Konsequenzen des Massentourismus
Die im Baskenland auflagenstärkste Tageszeitung, aus der der folgende Kolumnen-Text stammt, ist nicht als besonders tourismus-kritisch bekannt. Vielmehr bedient sie das bürgerliche Publikum und Gewerbe, und berichtet gerne über die Anstrengungen der Behörden, dem Tourismus Tür und Tor zu öffnen: die Rekorde des Guggenheim, die Errungenschaften eines Kreuzfahranlegers, die Zukunft des für die Bevölkerung völlig unnützen Hochgeschwindigkeitszuges. Der hier dokumentierte Text ist eine Ausnahme.
Die negativen Folgen von Tourismus, insbesondere von ungezügeltem Massentourismus, dringen immer mehr ins Bewusstsein der betroffenen Bevölkerung, in Bilbao, Amsterdam, Barcelona oder San Sebastián. Die bürgerlichen Medien reflektieren die Kritik nur in unzureichendem Maße. Im Folgenden eine überraschende Ausnahme.
Die meistgelesene Tageszeitung des Baskenlandes, Teil eines großen, auch in anderen Regionen vertretenen Medienverlags, publizierte im August 2019 eine Kolumne, die Baskultur.info an dieser Stelle vollständig als Übersetzung anbietet. Besagte Kolumne erschien unter dem Titel “Antisozialer Tourismus“ (Turismo antisocial) und bewertet einige Erscheinungen des heutigen Massentourismus überaus kritisch. (1)
Die Verwandlung von historischen Altstädten in Abenteuerparks vertreibt die Bewohnerinnen und die Kleinhändler aus ihren angestammten Orten und schafft eine vergiftete Mischung. Das gigantische System von Profiten, die der Tourismus hervorbringt, umfasst nicht nur Dienstleistungen und Produkte, die an Reisende verkauft werden. Es wirkt sich auch auf Werte des öffentlichen Lebens aus, wie Sicherheit, Umwelt, historische Kulturgüter, soziale Gerechtigkeit, Landschaft, und andere Bereiche.
Langsam entsteht ein Bewusstsein darüber, dass einige Sparten des Tourismus antisoziale Konsequenzen verursachen, die der Wertschätzung dieses enormen Produktivsektors schaden. Wie in anderen Fällen (Umweltverschmutzung, Waldbrände, Kosten für Rettungsfälle) sollte die öffentliche Verwaltung sicherstellen, dass die Folgeschäden von jenen bezahlt werden, die sie verursachen.
Die touristische Monokultur der historischen Altstädte ist zu einem schwerwiegenden Problem geworden. Weil es mehr Geld bringt, Mietwohnungen an Reisende zu vermieten, erhöhen die Hausbesitzer die Mieten, bis die bisherigen Mieter sie nicht mehr bezahlen können. Diese Erscheinung wiederholt sich bei Gewerberäumen: Die Eigentümer von Ladenlokalen, die in vom Tourismus berührten Straßen liegen, suchen den maximalen Gewinn, indem sie an Gastronomiebetriebe vermieten, an Souvenirläden und andere touristische Dienstleistungen. Die Kleinunternehmer und kleinen Einzelhändler (Handwerker, Elektriker, Mechaniker, …) werden verdrängt und verlassen schließlich die Orte – die Nachbarschaft verliert all jene Dienste, die sie vorher in nächster Nähe hatte. Wenn wir dieser tragischen Verbindung zwischen Höchstmieten und Verlust an lebensnotwendigen Dienstleistungen die Belästigungen hinzufügen, die eine übertrieben große Wechselbevölkerung mit sich bringt (Lärm, unsoziales Benehmen im öffentlichen Raum, Prostitution, Diebstähle) haben wir in den sehenswerten Zonen unserer Nachbarschaften eine vergiftete Mischung vor uns.
Der Exodus von Anwohnern aus solchen Gebieten hat einen besonders antisozialen Charakter, wenn es um Rentner geht oder um einkommensschwache Familien, um Jugendliche oder Migranten. Diese Kollektive wohnten in jenen Wohnungen, weil sie bezahlbar waren und zentrumsnah. Meist handelt es sich um Personen, die ihre Wege zu Fuß zurücklegen oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln, weil sie keine eigenen Fahrzeuge haben. Die Schwierigkeiten ihrer Subsistenz wurden somit etwas ausgeglichen durch eine zentrumsnahe Residenz.
Aus soziologischer und historischer Sicht ist der Verlust von Wohn- und Gewerberaum in den touristischen Stadtteilen ein kollektiver Rückschritt für die Gesamtheit der Bevölkerung, denn die Bewohnerinnen sind es, die die Seele der historischen Altstädte ausmachen, sie sind es, die die Vorstellungswelt des Barrio verkörpern. Es sind nicht allein die Gebäude und besonderen Sehenswürdigkeiten – vor allem die Bewohner stehen dafür. Ihre Vertreibung verwandelt diese Orte in Themenparks, in denen paradoxerweise die Touristen selbst zu Marionetten des touristischen Spektakels werden, nachdem sie die Orte erobert haben.
Eine ganz andere Situation erleben die Bewohner jener kleinen Orte, die langsam entvölkert werden. Sie bräuchten ein paar Besucher, die dort ihr Geld ausgeben. Diese Reisenden sollten mehr ausgeben als die Kosten betragen, die sie für Reinigung, Verkehr, Parkplätze und Erste Hilfe verursachen. Die Nachbarn dieser Orte leben von Landherbergen, einem Restaurant oder einem kleinen Laden. Zur Sicherung der für ihre Subsistenz notwendigen Einnahmen haben sie allein drei Attraktionen: den einzigartig ruhigen Lebensrhythmus, die sehenswerte Landschaft und die lokale Gastronomie.
Ein attraktives Ambiente also für Stadtmenschen, die dringend einen Umgebungswechsel benötigen. Doch wird dieses Ambiente empfindlich gestört, wenn zweierlei Arten von Besuchern anrücken: die Tagesausflügler, die mit dem Auto kommen und für das Picknick in öffentlichen Parks das Essen selbst mitbringen; und die Leute mit Campingbussen. Jene Besucher hinterlassen erstens keine Einnahmen bei den lokalen Betrieben, die vom Wochenendgeschäft abhängen, um zu überleben. Dafür aber hinterlassen sie den von ihnen erzeugten Müll, nachdem sie vorher die Straßen zugeparkt und die Aussichtsorte besetzt hatten. Gecampt wird auch, wenn dies nicht erlaubt ist. Besonders unangenehm sind die Campingbusse, die tagelang mehrere Parkplätze besetzen mit ihrer Ausrüstung an Tischen, Stühlen und Fahrrädern. Sie schrecken gleichzeitig die potentiellen Besucher von Landhäusern und Restaurants ab, die überfüllte Parkplätze vorfinden.
Es gibt eine wachsende Liste von touristischen Zielen, deren Ambiente derart heruntergekommen ist, dass sie zu unattraktiven Orten geworden sind. Die Folge sind Schließungen von qualitativ guten Hotels und Restaurants, die ersetzt werden durch Mietwohnungen und Imbissbuden, die Brötchen und Getränke verkaufen. Jene Gewerbe, die Steuern bezahlten, werden ersetzt durch andere aus der Schattenwirtschaft, ohne Investitionen und Qualitätskontrolle.
Im spanischen Staat existiert die größte Anzahl von Ferien-Landhäusern, Restaurants und Gaststätten in Europa. Diese Tatsache steht im Gegensatz zur Mode der Campingbusse, Dieselfahrzeuge, die die Luft verschmutzen und deren Volumen eine optische Aggression darstellt für die Landschaft, in der sie geparkt sind. Deren Selbstverständnis besteht darin, das Essen aus dem Supermarkt mitzubringen, es in der eigenen Busküche zuzubereiten und sich dann zur Mahlzeit mit den Klappstühlen unter das Sonnendach des Campers zu setzen. Im Dorf wird kein Geld ausgegeben, dafür wird der Müll zurückgelassen, nachdem die potenten Musikanlagen Lärm verbreitet haben. Manche nutzen die Landschaft dann auch noch als Toilette, um die Kosten für die Entsorgung der businternen Chemietoilette zu sparen (andere entsorgen diese illegal an entlegenen Brunnen und Schächten).
Die Behörden haben die Pflicht, uns vor solchen Formen des vergifteten Tourismus zu schützen. Die Eröffnung von neuen Läden muss reguliert werden, um das Gleichgewicht zu sichern zwischen Nachbarschafts-Interessen und dem Gewerbe nahe der Sehenswürdigkeiten. Auch müssen die Kosten wieder eingespielt werden, welche die „total-gratis-Touristen“ in kleinen Dörfern verursachen, während sie jene belästigen, die bezahlen (und um ihre Existenz kämpfen). Dies kann erreicht werden über angemessene Gebühren für die Parkplätze, gleichzeitig könnten diese Gebühren gegen Vorlage von Hotel- oder Restaurant-Rechnungen zurückerstattet werden. Die Parkzonen für Campingbusse sollten eingeschränkt und limitiert, an Aussichtspunkten und zentralen Punkten verboten werden. Parken muss kostenpflichtig sein. Wir müssen sicherstellen, dass der Tourismus für die lokale Gemeinschaft keine Nachteile bedeutet.
ANMERKUNGEN:
(1) Artikel “Turismo antisocial“ (Antisozialer Tourismus) aus der Tageszeitung El Correo vom 12.8.2019 von Ignacio Suárez-Zuloaga (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Tourismus Bilbao (FAT)
(2) Tourismus Bilbao (FAT)
(3) Tourismus Bilbao (FAT)
(4) Tourismus Bilbao (FAT)
(5) Tourismus Bilbao (FAT)
(PUBLIKATION baskultur.info 2019-08-25)