Franquismus-kritische Kunst der 60er Jahre
Originalität, Kreativität und die kritische Vision einer Gesellschaft, die von einer Dikatutur erstickt wurde – so wird das künstlerische Projekt beschrieben, das drei Künstler aus dem mediterranen Valencia Mitte der 60er-Jahre in Gang brachten: Equipo Crónica – das Chronik Team. Während sich das Regime versuchte, mit Kunst und Tourismus seine Misere zu übertünchen, gründeten drei Maler die Gruppe, um diese rückwärtsgewandte Gesellschaft künstlerisch-kritisch zu beschreiben.
(2015-02-23) Im Museum der Schönen Künste von Bilbao ist eine Ausstellung zu sehen, die ihre Ursprünge im tiefsten Franquismus hat, im Spanien der 60er Jahre. Manolo Valdes, Rafael Solbes und Juan Antonio Toledo waren die drei Maler, die ihre kreativen Muskeln spielen ließen und das Franco-Regime provozierten ohne es herauszufordern. Das Museo de Bellas Artes der bikainischen Hauptstadt zeigt von Februar und bis 18.Mai 2015 eine einzigartige und umfangreiche Retrospektive dieses Kunstprojekts von weltweiter Bedeutung (1).
Im Jahr 1964 wurde Equipo Crónica gegründet, nur wenige Monate später stieg Toledo wieder aus. Die beiden verbliebenen Künstler Valdéz und Solbes überdauerten den Franquismus und blieben zusammen bis zu Solbes Tod im Jahr 1981. Seither ist es relativ still geworden um das Chronik-Team. Umso bemerkenswerter die aktuelle Ausstellung, die nicht nur eine Neuansicht der Geschichte liefert, sondern auch die Schritte vor der Gründung der Gruppe nachzeichnet. Die umfangreiche Ausstellung begibt sich erneut auf die Spuren der Künstler-Gruppe, nachdem vor immerhin 26 Jahren, 1989 in Madrid und Valencia, ein Versuch mit einer etwas kleineren Auswahl von Werken gemacht worden war. Die Reaktion des Publikums war "feindlich und von Zurückweisung geprägt", möglicherweise war der Zeitpunkt noch zu früh für eine historische Betrachtung. Denn die Werke handelten von einer Epoche, die die Leute vergessen wollten, nachdem 1975 der Diktator gestorben war und sich im Staat scheinbar eine Demokratie herausgebildet hatte. "Der Blick der Gesellschaft ging nach vorne und wollte sich nicht mit kulturellen Aktivitäten beschäftigen, die von Politik und Zensur konditioniert waren. Daher die Ablehnung", so der Ausstellungs-Kommissar Tomás Llorens, der die Werkschau zusammen mit seinem Sohn Boye Llorens eröffnete. Beide kannten sie die Maler vom Chronik-Team persönlich.
Seit dieser ersten Retrospektive ist ein Vierteljahrhundert vergangen, mehr als 50 seit Gründung des Teams. Im Januar 1965 wurden die ersten Werke in Paris gezeigt, außerhalb des diktatorialen Einflussbereiches. Seither ist das Interesse an kritischer Kunst im Franquismus wieder gewachsen, nicht zuletzt, weil diese historische Etappe auch politisch bis heute nicht aufgearbeitet ist und mehr denn je aktuell ist. Die Team-Bilder dürfen somit erneut von Gewalt und Elend erzählen, die die Gesellschaft in den 60ern durchleben musste.
Doch war die soziale Kritik des Crónica-Teams nicht frontal, möglichweise auch aus Selbstschutz. Sie bediente sich klassischer Werke und Motive, kopierte Goya und Picasso, um Andeutungen zu machen, die so oder so interpretiert werden konnten. Doch wer die Bedeutung von Picasso (Guernica-Bild) für das Regime kennt, liegt sicher nicht falsch mit der Annahme, dass solche Kunst den politischen Führern quer im Magen lag. Trotz ihrer kritischen und satirischen Darstellungen war die Gruppe dennoch nicht von der damals allgegenwärtigen Zensur betroffen. "Im Jahr 1967 war die Gruppe international bereits derart bekannt, dass es dumm gewesen wäre, sie zu zensieren. Sie reflektierten über den politischen Kontext ihrer Zeit, aber sie kritisierten die franquistische Diktatur nicht direkt. Sie kritisierten vor allem die Konsumgesellschaft", so Llorens.
Die aktuelle Ausstellung
Die Ausstellung im Museo de Bellas Artes von Bilbao umfasst eine Auswahl von 146 Werken: Gemälde, Skulpturen, Drucke, Plakate und Original-Dokumente, sowohl vom Chronik-Team selbst, alsauch von der Gruppe "Estampa Popular" (Volks-Druck), der auch die verstorbene Ehefrau des Ausstellungs-Kommissars angehörte, Ana Peters, sie stammte aus Bremen. In dieser Volks-Druck-Gruppe hatten auch die Chronisten Solbes und Valdés mitgearbeitet. Quer durch die Ausstellung zieht sich die Tatsache, dass die Bilder und Werke nicht persönlich unterzeichnet sind, wie dies in der Kunstszene allgemein üblich ist. Der Teamgeist verbot einen solchen Individualismus. Tatsächlich malten Valdés und Solbes die Bilder gemeinsam. Erst wurde das Konzept eines Bildes gemeinsam festgelegt,dann malten sie schichtweise, mal der eine, mal der andere, nicht immer zu gleichen Teilen, erklärte Boye Llorens am Rande der Werksbesichtigung. Valdés und Solbes benutzten Bilder aus der Tagespresse, aus dem Medien sowie klassische Referenzen aus der Kunstgeschichte, um sie zu verfremden und in andere politische Zusammenhänge zu stellen. Die Ironie dieser Mischung ist zum Beispiel zu sehen in der Bilder-Serie "La recuperación" (Die Wiederherstellung), die sich kritisch auseinandersetzt mit einer Kampagne des damaligen Ministeriums für Information und Tourismus (dem der erst vor Kurzem gestorbene Altfranquist Manuel Fraga Iribarne vorstand (2). Mit dieser Kampagne "Spain is different" wollte das Regime in der 60er Jahren seine kulturelle Leichtigkeit unter Beweis stellen und Touristen ins Land locken, um die maroden Staatsfinanzen aufzufrischen. Die Serie konfrontiert klassische Ikonen der spanischen Malerei des XVII und XVIII.Jahrhunderts (Goya, Velázquez) mit aktuellen Darstellungen aus den Medien.
Ursprünge des Equipo Crónica
Hinter dem Namen Equipo Crónica (oder Chroniken der Wirklichkeit) steckte ein Künstler-Duo aus Valencia, das von 1964 bis 1981 aktiv war, als Rafael Solbes starb und Manolo Valdés seine künftige künstlerische Laufbahn neu bestimmte. Das Chronik-Team verabschiedete sich von der informellen Kunst und wandte sich einer figurativen Malerei innerhalb der Pop-Art zu. Auf kritische Weise analysierten die beiden Künstler die politische Situation im spanischen Staat und reflektierten gleichzeitig die Geschichte der Kunst und die Rolle der Künstler. So entstand eine einzigartige Mischung: zum Teil realistisch, zum Teil kritisch, viel Pop, Malerei, viele Anachronismen und süßsauren Plagiate. Solbes und Valdéz brachten ihr Engagement zum Ausdruck, aber ohne jegliche Freude. Ihre Gemälde und Siebdrucke parodierten die ursprünglichen Gemälde von Velázquez, die in jenen Jahren vom Tourismus-Ministerium für Propagandazwecke benutzt worden waren.
Das Ausstellungs-Konzept
Unterteilt ist die Ausstellung nach Themen und Bilder-Serien. Sie beginnt mit der Kunstinitiative "Volks-Druck" und den Vorläufern der Chronik-Teams, das durch Juan Antonio Toledos Austritt schnell von drei auf zwei schrumpfte. Darauf folgen Serien aus den Jahren 1967 bis 1971, die bereits erwähnte "La recuperación" und "Guernica 69", sowie "Policía y cultura" – auf großen Leinwänden, mit bedrohlichen Polizisten in der Umgebung (Wiederherstellung / Guernica 69 / Polizei und Kultur). Die "Schwarze Serie" von 1972 thematisiert Gewalt und Action-Szenen aus Krimi-Filmen, sowie das us-amerikanische schwarze Kino. Bei "Retratos, bodegones y paisajes" aus den Jahren 1972 und 1973 (Portraits, Stilleben und Landschaften) halfen erneut klassische Motive, die mit neuen technischen Effekten verfremdet wurden.
In der Ausstellung folgen die Serien "A vueltas con la pintura" (1973 bis 1975, Um die Malerei), "Encuentros de Pamplona" (Treffen von Pamplona) und "El cartel" (Das Plakat). Die Serien "El paredón", "La trama" von 1972 bis 1977 und "La partida de billar" von 1977 (Erschießungswand / Komplott / Billard-Partie) enthalten Anspielungen über die Rolle der Kunst und der schaffenden Künstler. Daneben das Triptychon zur Biografie von Franco und Szenen aus altertümlichen Billard-Salons in Valencia. Abgerundet wird die Ausstellung mit den zuletzt geschaffenen Serien aus der Zeit von 1977 bis 1981.
Rückblick auf die ersten Serien
Das Jahr 1967 war mit den Austellungen in Paris, Valencia, San Sebastián und Barcelona ein entscheidendes Jahr für die Gruppe (3). In deren Verlauf stellten sie ihre Methode der thematischen Serien-Bilder vor über ein erstes Paket von Gemälden, die zwischen 1967 und 1969 entstanden waren und die den Titel "La recuperación" trugen (Wiederherstellung). Dabei wurden Abbildungen aus Massenmedien mit Motiven aus der klassischen spanischen Malerei verbunden: El Greco, Velázquez, Goya. Die ironische Darstellung wurde zum Erkennungsmerkmal der beiden Künstler.
Das Konzept der "Aneignung" der spanischen Klassik-Schule wurde forgesetzt mit "Guerncia 69", diese Serie war in der Galerie Grises in Bilbao vorgestellt worden. Thema war hier der Versuch, Ende 1968 das Gemälde von Picasso zurückzuholen, nach dem Krieg war es über Frankreich nach New York gelangt, ins Museum of Modern Art (MOMA). Mit diesem Thema schuf das Equipo Crónica eine seiner gefragtesten Serien, die gedachte Erzählung der herbeigesehnten Wiedererlangung des berühmtesten Gemäldes des 20.Jahrhunderts. Die dritte Serie aus dieser Zeit ist die "Autopsia de un oficio" (Autopsie eines Berufes), eine Reflektion über die Arbeit des Malens, deren Grundlage erneut ein Klassiker der spanischen Malerei war: "Las Meninas" (Die Hofdamen) von Velázquez.
Die Ausstellung "Equipo Crónica" ist zu sehen im Museum der Schönen Künste im Zentrum von Bilbao, sie endet am 18.Mai 2015.
Quellen:
(1) Artikel Tageszeitung DEIA 11.2.2015 Titel "Equipo Crónica trae a Bilbao una visión crítica de la España de los 60 y 70", von Iñaki Mendizabal Elordi (Das Chronik-Team bringt eine kritische Vision des Spanien der 60er und 70er Jahre nach Bilbao)
(2) Manuel Fraga Iribarne (1922 in Galicien / 2012 in Madrid) war ein faschistischer spanischer Politiker, von 1962 bis 1969 Minister des franquistischen Regimes. Während und nach dem Übergang Spaniens zur Demokratie (Transición – Übergang genannt) gehörte er zu den führenden Persönlichkeiten des ultrarechten Lagers. 1976 war er verantwortlich für einen Polizeieinsatz in Gasteiz-Vitoria, bei dem fünf streikende Arbeiter erschossen wurden. Nach Gründung der Partido Popular (PP - Volkspartei) war er deren erster Vorsitzender und von 1989 bis 2005 in deren Namen Regierungschef der Autonomen Region Galicien.
(3) Aus der Pressemappe der Ausstellungs-Präsentation.
Fotos:
(x) Alle Fotos sind von der öffentlichen Vorstellung der Ausstellung im Museum der Schönen Künste Bilbao, vom 10.Februar 2015. FAT – Foto-Archiv-Txeng.
(y) Eine Fotoserie mit einigen Bildern der Ausstellung ist zu finden bei flickr.txeng.