Auf dem Weg zur politischen Normalisierung
Im Oktober 2016, fünf Jahre nach dem definitiven Waffenstillstand von ETA wurde im Aiete-Palast von Donostia (San Sebastian) eine neue Organisation vorgestellt, die den Normalisierungs-Prozess im Baskenland begleiten sollte: das Ständige Sozialforum. Es setzte sich aus 14 Organisationen und 14 Personen zusammen. Die Zivilgesellschaft sollte eine führende Rolle im Friedensprozess übernehmen. Erstes Ziel war die Entwaffnung von ETA im Rahmen eines international begleiteten und überprüften Prozesses.
Das “Ständige Sozialforum“ (Foro Social Permanente) ist eine Kommission verschiedene baskischer Kräfte (Gewerkschaften und Menschenrechte), die dringende Fragen der Normalisierung und Befriedung des Baskenlandes bearbeiten soll.
Die Vorstellung
An der Präsentation des Ständigen Sozialforums am 21. Oktober 2016 nahmen die Mitglieder der Internationalen Kontaktgruppe (ICG), Brian Currin, Raymond Kendall und Alberto Spektorowski teil, die bereits in den Jahren zuvor Verhandlungen der baskisch-spanischen Konfliktparteien begleiteten. Auch Vertreter*innen verschiedener Parteien waren anwesend: Andoni Ortuzar und Joseba Aurrekoetxea von der Baskisch Nationalistischen Partei (PNV), Arnaldo Otegi und Pello Urizar von EH Bildu sowie Pili Zabala und Iñigo Martínez von Elkarrekin Podemos. Einige Vertreter*innen der sozialdemokratischen UGT waren ebenfalls anwesend, sowie Vertreter*innen der am Forum beteiligten Organisationen. (1)
Forums-Mitglieder
Die Mitglieds-Organisationen des Ständigen Sozialforums sind: Die Gewerkschaften ELA, LAB, CCOO, Steilas; und die zivilgesellschaftlichen Organisationen Paz con Dignidad, Sare, Baketik, Etxerat, Gernika Batzordea, Uharan, Bake Bidean, Egiari Zor, Ahotsak und das Radio Antxeta Irratia. Die zum Ständigen Sozialforum gehörenden Einzelpersonen sind Nazario de Oleaga, Aitzpea Leizaola, Iñaki Lasagabaster, Iñaki González Murua, Iñaki Olalde, Fernando Vaquerizo, José Luis Úriz, Andoni Serrano, Fernando Armendáriz, Begoña Ugarte, Carlos Aitor Yuste, Juanje Soria, Roberto Oiz und Txemi Pérez. Iñaki Lasagabaster ist ein bekannter Anwalt und Hochschul-Professor, die übrigen Personen sind in der baskischen Öffentlichkeit wenig bis gar nicht bekannt.
Das Ständige Sozialforum ist offen für neue Mitglieder. Die Personen und Organisationen sollen als Netzwerk arbeiten, Vorschläge machen, mit Konfliktparteien in Kontakt treten, Vertrauen schaffen und eine "neue, unabhängige Agenda für den Frieden" erstellen. Zentrale Themen sind der Umgang mit den Opfern auf beiden Konfliktseiten und die Zukunft der baskischen politischen Gefangenen, sowohl im französischen wie im spanischen Staat.
Aufgaben
In der Frage der Opfer-Behandlung stehen sich zwei Welten gegenüber. Die Opfer von ETA sind anerkannt und erhalten alle erdenkliche ideologische und materielle Unterstützung. Sowohl ETA wie auch Vertreter*innen der baskischen Linken haben “das durch ihr Verhalten entstandene Leid“ anerkannt und sich dafür mehrfach entschuldigt.
Die Opfer von staatlicher Gewalt hingegen haben enorme Schwierigkeiten, als solche anerkannt zu werden. Wenn nicht Gerichte aufgrund von eindeutigen Sachverhalten Urteile gesprochen haben (GAL, Lasa und Zabala, Galindo) waren staatliche Instanzen zu keiner Zeit bereit, ihre Rolle und Praxis im Konflikt einzugestehen und (wie es die Gegenseite praktizierte) das verursachte Leid einzugestehen. Die Folter gegen mehrere Tausend Personen aus dem Baskenland ist bis heute ein schwarzes Kapitel für die spanische “Demokratie“, die polizeilichen Folterkeller bleiben geschlossen. Nur das Baskenland selbst geht bei der Anerkennung des “Staatsterrorismus“ mit gutem Beispiel voran.
Erfolge
Ein bedeutender Schritt konnte in den vergangenen 18 Monaten bei den politischen Gefangenen beobachtet werden. Alle Gefangenen wurden aus teilweise 1.000 Kilometer entfernten Gefängnissen ins Baskenland bzw. in Baskenland-nahe Knäste gebracht. Teilweise wurden die Sonder-Haftbedingungen abgemildert, eine Reihe von Gefangenen wurde der Haftstatus Zwei zugestanden, der Hafterleichterungen und Ausgänge möglich macht. Positiven Einfluss hat dabei, dass die Gefängnis-Verwaltung von Madrid auf die baskischen Behörden übergegangen ist. Spanische Gerichte (Audiencia Nacional) versuchen dennoch, die schrittweise Rücknahme der willkürlichen Ausnahme-Haftbedingungen zu verhindern.
Ein weiteres im Gründungsmoment erklärtes Ziel – die Entwaffnung der Organisation ETA – konnte im Jahr 2017 über den zivilgesellschaftlichen Weg erreicht werden, nachdem dieser Prozess von der spanischen Rechts-Regierung jahrelang boykottiert wurde. Ein Jahr darauf (2018) erklärte ETA ihre endgültige Auflösung.
In den Fragen “Opfer, Anerkennung und Gefangene“ stehen somit weiterhin schwierige Aufgaben vor dem Ständigen Sozialforum. Der Koordinator Agus Hernan äußerte sich mehrfach verwundert über die "obstruktive Haltung" der französischen und spanischen Regierung gegenüber Entwaffnung und Entspannung. Er äußerte auch seinen Unmut über die Unfähigkeit der politischen Parteien, sich zu einigen. Daher rief er zu einer stärkeren Mobilisierung der Zivilgesellschaft zugunsten des Friedens- und Normalisierungs-Prozesses auf.
Priorität: Entspannung
Das Ständige Sozialforum, das die Arbeit des vorherigen “Sozialforums zur Förderung des Friedensprozesses“ fortsetzt, hat am Prozess zur Entwaffnung und Auflösung von ETA eine wichtige Vermittlungsrolle gespielt. Das Forum hatte nicht nur eine rasche Entwaffnung gefordert, sondern gleichzeitig die Regierungen um "Sicherheits-Garantien für die an diesem Prozess Beteiligten" sowie die Beteiligung der institutionellen Führer*innen und politischen Parteien an diesem Prozess. Diesem Aufruf folgten nur wenige politische Akteure. Weiterhin setzt das Ständige Sozialforum auf eine enge Zusammenarbeit mit internationalen Stellen, nicht zuletzt die Verifizierungs- und Überwachungs-Kommission, die Vereinbarungen mit den Institutionen trifft. Zuletzt plädierte das Forum für eine “Übergangs-Justiz“ und für eine “Wahrheits-Kommission“ nach dem Beispiel Kolumbien (gegen die sich erneut staatliche Stellen sperren). Einerseits, um die ungeklärten Attentate von ETA aufzuklären, andererseits, um den Staat zu Eingeständnissen zu bewegen und bei der Aufklärung der Fälle von “Verschwundenen“ und staatlichen Morden mitzuwirken.
Aufruf zum Dialog
Agus Hernan forderte die Parteien und Institutionen bereits bei Forumsgründung auf, ihre Haltung zu ändern: "Wir haben keine Zeit zu verlieren. Dialog, wenn nötig bis zum Morgengrauen. Künftige Generationen werden uns das sonst nicht verzeihen". Das Forum hat den spanischen und französischen Staat direkt beschuldigt, Dialoge zu blockieren, was den Befriedungs-Prozess "in eine komplizierte Situation" gebracht habe. Er wies darauf hin, dass das Forum "einen dauerhaften Frieden auf der Grundlage von Gerechtigkeit" anstrebt.
ANMERKUNGEN:
(1) “Nace el Foro Social Permanente para sellar la paz en Euskadi” (Ständiges Sozialforum gegründet, um die Frieden in Euskadi zu besiegeln), Elnacional.cat, 2016-10-22 (LINK)
https://www.elnacional.cat/es/sociedad/nace-el-foro-social-permanente-para-sellar-la-paz-en-euskadi_116883_102.html
ABBILDUNGEN:
(1) Logo FSP
(2) Forums-Gründung (elnacional)
(3) Forums-Vorstellung (pazcondignidad)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-05-16)