Gewerkschaft gegen Kapitalismus
Über die Ausbeutung von Migranten in Spanien, Wassermangel und eine Kampagne dagegen. Wegen der schlechten Arbeitsbedingungen, einer katastrophalen Wasserwirtschaft mit illegalen Brunnen und Verstößen gegen Naturschutzbestimmungen rufen in Deutschland Aktivisten zum Boykott spanischer Erdbeeren auf. Ein Gespräch mit Óscar Reina Gómez, Sprecher der Gewerk-schaft der andalusischen Arbeiter und Arbeiterinnen (SAT – Sindicato Andaluz de Trabajadoras). “Den größten Boykott führen die Unternehmer selbst“.
Die Andalusische Gewerkschaft SAT verteidigt die Rechte von Tagelöhnern, besetzt Güter und entwickelt kommunale Projekte, wie in Marinaleda. Der Kapitalismus soll überwunden werden.
INTERVIEW JUNGE WELT:
In Deutschland rufen Aktivisten zum Boykott spanischer Erdbeeren auf. Wie steht Ihre Organisation, die Gewerkschaft der andalusischen Arbeiter und Arbeiterinnen, SAT, zu diesem Boykott?
Wir unterstützen den Boykott nicht direkt, da wir der Meinung sind, dass die Arbeit hier im armen Andalusien notwendig ist. Aber wir haben Verständnis dafür und erkennen, dass der größte Boykott nicht der ist, der in Deutschland derzeit durchgeführt wird, sondern der, den die Unternehmer selbst zu verantworten haben, indem sie die Arbeitsrechte und die Umwelt missachten. Sie setzen sich selbst diesem Boykott aus, und wir verstehen, dass Genoss*innen aus Deutschland zu diesem Entschluss kommen und diese Kampagne führen. Wir hoffen, dass dieser Druck Wirkung zeigt.
In den Medien wird der Eindruck erzeugt, das illegale Abschöpfen von Wasser aus dem Naturschutzgebiet Doñana sei nur der rechts-konservativen Volkspartei PP zuzuschreiben. Wie ist die tatsächliche Situation?
Nein, so ist es natürlich nicht. Das ist keine neue Entwicklung, seit die (postfranquistische) PP die andalusische Regionalregierung stellt. Bereits die vorherigen (sozialdemokratischen) PSOE-Regierungen haben diesen Vorgang toleriert. Natürlich setzt die PP jetzt noch einen drauf, indem diese illegale, umweltschädliche Praxis legalisiert werden soll.
Als Gewerkschaft sind Umweltfragen nicht ihr Spezialgebiet, sehr wohl aber die Arbeitsbedingungen beim Erdbeer-Anbau. Darüber wird in Deutschland kaum berichtet. Was können Sie dazu sagen?
Als Gewerkschaft sind wir uns auch der Umweltfragen bewusst, das steht in unserer Satzung. Wir glauben, dass beide Themen miteinander verbunden sind. Wenn wir als Arbeiter oder Unternehmen der Umwelt schaden, schaden wir uns letztendlich alle. In diesem konkreten Fall besteht ein Zusammenhang, da es die Interessen der kapitalistischen Klasse sind, die sowohl gegen die Umwelt als auch gegen die Menschenrechte verstoßen.
Die NGO La Carpa (span: das Zelt), die sich um obdachlose Migranten kümmert, die ohne Vertrag und Rechte als Tagelöhner tätig sind, berichtet, dass dieses Jahr bisher besonders schwierig war. Diese Arbeiter sind vermutlich nicht Mitglied der Gewerkschaft, da sie keine Papiere haben …
Wir kennen La Carpa und wir unterstützen ihre Kämpfe. Ihre Arbeit ist unverzichtbar, da sie versuchen, die grundlegendsten Bedürfnisse dieser Kollegen zu garantieren – wie Trinkwasser oder Nahrung. Tatsächlich war dieses Jahr sehr schwierig, und obwohl diese Arbeiter aufgrund fehlender Mittel nicht Mitglieder unserer Gewerkschaft werden können, unterstützen wir sie.
Haben sich die Arbeitsbedingungen der marokkanischen Saison-Arbeiterinnen verbessert?
Nein, bestenfalls geringfügig. Einige genießen jetzt mit der neuen Arbeits-Reform etwas mehr Rechte. Die Realität vor Ort besagt jedoch, dass sie am Ende des Tages nur etwa 20 bis 25 Euro verdienen, obwohl sie unter widrigen Bedingungen viele Stunden arbeiten. Sie müssen Unterkunft und Verpflegung von ihrem Lohn bezahlen, dabei handelt es sich um Wucherpreise für schlechte Unterkünfte in Wohn-Containern, in denen sie mit sieben oder acht Kolleg*innen auf engstem Raum leben. Sie sollten als Menschen behandelt werden und nicht so.
Gibt es nicht genügend Arbeiter in Andalusien, um die Erdbeeren zu pflücken? Warum kommen jedes Jahr so viele Menschen?
Natürlich gibt es genug Arbeiter, aber nicht zu solchen Bedingungen und für solch einen Lohn. Viele hiesige Arbeiter gehen nach Südfrankreich, nach Perpignan, um dort als Tagelöhner zu arbeiten. Sie tun dies nicht aus Spaß. Es gibt hier viele Arbeitskräfte, aber man kann nicht für 20 Euro am Tag so viele Stunden arbeiten. Solche Bedingungen akzeptieren nur Menschen, die sich in einer extremen Situation befinden – wie die migrantischen Kollegen oder diejenigen, die angelogen wurden, um hierher zu kommen. Wir prangern seit längerem an, dass sie in ihren Herkunftsländern betrogen werden. Man sagt ihnen, sie würden 90 Tage arbeiten, aber am Ende arbeiten sie nur 50 bis 60 Tage, und damit halbiert sich praktisch ihr Lohn. Das ist Betrug, und bisher wurde dieses Problem weder vom Arbeitgeberverband noch von verschiedenen Regierungen angegangen.
Die Gewerkschaft SAT hat an einem neuen Statut für Landarbeiter in Spanien mitgewirkt, das kurz davor stand, im Parlament verabschiedet zu werden. Was würde sich mit dieser neuen Norm für Tagelöhner ändern, und wird es trotz einer möglichen rechten Regierung in Madrid noch kommen?
Mit den vorgezogenen Wahlen ist diese Gesetzesinitiative abgehakt. Es ist sehr bedauerlich und traurig. Mit einer rechten Mehrheit im Parlament wird sie wahrscheinlich nicht umgesetzt. Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, die Arbeit auf dem Land zu würdigen und Tagelöhner als vollwertige Arbeiter und Menschen anzuerkennen, die wenigstens den Mindestlohn verdienen sollten. Es soll keine bestimmte Anzahl von Arbeitstagen erfordern, um Arbeitslosengeld zu erhalten. Außerdem möchten wir, dass dieses Geld dem Mindestlohn entspricht. Man muss verstehen, dass die Arbeit in der Landwirtschaft nicht immer gleich ist. Sie hängt von den Ernten ab und ist hauptsächlich saisonale Arbeit. Daher müssen die Menschen, die dort tätig sind, versichert werden, damit sie sich nicht gezwungen sehen, ständig zu migrieren, sondern unter würdigen Bedingungen vor Ort bleiben können. Der Mindestlohn beträgt 54 Euro pro Tag, aber an vielen Arbeitsorten wird nur 44 Euro gezahlt, und das betrifft vor allem Arbeiter mit Verträgen aus Spanien, da es zu wenige Kontrollen gibt. Das sollte sich auch ändern.
In Andalusien gibt es bereits das Programm “PER“, das von der Vorgängergewerkschaft der SAT, dem SOC, erkämpft wurde.
“PER“ ist der Plan zur Förderung der landwirtschaftlichen Beschäftigung, das ist ein System, das die Landarbeiter im Falle ihrer Erwerbslosigkeit absichern soll. Diese Arbeiter müssen von den Arbeitstagen leben, die es in einem Jahr auf den Plantagen gibt. Ohne dieses System würden noch viel mehr Arbeiter aus Andalusien auswandern, und die Region wäre noch stärker entvölkert. So wie es bereits in Castilla-La Mancha oder Castilla-León der Fall ist. Es war schlicht notwendig und wurde durch Streiks und Protestmärsche erkämpft. Aber jetzt sehen wir, dass es unzureichend ist, da es sehr schwierig umzusetzen ist. Es gibt viele Hürden, um das Geld wirklich zu bekommen. Es unterwirft die Arbeiterinnen und Arbeiter weiterhin den Vorgaben der Unternehmer, da sie diese Arbeitstage dokumentieren und unterschreiben müssen. In der Praxis führt dies dazu, dass die Landarbeiter ihre Rechte nicht wahrnehmen können. Der Plan muss verbessert werden. Aber in den 1980er Jahren war es dennoch ein großer Erfolg.
Die Gewerkschaft SAT hatte vor elf Jahren die Finca Somonte besetzt. Damals berichtete die Junge Welt aus dem Ort. Was ist daraus geworden?
Es handelt sich um eine Finca mit 400 Hektar Land, die dem andalusischen Staat gehört und brach lag. Wir erfuhren damals, dass die andalusische Regierung beabsichtigte, sie an einen Großgrund-Besitzer oder einen Investmentfonds zu verkaufen. Beide schaffen keine richtigen Arbeitsplätze. Angesichts der Arbeitslosigkeit und der Armut, die es in Andalusien gibt, können wir es uns nicht erlauben, den Menschen hier die Möglichkeit zu nehmen, dort anzubauen und Arbeitsplätze zu schaffen. Seitdem wurden wir mehrmals zwangsgeräumt, verhaftet und bestraft, aber wir geben nicht auf. Wir haben erreicht, dass die Finca als öffentliches Gut anerkannt wird und dass sie nun nicht mehr verkauft werden darf. Das war ein Sieg, aber wir wollen erreichen, dass Arbeiter-Genossenschaften sich dort niederlassen und dass der Boden in den Händen der Junta de Andalucía bleibt.
Ihre Arbeit in diesem Sinne orientiert sich an dem, was in der andalusischen Ortschaft Marinaleda praktiziert wird. Dort hat der Kommunist Juan Manuel Sánchez Gordillo (nach 40 Jahren im Amt) aus gesundheitlichen Gründen jetzt nicht mehr als Bürgermeister kandidiert. Was passiert nun dort?
Marinaleda (2) ist das lebende Beispiel dafür, dass das, was wir theoretisch verteidigen, auch in der Praxis umgesetzt werden kann. Genau das wollen wir in Somonte und in ganz Andalusien erreichen. Es geht um die Organisation kollektiver Arbeitskraft nicht nur in der Landwirtschaft selbst, sondern auch im Verkauf der Produkte und dem Export durch Genossenschaften. Sergio Gómez Reyes wurde nun als Bürgermeister gewählt und will die Arbeit von Gordillo fortsetzen. Wir glauben an die Utopie und daran, dass die Menschheit sich verbessern kann und ein Leben außerhalb des kapitalistischen Systems möglich ist.
Hinweis:
Unter dem Titel "Der Kampf um Wasser - Erdbeeren aus Spanien" berichtete Baskultur.info bereits am 5. April 2023 über die Situation in Andalusien, die Wasserknappheit, fehlenden Naturschutz und die Ausbeutung von Arbeitskräften.
ANMERKUNGEN:
(1) “Feldarbeit in Andalusien“, Junge Welt, Carmela Negrete, 2023-06-12 (LINK)
(2) Marinaleda ist ein Ort in der andalusischen Provinz Sevilla. 2022 zählte die 25 km² große Gemeinde 2. 579 Einwohner*innen. Die Gemeinde wird seit 1979 von dem kommunistischen Bürgermeister Juan Manuel Sánchez Gordillo (Izquierda Unida/IU) regiert. Bei den Kommunalwahlen 2007 erhielt IU 7 und die PSOE 4 Sitze im 11-köpfigen Stadtrat. Bei den Kommunalwahlen im Mai 2011 erhielt die IU 9 Sitze (73,1%) und die PSOE 2 (21,4%). In genossenschaftlicher Arbeit werden Häuser gebaut und die Wirtschaft organisiert. (Wikipedia)
ABBILDUNGEN:
(1) Feldarbeiter (jungewelt)
(2) SAT-Gewerkschaft (sat)
(3) SAT-Mobilisierung (izquierda diario)
(4) SAT-Bürgermeister (elpais)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-06-14)