Yolanda Gonzalez 1980
Buchstudie über den Mordfall Yolanda Gonzalez: Die baskische Studentin wurde 1980 von Faschisten kaltblütig ermordet. Zwar hat dieses Verbrechen den “demo-kratischen Übergang“ von der Diktatur zur Demokratie geprägt. Doch war es nicht der einzige Mord, der von Rechtsradikalen und Polizeikräften verübt wurde. Denn, entgegen der heute bevorzugten Geschichtsschreibung, war der Übergang (Transition) alles andere als friedlich und vorbildlich. Faschisten und Sicherheitskräfte brachten hunderte von Menschen um.
Die sogenannte “Transition“ galt offiziell als vorbildlicher Übergang von einer Diktatur zu einer Demokratie. Doch die alte politische Garde blieb an der Macht. Mit hunderten von Toten als Ergebnis, von Faschisten und Polizisten ermordet.
Der Journalist Carlos Fonseca veröffentlichte 2018 das umfassendste Dossier zum Fall Yolanda Gonzalez, dessen wichtigste Details noch immer unbekannt sind. “Es ist kompliziert, wenn nicht gar unmöglich, alle Elemente des Mordes zu klären”. Fonseca erzählt den Fall beispielhaft für die Entwicklung einer historischen Phase, in der die alten franquistischen Mächte weiter das Sagen hatten. “No te olvides de mí” – Vergiss mich nicht.
Transition (Übergang) wird jene Zeit nach dem Tod des Diktators Franco genannt, in der eine demokratische Verfassung ausgehandelt, für die Amnestie von politischen Gefangenen gekämpft und politische Parteien wieder zugelassen wurden. Dieser Übergang wurde von einer Gewalt begleitet, von der heute viele nichts mehr wissen wollen. Weit über ETA-Attentate hinaus herrschte in der Gesellschaft ein nicht erklärter Ausnahmezustand, der von vielen Formen der Gewalt geprägt war. Heute, und vor allem nach dem Ende von ETA, wird diese historische Phase der Geschichte idealisiert und weichgezeichnet. Jene Kräfte, die damals autoritäre Strukturen, wenn nicht direkt den Franquismus verteidigten, haben sich auf wundersame Weise in Demokratie-Verteidiger mit schneeweißer Weste verwandelt.
Ein Blick in Chroniken und die damalige Presse zeigt jedoch, dass es sich um eine stark von Gewalt geprägte Zeit handelt, in der ETA eine eher untergeordnete Rolle spielte. “Unter Transition versteht man in Spanien die Übergangsphase vom Franquismus zu einer parlamentarischen Monarchie westlichen Musters. Gewöhnlich versteht man darunter die Zeit zwischen Francisco Francos Tod im November 1975 und der politischen Wende von 1982, als die während der Diktatur verbotene sozialistische Partei PSOE als neuer Wahlsieger die Regierung stellte. Der misslungene Putschversuch vom 23. Februar 1981 und die Fernseh-Ansprache des Königs Juan Carlos I. für den Demokratieprozess am frühen 24. Februar 1981 beendeten die Hoffnungen der Franquisten, an der politischen und wirklichen Macht bleiben zu können.“ (1)
Polizeimorde wie bei den Fiestas in Pamplona 1978, der Mehrfachmord von Rechtsradikalen an Madrider Rechtsanwälten im selben Jahr, das Massaker an streikenden Arbeitern in Gasteiz zwei Jahre zuvor … und viele Tote mehr bei Streiks, Demonstrationen und Polizeikontrollen zeichnen die Transition als überaus gewalttätige Epoche aus. Anders als sie in den offiziellen Berichten des 21. Jahrhunderts beschrieben wird. Die Gewalt hatte mehrere Epizentren. In den Straßen von Madrid, Donostia und Bilbao kämpften die Menschen Schritt für Schritt für Freiheit. Die Anwesenheit von rechtsextremen Knüppelbrigaden, die Passanten terrorisierten und linke Aktivisten verfolgten, ist in den Gerichtsberichten jener Zeit festgehalten. Arturo Ruiz, Arturo Pajuelo und José Luis Alcazo sind drei fast vergessene Namen, Opfer rechtsextremer Gewalt in Madrid. Der Schatten der Handlungen franquistischer Richter und der Verwicklung staatlicher Sicherheitskräfte in den Mord an der baskische Studentin Yolanda Gonzalez ist 40 Jahre lang haften geblieben. (2)
Yolandas Tod
Yolanda González Martín wurde am späten Nachmittag des 1. Februar 1980 aus ihrer Wohnung in der Calle Tembleque 101 im Madrider Stadtteil Aluche entführt, als sie allein war. Sie lebte in einer Wohngemeinschaft mit ihrem Freund Alejandro und einer weiteren Genossin der Partei PST. Die Entführer verschafften sich Zugang, indem sie gefälschte Polizeiausweise zeigten und Yolanda täuschten. Als ihr Freund um Mitternacht nach Hause kam, fand er alles aufgeräumt, aber weder Yolanda noch die Mitbewohnerin waren anwesend. Er ging von einer späten Sitzung aus und schöpfte keinen Verdacht.
Am nächsten Morgen stellte Alejandro fest, dass Yolandas Tasche, Brieftasche und Ausweis auf dem Wohnzimmertisch lagen. Aus Sorge, dass sie verhaftet worden war, rief er mehrmals bei Polizei und Justizbehörden an, um ihren Aufenthaltsort zu erfahren, ohne Erfolg. Als die Mitbewohnerin mit Freunden am selben Morgen in die Wohnung zurückkehrten, waren dort Zivilpolizisten, die die Wohnung durchsuchten. Sie wurden zur Generaldirektion für Sicherheit gebracht, wo sie wegen ihrer politischen Aktivitäten und mögliche Beziehungen zu ETA verhört wurden. Als der Freund am Nachmittag in die Parteizentrale ging, erfuhr er von Yolandas Tod.
Faschistenmord
Yolanda González Martín wurde von zwei Mitgliedern der faschistischen Fuerza Nueva ermordet, Emilio Hellín Moro und Ignacio Abad Velázquez. Die wurden von mehreren anderen Personen unterstützt (José Ricardo Prieto, Félix Pérez Ajero, Juan Carlos Rodas Crespo und David Martínez). Rodas Crespo, ein Beamter der National-Polizei, beteiligte sich zusammen mit anderen Komplizen an der Überwachung des Hauses, während Emilio Hellín Moro und Ignacio Abad Velázquez nach oben gingen, um Yolanda zu entführen. Als Rodas Crespo am nächsten Tag aus der Presse von Yolandas Tod erfuhr, gab er sich überrascht und bedauerte das Ergebnis eines angeblich einfachen Verhörs und meldete den Sachverhalt seinen Polizei-Vorgesetzten in Getafe, was die Ermittlungen und die Aufklärung des Falles beschleunigte (2). Denn Yolanda war nicht zum Verhör gebracht worden, sondern auf ein abgelegenes Feld, wo sie mit Schüssen in den Kopf ermordet wurde. Interview mit dem Buchautor Carlos Fonseca. (3)
Was hat Sie dazu gebracht, dieses Buch über Yolandas Fall zu schreiben?
Yolanda wurde 1961 geboren, ich selbst 1959. Als Yolanda im Februar 1980 ermordet wurde, war ich an der Universität, an der Fakultät für Journalismus. Das war eine komplizierte Zeit, in der es jeden zweiten Tag Tote bei Demonstrationen gab. Meist hieß es, sie seien durch Polizeischüsse in die Luft oder durch Aktionen rechtsextremer Gruppen verursacht worden. Dennoch hat mich der Mord an Yolanda sehr berührt. Es ging um eine junge Frau, die entführt, auf ein offenes Feld gebracht und kaltblütig zweimal in den Kopf geschossen wurde.
Ist sie das anonyme Opfer des brutalsten Falls in der Geschichte der Transition?
Die Bücher, die ich geschrieben habe, haben viel mit Geschichte zu tun, fast alle handeln vom Bürgerkrieg, und die Protagonisten sind anonyme Personen. Ich vertrete die Ansicht, dass Geschichte nicht nur über die großen Figuren erzählt werden sollte. Ohne die vielen anderen Persönlichkeiten, die in den Büchern ausgelassen wurden, kann sie nicht erklärt werden. Der Fall Yolanda eignet sich gut, um zu erklären, wie die Gewalt in den ersten Jahren der Transition aussah: die Versuche vieler gesellschaftlicher Bereiche, aber auch der Polizei und der Justiz, das Überleben des Franquismus ohne Franco zu sichern. Sie verübten zahllose Morde in einer Übergangs-Phase, die offiziell als vorbildlich verkauft wurde, in Wirklichkeit aber ein tragischer und blutiger Prozess war.
Ihr Buch dokumentiert nicht nur vieles, es zeichnet sich auch durch Vertraulichkeit aus.
Das Attentat liegt zwar schon 42 Jahre zurück, Yolanda war 19 Jahre alt, als sie ermordet wurde. Aber ihre Brüder und Schwestern leben, ihr ehemaliger Partner, viele von denen, die mit ihr in der Sozialistischen Arbeiterpartei (PST) aktiv waren. Es gibt viele direkte Zeugnisse, die darüber Auskunft geben, wer sie war, wie sie war, was sie mochte und was sie tat. Die Dokumentation ermöglicht es, die Tatsachen wahrheitsgetreu und eindeutig darzustellen. Es schien mir auch wichtig, mit den Menschen zu sprechen, die sie kannten und mit ihr zu tun hatten, um ihre Persönlichkeit zu verstehen. Trotz der langen Zeit, die vergangen ist, organisieren diese Menschen weiterhin regelmäßige Gedenkveranstaltungen, veröffentlichen Bücher und organisieren Veranstaltungen. Zuletzt wurde versucht, den Namen der Schule von Vallecas, an der Yolanda studierte, in Yolanda-Gonzalez-Zentrum zu ändern.
Für dieses Buch hatten Sie eine Menge Unterlagen in der Hand, über die Sie den Mörder Emilio Hellín kennenlernen konnten.
Emilio Hellín entsprach nicht dem Profil, wie ich mir einen rechtsextremen Militanten vorgestellt hatte. Im Alter von 30 Jahren trat er der Fuerza Nueva bei (4). Er entsprach nicht den anderen, deutlich jüngeren Aktivisten, die in vielen Fällen zur Durchführung von Gewalttaten eingesetzt wurden. Im Jahr 1978 trat er ein, so steht es zumindest auf seinem Mitglieds-Ausweis. Er war ein kleiner Geschäftsmann, der im Zentrum von Madrid eine Akademie für Elektronik und Computer betrieb, was damals etwas Neues war. Ein verheirateter Mann, der zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Kinder hatte. Mit anderen Worten, eine Person, die wir als “normal“ bezeichnen würden, weil er bis dahin in keiner Weise auffiel, weder im positiven noch im negativen Sinne. Er trat einer faschistischen Organisation bei, die nach Bezirken organisiert war, und übernahm die Verantwortung für eine Gruppe in Arganzuela. Sie nannten sich selbst Grupo 41, darunter ein 19-Jähriger, Ignacio Abad, ein Chemiestudent, und andere, schon älter. Einer arbeitete in einer Bank, ein anderer war Handelsvertreter.
Was war die Aufgabe dieser Gruppe?
Offiziell ging es darum, den Hintergrund derjenigen zu prüfen, die der Fuerza Nueva beitreten wollten. Sicherheitsdienste zu organisieren, wenn die Partei Meetings organisierte. Bei FN handelte sich um eine neue Kraft, die damals wenig Relevanz hatte. Ihr Führer Blas Piñar (5) repräsentierte die Kontinuität der letzten Jahre des Franquismus. Inoffiziell hatte Hellín gute Kontakte zur Polizei. Es ist erwiesen, dass die Gruppe 41 damals an einer Kampagne teilnahm, bei der Zeitungskioske angezündet wurden, weil in der Zeitschrift Interviú Artikel erschienen waren, in denen die Verbindung zwischen rechtsextremen Militanten und Morden im Baskenland angeprangert wurde.
Der Fall Yolanda endete mit der Verurteilung von sechs Personen, aber die Verantwortung der Fuerza Nueva als Organisation und der Polizei blieb immer im Dunkeln. Glauben Sie, dass der Prozess und die Suche nach den Mord-Verantwortlichen nicht weit genug ging?
Richtig, die Untersuchung war völlig unsinnig. Der Mord war im Februar, der Richter versuchte, den Fall zum Jahresende abzuschließen, nachdem das Verfahren bereits zehn Monate gedauert hatte. Zudem versuchte er, das Verfahren abzuschließen, ohne dass die Kläger die Gelegenheit hatten, die Verhafteten zu befragen. Schlimmer noch, bei diesem ersten Versuch, den Fall abzuschließen, stufte der Staatsanwalt den Sachverhalt als Totschlag und nicht als Mord ein. Den Anwälten der Familie gelang die Wiederaufnahme des Verfahrens, so dass sie die Möglichkeit hatten, weitere Beweisaufnahmen und Befragungen zu beantragen. Aber das Verfahren war voller Unregelmäßigkeiten und widersprüchlicher Vorgänge.
Darunter auch ein Fluchtversuch von Hellín vor seinem Prozess.
Hellín unternahm einige Monate nach seiner Einlieferung einen unglaublichen Fluchtversuch aus dem Gefängnis von Alcalá de Henares. Mit einer Pistole bewaffnet. Eine Untersuchung sollte aufdecken, wie die Pistole ins Gefängnis kam und wer ihm geholfen haben könnte. Eine Schwester von Hellín wurde strafrechtlich verfolgt, die Rede war auch von Gefängnis-Beamten, die in den Ausbruchsversuch verwickelt gewesen sein könnten. Aber seltsamerweise wurden diese Spuren nicht weiter verfolgt. Als die Untersuchung wieder aufgenommen wurde, waren die Straftaten der möglichen Fluchthelfer verjährt. So blieb unklar, wer beteiligt war, ob Gefängnis-Beamte darunter waren. Alles ohne Ergebnis.
Auch Computerausrüstung verschwand.
In der Akademie, in der Hellín arbeitete, gab es eine Art Terminal, der vermutlich mit dem polizeilichen Nachrichtendienst verbunden war und über den Befehle übermittelt werden konnten. Nach der Verhaftung von Hellín wurde die Akademie natürlich versiegelt. Aber ein Großteil der Beweise für die Verurteilung blieb dort, ohne dass untersucht wurde, ob dieses Gerät mit einem anderen Terminal verbunden war, wie in den Anklagen behauptet oder vermutet. Als der Richter nach mehr als einem Jahr Experten in das ehemalige Hauptquartier der Akademie schicken ließ, stellte sich heraus, dass nicht nur der Computer fehlte, sondern auch der Rest verschwunden war. Im Geschäft hatte es einen Wechsel gegeben und alle Belastungs-Beweise verschwanden. Sie wurden nie gefunden, so dass es unmöglich war, jene Verbindungen zu ergründen.
Die Untersuchung ließ stark zu wünschen übrig.
Der Untersuchungsrichter, Varón Cobos, wollte den damaligen Sicherheitschef der Fuerza Nueva (David Martínez Loza), einen ehemaligen Zivilgardisten, nie strafrechtlich verfolgen, obwohl zwei der als Täter in Frage kommenden Personen ihn belasteten. Eine höhere Instanz ordnete schließlich seine strafrechtliche Verfolgung an. Martínez Loza verschwand, war auf der Flucht und tauchte in einem bestimmten Moment wieder auf, um eine Erklärung abzugeben, ohne dass die Kläger dabei sein konnten. Der Richter ließ ihn sofort wieder frei, obwohl die Täter ihn belasteten. Das komplette Verfahren ist voller Unregelmäßigkeiten.
Jahre nach seiner Verurteilung wegen Mordes, als er bereits im Gefängnis von Zamora saß, wurde Emilio Hellín ein Hafturlaub gewährt.
Ja, diesen Hafturlaub nutzte er zur Flucht. Hellín hielt sich in der Folgezeit unbemerkt in Paraguay auf, obwohl er selbst erklärte, dass seine Frau und Kinder bei der spanischen Botschaft in Asunción registriert waren.
Hellín erzählte verschiedene Versionen, wies aber auf die mögliche Beteiligung eines Polizisten oder dessen Rolle als Agent des Geheimdienstes hin.
Emilio Hellíns Versionen der Ereignisse sind widersprüchlich. Aber sie liefern Informationen, die zur Untersuchung der angeblichen Beteiligung von Agenten der Geheimdienste und der extremen Rechten an anderen Anschlägen hätten verwendet werden können. Das geschah jedoch nicht, nie wurde festgestellt, ob seine Aussagen wahr oder falsch waren.
Wurde die Beteiligung der Fuerza Nueva ordnungsgemäß untersucht?
Es war klar, dass in der Fuerza Nueva eine Gruppe existierte, in der alle aktiv und am Attentat beteiligt waren. Hellín beschuldigte David Martínez Loza als Anstifter des Verbrechens. Tatsächlich wurde jener am Ende zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Aber die Fuerza Nueva als Organisation konnte nie als Hintergrund-Organisation angeklagt werden, nicht nur in diesem Fall, sondern auch hinter anderen Morden zu stecken. Das wurde nie bewiesen. Obwohl in der Anklageschrift auch eine Verurteilung wegen der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung gefordert wurde, wurde dies im Urteil nicht berücksichtigt. An diesem Punkt wurden sie freigesprochen und lediglich wegen des Mordes verurteilt und wegen des gewaltsamen Eindringens in Yolandas Wohnung. Nicht einmal wegen Entführung.
Abgesehen vom generell verbreiteten Klima der Gewalt während des Übergangs, gibt es nach so vielen Jahren eine materielle oder logische Antwort darauf, warum die Faschisten gerade Yolanda als Opfer gewählt haben?
Das können nur die Täter erklären. Aber wir können davon ausgehen, dass es einen Auslöser gab: nämlich die Ermordung von sechs Beamten der Guardia Civil im Baskenland durch ETA, am selben Morgen, an dem Yolanda getötet wurde. Der Mord an Yolanda in Madrid, so heißt es auch im Bekennerschreiben, ist eine Reaktion auf den anderen Anschlag. Warum Yolanda? Wir sprechen von den frühen 1980er Jahren, die Verfassung war 1978 angenommen worden, wir befanden uns mitten im Prozess der legislativen Weiterentwicklung der Verfassung. Das Arbeitsrecht wurde verhandelt, das gesamte Universitäts-Gesetz, das Gesetz über die Lehranstalten. Yolanda war eine Vertreterin der Sekundarstufe. Als Aktivistin in einer Schule von Vallecas war sie in Erscheinung getreten, als sie versuchte, die Menschen für die Bildungs-Gesetze zu gewinnen. Das war dennoch kein ausreichender Umstand. Hellín erklärte, dass Yolanda zu einem Informations-Kommando von ETA gehörte, das von Madrid aus arbeitete. Sie war Baskin, ihre Eltern stammten aus Burgos, ihr Freund war aus Navarra. Für diese Leute muss das völlig ausreichend gewesen sein. Verbindungen oder Beziehungen zu ETA hatte sie jedenfalls nicht.
Warum beschließt eine Bezirksgruppe, diesen kaltblütigen Mord zu begehen?
Nach Hellíns Aussage war es David Martínez Loza, der ihnen sagte, dass das Anschlagsziel geändert werden müsse, nun ginge es gegen Yolanda. Seine Erklärungen danach sind völlig absurd. Er sagt, Ziel sei es gewesen, sie zu entführen, ihre Aussage aufzunehmen und diese Informationen an die Polizei weiterzugeben. Das ist eine lächerliche Erklärung. Wenn es irgendeine Gewissheit gegeben hätte, dass Yolanda zu ETA gehört, hätte die Polizei sie direkt verhaftet. Ich bin überzeugt, dass sie hinter ihr her waren, um sie zu töten. Hellín hat aber auch andere Versionen angegeben. Zum Beispiel, dass sie die Wohnung mit Abhörwanzen bestücken wollten und Yolanda sie erwischt hat. Mir scheint, 11 Uhr nachts, wenn die Leute eigentlich nach Hause gehen, ist nicht der ideale Zeitpunkt, um Mikrofone in einer Wohnung zu installieren, wenn gleichzeitig bekannt ist, dass der Freund als Anwalt bei der UGT-Gewerkschaft und Yolanda morgens zu Hause arbeitet. Ich bin überzeugt, dass es von Beginn an Absicht war, sie zu ermorden, und das haben sie auch getan. Es handelte sich um einen Anschlag, zu dem sie sich später unter einem jener Namen bekannten, die die extreme Rechte mehrfach verwendete, um sich zur Ermordung von ETA-Leuten und Personen aus der nationalistischen Bewegung zu bekennen: das Baskisch-Spanische Bataillon (BVE), und einige Jahre später die GAL. (6)
Dann gab es noch eine letzte Version, nach der Emilio Hellín und Ignacio Abad die entführte Yolanda angeblich lebend auf dem Acker zurückließen, wo sich andere Personen mit einem orangefarbenen Renault 5 um sie kümmerten.
Hellín hat sich bei den Ermittlungen als Dauer-Lügner erwiesen, so dass es unmöglich ist, festzustellen, welche der Versionen die richtige ist. Klar ist nur, dass sie zu Yolandas Wohnung gingen, sie entführten, sie auf ein offenes Feld brachten und zweimal auf sie schossen. Es stimmt, dass seine ersten Versionen sehr belastend sind und auf die Beteiligung weiterer Mitglieder der Fuerza Nueva hindeuten. Was tatsächlich bedeutete, dass die Fuerza Nueva ihre Unterstützung zurückzog und er im Prozess von Pflicht-Anwalt verteidigt wurde. Ignacio Abad hingegen wurde von einem prominenten Anwalt verteidigt, der regelmäßig Mitglieder der extremen Rechten vertrat und der ein Jahr später einige der Anstifter des versuchten Staatsstreichs vom 23. Februar 1981 verteidigen sollte. Welche Version der Aussage von Hellín die richtige ist, die erste, die zweite oder die dritte? Das Einzige, was wir sicher wissen, ist seine Beteiligung.
Hätte die Untersuchung der Verbindungen zur Polizei oder zu den Geheimdiensten mehr ergeben können?
Davon bin ich überzeugt. Tatsache ist, dass die Anwälte angesichts der Anhäufung von Problemen, auf die sie bei den Ermittlungen stießen, irgendwann beschlossen, sie nicht weiter auszudehnen. José María Benítez de Lugo vertrat die Familie, José María Mohedano die Partei PST. “Wir hatten die Haupttäter, wir hatten zumindest einen Anstifter, wir hätten weitermachen und weiter ermitteln können, aber der Richter hat uns nur Probleme bereitet, so haben wir beschlossen, bei dem zu bleiben, was wir hatten, und dass zumindest diese Leute verurteilt werden”. Ob es noch weitere Elemente des Mordes gibt, die geklärt werden müssen? Sicherlich. Werden sie aufgeklärt? Vierzig Jahre sind vergangen, und ehrlich gesagt, es ist äußerst kompliziert, wenn nicht gar unmöglich.
Obwohl sich die Fuerza Nueva von ihm abwandte, floh Hellín nach Paraguay, wo die wieder aufgebaute Partei ihren Sitz hatte.
Es war die Zeit der Diktaturen in Südamerika, auch wenn sie bereits im Niedergang waren. Es gab das Chile von Pinochet und das Paraguay von Stroessner. Erwiesen ist, dass viele Menschen aus Nazi-Deutschland in diesen Ländern Zuflucht gefunden hatten. Viele Rechtsextremisten, die in Spanien verfolgt wurden, tauchten dort unter. Es genügte, ein bekennender Antikommunist zu sein, um mit offenen Armen empfangen zu werden. Emilio Hellín kam in Asunción an, wo die aufgelöste Fuerza Nueva einen Mann hatte, Juan León Cordón, der auf Befehl von Blas Piñar (5) eine Parteidelegation eröffnete, um die Beziehungen zur Stroessner-Diktatur aufrechtzuerhalten. Dort landeten auch die Täter des Anschlags auf die Juristische Fakultät (vom 26.1.1979), dort landete Hellín, und viele Jahre später erfuhren wir, dass auch Personen, die an der Ermordung der Arbeiteranwälte von Atocha beteiligt waren (am 24.1.1977), in diesen Ländern unterwegs waren.
Wie sah Hellíns Leben in Asunción aus? Was konnten Sie über die Beziehungen dieser vor der spanischen Justiz geflohenen Rechtsextremisten zum Stroessner-Regime in Erfahrung bringen?
Es scheint, dass Hellín mit einem Empfehlungsschreiben von jemandem aus dem franquistischen Regime dorthin kam. Dies und die Tatsache, dass ein Führer der Fuerza-Nueva vor Ort war, ermöglichte ihm ein Treffen mit einem ranghohen Minister des Regimes, der gab grünes Licht, sich dort niederzulassen. Hellín knüpfte schnell ein Netz von Kontakten im polizeilichen und militärischen Bereich. Da er sich mit Computern auskannte, gründete er dort ein Unternehmen, das sehr erfolgreich war, denn es handelte sich um eine Zeit, in der der Einsatz von Computern noch nicht weit verbreitet war. Er bewegte sich in absoluter Freiheit und mit finanzieller Absicherung. Mit seiner Frau und zwei Kindern zog er nach Asunción, sie hatten ein drittes Kind. Nebenbei führte Hellín eine Beziehung mit einer anderen Frau, mit der er ebenfalls ein Kind hatte.
Er hatte also keine allzu großen Schwierigkeiten.
Die Zeit von seiner Flucht 1987 bis 1989 waren zwei Jahre, in denen sich niemand um ihn kümmerte. Niemand konnte sich erklären, wie seine Anwesenheit in der Stadt bei der spanischen Botschaft unbemerkt blieb, wie auch die von anderen spanischen Faschisten. Hellín selbst sagte, dass seine Frau und seine Kinder sich polizeilich angemeldet hatten. Er bewegte sich in diesem rechtsextremen Milieu, das sich durch Hass auf den Kommunismus auszeichnete. Wahrscheinlich war er auch dort an einem Vorfall beteiligt und stand mit Leuten in Verbindung, die an der so genannten Operation Condor beteiligt waren, bei der in ganz Südamerika “subversive Kämpfer“, wie sie in den Diktaturen genannt wurden, zum Verschwinden gebracht wurden. Ich sage “wahrscheinlich”, weil ich keine Beweise habe, ich habe keine Hinweise auf seine Beteiligung an diesen Ereignissen gefunden.
Was geschah im Jahr 1989?
1989 kam es zu einem unerwarteten Ereignis. Der Stroessner-Vertraute und Vater von Stroessners Frau inszenierte einen Staatsstreich, in dessen Folge viele Rechtsextreme zur Flucht gezwungen werden, weil sie dem Diktator und einem Teil der Polizei und des Militärs nahe standen. Hellín beschloss, in Asunción zu bleiben, weil seine Kontakte es ihm erlaubten und weil sich einige dieser Kontakte mit dem neuen Regime arrangierten. Doch zufällig wurde er über ein Interview von Botschafts-Angehörigen erkannt, das in einer uruguayischen Zeitung über eine Computermesse veröffentlicht wurde. Weil er sich absolut sicher fühlte, hatte er sich in aller Seelenruhe fotografieren lassen. Der Botschafts-Angehörige war gleichzeitig Freund des Journalisten José Luis Morales, der nach Asunción reiste und feststellte, dass es sich tatsächlich um Emilio Hellín handelte. Nach seiner Rückkehr wurde der Bericht veröffentlicht, es kam zu einem großen Skandal und Spanien forderte Hellíns Auslieferung. Er wurde verhaftet, und nach mehr als einem Jahr ausgeliefert.
Wie erfolgte die Auslieferung?
Das neue paraguayische Regime suchte nach Anerkennung und bemühte sich, das spanische Königspaar zu einem offiziellen Besuch einzuladen. Es war paradox: während Emilio Hellín das Flugzeug bestieg, das ihn nach Madrid bringen sollte, saß ein paraguayischer Regierungsbeamter im selben Flugzeug, um den ersten Besuch des Königs und der Königin in seinem Land vorzubereiten.
Hellín wurde nach Spanien zurückgebracht und kam erneut ins Gefängnis. Seine Strafe wurde deutlich reduziert.
Er war zu 43 Jahren Haft verurteilt worden, von denen er 14 verbüßte. Seine Flucht hätte eigentlich eine Verlängerung seiner Strafe bedeutet, dies stand aber nicht im Auslieferungs-Antrag, weshalb er dafür nicht verurteilt werden konnte. Er verbüßte einen Teil seiner Strafe, wurde freigelassen und wir verloren ihn aus den Augen. Bis viele Jahre später der Journalist José María Irujo von El País herausfand, dass Hellín jahrelang für das Innenministerium als Informatik-Spezialist für Mobiltelefone und Personen-Verfolgung gearbeitet hatte. Er wurde sogar zu einem wichtigen Sachverständigen vor Gericht. Als dies ans Licht kam, brach der übliche Skandal aus, der jedoch beigelegt wurde nach einigen Wochen parlamentarischer Anfragen, die zu nichts führten.
Inwieweit hat die Kenntnis von Techniken, die in den 1980er Jahren wenig zugänglich waren, Hellíns Karriere geprägt?
Zwar hat Emilio Hellín seine Strafe bereits verbüßt und ist nun ein freier Mensch. Dennoch ist es bemerkenswert, dass eine Person, die an einem Mord beteiligt war, der Folgen auf die Transition hatte, schließlich für die Staatssicherheit arbeitet. Die Ausrede war, man hätte es nicht gewusst. Aber es erscheint mir sehr unwahrscheinlich, dass jemand wie Hellín unbemerkt dort arbeiten konnte. Warum wurde er eingestellt? Ich nehme an, er hatte weiterhin gute Polizeikontakte. Eine andere Erklärung sehe ich nicht.
ANMERKUNGEN:
(1) Transition – Übergang von Diktatur zu Demokratie in Spanien (LINK)
(2) Yolanda Gonzalez, Wikipedia (LINK)
(3) “Carlos Fonseca: Es complicado, por no decir imposible, que se aclaren todos los elementos del asesinato de Yolanda” (Carlos Fonseca: Es ist kompliziert, wenn nicht gar unmöglich, alle Elemente des Mordes an Yolanda zu klären), Wochenzeitung El Salto, 20.09.2020 (LINK)
(4) Fuerza Nueva (FN) war eine spanische politische Partei der extremen Rechten, die 1976 gegründet wurde und 1982 verschwand. Sie wurde von Blas Piñar López geleitet und hatte ihren Ursprung in einem 1966 gegründeten Unternehmen und dem Fuerza Nueva Verlag, aus dem eine politische Vereinigung und später die oben genannte Partei hervorging. Die FN wurde von Blas Piñar ins Leben gerufen, 1976 konstituierte sie sich als Partei mit dem Ziel, die ideologischen Grundsätze des “Volksaufstandes vom 18. Juli 1936“ und der Franco-Diktatur am Leben zu erhalten. (Wikipedia)
(5) Blas Piñar López (Toledo 1918 / Madrid 2014) war ein spanischer Notar, Politiker, Verleger und Schriftsteller, dessen politische Karriere und öffentliches Leben stets von seiner Identifikation mit dem Franquismus und der Verteidigung dessen ideologischer Grundsätze geprägt war. Er war neunzehn Jahre lang Abgeordneter in Francos Parlament. Während der spanischen Übergangsphase Transition gründete er die faschistische Partei Fuerza Nueva. Er wurde durch eine Rede vor einer Menschenmenge in Madrid bekannt, die gegen den Übergang zur parlamentarischen Demokratie gerichtet war. Im Jahr 1979 erzielte er einen Sitz im Abgeordnetenhaus. (LINK)
(6) BVE / GAL: Zwei Terrorgruppen, die sich in den 1970er und 1980er Jahren aus staatlichen Sicherheitskräften, Rechtsradikalen und Söldnern zusammensetzten, um auf baskische Oppositionelle Jagd zu machen. Teilweise mit Staatsgeldern finanziert. BVE: Batalion Vasco Español, Baskisch-Spanisches Bataillon. GAL: Grupos Antiterroristas de Liberación, Antiterroristische Befreiungs-Gruppen. Der sozialdemokratische Regierungschef Felipe Gonzalez gilt als der Kopf der GAL-Todesschwadronen, die von 1983 bis 1987 eine Reihe von Morden in Iparralde begingen, auf französischem Staatsgebiet.
ABBILDUNGEN:
(*) Yolanda Gonzalez (FAT)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-05-27)