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Alarde: Erinnerung an die Kämpfer von 1936

Zum dritten Mal in Folge fand am 12. Oktober 2021 in Bilbao die Alarde Antifaxista statt, eine Antifaschistische Ehrung in Form eines historischen Umzugs, in dem die damaligen Brigaden dargestellt wurden. Während in Madrid eine Militärparade mit bürgerlichen Politikern, Monarchen, Rechtsradikalen und Ultranationalisten stattfand, wurde in der Hauptstadt Bizkaias der Kämpfer gedacht, die 1936 vor dem Ministerpräsidenten Agirre vorbeizogen, gegen den Faschismus auf dem Weg zur Verteidigung der Republik.

Alarde Antifaxista: "Wir rufen dazu auf, am Antifaschistischen Umzug (Alarde Antifaxista) am 12. Oktober in Bilbao teilzunehmen und an diejenigen zu erinnern, die vor 85 Jahren ihr Leben im Kampf gegen den Faschismus gegeben haben".

Die Feier in Madrid geht zurück auf die gewaltsame Eroberung des amerikanischen Kontinents und wird “Tag der Hispanität“ genannt, “Tag des Spanischtums“ – als ob der Völkermord an 70 Millionen amerikanischen Ureinwohner*innen ein Grund zu feiern wäre. Im Baskenland wird entweder gar nicht gefeiert, oder es wird an die Opfer des kastilischen Kolonialismus und des spanischen Faschismus gedacht. In guter Erinnerung ist, dass dieser spanische “Feiertag“ vor Jahren noch “Tag der Rasse“ (Día de la Raza) genannt wurde.

alarde2Die bei “Alarde Antifaxista“ in Originalkleidung aufmarschierenden Bataillone, die an ihre Vorgängerinnen im Krieg von 1936/1937 erinnerten, folgte eine antifaschistische Demonstration, zu der sich im Laufe der Strecke immer mehr Personen einfanden. In einem Interview mit der antifaschistischen Gruppe Sare Antifaxista hatten im Vorfeld Ziortza Aiensa und José Domènech alle Interessierten dazu aufgerufen, “denjenigen, die vor 85 Jahren ihr Leben im Kampf gegen den Faschismus gelassen haben, die Ehre zu erweisen, die ihnen gebührt". Zwischen anarchistischen, kommunistischen, sozialistischen, nationalistischen oder christdemokratischen Kämpfer*innen wurde dabei kein Unterschied gemacht. Der baskischen Gesellschaft insgesamt galt der Aufruf, sich zu wehren gegen "den wachsenden Faschismus, der in Europa und gleichzeitig auch in Spanien wieder seine Kreise zieht". (1)

Zu gleicher Zeit gab es im Bizkaia-Ort Artea eine Ausstellung mit Fotos früherer Ehrenumzüge und Fotos vom Juli 1936, von der damaligen Parade der Bataillone und des Eusko Gudarostea, der neu aufgestellten Baskischen Armee (2). Die Initiativgruppe “Alarde Antifaxista“ organisiert zudem Exkursionen zu Erinnerungspunkten aus der Kriegszeit, zum Beispiel zum Verteidigungs-Wall “Cinturon de Hierro“ (Eisengürtel), mit dessen Konstruktion die baskische Regierung im Jahr 1936 versucht hatte, den faschistischen Feind am Vormarsch zu hindern. Im ersten Jahr der Aktivitäten (2019) hatte “ Alarde Antifaxista“ (an den eigentlich dafür verantwortlichen Behörden vorbei) eine Reinigung von Bunkeranlagen und Schützengräben aus der Kriegszeit organisiert. Zum Interview (1):

Frage: Was ist Alarde Antifaxista und welche Ziele verfolgt sie?

José: Alarde Antifaxista entstand 2019 aus einer Idee von ein paar Freunden. Die Initiative stammt nicht von einer politischen Organisation, sondern ist eine Hommage an die baskische Militär-Parade, die 1936 in Bilbao vor dem neu gewählten Ministerpräsidenten José Antonio Agirre (Lehendakari) stattfand, bevor die Kolonnen und Bataillone zur Verteidigung des späteren Schutzwalls “Eiserner Gürtel“ (Cinturon de Hierro) von Bilbao aufbrachen. Sie waren es, die den anrückenden Faschismus aufhalten sollten.

Als Hommage an diese Menschen und in Anbetracht der Tatsache, dass es eine historische Kontinuität bis in die Gegenwart gibt, unter verschiedenen politischen und ideologischen Richtungen, die es damals gab und bis heute gibt. Die Idee der Alarde war, Menschen aus verschiedenen politischen Spektren zusammenzubringen, so wie dies vor 80 Jahren (zwangsläufig) geschehen war, diesen historischen Faden aufzugreifen und ihn auf heute zu übertragen. Es soll kein folkloristischer Akt sein, der gemeinsame Nenner der teilnehmenden Gruppen ist ihre antifaschistische Überzeugung, trotz ideologischer Unterschiede.

Ziortza: Zudem spielt der Faktor Klassenkampf eine Rolle.

José: Es hat mit dem Klassenkampf zu tun, mit Antifaschismus in einer Zeit, in der wir eine Zunahme von sogenannten Hassverbrechen erleben (3). In ganz Europa wird die extreme Rechte stärker. Wir sehen die Notwendigkeit, die Menschen zu ehren, die vor mehr als 80 Jahren zu den Waffen gegriffen haben. Jene Geschichte soll mit den aktuellen antifaschistischen Kämpfen in Zusammenhang gebracht werden.

Ziortza: Den Anfang der Alarde bildete die Putzaktion am Ganguren-Berg, in einem Teil des ehemaligen “Eisernen Gürtels“. Eine Gruppe von Personen beschloss, die dortigen Bunker und Schützengräben aus dem Krieg zu reinigen, die ziemlich heruntergekommen und verschmutzt waren. Daraus entstand die Idee für die Alarde.

Wie wird Alarde Antifaxista organisiert?

Ziortza: Was wir machen, ist ein Umzug mit folgender Demonstration am 12. Oktober. So war es auch die ersten beiden Male.

alarde3Warum wurde der 12. Oktober als Termin gewählt?

José: Weil dies der sogenannte Kolumbus-Tag ist, der Tag der sogenannten Entdeckung Amerikas. Es ist merkwürdig, denn in Madrid findet eine Militärparade statt, mit dem König und der ganzen militaristischen Garde. Gleichzeitig gibt es in Bilbao einen Umzug der Milizen und Bataillone der baskischen Gudari-Kämpfer. Es geht uns nicht darum, zu provozieren, sondern ideologisch zu konfrontieren und andere Perspektiven aufzuzeigen.

Wie seht ihr den antifaschistischen Kampf, wie seht ihr die Vox-Partei und andere faschistische Organisationen, die wieder auftauchen?

Ziortza: Der Faschismus ist auf dem Vormarsch. Faschisten sind an jeder Ecke zu finden. Sie sind Teil des Systems. Wir beobachten die Kämpfe der Arbeiter und Arbeiterinnen in den letzten Jahren. Zum Beispiel der Kampf von Tubacex (4) und all diese Bewegungen. Wir sehen, dass wir zwischen den verschiedenen politischen Strömungen, die im Baskenland in der Geschichte gegen den Faschismus gekämpft haben, einen gemeinsamen Punkt brauchen, um dem zu begegnen, was auf uns zukommt. Ein Verbindungspunkt zwischen Menschen, die nicht an dieses System glauben, die nicht glauben, dass Wahlen irgendetwas verbessern oder umkehren können, und die nicht glauben, dass ein bürgerliches System uns sagen wird, was zu tun ist.

José: Das ist eine der Fragen. Wir haben im Vorfeld nicht mit politischen Parteien gesprochen, sondern mit Gewerkschaften und mit Kollektiven. Die Initiative war nicht erwünscht. Nach ersten Treffen wurde in einer Versammlung ein Beschluss gefasst, der wie folgt lautet: Wir wollen keine parteipolitische Alarde, sondern eine aus den sozialen und politischen Bewegungen, einschließlich der sozialen Basis der politischen Parteien in Bilbo.

Wie viele Bewegungen oder Kollektive sind in der Alarde mit dabei?

Ziortza: Letztendlich gibt es verschiedene politische Spektren.

José: Es gibt auch Menschen, die in verschiedenen Organisationen aktiv sind.

Ziortza: Es gibt Anarchist*innen, Kommunist*innen …

José: Auch Republikaner*innen, die als Organisation heute nicht mehr existieren.

Ziortza: Auch das Arana-Goiri-Bataillon der Christdemokraten von der PNV ist mit dabei, es wird gewürdigt, um die Ereignisse von 1936 vollständig erscheinen zu lassen. (5)

Wie viele Bataillone beteiligen sich?

José: Anfangs gab es neun Bataillone, letztes Jahr sieben und dieses Jahr sechs oder sieben, mit verschiedenen Kolonnen. Manchen Leuten ist es peinlich, sich im alten Stil zu verkleiden.

alarde4Ziortza: Manchen fällt das nicht leicht ...

José: Aber der Punkt ist ein anderer, denn es handelt sich um eine Ehrung, nicht um eine übliche antifaschistische Demonstration.

Ziortza: Es soll eine Hommage sein. Es ist keine Verkleidung im eigentlichen Sinne, es ist eine Hommage. Deshalb haben wir gesagt, dass es keinen folkloristischen Anteil hat, aber das ist kompliziert. Eine Demonstration ist eine Form des politischen Ausdrucks, Alarde ist etwas anderes. Wenn wir in Uniform auflaufen, drücken wir damit Respekt aus. Das ist kein Zirkus, du repräsentierst ein bestimmtes Bataillon.

José: Insofern ist die Alarde durchaus auch originell.

Ziortza: Die Alarde ist ziemlich auffällig, eine beeindruckende Inszenierung.

Wenn wir auf die Bataillone des Krieges zurückblicken, was kann heute hervorgehoben werden?

José: Es sind unterschiedliche Zeiten. Damals war die Moderne, jetzt befinden wir uns in der Postmoderne. Das müssen wir berücksichtigen. Wir müssen die Menschen wertschätzen, die sich damals schnell entschlossen haben, in den Krieg zu ziehen. Heutzutage ist es ein bisschen komplizierter. Die Dinge sind, sagen wir mal, etwas mehr befriedet worden. Die Bedrohung durch den Faschismus ist jedoch nach wie vor vorhanden, sie ist immer noch da.

1936 war ein historischer Moment, anders als heute. Vox und die Gruppen im Umfeld entwickeln sich weiter.

Ziortza: Ja, die Ursachen und die Legitimation sind dieselben, aber der Kontext ist unterschiedlich.

Wie können die Faschisten heute gestoppt werden?

Ziortza: Zunächst einmal durch die antifaschistische Einheit, die wir an diesem 12.Oktober darstellen wollen. Verschiedene Kollektive, verschiedene Organisationen können sich zusammenschließen, um dem zu begegnen, was auf uns zukommt. Natürlich ist es einfacher, die Einheit mit der Alarde-Inszenierung an einem Tag herzustellen. Die Kontinuität und die die Aktion auf der Straße sind komplizierter.

Also mehr als nur einen Tag auf der Straße sein …

José: Das Ziel der Alarde geht über zwei Tage. Eine Geschichte ist der Umzug, die andere die Putzaktion in den Bunkern, oder Exkursionen, um etwas über die Geschichte des Kriegs in Bizkaia zu lernen. Das sind die Ziele. Wir sind uns bewusst, dass es andere Kollektive gibt wie die Sare Antifaxista und andere historische Organisationen, die antifaschistische Arbeit machen.

Ziortza: Der Umzug findet am 12. Oktober statt und im Laufe des Jahres werden Ausflüge zu verschiedenen Orten des “Eisernen Schutzwalls“ organisiert, um Gräben zu säubern, Führungen zu machen ...

Gibt es eine antifaschistische Einheit all dieser politischen Gruppen?

Ziortza: Die Alarde nahm Anfang 2019 Gestalt an, das ist nicht allzu viel Zeit. Dies ist erst unser dritter Anlauf.

Gibt es eine Unterstützung für diese antifaschistische Einheit, oder ist es noch ein langer Weg bis dahin?

José: Wir sehen, dass wir zusammenkommen. Es schien schwierig zu sein, aber plötzlich arbeitet man mit Leuten zusammen, die man kennt, die nicht aus dem gleichen Spektrum sind. Wir haben nie zusammengearbeitet, aber wir sind im Einklang. Dies erzeugt ...

... gute Stimmung?

José: Nun, auch wenn wir unsere Differenzen haben, so gibt es doch ein gemeinsames Engagement gegen den aufkommenden Faschismus.

alarde5Was erwartet ihr von Bilbo, Euskal Herria am 12. Oktober?

Ziortza: Wir erwarten die Ankunft von antifaschistisch gesinnten Menschen, die sich beteiligen wollen. Es spielt keine Rolle, woher sie kommen. Ein Teil aus Bilbao, aber auch von außerhalb. Alle, die an diesem Tag nicht kommen können, aber an einer Exkursion durch den “ Eisernen Gürtel“ teilnehmen möchten, oder an einer Putzaktion ... Es geht darum, uns kennen zu lernen, die wir vielleicht den gleichen Kampf führen, ähnliche Wege gehen. Alle haben ihren eigenen Weg, ihren Aktionsraum. Alarde bietet Berührungspunkte, die wir vorher nicht hatten, aber wir gehen von der gleichen Basis aus. Wir haben bereits gesagt, dass politische Parteien kein Interesse hatten, weil es keine gemeinsame Basis gibt.

José: Vor allem, weil sie keine Perspektive der antifaschistischen Koordinierung haben. Es war die Idee von wenigen, die auf das politische Spektrum der Straße, in diesem Fall Bilbao, übertragen wurde.

Ziortza: Tatsächlich kommen auch Leute aus Segovia und anderen Orten, Alarde ist offen.

Wie viele Personen haben in den letzten Jahren teilgenommen?

José: Es gibt 20 Bataillone mit einem Abstand von jeweils einem Meter. Keine bestimmte Zahl, sie ist variabel. Im Prinzip sind es 20, und dann gibt es noch die Leute, die zur Demonstration kommen, alles in allem Hunderte oder Tausende.

Ziortza: Jedes Bataillon hat seine Versammlungen. Es ist dynamisch. Und dann sind da natürlich noch die Leute, die zur Demo kommen.

Irgendeine Ergänzung?

Ziortza: Wir ermutigen die Menschen zur Teilnahme, um denjenigen, die ihr Leben im Kampf gegen den Faschismus gegeben haben, die Ehre zu erweisen, die sie verdienen.

José: Und gleichzeitig deutlich machen, wie der Faschismus in vielen Teilen Europas aufsteigt, in Spanien mit Vox und anderen Gruppen. Wir müssen uns nur die homophoben Übergriffe vor Augen führen oder die Nazi-Demonstrationen in Madrid und gegen die Arbeiterklasse, die da stattfinden.

ANMERKUNGEN:

(1) “Llamamos a participar en el Alarde Antifaxista el 12 de octubre en Bilbao y homenajear a quienes dieron su vida contra el fascismo hace 85 años” (Wir rufen dazu auf, am antifaschistischen Umzug am 12. Oktober in Bilbao teilzunehmen und an diejenigen zu erinnern, die vor 85 Jahren ihr Leben gegen den Faschismus gelassen haben), Interview: Juantxo Basterra für Sare Antifaxista, 2021-01-09 (LINK)

(2) Euzko Gudarostea (span: Baskische Armee) war der Name der von der im Oktober 1936 konstituierten baskischen Euskadi-Regierung für den Spanienkrieg geschaffenen Armee. Später wurde sie Armeekorps Euzkadi und noch später XIV. Armeekorps genannt. Den letzten Namen erhielt das baskische Aufgebot nach seiner offiziellen und organischen Eingliederung in die Volksarmee der Republik, als Ergebnis der Anstrengungen der Regierung, alle militärischen Gruppen in der republikanischen Zone unter derselben Führung zu vereinen. (LINK)

(3) Hass-Verbrechen: Der Begriff stellt ein neues politisches Schlagwort dar, nach einer neuen gesetzlichen Definition: Als Hass-Delikte werden homophobe, rassistische oder anti-trans Übergriffe bezeichnet, vielfach im Zusammenhang mit Fußball oder im Jugend-Freizeit-Bereich. Gleichzeitig werden jedoch auch antifaschistische, anti-israelische oder anti-amerikanische Gesten in Stadien oder Sporthallen als Hass-Delikte bezeichnet.

(4) “Langer Streik bei Tubacex - Erfolg nach 236 Tagen“, Baskultur.Info, 2024-04-13 (LINK)

(5) Bataillon Arana Goiri: Sabino Arana Goiri war der Begründer des baskischen Nationalismus und Gründer der konservativen PNV (Baskisch Nationalistische Partei). Das historische Arana-Goiri-Bataillon bestand aus Parteimitgliedern der PNV, die angesichts des politischen Einflusses der Partei beachtlich viele Gudari-Kämpfer mobilisieren konnte, um die Republik und das Baskenland zu verteidigen. Selbstverständlich beteiligt sich die Christdemokraten-Partei nicht an der Alarde-Initiative. Die Alarde-Organisator*innen waren jedoch der Ansicht, dass dem Umzug ohne Arana-Goiri-Beteiligung ein wichtiger Teil fehlen würde. Eine antifaschistische Stadtteil-Gruppe hat deshalb diesen historischen Part übernommen.

ABBILDUNGEN:

(1) Alarde (ecuador etxea)

(2) Alarde (alarde)

(3) Alarde (ecuador etxea)

(4) Alarde (Plakat)

(4) Alarde (text)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-04-26)

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