sinso1La Sinsorga in Bilbaos Altstadt

Das von den baskischen Journalistinnen Irantzu Varela und Andrea Momoitio ins Leben gerufene Projekt „La Sinsorga“ soll ein Café-Restaurant, ein Kleidergeschäft, einen Raum für Treffen, Vorträge oder Konferenzen und einen Coworking-Raum umfassen. Ausgerechnet in einem ehemaligen Geschäft für Brautkleider, das während der Pandemie schließen musste. Gesucht werden Frauen zur finanziellen Förderung des Projekts sowie Fachfrauen aus dem Baugewerbe, die sich mit den Renovierungsarbeiten befassen.

In der bizkainischen Umgangssprache werden Frauen, die ihre Verpflichtungen nicht einhalten, nicht sehr förmlich sind und ihr Wort nicht halten, abfällig als "sinsorga" bezeichnet. In wenigen Monaten wird es auch der Name des neuen feministischen Kulturzentrums sein, das in der Altstadt von Bilbao entsteht.

"Viele Mädchen wurden von klein auf als Sinsorga bezeichnet, wenn sie sich nicht gut benahmen oder nicht so höflich waren, wie es die Eltern gerne gesehen hätten. Also dachten wir, dass dies ein guter Name sei", erzählen die beiden Macherinnen des Projekts.

Das feministische Kommunikations-Projekt “La Sinsorga" soll im letzten Quartal des Jahres eröffnet werden, in der Askao-Straße der Bilbo-Altstadt, in einem Gebäude aus dem 19. Jahrhundert. Das neben den nachbarlichen Wohnblocks auffällig kleine Haus besteht aus mehreren Etagen, in denen die Journalistinnen Räume für verschiedene Nutzung schaffen wollen: ein Café-Restaurant im Erdgeschoss, ein Bekleidungs-Geschäft im ersten Stock, ein Tagungsraum und einen Coworking-Bereich im Obergeschoss, in dem sich Einzelpersonen, Initiativen oder Kleinunternehmen zur Arbeit vorübergehend einmieten können. (1)

sinso2Von Hochzeitsmode zu Feminismus

"Es ist merkwürdig, dass dies bisher ausgerechnet ein Geschäft für Brautmode war. Und es ist fast metaphorisch, dass wir jetzt ein feministisches Zentrum schaffen in einem Raum, der seit so vielen Jahren der romantischen Liebe gewidmet war", kommentiert Irantzu Varela. Ziel des Zentrums ist, dass feministische Künstlerinnen aus verschiedenen Bereichen zum "La Sinsorga" kommen, um ihre Arbeit zu präsentieren, Vorträge und Konferenzen abhalten, während die Besucherinnen im unteren Teil eine Mahlzeit oder einen Kaffee genießen können oder im Laden etwas einkaufen. Dort soll vor allem Kleidung von lokalen Designerinnen verkauft werden.

"Wir möchten klarstellen, dass es sich nicht um das Projekt Frauenhaus (La Casa de la Mujer) in Bilbao handeln wird. Das ist ein Kampf, den die Genossinnen aus anderen feministischen Kollektiven führen und von dem wir glauben, dass ein solches Haus notwendig ist. Aber dies hier ist etwas anderes. Wir haben nicht die Absicht, anderen Einrichtungen oder kulturellen Räumen, die bereits existieren, den Platz wegzunehmen. Dieser Traum ist etwas, worüber wir schon seit einiger Zeit nachdenken und von dem wir glauben, dass es in der Form, wie wir es vorschlagen, weder in Bilbao noch anderswo existiert", erklärt Momoitio. (1)

Irantzu Varela

Die beiden Feministinnen haben in der Vergangenheit ausreichend Erfahrung gesammelt mit anderen Medien-Projekten. Irantzu Varela (1974) ist Koordinatorin und Mitbegründerin von „Faktoria Lila“, sowie Gründerin und Moderatorin von „El Tornillo“, einem feministischen Medienraum, zuerst mit “La Tuerka“ (Die Schraube) und später mit “En la Frontera“ (An der Grenze) des Fernsehkanals der virtuellen Tageszeitung Público. Sie arbeitet auch mit feministischen Medien zusammen, unter anderem mit dem in Bilbo erscheinenden Pikara Magazine. (2)

Die Kommunikations-Wissenschaftlerin absolvierte ein Aufbau-Studium in den Bereichen Entwicklung und internationale Zusammenarbeit sowie Kommunikation und Gender. In einem autodidaktischen Prozess wurde sie zu einer der bekanntesten baskischen Feministinnen. Varela hat zahlreiche Workshops zu den Themen Gender, Gleichberechtigung, Feminismus, symbolische Gewalt, Kritik der romantischen Liebe, Führung und Kommunikation angeboten.

Auf den Websites von „La Tuerka“, Público-TV und YouTube veröffentlicht sie von Ironie und Sarkasmus geprägte Spots. Darin behandelt sie in wenigen Minuten und in einfacher, alltäglicher Sprache Fragen im Zusammenhang mit der Ungleichbehandlung von Männern und Frauen. Daneben trat sie als Talkshow-Moderatorin in Fernsehsendungen des öffentlichen baskischen Fernsehens auf. 2015 war sie Kandidatin der links-liberalen Wahlkoalition EH Bildu bei den Wahlen zum spanischen Parlament. (2)

Andrea Momoitio und Pikara

sinso3Zusammen mit anderen Feministinnen gründete Andrea Momoitio 2010 das feministische Magazin „Pikara“, um “Qualitäts-Journalismus mit einer feministischen Perspektive, kritisch, transgressiv und unterhaltsam“ zu betreiben. Mit June Fernández, María Ángeles Fernández und Tamia Quima Morales bildet Momoitio bis heute die Koordinations-Gruppe des Medien-Projekts, das weit über die baskischen Grenzen hinaus bekannt wurde. (3)

“Pikara wurde gegründet, weil wir als Leserinnen ein Medium vermissten, in dem eine feministische Perspektive und guter Journalismus zusammenkommen. Als Journalistinnen wollten wir einen Raum schaffen, in dem es Spaß macht, über die Themen zu kommunizieren, die uns am Herzen liegen“. – “Wir verstehen uns nicht als eine auf Feminismus spezialisierte Zeitschrift, sondern beschäftigen uns mit allen möglichen sozialen, politischen und kulturellen Themen aus einer feministischen Perspektive“.

Pikara wurde von früheren Projekten wie der Zeitung „Andra“ oder der Zeitschrift „Frida“ in Bilbao, von kritischen Medien wie dem „Periódico Diagonal“ und von feministischen Kommunikations-Projekten wie „Mujeres en Red“ und „Bitch Media“ inspiriert. „Unsere Schule war das Netzwerk von Journalist*innen mit einer Geschlechter-Perspektive (RIPVG) und sein baskisches Pendant ‘Kazetarion Berdinsarea‘, mit denen wir bestätigten, dass die Geschlechter-Perspektive ein wesentliches Instrument ist, um zu erzählen, was passiert und warum es passiert. Als wir als Mitglieder von ‘Kazetarion Berdinsarea‘ unser eigenes Kommunikations-Projekt vorstellten, wurden wir bald von Dutzenden verschiedener Personen begleitet: Journalistinnen, Studierenden, Feministinnen, Bloggerinnen“.

Seitdem ist Pikara gewachsen: Von einer Website zu einer im Eigenverlag herausgegebenen Zeitschrift, für Schulungs- und Beratungsarbeit, für kulturelle Aktivitäten, für kontinuierliche Zusammenarbeit mit anderen kritischen Medien, feministische Kommunikation in immer mehr Formaten. Pikara wurde zu einem pluralistischen, integrativen und zugänglichen Projekt. „Unter Einbeziehung von Mitwirkenden, die mit der Hegemonie weißer, heterosexueller, gleichgeschlechtlicher, urbaner, akademisch gebildeter und nicht behinderter Frauen brechen. Erstellung von Inhalten in Minderheitensprachen, in Gebärdensprache und Anpassung von Artikeln an die Kriterien von Easy Reading. Sich der Barrieren und Ausgrenzungen bewusst zu werden, die wir weiterhin aufrechterhalten“. Daneben hat sich Pikara auf internationaler Ebene einen Platz erkämpft: 40% der Besucherinnen der Website kommen aus dem Ausland. (3)

Frauen aus dem Baugewerbe

sinso4Bei der Umgestaltung des Gebäudes sollen nur Frauen eingestellt werden, zumindest wird versucht, den Umbau auf diese Art zu organisieren. "Wir suchen Frauen aus allen Bereichen des Bauwesens, und wir haben Schwierigkeiten, sie zu finden. Wir wissen, dass es wahrscheinlich länger dauern wird, aber wir wollen es versuchen". Die Einrichtung von "La Sinsorga" wird auch ein audiovisuelles Projekt umfassen, in dem der Entstehungs-Prozess reflektiert werden soll. "Auch dafür suchen wir Frauen und haben viele gefunden. Schwieriger war es, Tontechnikerinnen zu finden", bedauern sie. Ebenfalls nicht einfach war es, eine Frau für den Film-Trailer zu finden, sie musste eine Lizenz für Tiertransporte haben, da im Video eine Ziege auftreten sollte.

“La Sinsorga" wird nach "Sinsorgas" suchen, die das Projekt mit jährlichen Beiträgen finanziell unterstützen. Den Macherinnen zufolge sind noch einige Fragen zu klären, während das Projekt Gestalt annimmt. Zum Beispiel, was mit der kleinen Terrasse auf dem Dach des Gebäudes geschehen soll; oder welche Speisen in dem kleinen Restaurant angeboten werden sollen. "Dieses Projekt hat wie ein Traum begonnen, den wir nach und nach verwirklichen", gestehen Irantzu und Andrea mit Begeisterung. (1)

ANMERKUNGEN:

(1) Nace 'La Sinsorga', un espacio cultural feminista creado en una antigua tienda de vestidos de novia de Bilbao” (Es entsteht “La Sinsorga", ein feministischer Kulturraum in einem ehemaligen Geschäft für Brautkleider in Bilbao), Eldiario.es, 2022-04-14 (LINK)
https://www.eldiario.es/euskadi/nace-sinsorga-espacio-cultural-feminista-creado-antigua-tienda-vestidos-novia-bilbao_1_8914227.html

(2) Irantzu Varela, Wikipedia (LINK)
https://es.wikipedia.org/wiki/Irantzu_Varela

(3) Andrea Momoitio, Pikara Magazine (LINK)
https://www.pikaramagazine.com/por-que-pikara-2/

ABBILDUNGEN:

(1) Sinsorga (eldiario)

(2) Sinsorga (FAT)

(3) Pikara (pikara)

(4) Irantzu Varela (ivarela)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-04-17)

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