Frauen eingerichteten Zuchthäusern, Enteignungen, Exil, wurden häufig öffentlich kahlrasiert, in Prozessionen auf Straßen und Plätzen nach Verabreichung von Rizinusöl vorgeführt ...“, erzählt die Historikerin Ascensión Badiola (Bilbo, 1961), sie erforscht zeitgenössische Geschichte.
Beginn der Aufarbeitung
Badiola ist Autorin mehrerer Bücher und der im Jahr 2010 verfassten Doktorarbeit unter dem Titel „Franquistische Repression im Baskenland. Gefängnisse, Konzentrationslager und Zwangsarbeit zu Beginn der Nachkriegszeit“ (La represión franquista en el País Vasco. Cárceles, campos de concentración y batallones de trabajadores en el comienzo de la posguerra). Darin berichtet sie, dass es in Bizkaia zwei Internierungslager für Frauen gab, die Gefängnisse von Durango und Zornotza (spanisch: Amorebieta). An der Küste, nahe dem Ort Ondarroa gab es ein weiteres Frauengefängnis, bekannt unter dem Namen Saturraran, dessen Existenz in den vergangenen Jahren in Dokumentar- und Spielfilmen aufgearbeitet wurde. Saturraran liegt an der Grenze zwischen den baskischen Provinzen Bizkaia und Gipuzkoa.
Wieviele Frauen verbüßten Gefängnisstrafen? Nach Badiolas Ansicht ist diese Frage nicht zu beantworten. Die Archive der Gefängnisse von Durango und Zornotza sind verschwunden. Allein das Archiv des Saturraran-Frauengefängnisses aus den Jahren 1938 bis 1944 existiert noch. Abgesehen von den verloren gegangenen Dokumenten „liegen uns heutzutage mehr als zweitausend Akten vor, obwohl darunter einige Namen mehrfach vorkommen, weil es Frauen gab, die wiederholt nach Saturraran gebracht wurden, bei jeder Aufnahme wurde eine neue Akte angelegt“, erläutert die Historikerin aus Bilbao.
Erschießungen von Frauen
Wenig bekannt ist, dass während der franquistischen Herrschaft und Repression Frauen wie Männer erschossen wurden. Den letzten Veröffentlichungen der baskischen Regierung zufolge wurden im Gebiet der drei baskischen West-Provinzen Araba, Bizkaia und Gipuzkoa im Zeitraum von 1936 bis 1940 insgesamt 64 Frauen hingerichtet: 34 in Gipuzkoa, 22 in Bizkaia und 8 in Araba. „In einem Buch ist davon die Rede, dass in Bilbao 19 von 9.000 gefangenen Frauen hingerichtet wurden. Die Nachkriegszeit war lang wie auch die Gefängnisstrafen in ihren unterschiedlichen Phasen. Ich selbst habe lediglich einen kurzen Zeitraum untersucht“, erklärt die Historikerin.
Bleibt die Frage nach den Gründen, warum diese Handlangerinnen der Repression und späteren Franquisten diese Frauen hingerichtet haben. „Genannt wurden immer dieselben Gründe: Aufsässigkeit oder Auflehnung gegen die Staatsgewalt, das hieß, rechtsgerichtete Personen verfolgt zu haben, oder die glorreiche faschistische Armee beschimpft und beleidigt zu haben. Dies traf auch auf Juanita Mir zu, eine bekannte Journalistin“.
Juanita Mir wurde am 5. August 1937 auf dem Bilbao-Friedhof in Derio hingerichtet. Die aus Iruñea (span: Pamplona) stammende Journalistin, die Gewalt und Krieg vehement ablehnte und während des Aufstands der Generäle um Franco deren Brutalität anprangerte, wurde festgenommen mit der Begründung, sie sei „gemeingefährlich“ und später erschossen.
In baskischen Gefängnissen waren Frauen unterschiedlicher Herkunft interniert, aus allen Provinzen des spanischen Staatsgebiets. Dieses Prinzip galt auch für die Gefängnisse außerhalb des Baskenlandes. Laut Badiola war das gesamte franquistische Territorium ein riesiges Gefängnis für Gegnerinnen und Gegner des Regimes, unabhängig von ihrer lokalen Herkunft. Gefangene wurden in der Regel fern ihrer Heimat eingesperrt und von einem Gefängnis ins andere überführt – als Strafmethode und um die „Neu- und Wieder-Organisierung marxistischer Strukturen und des roten separatistischen Widerstands“ zu verhindern (so der faschistische Jargon). Sicher auch, um die militärisch besiegten politischen Gegnerinnen psychologisch zu brechen.
Zusätzliche Frauen-Gefängnisse
Auf baskischem Territorium gab es für Frauen zum einen Provinz-Gefängnisse in den drei Hauptstädten Bilbo-Bilbao, Donostia-San Sebastián und Gasteiz-Vitoria, die „der vorübergehenden Unterbringung dienten. Bis zum Gerichtsverfahren – sofern es denn eines gab. Daneben gab es Gefängnisse, in denen die verhängten Strafen verbüßt wurden". In Bizkaia existierten zwei solcher Frauen-Anstalten, in Zornotza und in Durango. Direktor des Gefängnisses von Zornotza war ein gewisser Francisco Machado, älterer Bruder der beiden Poeten Antonio und Manuel (er selbst schrieb Gedichte und schickte einige seiner Arbeiten an den franco-philen Schriftsteller Unamuno aus Bilbao, um zu erfahren, ob seine Schriften der Qualität seiner Brüder nahekam) (2).
Das Frauen-Gefängnis von Amorebieta (baskisch: Zornotza) war im heutigen Schulgebäude „El Carmelo“ untergebracht und diente als Internierungslager von 1938 bis 1947. Zusammen mit den gefangenen Frauen waren hier Dutzende von Kindern eingeschlossen, einige davon wurden in Gefangenschaft geboren und starben da. Der Informationsstand hierzu ist spärlich, doch gibt es einen Fall, der bekannt wurde. Es handelt sich um den Jungen José Humanes Aznar, dem nur zehn Monate Leben beschieden waren. Ein schreckliches Ende fanden einige der Mütter aus den Regionen Albacete, Badajoz, Castellón, Ciudad Real, Girona, Madrid, Malaga und Toledo. Die Zerstreuungs-Politik im Umgang mit Gefangenen, das heißt das Einsperren weit vom Heimatort entfernt, war so gesehen schon immer ein Mittel grausamer Rache und Repression – ein Umstand, der sich heute unter den sogenannten „demokratischen Verhältnissen“ einer Rechtsregierung wiederholt.
Marina García aus Zornotza (sie starb im Mai 2012) war die Tochter einer Gefangenen. Im Babyalter wurde sie ihrer Mutter entrissen – Picasso wählte in seinem berühmten Guernica-Gemälde ein ähnliches Motiv. In einer Klosterschule in Santurtzi (Hafenstadt im Großraum Bilbao) wurde Marina von den leitenden Nonnen verboten, darüber zu sprechen, dass ihre Mutter im Gefängnis war und dort von Nonnen des Karmeliter-Ordens bewacht wurde (Hijas de la Cruz). Die größte Überraschung und Freude erlebte sie, als ihre Mutter entlassen wurde, weil ihr der zuständige Arzt bescheinigte, sie litte unter der „Krankheit des Traurigseins“, der damaligen Bezeichnung für Depression. Wieder vereint mit ihrer Mutter, wurde das Kind wieder gesund und die Mutter schaffte es trotz dreimaligen Wohnungsentzugs, ihren Arbeitsplatz als Lehrerin wiederzubekommen, im bizkainischen Küstenort Ea.
Ascensión Badiola betont, dass die gefangenen Frauen teilweise „in Isolationshaft gehalten wurden und jeder Art von Schikane seitens der Nonnen ausgesetzt waren“. Das gilt auch für Durango, wo die interne Aufsicht den „barmherzigen Schwestern vom Heiligen Vinzenz von Paul“ unterlag – Anführungszeichen sind in diesem Zusammenhang unabdingbar. Das Gefängnis befand sich in einem heute nicht mehr existierenden Gebäude. An seiner Stelle steht jetzt die Nevers-Schule.
Durango und Saturraran
In dieser improvisierten Haftanstalt in Durango waren Frauen untergebracht wie die bekannte Guerrillera aus Madrid Rosario Sánchez. Ebenfalls in Durango festgehalten wurde Vicenta Garnika, die Mutter von Edurne Gorosarri, Einwohnerin von Durango, die 2014 starb. Vicenta war eine junge Mutter, die in der (damals noch sozialistischen) Gewerkschaft UGT organisiert war. Angezeigt von Nachbarinnen wurde sie zunächst im provisorisch eingerichteten Frauengefängnis Chalet de Orue in Bilbao eingesperrt, bevor sie nach Durango gebracht wurde. Ein Kriegsgericht verurteilte sie zu zwölf Jahren Zuchthaus, weil sie Gewerkschafterin war und weil sie die linke Volksfront gewählt hatte. „Ich war zwölf Jahre alt und verstand gar nichts“, erzählte Edurne bei einem Interview vor einigen Jahren. Mutter und Tochter wurden getrennt, trafen Monate später jedoch zufällig wieder zusammen. Vicenta war abgemagert und hatte keine Haare auf dem Kopf, weil sie ihr kurz zuvor in einer Strafaktion abgeschnitten worden waren. „Später erfuhr ich, dass sie das Essen, das ich ihr jeden Tag gebracht hatte, mit anderen Gefangenen teilte“, erzählte Edurne Gorosarri.
Das Gefängnis Saturraran an der Grenze zwischen Bizkaia und Gipuzkoa verdient ein eigenes Kapitel. „Es ist das einzige Frauengefängnis, über das es genauere Angaben gibt. Hier waren kaum Frauen aus Bizkaia und Gipuzkoa interniert, hier wurden die im Faschisten-Jargon rote Separatistinnen genannten Frauen aus verschiedenen spanischen Provinzen und Regionen interniert. In Saturraran trafen Frauen aus Madrid, Andalusien, Katalonien, Kastilien und Leon, La Mancha und selbst von Teneriffa zusammen“, beschreibt Ascensión Badiola.
Die Sprengmeisterin
Eine davon, die zuvor in Durango einsaß, war die bereits erwähnte Rosario Sánchez aus Madrid. Mit 17 Jahren verlor sie ihre rechte Hand und war dennoch eine der ersten Frauen, die sich der republikanischen militärischen Verteidigung anschloss. Rosario wurde auch „La Dinamitera“ genannt, weil sie in ihrem Bataillon für Sprengstoff zuständig gewesen war. In ihrer Gefangenschaft durchlief sie verschiedene spanische Gefängnisse, und die baskischen Anstalten von Durango, Orue und Saturraran. Neben „Dinamitera“ hatte die Mutter und überzeugte Kommunistin Rosario viele Beinamen, unter anderem wurde sie auch „La cerillera“ (abgeleitet von cerilla = Streichholz) und „La miliciana“ (Milizionärin) genannt. In einem Gedicht von Miguel Hernandez (3) wird sie erwähnt, was zu ihrem internationalen Bekanntheitsgrad beitrug. Sie verbrachte elf Monate im Gefängnis von Durango bevor sie nach Saturraran verlegt wurde.
Die ehemalige Guerrillera Rosario Sánchez aus Madrid kam am 2. April 2007 noch einmal nach Saturraran, als die baskische Regierung eine Ehrung für die 4.000 Frauen organisierte, die an diesem unwirtlichen Ort direkt am Strand von Mutriku (Gipuzkoa) gefangen gehalten wurden. Das Gebäude des Priesterseminars und späteren Frauen-Gefängnisses wurde längst abgerissen, nur eine Wand ist übrig. Heute erinnern verschiedene Tafeln mit vielen Namen an das Schicksal dieser Frauen. Ein Jahr später, am 17. April 2008, starb Rosario, vier Tage vor ihrem 89sten Geburtstag. Maria Gonzalez Gorosarri aus Durango widmete ihr einen Dokumentarfilm, nachdem sie sie in ihrer Wohnung in Madrid interviewt hatte.
Nach dem Krieg begann der vierzig Jahre dauernde Franquismus, der für die Frauen nicht weniger Leiden bereit hielt. „Die schlimmsten Jahre waren die ersten, bis 1944. Ab 1940 wurden Strafen überprüft und teilweise reduziert. Obwohl viele Frauen zu lebenslänglichen Gefängnisstrafen verurteilt worden waren, wurden ihre Strafen gemindert, die meisten konnten bis spätestens 1947 mit letzten Begnadigungen die Gefängnisse verlassen. Wenn die Frauen jedoch in ihre jeweiligen Dörfer und Kleinstädte zurück kamen, wurde die Repression fortgesetzt, eins ums andere Mal wurden sie festgenommen, Arbeit bekamen sie keine, das Überleben war extrem schwierig“.
ANMERKUNGEN:
(1) Der Artikel basiert auf einer Reportage von Iban Gorriti, erschienen unter dem Titel „Las Olvidadas de la Guerra Civil“ (Die Vergessenen des Bürgerkriegs) in der Tageszeitung Deia vom 19.12.2016.
(2) Miguel de Unamuno (1864-1936) war ein baskischer Philosoph und Schriftsteller und lehrte an der Universität von Salamanca. Der ursprünglich liberale Unamuno schloss sich den Sozialisten an, liebäugelte mit dem Marxismus und war an der Herausgabe der Zeitschrift „Klassenkampf“ beteiligt. Nach dem Franco-Putsch sympathisierte er mit den Faschisten. Als er deren Brutalität erkannte, versuchte er einen neuen Schwenk, geriet jedoch zwischen die Räder. Unamuno wurde von Franco seines Rektorenamtes enthoben. (Wikipedia)
(3) Miguel Hernández Gilabert (1910-1942) war ein bedeutender spanischer Dichter und Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Im Krieg kämpfte der Sohn eines Ziegenhirten auf republikanischer Seite, war mit Pablo Neruda bekannt. Bei Kriegsende versuchte er zu fliehen, wurde aber in Portugal festgenommen und ausgeliefert. Im März 1940 wurde er zum Tode verurteilt, später wurde das Urteil auf 30 Jahre Haft limitiert. Im März 1942 starb Miguel Hernández an Tuberkulose. (Wikipedia)
FOTOS:
(1) Saturraran Gefängnis (lasonrisadeloscipreses.org)
(2) Prohibido recordar – Erinnern verboten (Filmplakat)
(3) Buch Ascensión Badiola
(4) Frauen-Gefängnis Saturraran (asturiasrepublicana.com)
(5) Izarren argia – Licht der Sterne (Filmplakat)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2017-02-08)