Die unsichtbar gemachte Arbeit
Eisenerz-Abbau spielte eine tragende Rolle bei der Industrialisierung Bizkaias. Nach dem Karlistenkrieg 1876 wurden die Eisenvorkommen im Gebiet Arboleda-Muskiz auf Nachfrage der europäischen Eisen- und Stahlindustrie ausgebeutet. Zehntausende kamen nach Bizkaia, um Arbeit zu finden, Männer und Frauen. Während den Männern wichtige Rollen zugeschrieben wurden, in der Mine, der Gewerkschaft, der Gesellschaft und im Streik, blieb die Arbeit von Frauen unsichtbar. Ein Buch wirft Licht auf diesen Mangel.
Frauenarbeit in den Minen Bizkaias war die Gewinnung und Zerkleinerung des Erzes, dessen Wäsche und Transport zu Hungerlöhnen. Daneben leisteten sie Reproduktionsarbeit für die neu ankommenden Männer. In der Geschichtsschreibung wurde ihre Leistung ignoriert und unterschlagen.
“Ich komme aus einem Dorf des Eisens. Aus dem Herzen des Eisenerz-Abbaugebiets von Bizkaia, am linken Ufer der Nervion-Flussmündung. Aus einer Gegend, die von Personen bewohnt wird, die von harter Arbeit und vom Vergessen erdrückt werden. Personen, die sich organisieren, die protestieren, die sich anstrengen, ohne dabei diejenigen aus den Augen zu verlieren, die es nicht nötig haben, dies zu tun. Ein Dorf, das sich seiner Herkunft bewusst ist, und dem deshalb seine Symbole wichtig sind. Das Blut der Bergleute ist Saatgut für eine künftige Guerilla (Sangre minera, semilla guerrillera), schreien die Straßen laut." (1)
Die ihre Erzählung mit diesen Worten beginnt, ist Andrea Momoitio, Journalistin, 1989 in Ortuella geboren, einem jener hässlichen und zerfurchten Orte in der Zona Minera (Minengebiet) vor den Toren Bilbaos. Momoitio ist eine der Gründerinnen der feministischen Zeitschrift Pikara Magazine und schreibt für verschiedene linke Medien im Baskenland und im spanischen Staat. Der Hintergrund ihres Textes ist jedoch nicht biografischer Natur, vielmehr geht es um die Vorstellung einer Studie der Historikerin Pilar Pérez-Fuentes, die sich auf die Suche nach den vergessenen und unsichtbaren Spuren der Bergwerks-Frauen gemacht hat und darüber ein Buch publizierte.
“Wir haben in den Erzminen gespielt, ohne zu wissen, dass sich in diesen riesigen Löchern die Ausbeutung und das Elend unseres Volkes verbargen. Der Abbau von Eisenerz war der Schlüssel im Prozess der baskischen Industrialisierung, vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zu seinem Niedergang im 20. Jahrhundert.“
Entgegen der landläufigen Vorstellung vom "Bergmann" erinnern 2023 eine Ausstellung und ein Buch an die Rolle, die Frauen im Bergbau spielten: "Frauen waren in den Minen bei der Gewinnung und Zerkleinerung des Eisenerzes, in den Waschanlagen des Erzes, beim Transport in Körben oder als Kartuschen-Herstellerinnen tätig, und das zu Löhnen, die niedriger waren als die der Männer. Schlecht bezahlte Arbeiten mit geringem Ansehen, denn die Maskulinisierung dieses Arbeitsmarktes stellte die Anerkennung des Sektors selbst in Frage". So heißt es in der Publikation "Burdinazko emakumeak - Mujeres de hierro" (Frauen aus Eisen) (2).
Die Historikerin Pilar Pérez-Fuentes macht sich auf die Suche nach den Spuren derjenigen, denen es gelang, in eine Welt einzudringen, in der hauptsächlich Männer arbeiteten. Doch beschränkt sich ihr Werk nicht auf diese Betrachtung, sie erweitert den Blick auf das Ausmaß der Bergbau-Industrie. "Frauen ermöglichten Tausenden von Männern, die in diese Bergbau-Gebiete kamen, einen Zugang zu einem Zimmer und damit einen Platz zum Leben. Denn wenn es ein Bett gab, gab es auch Arbeit in der Mine. Es gab Tausende von Hauswirtinnen, die sich um die Arbeitskräfte kümmerten, die alle schlafen und essen mussten, und deren Kleidung gewaschen und geflickt werden musste".
Pérez-Fuentes ist eine der ersten Historikerinnen, die sich der Erinnerung der Bergbaufrauen gewidmet hat. In ihrer Dissertation "Relaciones de género y estrategias familiares en la primera industrialización vasca: San Salvador del Valle, 1877-1913" (Geschlechterbeziehungen und Familien-Strategien in der frühen baskischen Industrialisierung: San Salvador del Valle, 1877-1913), bezog sie die Geschlechter-Perspektive in die Analyse der Industrialisierung ein. Das brachte Überraschungen mit sich.
In einem Interview für die Zeitschrift Pikara-Magazine erklärte sie, dass bis dahin "die historiografische Debatte unter mehr oder weniger linken Vorzeichen zwischen einer pessimistischen oder optimistischen Interpretation der Industrialisierung verlief". Sie hingegen analysierte die Lebenshaltungs-Kosten in den Minen-Gebieten und stellte fest, dass etwas nicht stimmen konnte: "Wenn wir ausschließlich die Löhne betrachten, müssten alle an Hunger gestorben sein". Was fehlte da? Verpasst wurde die Nachforschung, mit welchen Arbeiten die Frauen beschäftigt waren. In vielen Fällen waren dies Aufgaben im Zusammenhang mit Verpflegung und Versorgung. Kurz gesagt, der pflegerische Anteil, oder, mit Marx gesprochen: alle Aufgaben, die der Reproduktion der Arbeitskräfte galt.
Die kürzlich von Pilar Pérez-Fuentes vorgestellte Publikation wird von einer Ausstellung begleitet, die in den kommenden Monaten in verschiedenen Teilen des Bergbaugebiets von Bizkaia besucht werden kann. Dabei stellt die Expertin fest, dass "die gesamte Produktion von Dienstleistungen, die für den Unterhalt der Arbeiter notwendig waren, in den Händen von Frauen lagen und außerhalb der bezahlten Arbeitswelt blieb, was für die Bergbau-Unternehmen niedrigere Kosten bedeutete". Dieses Phänomen kann nicht verstanden werden, ohne die Natur des Eisenerz-Abbaus zu verstehen: "Befristete, unsichere und ungelernte Arbeitskraft, aus der die Unternehmen den maximalen Profit zu den geringst-möglichen Kosten herausholten".
Miren Llona, Doktorin für Zeitgeschichte an der Universität des Baskenlandes UPV, hat ebenfalls die Rolle von Frauen im Bergbau untersucht. In dem Bericht "Las últimas mineras" (Die letzten Bergbau-Frauen), in der Wochenend-Zeitschrift 7K, erinnert sie daran, dass es sicher kein Zufall ist, dass die Schutzpatronin der Kirche von La Arboleda, einem der wichtigsten Orte im Bergbaugebiet von Bizkaia (3), Maria Magdalena ist: "Die Frau, die am Rande steht und der Jesus vergibt. Die Bergbau-Frauen identifizierten sich nicht mit den reinen Jungfrauen, sondern mit einer Frau, die in Frage gestellt wird, die am Rande der Ehrbarkeit steht, die arbeitet und ein männliches Verhalten zeigt".
Dies ist einer der wichtigsten Punkte, die in den verschiedenen feministischen Analysen über die Rolle der Frauen im Bergbau immer wieder genannt werden: Die Bergbaufrauen wurden weder als Arbeiterinnen noch als Frauen betrachtet. Die Journalistinnen Teresa Villaverde und Itziar Pequeño stellen in ihrem Bericht "Women of the Hole" (Die Frauen aus der Grube) fest, dass "das Epos, das die Arbeiterbewegung um die Kämpfe jener Zeit herum konstruiert hat und das die Figur des männlichen Familienvaters und ausgebeuteten Lohnempfängers verherrlicht, die Frauen regelrecht ignoriert" hat. Außerdem, so fahren sie fort, "übernahm die Kultur der Arbeiterklasse aus dem bürgerlichen Diskurs die negative moralische Bewertung der arbeitenden Frau" (Link nicht verfügbar).
Am 29. April 1903 war in der bizkainischen Tageszeitung Gaceta del Norte zu lesen, dass "die Arbeit der Frauen außerhalb des Hauses die soziale Organisation stört; diese Arbeit der Frauen fördert die Unmoral, ihre eigene und die ihrer Familien. Die Arbeit der Frauen führt zur physiologischen Vernichtung".
“Während die Presse und die konservativen Diskurse ihre Maschinerie in Gang setzten, um die Vorstellung vom Weiblichen als Synonym für das Schwache zu konstruieren, schufteten die Frauen meines Landes in den Löchern, in denen andere von uns viel später Verstecken spielten. Jene anderen, deren Geschichte wir heute mit Stolz zurückerobern, um dem Vergessen entgegenzuwirken.“ So das Ende der Ausführungen von Andrea Momoitio.
Ausstellung
Die Realität der Frauen in der Geschichte des Bergbaus in Bizkaia sowie ihre Rolle bei der Entstehung der Arbeiter- und Gewerkschafts-Bewegung in Bizkaia wurde in der Geschichtsschreibung weitgehend verschwiegen und ist bis heute wenig erforscht. Immer wurde eine epische Geschichte erzählt ... von Männern. Männer, die in den Minen arbeiteten, Männer aus Gewerkschaften, Parteien, Stadträten, aus Unternehmen, denen die Minen gehörten, Männer in den Armeen, die geschickt wurden, um Streiks zu unterdrücken, Männer in den zivilen und militärischen Regierungen ... Doch waren Männer nicht die einzigen Protagonisten dieser Jahrzehnte des historischen Wandels.
Die Ausstellung "Frauen aus Eisen", als Ergänzung zum Buch von Pilar Pérez-Fuentes, Doktorin der Geschichte, soll zur Korrektur dieser blinden Flecken beitragen. Die Ausstellung war in Ortuella und Muskiz, zwei Gemeinden des Bergbau-Beckens zu sehen und wird in Gallarta im Bergbaumuseum des Baskenlandes dauerhaft zu sehen sein. (LINK)
Weitere Artikel
Vor wenigen Tagen wurde auf der Webseite baskultur.info ein Artikel publiziert über das Leben und Wirken der Kommunistin Dolores Ibárruri, La Pasionaria genannt, die ebenfalls aus dem Bizkaia-Minengebiet stammt, konkret aus Gallarta, ebenfalls ein Teil der Gemeinde Trapaga-Trapagaran. Titel: “ Dolores Ibárruri – Die leidenschaftliche Kommunistin“ (LINK).
Mehr Information über die Arbeiter*innen-Bewegung in Bizkaia:
“Fabrik Arbeiterinnen um 1900 – Ehefrauen, Mütter, Kämpferinnen“, 2015-05-23 (LINK).
“Arbeiter-Bewegung im Baskenland (1)– Entstehung der proletarischen Bewegung“ 2015-05-09 (LINK).
“Arbeiter-Bewegung im Baskenland (2) – Fünf große Generalstreiks“, 2015-05-19 (LINK).
ANMERKUNGEN:
(1) Information und Zitate aus: “Remendar la memoria de las mineras” (Das Andenken an die Bergwerks-Frauen bewahren), Internet-Tageszeitung Público, Autorin: Andrea Momoitio, 2023-09-02. Andrea Momoitio (1989), Journalistin, eine der Gründerinnen und Koordinatorinnen der feministischen Zeitschrift Pikara Magazine. Schreibt für Medien wie El Salto, Periódico Diagonal, Público, Eldiario.es, La Madeja und Altaïr Magazine. (LINK)
(2) Das Buch “Burdinazko emakumeak - Mujeres de hierro“ (Frauen aus Eisen) wurde von der Provinzregierung Bizkaia als PDF herausgegeben, es umfasst 98 Seiten und viele Fotos. (LINK)
(3) La Arboleda (baskisch: Zugaztieta) ist ein Teil der Gemeinde Valle de Trápaga (span: Trapagaran). Der Ortsteil wurde auf einem Hügel neben den alten Erzminen errichtet. Die Minen wurden in der Neuzeit durch unterirdische Bäche geflutet, heute gibt es in der unmittelbaren Umgebung zwei große Seen, dabei wurde ein Erholungspark angelegt. Im November 2002 leitete die baskische Regierung ein Verfahren ein, um das ehemalige Bergbaurevier aus dem 19. Jahrhundert zu einem qualifizierten Kulturgut zu erklären. La Arboleda bzw. La Reineta sind u.a. über eine Funicular-Drahtseilbahn aus dem Jahr 1925 zu erreichen, ein altes Transportmittel zur Überwindung der mehr als 300 Meter hohen Steigung.
ABBILDUNGEN:
(*) Bergbau-Frauen (bizkaia)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-09-07)