Gedenkstätten-Fahrt ins Baskenland
In den vergangenen Jahren wurde das Baskenland verstärkt zum Reiseziel von Gewerkschafts- und Jugend-Organisationen, die sich sowohl über die politische Situation, die Kooperativen-Bewegung, wie über den Krieg von 1936 und die Geschichte der Arbeiterbewegung informieren wollten. Im Rahmen ihrer antirassistischen und antifaschistischen Arbeit hat eine gemischt holländisch-deutsche Gruppe in diesem Sommer eine Bildungs- und Gedenkstätten-Reise nach Frankreich und ins Baskenland organisiert.
(2015-10-04) Die Schilderung der Organisation, Durchführung und Auswertung dieser Bildungs-Reise mag Anstoß geben für künftige Projekte ähnlichen Charakters. Die Realisierung dieser Bildungsreise zum Thema „Erinnern - Strategien antifaschistischer Bildungsarbeit im internationalen Vergleich“ war im vorliegenden Fall Teil der antifaschistischen, antirassistischen und interkulturellen Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, wie sie von den beiden Gruppen östlich und westlich der deutsch-niederländischen Grenze praktiziert wird. Für die Bildungsreise (wie auch für andere Aktivitäten ihrer alltäglichen Arbeit) gilt bei beiden Bildungsverbänden das pädagogische Ziel, dass Auschwitz sich nicht wiederholen darf. Über Faschismus lässt sich nicht reden, ohne die Verbrechen und Folgen des Nazismus zu analysieren. Deshalb wurden über das Angebot einer Bildungsreise sowohl aktive Verbandmitglieder alsauch interessierte Außenstehende animiert, sich mit der Geschichte des europäischen Faschismus auseinanderzusetzen. Eine länderübergreifende Bildungsreise zu veranstalten bot sich an, weil es auch im Alltag beider Gruppen eine gemeinsame sozialpolitische Praxis gibt.
Erinnerungsarbeit
Erinnern stellt den Bezug zur Gegenwart dar, die Arbeit gegen das Vergessen richtet sich auch auf die aktuellen und gesellschaftliche Auseinandersetzungen. Erinnerung, Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung sind hilfreich, alte offene Wunden zu schließen. Im Zentrum der Bildungsfahrt stand der sogenannte Spanische Bürgerkrieg, die Rolle des deutschen Faschismus im Kriegsverlauf von 1936 bis 1939, die Vernichtung von Gernika, sowie der Kampf um die Geschichtsschreibung, die nach wie vor die spanische Gesellschaft spaltet. Darüber hinaus wurden die Gedenkstätten Oradour und Gurs in Mittel- und Süd-Frankreich aufgesucht. Denn Oradour, der Schauplatz eines deutschen Kriegsverbrechens nahe der Stadt Limoges ist – wie Gernika, Lidice, Kragujevac, Kommeno, Kalavryta, Distomo oder Marzabotto – zu einem Symbol geworden, neben den unzähligen anderen Orten von Kriegsverbrechen, an die sich im Europa des 21. Jhs. niemand mehr erinnern will und die die traurige Tatsache verbindet, dass ihre Geschichte nie aufgearbeitet wurde. Das südfranzösische Gurs steht für das größte Internierungslager in Frankreich. 1939 errichtet, durchlief es verschiedene Phasen, vom Internierungslager für geflüchtete Spanienkämpfer bis hin zum Durchgangslager für französische und deutsche Juden, die von dort in die Vernichtungslager Osteuropas deportiert wurden.
Vorbereitung der Bildungsreise
Die Fahrt war frei ausgeschrieben, insofern kam eine heterogene Reisegruppe von vierzehn Personen zustande, jeweils sieben aus beiden Ländern. Angesprochen wurden Heranwachsende und Erwachsene, die sich für antifaschistische Bildungsarbeit interessieren, in ihr aktiv sind oder sich in Zukunft verstärkt engagieren möchten. Das Alter der Teilnehmerinnen lag zwischen 18 und 45 Jahren.
Für die Vorbereitung standen folgende Themen zur Diskussion: * Ein Zeitzeugen-Gespräch mit einem Gurs-Gefangenen, der 1940 im Alter von dreizehn Jahren mit seiner Familie aus Baden deportiert worden war. * Ein Vortrag zur Geschichte von Oradour. * Ein Filmabend zum Krieg gegen das republikanische Spanien und zu Gernika. * Die Ausstellung „Pueblo en Armas“. Diese Veranstaltungen sollten helfen, für das Thema „Spanischer Bürgerkrieg“ zu sensibilisieren und eine Annäherung an die Themenkomplexe Gernika und Gurs zu ermöglichen, da die Aufarbeitung dieses Krieges alles andere als eine rein spanische oder baskische Angelegenheit ist. Die Unterstützung der Putschisten von 1936 um General Franco durch die damaligen faschistischen Staaten Deutschland und Italien, aber auch die Beteiligung der Internationalen Brigaden und vieler europäischer Mitkämpfer auf republikanischer Seite haben diese militärische Auseinandersetzung zu einem europäischen Krieg gemacht. Dennoch ist in der allgemeinen Geschichtsschreibung für diesen Krieg, der dem Staatsstreich der faschistischen Generäle folgte, nach wie vor der Begriff „Spanischer Bürgerkrieg“ üblich, wogegen sich viele baskische und spanische Memoria-Organisationen wehren, weil er die Tatsache verschleiert, dass es sich um einen internationalen Krieg von zwei oder mehr Ideologien handelte. Sie bevorzugen den Begriff „Spanischer Krieg von 1936“.
Zur Vorbereitung für die Reise gab es zudem Texte zum Thema „movimiento memorialista“, der baskisch-spanischen „Gedächtnis-Bewegung“ und über die Plattform „Verband zur Erlangung der historischen Erinnerung“ (Asociación para la Recuperación de la Memoria Histórica, ARMH), deren Einzelgruppen in der Aufarbeitung der Verbrechen des spanischen Faschismus aktiv sind. Diese Organisationen haben sich drei Ziele gesetzt: Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung.
Gernika
Ihre erste Station hatte die Bildungsreise „Erinnern“ in dieser baskischen Kleinstadt, die das erste systematische Bombardement gegen eine Zivilbevölkerung in der Kriegs-Geschichte erlitt. Gernika war ein deutsches Kriegsverbrechen und stellte einen Zivilisationsbruch dar, den Deutsche bis heute zu verantworten haben. Am 26. April 1937 wurde die baskische Stadt (span: Guernica) während des Spanischen Krieges durch deutsche Bombenflieger der Legion Condor fast vollständig zerstört. Dieses Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung einer Stadt ohne militärische Verteidigung löste weltweit Entsetzen aus, denn der Zufall wollte es, dass ausländische Berichterstatter gerade anwesend waren (George Steer). Pablo Picasso malte unter dem Eindruck dieser mörderischen Aktion der Nazis sein vielleicht bekanntestes Bild, nannte es einfach „Guernica“ und machte diesen Namen bis heute zum Synonym für faschistischen Terror und für die Bewegung gegen Krieg. Dass die Bevölkerung von Gernika zum Opfer eines Kriegsverbrechens wurde, hinderte die Verantwortlichen für das Massaker nicht, den Opfern die Tat in die Schuhe zu schieben: die Basken selbst hätten Gernika angezündet, hieß es Jahrzehnte lang. Für die baskische Bevölkerung, die sich gegen diese propagandistische Lüge angesichts der franquistischen Zensur nicht wehren konnte, war dies 40 Jahre lang eine tiefgreifende psychologische Erniedrigung.
Der Aufenthalt in den Gedenkstätten
Die Bildungsfahrt „Erinnern – Strategien antirassistischer Bildungsarbeit im internationalen Vergleich“ umfasste zehn Tage plus Hin- und Rückfahrt. Ein alternativer antifaschistischer Stadtrundgang und die inhaltliche Auseinandersetzung um den Kampf der Erinnerungen standen in Bilbao auf dem Programm. Für die Gedenkstätten Oradour, Gernika und Gurs war jeweils ein Programmtag vorgesehen. An den übrigen Tagen fanden u.a. Treffen mit VertreterInnen der baskischen Bewegung gegen Zwangsräumungen, einer Gewerkschaft und ein Besuch in einem Erinnerung-Museum in Elgeta (Gipuzkoa) statt. Daneben Treffen mit einer antimilitaristischen und einer Umweltschutz-Gruppe, sowie antifaschistischen Fußballfans. Alle Führungen wurden von Fachkräften der Gedenkstätten Oradour, Elgeta, Gurs und Gernika, sowie vom baskisch-deutschen Kulturverein Baskale begleitet.
Oradour
„Wer sich in den frühen Morgenstunden in die Ruinen begibt, erlebt noch die Stille. Eine Todesstille. Oratorium, Ort des Gebets, hieß der Ort vor langer Zeit. Oradour heute, das sind Häuser, die kein Dach mehr haben. Das sind Straßenbahn-Schienen, die nirgendwo hin führen. Das sind kahle Oberleitungsmasten, verrostete Nähmaschinen, Kinderwagen, Fahrräder und Autowracks, die nicht mehr gebraucht werden. Sie erzählen von der Zeit vor dem 10. Juni 1944, an dem die Zeit faktisch stehenblieb in diesem mittelfranzösischen Ort. Das Dorf im grünen Limousin wurde von der SS-Division ‘Das Reich‘ in Schutt und Asche gelegt, 642 Menschen wurden grausam ermordet, als Vergeltung für eine Widerstandsaktion der Resistance, bei der ein Nazi-Offizier ums Leben gekommen war. Kommandeur der Division war Heinz Lammerding aus Nordrhein-Westfalen, der einen Tag zuvor 99 Geiseln an Laternen in Tulle hatte aufhängen lassen“. (Florence Heré, TAZ 7.6.2014)
Gurs
In Frankreich wurden 1939 entlang der spanischen Grenze rund 100 Internierungs-Lager (Camps d'Internement) eingerichtet, darunter im April 1939 das größte Lager „Camp de Gurs“. In den Jahren 1939 bis 1943 wurden dort über 60.000 Menschen interniert. Anfangs wurden dort hauptsächlich Spanienkämpfer und Mitglieder der internationalen Brigaden inhaftiert, die nach dem Ende des Spanischen Krieges nach Frankreich geflohen waren, aber auch französische Kommunisten und politische Häftlinge. Mit dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf die Benelux Länder und Frankreich erfolgte die zweite Internierungswelle, hauptsächlich deutsche Frauen und Männer. Viele davon suchten in Frankreich Schutz vor dem deutschen Faschismus. 2015 jährt sich zum 75. Mal die Deportation der nahezu gesamten jüdischen Bevölkerung Badens, der Pfalz und des Saarlandes nach Gurs. Dies war der Beginn der dritten Internierungswelle. Viele französische Juden folgten in den nächsten Wochen und Monaten, bevor sie 1942 und 1943 in die Vernichtungslager im Osten, vor allem nach Auschwitz, deportiert und dort ermordet wurden.
Nachbereitung
Die Nachbereitung ergab vorwiegend zufriedene Stimmen zur Programmgestaltung und der Auswahl der Kontaktpersonen und Referent/innen, die sich ohne Ausnahme als sehr kompetent und diskussionsbereit erwiesen. Ein Stimmungsbild ergab, dass der erlebte mehrtägige Aufenthalt mit Besuchen in den Gedenkstätten und die Auseinandersetzung mit dem Spanischen Krieg nicht automatisch eine kontinuierliche antifaschistische Arbeit nach sich zieht, dass der Besuch jedoch Anstöße für eine aktivere Wahrnehmung der Frage der Aufarbeitung von autoritären und diktatorischen Regimes gegeben und die Notwendigkeit antifaschistischer Arbeit deutlich gemacht hat.
Das Reiseprogramm
Tag 1: Gemeinsame Anreise aus Deutschland/Holland. Ankunft in Gernika.
Tag 2: Alternativer, antifaschistischer Stadtrundgang in Gernika. Zeitzeugengespräch, Treffen mit VertreterInnen der Erinnerungs-Gruppe Gernika Batzordea. Offene Gesprächsrunde. / Besuch des Friedensmuseums in Gernika und des Europa-Parks mit dem Oradour-Denkmal.
Tag 3: Besuch der Santimamiñe Höhle bei Gernika (Höhlenmalereien). Vortrag über baskische Geschichte. Wanderung zum bemalten Wald bei Santimamiñe. / Historischer Stadtrundgang Bilbao.
Tag 4: Besuch im Widerstands-Museum Elgeta (Gipuzkoa). Gespräch mit der lokalen Memoria-Gruppe „Intxorta 1937“ zum Thema der Verteidigung des Baskenlandes im Krieg. / Besuch der wieder hergerichteten Schützengräben und Bunker, sowie des Mahnmals am Intxorta-Berg, Schilderung der Gefechts-Situation.
Tag 5: Besuch der Insel Gaztelugatxe bei Bermeo und des Erinnerungs-Denkmals von Nestor Basterretxea, das an die Seeschlacht von Matxitxako erinnert. Referat über die baskische Hilfs-Marine und die Matxitxako-Schlacht. / Besuch des Schifffahrts-Museums in Bermeo und des Basterretxea-Parks in der Stadt.
Tag 6:Treffen mit Vertreterinnen der sozialpolitischen Plattformen GUNE und ELKARTZEN zum Thema Wirtschaftskrise, Zwangsenteignungen. / Besuch bei der linken Gewerkschaft LAB, Referat zu den Auswirkungen der aktuellen Wirtschaftskrise und Perspektiven einer alternativen Sozialpolitik.
Tag 7:Besuch am stillgelegten Atomkraftwerk Lemoiz, Referat zur baskischen Anti-AKW- und Ökologie-Bewegung, aktuelle Themenschwerpunkte Fracking und Hochgeschwindigkeitszug. / Treffen mit einer Vertreterin von MOC (Movimiento de Objeción de Conciencia), der baskischen Bewegung zur Totalverweigerung des Kriegsdienstes zum Thema Antimilitarismus im Baskenland und in Spanien.
Tag 8: Besuch bei den Kriegsstellungen der provisorischen baskischen Armee in Baranbio (Araba), Treffen mit dem Bürgermeister, Rundgang durch die Verteidigungs-Anlagen, wo der deutsche Kriegs-Freiwillige Fritz Teppich sich den baskischen Verbänden angeschlossen hatte. Reinigungsaktion im Bereich der Schützengräben, Aufstellung einer Gedenktafel. Empfang im Rathaus Baranbio.
Tag 9:Treffen mit Vertretern der antifaschistischen Fanszene der Fußball-Clubs SD Eibar und Athletic Bilbao anlässlich des Ligaspiels Eibar-Bilbao. Besuch des Spiels. Abfahrt nach Gurs in Südfrankreich.
Tag 10: Besuch der Gedenkstätte in Gurs. Besuch des Lagergeländes mit einem Angehörigen von Lagerinsassen in Gurs von der Erinnerungs-Organisation Amicale de Gurs. Besuch der Organisation Amicale in Oloron (Hauptort von Béarn, einer alten französischen Provinz an der Grenze zum Baskenland). Weiterfahrt nach Oradour in Mittelfrankreich.
Tag 11: Besuch im Centre de la memoire in Oradour und in den Ruinen der verbrannten Stadt. Führung durch das zum historischen Denkmal erklärten Ruinendorf.
Tag 12: Rückreise.
FOTOS:
(1) Symbolische Eisenbahnlinie im KZ Gurs (Foto Archiv Txeng)
(2) Nachbildung des Picasso-Bilds an einer Mauer in Gernika (Foto Archiv Txeng)
(3) Szene aus dem bemalten Oma-Wald (Foto Archiv Txeng)
(4) Naziverbrechen: Ruinen von Oradour (Foto Archiv Txeng)
(5) Erinnerungs-Museum in Elgeta (Gipuzkoa) (Foto Archiv Txeng)
(6) Friedhof neben dem KZ Gurs (Foto Archiv Txeng)