Drei Gewerkschaften bündeln Kräfte
Eine neue anarcho-syndikalistische Aktionseinheit bahnt sich im spanischen Staat an: Fast 40 Jahre nach der Spaltung der spanischen Confederación Nacional del Trabajo (CNT, Nationale Arbeits-Konföderation) haben die drei größten anarcho-syndikalistischen Gewerkschaften eine “Einheitsaktion“ vereinbart. Nach Jahren der Uneinigkeit sollen nun die Kräfte gebündelt werden. Das Ganze vor dem Hintergrund eines weltweiten reaktionären Tsunami und dem Anwachsen ultrarechter Parteien auch im spanischen Staat.
Die im Mai beschlossene Aktions-Vereinbarung von CNT, der Confederación General del Trabajo (CGT, Allgemeine Arbeits-Konföderation) und der Gewerkschafts-Konföderation Solidaridad Obrera (Arbeiter-Solidarität) wird als neue Hoffnung wahrgenommen.
Im November 1978, drei Jahre nach dem Tod des Diktators Francisco Franco, schrieb José Peirats, ein führendes Mitglied der CNT, einen Artikel über die Ursachen der Krise, die damals die anarcho-syndikalistische Gewerkschaft heimsuchte. Die Organisation war zwei Jahre nach ihrer Legalisierung und Neustrukturierung 1976 mit 200.000 Mitgliedern in einen Zustand tiefer Krise, Verlassenheit und Entmobilisierung gerutscht. (1)
Laut Peirats’ Text war der offene Konflikt zwischen der Exil-Organisation und der Gewerkschaft im Inland der Hauptgrund für diesen Niedergang. Jede der Strömungen hatte ihre abwertende Definition: “Anarcho-Ökonomisten“ gegen “Anarcho-Faulpelze“. Dieser interne Konflikt gipfelte schließlich 1984 in zwei getrennten Organisationen. Beide beanspruchten den Anarcho-Syndikalismus für sich, doch sie wandten sich voneinander ab und standen sich feindlich gegenüber: die CNT und die CGT.
Die CNT wurde 1910 in Barcelona gegründet, beeinflusst von den Ideen Bakunins, und wuchs in den folgenden Jahren schnell an Mitgliedern und vergrößerte ihren Einflussbereich auch territorial. Laut verschiedenen Quellen erreichte sie eine Mitgliederzahl von 800.000 Menschen in ganz Spanien. Ihr Einfluss auf den Feldern und in Fabriken war enorm, in vielen Teilen des Landes sogar weit über dem des anderen großen Gewerkschaftsverbandes der Zeit: der sozialistischen Unión General de Trabajadores (UGT) (heute sozialdemokratisch). Ihre Mitglieder gründeten Kulturzentren, Bibliotheken, Frauengruppen, moderne Schulen, Esperantogruppen, Jugendorganisationen.
Einer ihrer größten Erfolge war die Führung von sektoriellen Streiks wie dem von 1919 in der Canadiense, einem Elektrizitätswerk in Barcelona, der die Stadt und die katalanische Industrie für 44 Tage lahmlegte und schließlich eine Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche und 8 Stunden pro Tag durchsetzte. In diesem Kampf ragte einer der bedeutendsten Führer in der Geschichte der anarchistischen Gewerkschaft hervor: Salvador Seguí, der “Noi del Sucre“ (katalanisch: Der Zuckerjunge). Eine wichtige Aussage über den Sinn der Arbeiter-Organisation stammt von ihm: “Im Syndikalismus ist die einzige Heldentat, die zählt, das Kollektiv.“
Ringen um Bedeutung
Diese Grundlagen und gescheiterte revolutionäre Versuche wie der von Asturien im Jahr 1934 trugen zum Putsch von Franco am 18. Juli 1936 und dem Beginn des Spanischen Bürgerkriegs bei (Anm: Es ist fragwürdig, der CNT eine Verantwortung für den faschistischen Putsch zuzuordnen). Die CNT erklärte am Tag darauf die Revolution im ganzen Land. Tausende Arbeiterinnen standen auf, um gegen den Faschismus zu kämpfen und eine “neue Welt“ aufzubauen. In der Regierung der Volksfront von 1936 hatte die anarchistische Gewerkschaft vier Ministerien inne, an den Kriegsfronten waren die anarchistischen Kolonnen besonders kämpferisch, und in der Heimatgemeinde bildeten die Kollektive den Kern des begonnenen revolutionären Prozesses.
Über die Erfolge und Fehler dieses “kurzen Sommers der Anarchie“ gibt es reichlich Dokumentation und unterschiedliche Interpretationen. Das Ende des Konflikts, das Exil der republikanischen Kräfte, der Krieg in Europa gegen den “Nationalsozialismus“, die allmähliche Festigung der franquistischen Diktatur in der Weltordnung, die interne Repression und die politischen Strömungen ab 1968 brachten Bewegung in das Universum der Verlierer des Spanischen Bürgerkriegs (Anm: Die CNT selbst lehnt den Begriff “Bürgerkrieg“ ab, da es sich nicht um einen solchen handelte, sondern um einen Konflikt mit internationaler Beteiligung: Nazideutschland, Italien, Sowjetunion, Internationale Brigaden. Benutzt wird stattdessen der Begriff “Spanienkrieg“).
Innerhalb der Anti-Franco-Opposition hatte der Anarchismus an Boden verloren. Nun waren es die Kommunistische Partei Spaniens und ihre verwandte Gewerkschaft Comisiones Obreras, die Konflikte ausfochten und im neuen politischen Szenario Spaniens repräsentativ waren. Im Jahr 1976 begann die CNT trotz Schwierigkeiten wieder aufzublühen, füllte Räume und veranstaltete Massenversammlungen, führte Streiks durch und wuchs in ihrer Mitgliedschaft.
Im Juli 1977 fanden in Barcelona die Internationalen Libertären Tage statt, die Fest und Debatte vereinten und schätzungsweise 600.000 Menschen anzogen. Von diesem Jahr bis zur endgültigen Spaltung im Jahr 1984 wurde der Anarcho-Syndikalismus jedoch schwächer. Die Enttäuschungen der 1980er Jahre und die endgültige Aufteilung in zwei Strömungen schufen eine neue Situation. Auch das Auftreten anderer politischer Akteure auf der linken Seite minderte die Einflussfähigkeit des anarcho-syndikalistischen Bereichs in den folgenden Jahren.
Neue Hoffnung
Im Jahr 2011 kam in der Puerta del Sol in Madrid überraschend die Bewegung des 15. Mai auf und breitete sich im ganzen Land aus. Ein soziales “Erdbeben ohne Buchstaben oder Fahnen“, wie es eine aktive Teilnehmerin formulierte. Die Bewegung “Movimiento 15-M“ stellte “die Erschöpfung eines Systems (des Kapitalismus) sowohl wirtschaftlich als auch ideologisch in Frage“. Tausende von Menschen versammelten sich auf Plätzen im ganzen Land – in einer Atmosphäre von Empörung und sozialer Solidarität.
Ein Teil dieser Energie wurde jedoch von der Versuchung der politischen und parlamentarischen Teilnahme in Anspruch genommen. Im Jahr 2014 entstand die politische Partei Podemos, und zusammen mit anderen Strömungen, die in gemeinsamen linksgerichteten Wahllisten mündeten, erlangten sie bei den Wahlen von 2015 die Macht (!!!) in einigen der wichtigsten Städte des Landes: Madrid, Barcelona, A Coruña, Zaragoza, Santiago de Compostela, Cádiz. Die Erfahrung bestätigte jedoch viele der Vorbehalte, die die libertäre Bewegung schon immer gegenüber politischen Parteien hatte, wie interne Machtkämpfe und Personenkult.
Neue Einheitsaktion
Die nun vereinbarte Einheitsaktion der Gewerkschaften, die sich als Erben der CNT sehen, wird zusammen von etwa 100.000 Mitgliedern getragen. Die Vereinigung des anarcho-syndikalistischen Ansatzes könnte eine Möglichkeit bieten, Wünsche und gewerkschaftliche Aktionen zu bündeln, die die neuen Strukturen der prekären, trans-feministischen, migrantischen, von Rassismus betroffenen, anti-bellizistischen, kulturell vielfältigen und zwangsläufig von den Errungenschaften der letzten Jahrzehnte ausgeschlossenen Arbeiterklasse repräsentieren. Ein kollektiver Körper, der sich dem sozialen Gewerkschaftswesen anschließt, das ebenfalls für universelle Rechte kämpft.
Schon vor einem Jahrhundert sagte Salvador Seguí: “Unser Triumph wird viel weiter entfernt sein, wenn wir alles dem Zufall überlassen und glauben, dass es möglich ist, eine Revolution durchzuführen, ein Regime zu verändern, ohne durch unsere vorherigen Taten das Vertrauen und den Respekt aller Gegner und die Zuneigung unserer Gleichgesinnten gewonnen zu haben.“ Das ist die unerschütterliche Hoffnung eines politischen Raums mit über einem Jahrhundert Geschichte. Wir werden sehen, welche nächsten Schritte folgen und inwieweit Herzen erobert werden.
ANMERKUNGEN:
(1) “Neue Aktionseinheit“, Tageszeitung Junge Welt, Original: Jacobo Rivero, Madrid, Pressesprecher der CGT. Übersetzung: Carmela Negrete. 2023-08-30 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) CNT Bilbao 2012 (reuters)
(2) CGT (cgt)
(3) Solidaridad Obrera (s.o.)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-08-30)