Nobelpreis, Oscar, Pritzker
Pritzker heißt die Auszeichnung im Bereich Architektur, die gern mit einem Nobelpreis verglichen wird. Der von der Hyatt-Stiftung vergebene Preis für das Jahr 2019 ging an den japanischen Architekten Arata Isozaki. Was diesen 87-jährigen Baumeister für Bilbao und das Baskenland so interessant macht, ist die Tatsache, dass die Pläne für zwei Hochhäuser in der bizkainischen Hauptstadt aus seinem Büro stammen. Bilbao-Turismo freut sich, weil die Stadt der Auszeichnung Architekturstadt näherkommt.
Mit Arata Isozaki sind es bereits sieben Architekten, die den begehrten Architekturpreis Pritzker gewonnen und die Pläne für ein Gebäude in Bilbao hergestellt haben. Die Stadt hat sich darauf spezialisiert, auf dem Weg zum Weltruhm nur die bekanntesten ihres Faches zu beauftragen.
Als die für die Pritzker-Preisvergabe zuständige Kommission kürzlich dem Japaner Arata Isozaki mitteilte, dass die Wahl 2019 auf ihn gefallen sei, erreichten sie ihn in seiner kleinen Wohnung in Naha, Hauptstadt von Okinawa. In dieser Stadt am Meer, mit vier Universitäten und viel Tourismus hat Isozaki seinen Alterssitz. "Es ist wie eine Krone auf dem Grab", soll der Preisgekrönte gegenüber der Presse den Pritzker-Preis lakonisch kommentiert haben, in Anspielung auf sein fortgeschrittenes Alter. Voller Freude über die Nachricht war man hingegen im entfernten Bilbao, denn Isozaki hat mit der Stadt eine mehrfache Arbeits-Verbindung. Er war es, der 1999 die Zwillingstürme mit Luxuswohnungen mit dem Namen “Isozaki Atea“ (Isozaki Tür) entwarf, die in den Nullerjahren eingeweiht wurden (2008). Bereits vorher hätte Isozaki in Bilbao Weltruhm ernten können, doch sein Vorschlag bei der Ausschreibung für das Guggenheim-Museum unterlag dem Entwurf des kanadischen Konkurrenten Frank Gehry. (1)
Der Architekt Isozaki
Von Expert*innen wird seine Architektur-Praxis charakterisiert als Mischung zwischen dem Wissen aus Orient und Okzident, zwischen Modernität und Postmoderne, zwischen global und lokal. Als er in den 1980er Jahren zu einem der Stars der Branche wurde, war er einer der wenigen, die den Preis noch nicht gewonnen hatten, den die US-Stiftung Hyatt seit 1979 jährlich vergibt.
Bei Wikipedia liest sich das folgendermaßen: “Ursprünglich war Isozaki ein Hauptvertreter des Metabolismus, dann besann er sich auf die Geometrie als Urmutter des japanischen Designs. Seinen ursprünglich einfach gehaltenen geometrischen Kompositionen, wie dem Golfclub in Oita und dem Kunstmuseum in Gunma folgten manieristische postmoderne Bauten. Die Verbindungen seiner dritten Frau, die Bildhauerin war, zu prominenten Namen der modernen Kunst, wie zum Beispiel Hans Richter, Man Ray oder Friedrich Kiesler beeinflussten ihn ebenso wie sein früheres Auseinandersetzen mit den Tokioter Neo-Dadaisten. In seiner Formensprache nimmt er Ideen, wie zum Beispiel der Postmoderne oder der Wiener Sezession auf und verarbeitet sie zu einem eigenen Stil. Auffallend ist sein durchdachter Umgang mit einfachen geometrischen Formen und das Spiel mit Schatten und Licht. Isozakis aktuelle Projekte muss man als erfolgreiche Synthese seines vierzigjährigen Schaffens sehen: Pittoreske Kunstwerke aus Japan, westlich beeinflusst.“ (2)
Argumente der Preisverleiher
Die Preisjury krönte Isozaki wegen seiner Verbundenheit mit der “Kunst des Raumes“, eine philosophische Definition der architektonischen Praxis. “Isozaki ist ein tiefgründiger Kenner von Theorie und Praxis der Architektur, er steht der Avantgarde nahe und wiederholt nie den Status Quo“, heißt es in der Begründung. Schon länger stand sein Name auf der Liste der Star-Architekten, die anspruchsvolle und teure Projekte in aller Welt entwerfen. Zu seinen berühmtesten Werken zählen das Museum Zeitgenössischer Kunst in Los Angeles, der Sant Jordi Palast in Barcelona und das Quatar National Convention Center in Doha.
Zwillingstürme in Bilbao
Mit dem Bau der Isozaki-Türme – Isozaki Atea – wurde 2003 begonnen, in Zusammenarbeit mit dem bilbainischen Architekten Iñaki Aurrekoetxea. Der Baukomplex besteht aus zwei Türmen von 82 Metern Höhe und 23 Etagen, sowie fünf weiteren Gebäuden mit sechs bis acht Stockwerken auf einer Grundfläche von 84.000 Quadratmetern. Der Komplex steht auf dem ehemaligen “Deposito Franco“ - einem großen Gebäude im klassischen Stil, das der Stadtverwaltung als Lager gedient hatte. Es stand lange leer, verschiedene Projekte wurden in Erwägung gezogen und teilweise begonnen, eine Garage zum Beispiel. Vom Ursprungsgebäude blieb in Blickrichtung Fluss ein trauriges Fragment, die flussabgewandte Seite ist dagegen erhalten.
Zwischen den Türmen mit Luxuswohnungen entstand ein breiter Treppenabgang zum Fluss hinab. Diese Treppe direkt mit der Zubizuri-Brücke zu verbinden, die einige Jahre zuvor gebaut worden war, drängte sich förmlich auf. Entworfen hatte die “weiße Brücke“ ein gewisser Santiago Calatrava, seines Zeichens ebenfalls Architekt, aus dem spanischen Valencia. Isozakis Plan (in Absprache mit der Stadtverwaltung) sah einen praktischen und fußgänger-freundlichen Verbindungssteg mit der “Zubizuri“ vor. Doch hatte der umstrittene Kollege Calatrava Einwände gegen diesen Steg – und klagte. Es sei ein unerlaubter Eingriff in sein Werk. Die Stadtverwaltung Bilbao musste die bittere Erfahrung machen, dass Brücken nicht nur Verkehrswege sind, sondern auch Kunstwerke, an die niemand Hand anlegen darf. Calatrava erhielt statt der geforderten 3 Millionen nur 30.000 Euro “Schmerzensgeld“ und wurde dafür vom Turm- und Stegbauer Isozaki gerügt: “Es fällt mir schwer, die Haltung von Calatrava zu verstehen. Er ist ein Egozentriker“, sagte der Japaner einst in der baskischen Presse.
Kunst des Unsichtbaren
“Architektur sollte unsichtbar sein, unberührbar, sie sollte mit den fünf Sinnen fließen“, so Isozakis Philosophie. 1931 wurde er in Oita auf der Insel Kyushu geboren und wuchs in einem ruinierten Land auf, das im Zweiten Weltkrieg auf der faschistischen Seite gestanden hatte und besiegt worden war. Japans imperiale Macht stand vor dem Zerfall, die Traditionen standen vor einer Öffnung zum Westen. 1954 machte er seinen Abschluss an der Universität Tokio und begann seine Arbeit im Architektur-Studio Kenzo Tange – Pritzker-Preis von 1987. Isozaki erzählte, dass die politische und wirtschaftliche Ungewissheit nicht zuließ, dass sie sich als Architekten nur auf einen Stil konzentrierten. “Paradoxerweise wurde der Wechsel zu meinem Kennzeichen“. (1)
Beeinflusst wurde er nicht nur von seinem Arbeitgeber Tange, er assimilierte auch das Erbe von modernistischen Meistern wie Le Corbusier und Louis I. Kahn. Isozaki machte aus einfachen Geometrien neue Formen. In seinem Geburtsort baute er einen Luxusclub in Form eines Fragezeichens, das nur aus der Luft zu sehen ist. “Der Klient hatte nichts dagegen“, erzählte der für seinen Humor bekannte Isozaki später.
Im Mai 2019 erhält der Preisträger in Paris einen Scheck und eine Bronze-Medaille, auf der die Worte “firmitas, utilitas, venustas“ (Standhaftigkeit, Schönheit, Nützlichkeit) eingraviert sind – die Prinzipien der Architektur nach dem römischen Architekten und Gelehrten Marcus Vitruvius Pollio.
Der Pritzker Award
Der Pritzker-Architektur-Preis (englisch: Pritzker Architecture Prize) ist eine weltweit renommierte Auszeichnung für Architektur. Er wurde 1979 von dem US-Amerikaner Jay A. Pritzker (unter anderem Besitzer der Hyatt-Hotelkette) und dessen Gattin Cindy gestiftet und wird seit deren Ableben von der Hyatt-Stiftung organisiert. Die jährlich vergebene Auszeichnung ist mit 100.000 US-Dollar dotiert und genießt in Fachkreisen eine hohe Wertschätzung. (3)
Die Pritzker-Sammlung Bilbao
Die Reihe jener in Bilbao vertretenen Architekt*innen, die für ihre Karriere den begehrten Pritzker-Oscar erhielten, wird angeführt von Frank Gehry, dem der Preis 1989 verliehen wurde, zwei Jahre bevor er mit dem Bau des Guggenheim-Museums beauftragt worden war. Ihm folgte im Jahr 1992 der Portugiese Álvaro Siza, der das Paraninfo genannte sechsstöckige Gebäude der baskischen Universität entwarf (Ausstellungen, Auditorien, Verwaltung), 2010 wurde es eingeweiht. Der Block steht nur wenige Meter neben dem Guggenheim-Museum.
Dritter in der Liste ist Rafael Moreno im Jahr 1996, der einzige Spanier, dem diese Ehre zu Teil wurde. Er zeichnete verantwortlich für die Bibliothek der privaten Jesuiten-Universität von Deustu, die direkt neben dem Paraninfo steht und zu gleicher Zeit wie dieses gebaut wurde.
Chronologisch an vierter Stelle ist für das Jahr 1999 Norman Foster verzeichnet, auf den das Design der Metro Bilbao zurück geht. “Fosteritos“ werden die Schneckenhäuser aus Glas genannt, die in Bilbao und umzu seit 1995 viele Metro-Eingänge schmücken.
Die Irakerin Zaha Hadid ist in der illustren Pritzker-Liste die erste Frau. Die 2016 Verstorbene erhielt den Preis im Jahr 2004. Sie war 2005 in Bilbao mit einem Masterplan beauftragt worden für die ehemalige Industrie-Halbinsel Zorrotzaurre, die in den kommenden Jahren komplett neu gestaltet werden soll. Dieser millionenteure Hadid-Masterplan hat seither viele Veränderungen erfahren. Einige Gebäude, wie das neue Fußball-Stadion oder die Basketball-Halle, wurden ausgelagert und stehen seit einiger Zeit an anderen Orten der Stadt. Die von Hadid vorgesehene Vielzahl von Luxuswohnungen wurde ebenfalls stark reduziert, dennoch wird dem alten Stadtteil hartnäckig der Beiname “Manhattan Bilbaos“ angedichtet, vielleicht der Beginn einer neuen Legende. Jedenfalls ist Hadid die einzige in der Reihe, die für kein konkretes Bauwerk verantwortlich war.
Fehlt der sechste im Pritzker-Bunde. Im Jahr 2007 wurde der Brite Richard Rogers ausgezeichnet, er war 2009 mit dem Masterplan für den Garellano-Komplex in der Nähe des San-Mames-Stadions beauftragt worden. Garellano war eine Militärkaserne, in der zuletzt Feuerwehr und Stadtpolizei untergebracht waren. Die mussten fünf Wolkenkratzern weichen, die seit Jahren gebaut werden, drei sind fertig gestellt, der vierte ist derzeit im Bau. Für den fünften Turm mit 36 Stockwerken machte Rogers den Entwurf. Nun folgte als siebter Pritzker-Preisträger aus Bilbao der Japaner Arata Isozaki.
Einheimische Architekt*innen vernachlässigt
Die Strategie der Verantwortlichen für den Bilbao-Tourismus ist klar: die eine oder andere Million mehr investieren in große Namen und Preisträger, um sich mit immer mehr Recht das Attribut Architektur-Stadt anheften zu können und im weltweiten Rennen um die Zahl der Besucher*innen dann Kasse zu machen. Welche Wichtigkeit dieser Promi-Umstand hat macht die mediale Reaktion auf den Isozaki-Pritzker deutlich. In der meistgelesenen (reaktionären) Tageszeitung Bizkaias schaffte es der Japaner gleichsam auf die Titelseite – und das mit einem Thema, das in Tausenden von Kilometern Entfernung und zwei anderen Kontinenten – Asien und Amerika – seinen eigentlichen Schauplatz hat.
Beim Fußball läuft es in Bilbao bei Athletic gerade umgekehrt: da spielen nur Bask*innen – doch die sind im Wettrennen um die Architektur-Siegel praktisch ausgeschlossen, weil sie eben nur Architekt*innen sind, aber nicht berühmt. Darüber haben sie sich kürzlich öffentlich beschwert, gerne möchten sie bei den Parade-Bauwerken der Stadt mit eine Rolle spielen. Die Entscheidungsfindung über künftige Aufträge wird dieser Protest wenig beeinflussen. Erste Nagelprobe stellt das Museum für Schöne Künste dar. Es soll 18 Monate geschlossen und kräftig erweitert werden, um dann dem nahegelegenen Guggenheim ernste Konkurrenz zu machen. Oder als Doppelgespann Kunststädte wie Paris, Berlin oder London an den Rand der Verzweiflung zu bringen.
“Das Museum der Schönen Künste sucht prestigeträchtige Architekten für die ehrgeizige Erweiterung“ titelte die spanienweit meistgelesene Tageszeitung (El Bellas Artes de Bilbao busca arquitectos de prestigio para acometer su ampliación más ambiciosa) – die Absicht lässt wenig Gutes erahnen für die Architektur-Zunft in Bilbao und Bizkaia (4). Dass einer der bisherigen “Prestigeträchtigen“ zur Wiederholung eingeladen wird, ist unwahrscheinlich, schließlich geht es um die Erweiterung der bilbainischen Pritzker-Liste und nicht um ihre Verdickung.
Bedeutung für den Tourismus
Isozaki war und ist Wasser auf die Mühlen des baskischen Massentourismus. Das Guggenheim-Museum als Initialzünder steht schon eine Weile nicht mehr im Zentrum der lokalen Bemühungen um Besuchsrekorde. Thematischer Tourismus ist das neue Schlagwort, im Curriculum der Stadt wird eine Etikette nach der anderen vermerkt. Die entsprechende mediale Propaganda ist bereits in Gang, ankommende Tourist*innen fragen nach Architektur. Vom Guggenheim-Effekt ging es zum Bilbao-Effekt plus Architektur-Stadt plus Kongress-Stadt plus massenhafter Hotelbau.
Bereits 2017 hat Baskultur.info einen Artikel zu einem ähnlichen Thema publiziert: “Kritik am Guggenheim-Modell – Fatale Sucht nach architektonischen Wahrzeichen“. (5)
Pritzker-Statistik
2019 wurde der Preis zum 41. Mal verliehen. Aus der Schweiz zählen Jacques Herzog und Pierre de Meuron (2001) sowie Peter Zumthor (2009) zu den Preisträgern. Nach Gottfried Böhm (1986) wurde Frei Paul Otto als zweiter Deutscher 2015 mit dem Preis ausgezeichnet. Der erste und bisher einzige Österreicher war 1985 Hans Hollein. Im Jahr 2004 wurde erstmals eine Frau gewürdigt: Die aus dem Irak stammende Britin Zaha Hadid erhielt den Preis für ihr Lebenswerk. 2010 bekam ihn mit der Japanerin Kazuyo Sejima eine weitere Frau. Im Schnitt sind die Preisträger 63 Jahre alt, der jüngste war 44, der älteste 90 Jahre alt. Nach Ländern gingen die meisten Preise nach Japan (sieben), in die USA (sieben) und vier nach Großbritannien. (3)
(Publikation baskultur.info 2019-03-28)
ANMERKUNGEN:
(1) “Isozaki se sube a la torre del Pritzker” (Isozaki steigt auf den Pritzker-Turm), Tageszeitung El Correo, 2019-03-06 (LINK)
(2) Arata Isozaki, Wikipedia (LINK)
(3) Pritzker-Preis, Wikipedia (LINK)
(4) El País 2019-03-05 (LINK)
(5) Baskultur.info: “Kritik am Guggenheim-Modell – Fatale Sucht nach architektonischen Wahrzeichen“ (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Isozaki-Türme und Brücke (FAT)
(2) Isozaki-Türme im Bau (FAT)
(3) Isozaki mit Türmen (elcorreo)
(4) Isozaki-Türme im Bau (FAT)
(5) Stadtüberblick mit Türmen (FAT)
(6) Isozaki-Türme (FAT)