sancho deia1xDas Archiv des Baskenlandes

Vor 50 Jahren (1964) wurde das Studien- und Forschungs-Zentrum Sancho el Sabio (Sancho der Weise) gegründet, die später vom Sozialwerk der Sparkasse Vitoria zur Stiftung gemacht wurde. Heute ist die Einrichtung bedeutender Bezugspunkt für alle Aspekte der baskischen Gesellschaft und Kultur. Da das historische Baskenland kein einheitlich verwaltetes Territorium darstellt, gibt es kein gemeinsames National-Archiv. In dieser Lücke hat sich die Stiftung ihren Platz erkämpft und einen weitreichend guten Ruf erarbeitet.

Seit der Entstehung der Institution mitten in der Zeit der Diktatur sind die Ziele gleich geblieben: sammeln, ordnen, aufbewahren und verbreiten, im Dienste der Dokumentation der baskischen Kultur. In ihrer langen Geschichte hat sie eine der umfangreichsten und vollständigsten Dokumenten-Sammlungen des Baskenlandes zusammengetragen. Auch wenn es in Zeiten der franquistischen Diktatur ein schwieriges und oft grenzwertiges Unterfangen war, hat sich Sancho el Sabio von Beginn an auf das gesamte geographische Gebiet des historischen Baskenlandes bezogen und Dokumente gesammelt sowohl aus der Autonomen Gemeinschaft Baskenland, aus der Foralgemeinschaft Navarra und dem französischen Baskenland. (1) Dazu passt die Namenswahl: Sancho VI. von Navarra wurde auch Sancho der Weise genannt. Er war von 1150 bis 1194 König von Navarra, einem Staat, der sich nördlich, westlich und südlich der Pyrenäen erstreckte und zu dem alle sieben Provinzen gehörten, bis die drei westlichen im Jahr 1200 von Kastilien militärisch erobert wurden. In die Herrschaftszeit von Sancho VI. dem Weisen fällt die Umbenennung des Königreichs Pamplona in Königreich Navarra.

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Im Gegensatz zu Katalonien und Asturien verfügt das Baskenland über keine Nationalbibliothek, obwohl die Autonome Region das Recht dazu hätte. Das "Gesetz der Historischen Territorien" delegiert diese Aufgabe an die Provinzregierungen (Diputación), mit der Maßgabe, in jedem Gebiet eine solche Einrichtung zu schaffen. Doch das geschah nicht. "Deshalb ist unsere Einrichtung", so Jesus Zubiaga, der aktuelle Direktor der Stiftung, "am ehesten mit einer Bibliothek der baskischen Kultur vergleichbar. Das einzige was uns fehlt, um uns national zu nennen, ist das Sammeln von absolut Allem, was in unserem Gebiet publiziert wird. Das Historische Archiv Euskadi, das kürzlich in Bilbao eröffnet wurde, hat einen anderen Charakter. Eigentlich wäre es nötig, per Gesetz die Entwicklung der verschiedenen Archive zu koordinieren, anstatt immer weitere Gebäude und Archive einzurichten." Jedenfalls handelt es sich bei der Stiftung Sancho el Sabio um eine tonangebende Einrichtung, eine wesentliche Referenz, die seit 1964 aufgebaut wurde. In der Stadt-Sparkasse von Vitoria, baskisch: Gasteiz, (Caja de Ahorros Municipal) wurde damals die Entscheidung getroffen, das Studien -und Forschungszentrum der Institution Sancho el Sabio zu gründen, nachdem die Einrichtung selbst neun Jahre vorher gegründet worden war. (2)

Archiv-Gründung

Zu dieser Zeit gab es zum Thema Baskenland weder eine Bibliothek noch irgendwelche Material-Sammmlungen, "das war gar nicht erlaubt." Jesus Olaizola war der erste Direktor, ein Mann, der trotz der Diktatur und ihren Auswirkungen die ersten Schritte unternahm, das aufzubauen, was heute die Stiftung darstellt. Obwohl dies bedeutete, Kopien von Publikationen ins damalige Baskenland zu holen, die von republikanischen Verlagen im Ausland veröffentlicht wurden, vom Verlag Ruedo Ibérico zum Beispiel. Der erste Sitz der Institution war auf dem Platz der Provinz, wurde aber über die Jahre zu klein, sodass das Archiv in den Elvira Zulueta Palast umziehen musste, mit Carmen Gómez als Leiterin über zwei Jahrzehnte hinweg. Sie war nicht nur für das Wachstum der Bestände von Sancho el Sabio verantwortlich, sondern auch für den pionierhaften und komplizierten Prozess der Digitalisierung, mit dem zu Beginn der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts begonnen wurde.

Der Bestand des Archivs

Heute hat die Stiftung 320.000 computergesteuerte bibliographische Verweise, 40.000 digitale Referenzen aus Familienarchiven, 10 Millionen digitalisierte Seiten. Zweieinhalb Millionen davon beziehen sich auf Sammlungen, die als bibliografischer Besitz betrachtet werden, sowie eine halbe Million Dokumente aus Familienarchiven. Daneben 100.000 publizierte Abhandlungen, 12.000 Zeitschriftentitel (darunter rund eine Million Hefte), 50.000 Plakate, 10.000 Aufkleber, 90.000 Fotografien und unzählige Flugblätter, Broschüren, Streik-Flugblätter, Wahlpropaganda, Broschüren von sozialen Bewegungen und mehr. All dies hat nach dem Urteil von Fachexperten der Bibliografie einen Wert von 25 Millionen Euro. Doch liegt der eigentliche Wert zweifellos in den Einzigartigkeit des Archivs.

Seit 2009 hat die Stiftung auf dem alten Friedhof des Karmeliterklosters seinen dritten Standort gefunden. Die modernen Zeiten hatten zur Folge, dass sie in Wirklichkeit überaus virtuelle Zweigstellen erhielt: fsancho-sabio.es und memoriadigitalvasca.es. Über institutionelle Abkommen sind die Bestände auch bei liburuklik.euskadi.net und dokuklik.snae.org vertreten. Nicht zu vergessen die Projekte Hispana und Europeana. Letzteres ist eine virtuelle Bibliothek, die einer breiten Öffentlichkeit das wissenschaftliche und kulturelle Erbe Europas von der Vor- und Frühgeschichte bis in die Gegenwart in Form von Bild-, Text-, Ton- und Video-Dateien zugänglich machen soll. Das Projekt Hispana ist eine vergleichbare Einrichtung in der Dimension des spanischen Staates. (2)

Digitale Zeiten

Das aus einem Familien-Fundus stammende Manuskript aus dem 13.Jahrhundert und ein Wiegendruck (Inkunabel) aus dem späten 15.Jahrhundert, hergestellt von Arnaldo Guillén de Brocar in der Kathedrale von Pamplona, sind die beiden ältesten Gegenstände, die das Zentrum heute beherbergt. Ein Dutzend Mitarbeiter kümmert sich um das Archiv.

Die Art und Weise, die Sammlung zu organisieren ist vielleicht 50 Jahre gleich geblieben, doch haben technologische Anwendungen alles revolutioniert. "Seit einem Jahrzehnt sind wir in einer entscheidenden Phase zwischen analog und digital. Ein Großteil der Dokumentation, die heutzutage im Internet zu finden ist, existiert nicht mehr auf Papier. Für die Dokumentationszentren bedeutet das einen radikalen Umbruch, heute archivieren wir auf ganze andere Art". Diese neue Praxis spiegelt sich auch in der Verbreitung von Informationen wider: die vor einem halben Jahrhundert unumgängliche persönliche Anwesenheit zur Archivsichtung ist heute zur Seltenheit geworden, ersetzt durch die Arbeit in der virtuellen Welt. "Es ist schon verrückt, es existieren so viele Dokumente wie noch nie, dennoch ist es möglich sie aufzubewahren. Der große Vorteil der neuen Technologien ist, dass Informationen von überall in der Welt angeboten werden", beschreibt Zubiaga.

Fotos, Karten, soziale Bewegungen

Natürlich ist das traditionelle Buch der hauptsächliche Bestandteil des Fundus der Stiftung. Das andere Standbein sind periodische Publikationen. Daneben enthält das Archiv 90.000 Fotos und 7.772 Bilder. Die kartographische Sammlung besteht aus mehr als tausend Landkarten, katalogisiert und mit Beispielen versehen wie dem Atlas des Geografen und Kartografen Abraham Ortelius aus der Renaissance-Zeit, bis hin zu Werken, die Mercator, Hondius, Jansonius, Blaeu oder Nolin zugeordnet sind. Dazu Kopien aus Landkarten der baskischen Provinzen von Thomas Lopez aus dem 18.Jahrhundert und aus dem 19. von Francisco Coello, sowie digitale Karten aus dem 21.Jahrhundert. Die historischen Kartografien mit 330 Karten sind vollständig digitalisiert.

Zur Abteilung der grafischen Materialien gehört ein Fundus von mehreren tausend Plakaten von beachtlicher thematischer und chronologischer Breite. Das älteste stammt aus dem späten achtzehnten Jahrhundert. Seit 2001 werden sie klassifiziert in die Bereiche Militarismus und Krieg, Zeichnungen, Drucke, Ökologie und Umwelt, Homosexualität, Politik, Amnestiebewegung, Gewerkschaften, Stierkampf, Aufkleber. Das Zentrum ist unter anderem Lagerraum der Plakate von Konzerten, die der Kulturverein Helldorado über mehr als ein Jahrzehnt organisierte.artxibohist2

Familienarchive

Hervorzuheben ist die besondere Bedeutung der Familienarchive – zehn wurden bereits digitalisiert, weitere vier sind im Begriff, katalogisiert zu werden – ein Feld, in dem besonders intensiv gearbeitet wird. "Dazu schließen wir Verträge mit den Familien. Sie übergeben uns ihr Archiv, wir ordnen, katalogisieren, digitalisieren und geben es dann zurück. Diese Unterlagen beinhalten viele verschiedene Aspekte, es sind sehr interessante Dokumente, um beispielsweise die Entwicklung eines bestimmten geographischen Gebietes zu verstehen. Solche Informationen gibt es nicht einmal in öffentlichen Archiven", sagt der Direktor. Gerade vollendet wurde die Dokumentation des Archivs Marqués de la Alameda (Markgraf von Alameda), demnächst geht es an seine Eigentümer zurück. Gleichzeitig beginnt derselbe Vorgang mit der Irizar-Familie aus Bergara. "Dazu hatten wir bereits Informations-Anfragen von interessierten Personen. Ein Teil der Paläste dieser Familie sind beispielsweise vom privaten in öffentlichen Besitz übergegangen. Für Gebäudereformen finden wir im Familienarchiv die Dokumentation aller Umbauten, die je in diesen Gebäuden gemacht wurden. Wir stoßen auf kuriose Dinge wie den Kauf von Büchern im 18.Jahrhundert über Buchhändler aus Amsterdam".

Die Arbeit der Stiftung mit Ausstellungen, Workshops und Forschungs-Stipendien findet nie ein Ende, Sancho el Sabio ist längst nicht mehr nur ein Ort der Aufbewahrung von Dokumenten. Neben dem Stiftungsgebäude soll KREA eingerichtet werden, ein multidisziplinäres Innovations-Zentrum nach dem Modell us-amerikanischer Universitäten, dessen Umsetzung seit 2011 jedoch auf Eis gelegt ist. "Wenn im Gebäude nebenan Ausbildung stattfindet, erfährt die Gegend hier eine Wiederbelebung. Sicher werden wir eines Tages zusammenarbeiten, so kann die Stiftung Beiträge zur baskischen Kultur leisten, sie kann Wissen über die lokale Umgebung beisteuern, Informationen, die das künftige Zentrum braucht", versichert Direktor Zubiaga. (2)

Geschichte der Stiftung Sancho el Sabio

1955: Die Institution Sancho el Sabio beginnt ihre Existenz mit der Initiative der damaligen Sparkasse der Stadt Vitoria. 1964: Aus der Notwendigkeit , verschiedenen kulturellen Bemühungen in der Provinz Alava (baskisch: Araba) Ausdruck zu verleihen, entsteht das Studien und Forschungs-Zentrum Sancho el Sabio. Zu den vielen Initiativen, die vom Zentrum unterstützt werden, gehört die Schaffung einer baskischen Bibliothek. 1989: Die Institution Sancho el Sabio erfährt eine juristische Statusänderung und wird zur Stiftung Sancho el Sabio. 1990: Aus der Fusion der Stadt-Sparkasse Vitoria und der Provinz-Sparkasse Alava entsteht die Caja Vital Sparkasse, Trägerin der neuen Stiftung. 1991: Umzug der Stiftung Sancho el Sabio in den Zulueta-Palast. 2009: Umzug der Stiftung in den aktuellen Sitz, Erneuerung der Stiftungsziele zur Verbreitung baskischer Kultur bei offenem digitalem Zugang. (1)

Quellen:

(1) Wikipedia Stiftung Sancho el Sabio

(2) Der Text basiert zu großen Teilen auf dem Artikel "El archivo de los vascos", publiziert in der baskischen Tageszeitung Deia vom 19.5.2014. Übersetzung Baskultur.info

Links:

Stiftung Sancho el Sabio: www.fsancho-sabio.es

Fotos:

1- Deia 19.5.2014

2 - Txeng / Flickr.com: Historisches Archiv Bilbao

3 - Txeng / Flickr.com: Historisches Archiv Bilbao

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