Massentourismus tötet Alltag
In zehn Jahren können viele touristische Reiseziele komplett zerstört sein – sagt einer, der die Tourismus-Branche bestens kennt. Städte wie Barcelona, Dubrovnik oder Venedig haben den Abgrund bereits erreicht. Andere – wie Bilbao oder San Sebastian – steuern mit vollen Segeln auf die Katastrophe zu. Überall werden Hotels gebaut, neue Kreuzfahr-Anleger, Billigflug-Firmen bieten neue Linien. Im Tourismus zählt die Devise: alles für die Reisenden – keinen Respekt vor den Interessen der Anwohner*innen.
Neben dem Ausdruck „Massen-Tourismus“ wird neuerdings auch der Begriff „Over-Tourismus“ zur Hinterfragung der Reisehysterie benutzt. Dabei geht es um eine Situation, in der die Tourismus-Industrie die Reiseziele nicht nur schwer belastet, sondern auch in der Lage ist, deren Charakter und Sozialordnung zu zerstören.
Der Holländer Stephen Hodes (Jg. 1948) hat Jahrzehnte lang als Manager im Tourismusbereich gearbeitet und 22 Jahre im Herzen von Amsterdam gelebt. In seinem Privatleben hat er die Veränderung der Stadt hin zu einem reinen Konsumghetto für Urlauber höchstpersönlich erlebt – und daraus Konsequenzen gezogen. Heute kämpft er gegen wachsenden Städtetourismus und fordert Reiselimits und Obergrenzen. Nicht nur für sein Amsterdam, auch für Berlin und all die anderen betroffenen Reiseziele, in denen die Lebensqualität der Bewohner*innen starke Einbrüche erlebt. Weil deren Interessen denen der Touristenmassen meist völlig untergeordnet werden. (1) Baskische Städte wie Donostia – San Sebastian oder Bilbao, aber auch kleinere Orte wie Laguardia oder Gesaltza, die in den vergangenen Jahren stark auf T-Werbung gesetzt haben, könnten aus den Amsterdamer Erfahrungen ihre Schlüsse ziehen. Wenn sie denn wollen.
Dass er beruflich für den niederländischen Tourismusverband Menschen ins Land geholt hat und gleichzeitig über die ausufernden Städtereisen wettert ist für Stephen Hodes kein Widerspruch. In seinem Wohnquartier jedenfalls sah er sich eines Tages nur „noch umgeben von Touristenshops und Partys in Nachbarwohnungen. Ich habe mich dort nicht mehr zu Hause gefühlt, sondern wie ein Polizist, der 24 Stunden im Einsatz ist“ (1).
Radikale Tourismus-Kritik
Aus diesem Grund hat er mit anderen Tourismus-Kritiker*innen zusammen im Jahr 2013 „Amsterdam in Progress“ gegründet, eine Art Denkfabrik, die die schädlichen Auswirkungen des Städtetourismus thematisiert, radikale Gegenmaßnahmen fordert und helfen soll, mit Alternativvorschlägen die stetig wachsende Reisetätigkeit zu bekämpfen. „Ich will Menschen vor dem Verlust ihrer Heimat bewahren. Als ich damit angefangen habe, ging es mir nur um Amsterdam. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Entwicklung jedoch rasant beschleunigt und bricht wie ein Tsunami über unsere Städte herein: über Barcelona, Berlin, Venedig, Dubrovnik, Prag, Riga. Aber auch über Dutzende kleinere asiatische Orte. Gerade Europa als größtes Tourismusziel der Welt ist stark gefährdet. Wir sind nur noch zehn Jahre davon entfernt, unsere attraktivsten Städte in Disneyland-Parks zur verwandeln“.
Was denn an ein paar Souvenirläden so schlimm sei, wird er im Interview gefragt. Für Stephen Hodes wird Städtetourismus dann zum Problem, wenn die Balance zwischen den Interessen der Reisenden und den Interessen der Anwohner*innen aus dem Gleichgewicht gerät und die Besucher*innen dominieren. Touristenmassen zerstören das, was er als Funktionsmix bezeichnet: die alltägliche Infrastruktur einer Stadt, angefangen bei Wohnungen, Läden über Freizeiteinrichtungen und soziale Einrichtungen. All das was für die Einwohner*innen lebensnotwendig ist. Die meisten Städte haben den Charakter einer Mischnutzung, unterschiedlich von einem Stadtteil zum anderen.
Vernichtung lokaler Sozialstrukturen
„Die Menschen leben, arbeiten und spielen hier. Wenn diese Mischung verloren geht, wird eine Stadt weniger lebenswert. Und je touristischer sie wird, desto stärker steigen die Gewerbemieten. Gerade im Zentrum. Dann verschwinden kleine Geschäfte, Praxen oder Nachbarschaftstreffs. Stattdessen breiten sich große Ketten aus, die solche Preise zahlen können. Diese Ketten gehören oft Konzernen aus der Tourismus- und Freizeitindustrie, die die gleichen Sightseeing-Busse, Hostels und Geschäfte in Lissabon oder London betreiben. Das Ergebnis sind uniforme Stadtzentren, die nur auf Besucher ausgerichtet sind“.
Hodes wurde in Kapstadt, Südafrika geboren. Als Aktivist in der Anti-Apartheid-Bewegung wurde er bedroht und zog deshalb Anfang der 70er Jahre nach Amsterdam. Dort studierte er Architektur und fand Anstellung bei der Tourismus-Agentur der Niederlande. Hier arbeitete er als Marketing-Manager für Amsterdam und andere Städte in Nordamerika. Mitte der 90er Jahre gründete er mit anderen zusammen die Firma „LAgroup“, mit der er Gemeinden in Tourismusfragen berät.
Wirtschaftsfaktor Tourismus
Immer stärker und in immer mehr Städten wird Tourismus als einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren bezeichnet. Nicht zuletzt in Bilbao oder San Sebastian. Auch in Berlin. Stephen Hodes relativiert diese Feststellung. Denn beim genaueren Hinsehen kollidieren die Profit-Interessen der Branche immer mehr mit „den alltäglichen Bedürfnissen der Bewohner“. Von den Stadtverwaltungen erwartet Hodes, endlich aktiv zu werden. „Als Startpunkt benötigen sie einen völlig neuen Ansatz in Sachen Tourismus-Management. Viele zählen nur die Einnahmen. Sie müssen den Tourismus aber auf seine Auswirkungen auf Wirtschaft, Ökologie und Soziales bewerten. Und da sieht es nicht gut aus“.
Auf Nachfrage legt der Experte Argumente vor. „Einer der größten Verursacher des Klimawandels sind Flugzeuge und Kreuzfahrtschiffe. In den Städten bedeutet Tourismus mehr Müll und mehr Wasserverbrauch. Außerdem ebnet er den Weg für eine wirtschaftliche Monokultur, in der es zum großen Teil nur schlecht bezahlte Jobs für Geringqualifizierte gibt. Wenn eine Stadt erst einmal ökonomisch vom Tourismus abhängig wird wie Venedig, gibt es keinen Weg mehr zurück“. Auf dem Weg dahin will Hodes aber keine Reiseverbote aussprechen. Vielmehr müsse die Zahl der Reisenden beschränkt werden.
Qualitäts-Tourismus
„Wir sollten uns dabei auf Qualitätstouristen beschränken“, sagt er, meint damit aber nicht jene mit dem meisten Geld. „Nein, das sind die, die sich an die lokale Kultur anpassen können und sie nicht ignorieren und zerstören, weil sie die Stadt (nicht) nur als Partymeile verstehen“. Hodes erinnert an die Stadtsoziologin Jane Jacobs, die die These vertrat, dass eine Stadt „Augen auf der Straße“ braucht. Darunter verstand sie Menschen, die sich verantwortlich und mit dem Ort verbunden fühlen. Die Konsequenz einer solchen Haltung sei eine steigende Lebensqualität und mehr „gefühlte Sicherheit“. Bei Touristen, die ein paar Nächte in einem Hostel oder einer Ferienwohnung verbringen, sei das nicht der Fall. „Wir müssen ein Ausverkauft-Schild an unsere Städte hängen. Sonst sind sie bald keine Orte zum Leben mehr, sondern eine lebensfeindliche Transitzone für Besucher, Touristen oder Expats (2). Wenn ein Konzert oder eine Filmvorstellung voll ist, sucht man ja auch nach einer Alternative. Um das zu erreichen, muss die Zahl von Flügen, Zügen und Kreuzfahrtschiffen, die eine Stadt erreichen, limitiert werden“.
Beispiel Bilbao
Die Stadtverwaltung Bilbao ist nicht auf diesem Weg, hier geht es genau in die Gegenrichtung. Mit dem Guggenheim wurde teure Kunst, danach teure Architektur eingekauft. 2017 wurde ein millionenteurer Kreuzfahr-Anleger eingeweiht, mit dem jährlich 100.000 und mehr Passagiere gesichert werden sollen, dazu werden gleich mehrere Hotels gebaut. Gleichzeitig werden internationale Großevents gekauft wie die Basketball-WM, ein Rugby-Euro-Finale oder die MTV-Gala; geplant sind eine Tour-Etappe und die Fussball-Europa-Meisterschaft. Dem Guggenheim wird der Platz zu klein, nach dem Willen der neoliberalen baskischen Regierung soll in einem Naturschutzgebiet ein zweites gebaut werden. Das Museum der Schönen Künste wird sich in den kommenden Jahren an Größe verdoppeln, die Kapazität des Flughafens ist laut Aussagen der Verantwortlichen an ihr Limit gestoßen. In Bilbao werden Ziffern, die keinen neuen Rekord darstellen, schon gar nicht mehr genannt, alles bewegt sich in touristischen Superlativen.
Donostia, Pamplona, Gasteiz
Die hundertfünfzig-jährige Tourismus-Stadt Donostia (San Sebastian) durfte sich 2016 Europäische Kulturhauptstadt nennen und erstickte fast an den ankommenden Massen. Das musste sogar der Bürgermeister zugeben. In der Altstadt wird mehr Französisch und Englisch als Baskisch und Castellano gesprochen, die Mieten sind ins Astronomische gestiegen. Alarmzeichen, aber keine Reaktion. In Pamplona (baskisch: Iruñea), Hauptstadt der Region Navarra, konzentriert sich der auswärtige Ansturm auf die Sanfermines, die weltberühmten Hemingway-Fiestas. Nur in der Hauptstadt Vitoria-Gasteiz ist die Welt noch halbwegs in Ordnung. Kein Strand, keine Muschel, kein berühmtes Museum – dafür viele interessante kleinere Ausstellungen und ein weltberühmtes Jazzfestival, das aber nur drei Tage dauert und in der Stadt keine bleibenden Spuren hinterlässt. Vor Jahren trug die Stadt den europäischen Titel „Green City“ – zurecht, denn so viele Grünflächen wie Gasteiz haben Bilbao und Donostia nicht einmal zusammen. Dazu wird seit Jahren die alte Kathedrale auf eine besondere Art renoviert und archäologisch erforscht. Sie wurde nicht, wie sonst üblich, für die Bauarbeiten geschlossen. Vielmehr werden während der schon mehr als 10 Jahre dauernden Reformierung kleine Gruppen von Tourist*innen mit Erklärungen durch die Hallen geführt. Auch das ist Tourismus, nur tut er keinem weh.
Wie die Reduzierung von Flügen, Zügen und Kreuzfahrtschiffen gehen soll, wird Stephen Hodes gefragt. Sein Konzept: „Kreuzfahrtschiffe sollten nur noch am Start oder Ende ihrer Route anlegen dürfen, nicht für ein paar Stunden zwischendurch. Jede Stadt braucht zudem einen Masterplan, der eine Höchstgrenze für touristische Unterkünfte festlegt. Barcelona hat bereits ein Moratorium für neue Hotels beschlossen. Außerdem müssen wir die Steuern auf Flüge erhöhen und das unhinterfragte Wachstum der Flughäfen bremsen. In Amsterdam kämpfen wir gegen den Bau eines zweiten Flughafens nur für Billigflieger“. Es wird klar, die Folgen einer falsch orientierten Wirtschaftpolitk sind überall dieselben, ob nun in Amsterdam, Bilbao oder Berlin. Den Preis bezahlen nicht die Tourist*innen, sondern die Bewohner*innen dieser Städte.
Berlin, Amsterdam
Mit Blick auf die Entwicklung in Berlin und die lange erwartete Eröffnung des neuen Flughafens sagt Hodes: „Die Berliner sollten froh darüber sein, dass der neue BER immer noch nicht fertig ist. Was auf den ersten Blick für Sie wie ein Nachteil aussieht, ist in Wirklichkeit ein großer Vorteil - wenn auch ein unbeabsichtigter. Wenn der neue Flughafen schon da wäre, wäre der touristische Ansturm bereits viel größer“ (3).
In Amsterdam scheinen die Folgen des Massentourismus langsam auch bei den Behörden ins Bewusstsein zu dringen. Erste bremsende Regulierungen wurden beschlossen. In einigen Gebieten sollen keine Touristenshops mehr zugelassen werden. Als „mutigen und interessanten Schritt“, bezeichnet Hodes diese Entscheidung, die beweist, dass es Wege zur Besserung gibt. „Es braucht Gesetze, um einen Funktionsmix in der Stadt sicherzustellen und den Vormarsch der Touristenshops zu stoppen. Der erste Rechtsstreit darüber wird bei uns gerade ausgetragen. Jemand hat einen Fischladen eröffnet, aber alle Schilder waren auf Englisch. Ich fürchte leider, das Gericht wird dieses Verbot zurücknehmen“.
Vorrang für Anwohner*innen
Im neuen Berliner Tourismuskonzept heißt es, Tourismus müsse „als integrativer Teil der Stadtentwicklung“ verankert werden. Man müsse bei der Stadtplanung auf die Erlebnisbedürfnisse der Gäste Rücksicht nehmen. Stephen Hodes ist damit gar nicht einverstanden. „Absolut nicht. Die Bedürfnisse von Bewohnern müssen für eine Stadt Vorrang haben. Ansonsten vergrößert sich die Lücke zwischen Lokalpolitik und Bewohnern, die Menschen fühlen sich nicht mehr mit ihrer Stadt verbunden und ziehen fort. Das hat man inzwischen sogar in Amsterdam erkannt. Die neue Stadtregierung hat in ihrer Koalitionsvereinbarung klar gemacht: Die Stadt ist vornehmlich für die Menschen da, die in ihr wohnen. Gäste sind willkommen. Das ist ein wichtiges Statement“.
Berlin seinerseits hat immerhin eine City-Tax für Touristen eingeführt. Doch auch das ist für Hodes nicht ideal. „Sie verschwinden meist in den allgemeinen Einnahmen. Niemand weiß, was wirklich damit geschieht. Wir schlagen deshalb einen einmaligen Stadtbeitrag von 20 Euro pro Besuch und Kopf vor. Der sollte in einen Stadtviertel-Investitionsfonds fließen“.
Diese Einahmen sollten gezielt Projekten wie Grünflächen, Kultur oder Sport zugute kommen, ganz explizit für jene Anwohner*innen, die besonders stark unter dem Tourismus leiden. „Durch sogenannten authentischen Städtetourismus, diese relativ neue Form des Reisens, treten Besucher in Konkurrenz zu den Anwohnern. Sie nutzen die Infrastruktur mit, die eigentlich gar nicht für sie gedacht ist. Das betrifft neben dem Transportsystem auch Krankenhäuser, Polizei, Parks, Spielplätze. Deshalb muss man die Touristen an den Kosten für diese Infrastruktur beteiligen. Die Bewohner zahlen dafür ja auch Steuern. Man darf Touristen nicht besser behandeln als Anwohner, nur weil sie mehr Geld mitbringen. Schon allein, da sie jetzt auch noch unser Wohnungs-Problem verschärfen“.
Stichwort Tourismus-Wohnungen
Erhebungen besagen, dass von den zwei Millionen Wohnungen in Berlin drei Prozent Ferienapartments seien. Hodes stellt klar, dass „diese Wohnungen einen größeren unmittelbaren Effekt für die Anwohner haben als etwa Hotels. Wir leben in Städten übereinander, nebeneinander. Ferienwohnungen bringen die Touristen in die Privatsphäre und in die Lebenswelt der Anwohner. Das hat eine unglaublich disruptive Kraft und bedroht den sozialen Zusammenhalt“.
Zur Klärung dieses Problems hat Stephen Hodes Gespräche mit Verantwortlichen des berühmt-berüchtigten Internet-Vermittlungs-Unternehmens Airbnb geführt. Ohne Ergebnis: „Die haben nur Dollarzeichen in den Augen. Dabei wirken Ferienwohnungen entscheidend an der Preissteigerung für Wohnraum und Geschäfte mit. Man kann mit Touristen das Doppelte oder Dreifache der normalen Wohnungsmiete verdienen. Viele zahlen deswegen einen höheren Kaufpreis für eine Wohnung, um sie als Ferienapartment refinanzieren zu können“.
Hodes hat auch kein Verständnis für Mieter, die versuchen, ihre immer teurer werdende Wohnung mittels Untervermietung zu finanzieren. Denn auch sie zerstören letztendlich die Stadt: „indem sie versuchen, ein Problem mit den falschen Mitteln zu lösen“. Doch gleichzeitig ist das Argument der armen Mieter-Vermieter ein Nebelwerfer. „Nach meiner Erfahrung vermieten vor allem Eigentümer an Touristen. Wir haben Anbieter in Amsterdam, die 600 Objekte betreuen. Sie arbeiten mit sogenannten Key-Companies, Schlüsselfirmen. Die bearbeiten die Buchungen und lassen die Gäste in die Wohnungen. Sie arbeiten wie Hausverwaltungen, nur eben für Touristen. Inzwischen kaufen sogar große Hotelketten Häuser und Wohnungen auf, um sie zu Ferienapartments umzugestalten“. Dabei handelt es sich um einen kompletten Wirtschaftszweig.
Illegale Tourismus-Vermietungen
Zwar dürfen in Berlin Wohnungen nur noch mit Registrierung und maximal 90 Tage im Jahr an Touristen vermietet werden. Doch erfordert es wenig Schläue, um die Regelung zu umgehen. Ein Verstoß führt zur Sperre des Airbnb-Profils für ein Jahr. Da wird eben ein neues Konto angelegt oder auf andere Plattformen ausgewichen.
Berlin hat inzwischen einen städteverträglichen Tourismus proklamiert. Die Touristenströme sollen durch „gezielte touristische Entwicklung“ aus der Innenstadt in die Außenbezirke verlagert werden. Der Fachbegriff dafür ist „Spreading“. Stephen Hodes Meinung dazu: „Das versucht Amsterdam seit 2016. Diese Idee ist kompletter Unfug. Die Tourismus-Industrie und die Stadtverwaltungen geben dabei nur vor, das Problem des Overtourism anzugehen. In Wirklichkeit ist Spreading lediglich ein Vorwand für mehr Wachstum. Eine Tourismus-Grundregel lautet: Die Massen folgen den Massen. Man kann sie nicht einfach wie Schafe zu Orten lenken, die wenig zu bieten haben. Sie wollen Attraktionen sehen. Also muss man ihnen an diesen Orten etwas anbieten, zum Beispiel, indem man ein neues Museum baut“. (3)
„Ikusi eta ikasi“ – ist ein baskisches Sprichwort: Sehen und Lernen. Die Erfahrungen aus Barcelona, Berlin oder Amsterdam sind Lektionen, die auf Donostia und Bilbao übertragen werden müssen. Momentan sind nur massentourismus-kritische Geister dazu bereit – wofür sie mit der Beschimpfung „Tourismusphobie“ belegt werden. Inzwischen hat die Kritik am herrschenden „Modell Übertourismus“ nicht nur in Mitteleuropa Fuß gefasst, auch in Valencia und auf Mallorca wurden bereits bremsende Maßnahmen eingeleitet. Nur ein Anfang in Anbetracht dessen, was auf dem Spiel steht: unsere Lebenswelt. Dennoch drei Schritte mehr als in Bilbao, wo der Bürgermeister seinen Fuß schon gar nicht mehr vom Gaspedal nimmt: Tourismus total.
Stephen Hodes musste den absurden Vorwurf der „Tourismusphobie“ wahrscheinlich noch nicht über sich ergehen lassen. Er steht über den Dingen. Als Profi lebt er nach wie vor vom Tourismus, wenn auch heutzutage stark von seiner kritischen Haltung geprägt. Gleichzeitig wird es für die Tourismus-Industrie umso schwieriger, seine Argumente zu entkräften. Denn es sind die Argumente eines Kenners der Materie, in beruflicher und privater Hinsicht. Vielleicht der Zuckermann des Massentourismus.
ANMERKUNGEN:
(1) „Tourismusmanager warnt vor Overtourism“, Tagesspiegel, Interview von Christian Hönicke (Link)
(2) Expats: Ein Expatriate, kurz Expat, ist in der Wirtschaft eine Fachkraft, die von dem international tätigen Unternehmen, bei dem sie beschäftigt ist, vorübergehend – meist für ein bis fünf Jahre – an eine ausländische Zweigstelle entsandt wird. Wenn die Initiative zum Auslandsaufenthalt nicht von einem Unternehmen, sondern von der jeweiligen Person ausgeht, spricht man wissenschaftlich von selbstinitiierter Expatriation. Eine Sonderform sind Führungskräfte, die nicht von einem Unternehmen ihres Heimatlandes entsandt wurden, sondern in ihrem Gastland in lokalen Unternehmen arbeiten. (Wikipedia)
(3) „Man darf Touristen nicht besser behandeln als Anwohner“, Tagesspiegel, Interview von Christian Hönicke (Link)
ABBILDUNGEN:
(1) Tourismus (publico)
(2) Tourist go home
(3) Gegen Massentourismus (FAT
(4) Gegen Massentourismus
(5) Massentourismus (FAT)
(6) Mallorca-Tourismus
(7) Bilbao-Tourismus (FAT)
(Publikation baskultur.info 2019-01-14)