„Die glücklichste Stadt der Welt“
Reiseführer sind dazu da, Reiseziele zu bewerben oder zu verkaufen. Den potentiellen Reisenden sollen praktische Hinweise für unterwegs an die Hand gegeben werden, von Geschichte über Kultur bis zu Hotel-Tipps. Reisebücher funktionieren subtiler. Der Praxis-Anteil darf in den Hintergrund treten, Subjektivität ist Trumpf, persönliches Erleben, individuelle Vorlieben. Das von Baskultur.info rezensierte Buch „Donostia – San Sebastián, die glücklichste Stadt der Welt“ fällt in die Kategorie Reisebuch.
Susanne Jaspers und Georges Hausemer haben 2015 ein Reisebuch mit dem Titel „Donostia – San Sebastián, die glücklichste Stadt der Welt“ publiziert. Es beschreibt Charakter, Geschichte, Orte und Vorzüge der Hauptstadt der Provinz Gipuzkoa: der baskischen Tourismus-Metropole.
Für das lesende Publikum ist es bei Reisebüchern manchmal nicht leicht, Fakten von subjektiven Darstellungen zu unterscheiden. Insbesondere dann, wenn es sich beim Buch um die Darstellung eines Lieblingsortes handelt – wie bei dieser Publikation. Es gilt zu überprüfen, wie sich Fakten und Emotionen die Waage halten. Der Superlativ „glücklichste Stadt der Welt“ legt die Messlatte schon einmal recht hoch. (1)
TOURISMUS
„Als Ochsen die Königin ins Meer zogen“ – mit dieser Kapitelüberschrift startet das Reisebuch in sein baskisches Vergnügen an der Muschelbucht (S.14). Nun, die Königin wurde Mitte des 19. Jahrhunderts nicht ins Meer gezogen – schön wäre es gewesen – sondern in einer Ochsen-Karren-Kabine schlicht am Strand entlang und nach Möglichkeit vor allen neugierigen Blicken verborgen. Der Buch-Untertitel „Badevergnügen, Glücksspiel und Prominenz“ könnte durchaus auch den Titel selbst abgeben, denn die drei Attribute, verbunden mit Tourismus verschiedenster Art, charakterisierten die Stadt in ihren vergangenen 200 Jahren.
Seither verkauft sich Donostia – San Sebastián an Auswärtige, Könige, Faschisten. Angefangen bei der spanischen Königin Isabel II., deren Präsenz glücklicherweise dazu beitrug, dass der schöne Strand keinem Industriehafen weichen musste. Geschichten aus der High Society, geschlechter- und klassentrennende Badekultur, die wir uns heute kaum mehr vorstellen können. Denn die Blaublüter ließen sich auf Ochsenkarren vor die Fluten ziehen. Der Unterhaltungssucht jener Gesellschaft war auch der Bau von Casinos zu verdanken, um die „Langeweile im Paradies“ zu übertönen.
Später war es Königin Maria Cristina, die an gleich mehreren Orten der Stadt ihre Duftspuren hinterließ. Donostia erhielt Tennis- und Golfclubs, Bälle, Konzerte, und Feuerwerke, sogar eine Pferderennbahn und eine Autorennstrecke. Zu gleicher Zeit konstituierte sich im benachbarten Bilbao gerade die Arbeiterbewegung und versuchte, den elenden Bedingungen des Frühkapitalismus zu entkommen. Das nur zur historischen Einordnung. Zumindest ein Teil aus den Casino-Einnahmen wurde karitativen Zwecken zugeführt. Donostia wie es leibt und lebt.
Historisch interessant ist der Bezug der Stadt zum Ersten Weltkrieg, der als Ende der „Belle Epoque“ bezeichnet wird. Diese „erlebte ab da in San Sebastián erst ihren Höhepunkt. Aufgrund der Neutralität Spaniens strömte der europäische Adel auf der Flucht vor dem Krieg massenhaft in die Stadt und ließ sie innerhalb kürzester Zeit zur kosmopolitischen Metropole avancieren“. Da kamen Maurice Ravel, Mata Hari, Leon Trotzki, bis eine spanische Diktatur das Glücksspiel verbot. Franco war es noch nicht, der sollte erst noch kommen – auch zu Besuch nach Donostia.
Strandkultur und Filmfest
Was wir unter einer „sanft geschwungenen Muschelform“ der Donostia-Bucht zu verstehen haben, wird uns noch beschäftigen. Ein Stadtteil „schmiegt sich an den Zuriola-Strand“, auch das bedarf einiger Imagination. In der Tat besitzt die Stadt eine bemerkenswerte Reihe von Stränden von mehreren Kilometern Länge, um die es hier geht.
Jährlich wiederkehrendes Weltereignis in Donostia ist das Internationale Filmfestival mit dem Namen Zinemaldia (S.50). Es gilt aktuell als eines der fünf bedeutendsten Festivals seiner Art in Europa. Dass es bereits in den 1960er Jahren des Franquismus gegründet wurde, ist dem Versuch der Diktatoren geschuldet, sich einen kulturellen und weltoffenen Anstrich zu geben. Denn die politische Zensur der Zeit hielt alles Kreativ-Kritische eisern in Schach. Doch davon ist in „der glücklichsten Stadt der Welt“ nicht die Rede. Vielmehr von der Wahrscheinlichkeit, während des Festivals auf der Straße, in der Kneipe oder Disko, nüchtern oder betrunken einem jener Hollywood-Sternchen zu begegnen, die das Filmfest mit sich bringt. Zinemaldia ist das wichtigste Exportgut der Stadt. Entscheidend ist der „Glamour-Faktor“, der zwar Geld kostet, aber die mediale Verschickung des Namens in alle Welt sichert. Nebenbei werden Restaurants und Hotels gefüllt, der kulturelle Anteil wird zur Nebensache. Erst in den letzten Jahren wird mehr Wert auf baskische Beteiligung gelegt.
GASTRONOMIE
Pintxos sind kleine baskische Appetithäppchen, an denen sich nur Tourist*innen sattessen (S.24). Sie gelten als Pendant der spanischen Tapas, ein ziemlich schiefliegender Vergleich. Um die Pintxo-Kultur Donostias geht es an dieser Stelle, um Legenden und Anekdoten ihrer Entstehung. Und um ihren Beitrag zur „neuen baskischen Küche“. Das Kapitel endet mit ersten Geheimtipps, deren Auswahlkriterien im Dunkeln bleiben. In sechs weiteren Aufsätzen kommt das Thema Gastronomie zur Sprache, was die Bedeutung dieses Sektors –im Buch wie in der Stadt – deutlich macht. Wo hier die Michelin-Sterne doch nur so vom Himmel schweben wie beim Sterntaler-Märchen. Im Gegensatz zu den meisten Pintxos kommt das Gilda genannte Spießchen meist ohne Brot aus. Darum geht es – neben exklusiver Tortilla – in diesem Absatz (S.58). Anekdoten um die Vergangenheit und Gegenwart der kleinen Köstlichkeit führen erneut in zwei gar nicht so geheime Lokale. Was nicht heißen darf, dass Tortilla und Gilda woanders weniger schmackhaft wären.
Männer am Herd
„Kerle am Herd“ (S.67) behandelt ein Herzstück der baskischen Gastronomie-Kultur: die Txokos oder „gastronomischen Gesellschaften“, letzteres die Bezeichnung in Donostia. Gastronomie ist in diesem Fall ausnahmsweise nicht auf Tourismus ausgerichtet, sondern beschäftigt sich mit lokalen Bedürfnissen. Jaspers/Hausemer geben einen Überblick über jene Kochkultur, die überraschenderweise von Männern dominiert wird, die zu Hause bekanntlich keinen Topf anrühren. Spannend wird es bei der Frage nach der Entstehung dieser Kochclubs zu denen früher, und teilweise bis heute, nur Männer Zugang hatten. Dabei werden wir konfrontiert mit einer matriarchal anmutenden Theorie, „weil die Frauen in den baskischen Haushalten seit jeher das Sagen hatten und die Ehegatten weder bei der Erziehung der Kinder noch in der Küche mitreden durften“.
Diese Erklärung mag auf Küstenorte zutreffen, nicht aber auf ländliche Gebiete. Weil die als Seeleute arbeitenden Männer oft bis zu einem halben Jahr unterwegs waren, nahmen natürlich die Frauen das Heft in die Hand und sorgten hauptverantwortlich für die familiären Belange. Nicht so in Stadt und Land, hier herrschte tiefstes Patriarchat. Männer hatten ein öffentliches Leben, Frauen nicht. Überliefert sind Geschichten von Männern, die bei abenteuerlichen Wetten Haus und Hof aufs Spiel setzten oder verloren. Von wegen Matriarchat.
Dennoch trieb uns die Neugier dazu, einen Kenner der Materie nach dem Ursprung der Txokos zu fragen. Mikel ist in Bilbao selbst Txoko-Teilhaber, wie übrigens auch seine Frau. „Die Entstehung der Sociedades hatte viel mit den politischen Verhältnissen zu tun. Bereits vor Franco gab es eine Diktatur, die Politik und Kultur in der Öffentlichkeit auf ein Minimum beschränkte. So kam der Gedanke auf, gastronomische Gesellschaften zu gründen, um angeblich Karten zu spielen und zu kochen. Bei vielen dieser Txoko-Gründer handelte es sich um baskische Nationalisten, die sich auf diesem Weg einen Freiraum schufen, in dem sie unbeobachtet diskutieren konnten, baskisch-kulturellen Aktivitäten nachgehen und zum Beispiel die baskische Sprache pflegen konnten. Nicht von ungefähr fanden die ersten illegalen Ikastola-Schulen in den 1950er Jahren ebenfalls in den Sociedades Unterschlupf. Natürlich wussten die Franquisten, was da läuft, sie hatten ihre Informanten. Aber die Aktivitäten in den Txokos waren nicht gefährlich genug, um sie zu unterbinden. Was hinter verschlossenen Türen ablief, passierte aus Sicht der Franquisten zumindest nicht auf der Straße. Txokos und einige Figuren aus der baskischen Kirche waren sehr wichtig für die Entwicklung des Euskara und die Bewahrung der baskischen Kultur, der Priester Joxe Miguel Barandiaran ist ein gutes Beispiel dafür. Txokos waren Männervereine, Lokale waren einfach zu kriegen, die Frauen blieben zu Hause“. (2) (3)
Von Fisch ist die Rede
Die im Abschnitt „Goldene Muscheln, Gebackene Garnelen“ beschriebenen Lokale (S.78) sind zweifellos von Qualität, erneut stellt sich jedoch die Frage, weshalb gerade sie derart breiten Raum erhalten. Eine Erklärung der Auswahlkriterien wäre hilfreich. Es drängt sich die Frage auf: Was bringt die Kenntnis der Details einer Kneipe an Vorteilen für meinen Reiseaufenthalt? Du kannst sagen, ich war im selben Lokal wie Hemingway … das wars. Kneipiers, die eh schon ein gutes Geschäft machen, machen eines mehr. Die Konzentration ist sichergestellt. Dazu passt der erneute Geheimtipp um sportbegeisterte Garnelen-Köche, die samstags jeweils 20 Kilo dieser Meeresfrucht mit 600 Eiern in 100 Tortillas auf den Markt werfen (S.158). Der ebenfalls Werbe-Abschnitt „Bonito mit Schaumkrone“ (S.126) gibt einen flüchtigen Einblick in die baskische Fischkultur mit ihren interessantesten Delikatessen. Dazu ein Bier aus Meerwasser – wer Geld hat hierher!
Culinary Center
Dass ausgerechnet im Gastronomie-begeisterten Baskenland im Jahr 2011 die erste kulinarische Hochschule der Welt eingerichtet wurde ist kein Zufall (S.138). Pate standen die multinationale Kooperative Mondragon (MCC) sowie preisgekrönte Schürzenträger wie Arzac, Berasategi oder Subijana. Seither studieren Kandidat*innen aus aller Welt in der „Ausbildungs- und Forschungsstätte mit akademischem Anspruch“ vier Jahre lang auf einen Abschluss hin, der eine Arbeitsplatz-Garantie beinhaltet: als Avantgarde-Köchin, Ernährungswissenschaftler, Restaurantbesitzerin oder Uniprof. Studiert wird nämlich nicht nur Gastronomie-Praxis, Pflichtfächer sind auch Informatik, Ökonomie, Chemie, Kommunikation und Marketing. Es handelt sich um ein Elitestudium, das sich bei 8.700 Euro Jahresgebühr nur die wenigsten leisten können. Und um eine Garantie, dass die Michelin-Sterntaler auch weiterhin auf Donostia purzeln.
INTERVIEWS
Susanne Jaspers und Georges Hausemer haben zweifellos ein Faible für Interviews. Fünf davon sind eine Menge in einem Informationsbuch, sie bedeuten viel Subjektivität, zu der sich geschäftliches Interesse gesellt. Interessant im ersten Interview (S.40) sind die negativen Aspekte des Alltags in Donostia, die hier benannt werden. Die hohen Lebenshaltungskosten in einer der teuersten Städte des spanischen Staates, das in Arm und Reich aufgeteilte Schulsystem, das Benehmen auf öffentlichen Plätzen, der Umgang mit öffentlichem Eigentum und die oftmals unfreundliche Behandlung in Gaststätten und Läden. „Zudem ist Donostia eine Stadt, wo der äußere Schein eine zu große Rolle spielt“. Mehr Einschränkungen der „schönsten Stadt der Welt“ erfahren wir im Buch leider nicht. Schade. Da es Paradiese nicht wirklich gibt, lässt sich der Eindruck nicht vermeiden, dass Dinge entweder beschönigt oder unterschlagen werden.
Das Interview mit einer Deutsch-Baskin (S.62) darf getrost als Gefälligkeit für eine Berufskollegin verstanden werden, informativen Charakter hat es kaum. Ein bereits lange in Donostia lebender Nordfriese nimmt da schon mehr Gestalt an (S.96). Er vertritt die These, dass die Concha-Insel Santa Klara eigentlich Baskooge heißen müsste und die südlichste aller Frieseninseln darstellte. „Zur Hansezeit bestanden enge Beziehungen zwischen baskischen und friesischen Händlern, von denen viele in San Sebastián ihren Sitz hatten“. Dieser Verbindung wird jährlich mit einer kleinen Veranstaltung gedacht (S.103).
„Jahrzehntelang war der Alltag der Basken nach außen gerichtet. Man hielt sich so selten wie möglich in den eigenen vier Wänden auf. Das private wie gesellschaftliche Leben fanden im Freien statt. In den Bars, Kneipen und Restaurants, am Strand und auf den Uferpromenaden. Doch allmählich beginnt sich ein Interesse an einer gewissen Wohnlichkeit im eigenen Haus zu entwickeln“. Das Gesagte gilt nicht nur für Donostia, sondern insgesamt für die baskische Gesellschaft (S.116). Tatsächlich ging in den vergangenen Jahren ein Teil des öffentlichen Lebens verloren. Die das sagt, muss es wissen, denn sie handelt bezeichnenderweise mit Wohnungs-Inneneinrichtung. Was ein Interview mit einem Bikini-Fabrikanten (S.146) in einem Reisebuch zu suchen hat, lässt sich nur mit einem Freundschaftsdienst erklären. Auch das fünfte Interview trägt somit nicht viel zur inhaltlichen Qualität des Buches bei.
EUSKARA
Dass die baskische Sprache – Euskara – in der vorliegenden Veröffentlichung Erwähnung findet ist ein positiver Verdienst (S.83). Nicht nur, dass die älteste existierende europäische Sprache in der Geschichte immer wieder verboten war. Oft wird sie – von spanischen Nationalisten und europäischen Tourist*innen – als lästig empfunden, weil sie deutlich älter ist als die sogenannten Weltkultursprachen, und weil sie nur schwer verstehbar oder zugänglich ist mittels der Kenntnis der allgemein verbreiteten germanischen oder romanischen Idiome. Das wird auf fünf Seiten umrissen. Ob das Erlernen des Baskischen schwierig ist? Die Antwort sollte ein klares Nein sein. Doch weil sich die Sprache in einem stark politisierten Kontext bewegt, ist beim Studium mehr denn je Motivation gefragt. Denn an linguistischer Logik ist das Euskara dankenswerterweise kaum zu übertreffen.
ÖRTLICHKEITEN
Das Kapitel über den Igeldo-Berg (span: Igueldo) und seine Einrichtungen (S.45) leitet eine Reihe von Ortsbeschreibungen Donostias ein. Zu dem im Westen über der Stadt liegenden Berg und Stadtteil führt auf Schienen eine Funicular-Seilbahn. Früher gab es dort oben ein Casino, bis heute einen Attraktionspark, der an Langweiligkeit nicht zu überbieten ist. Unübertrefflich ist hingegen der Blick auf Stadt und Meer. Ob dies als „Dornröschenschlaf“, einer „verwaisten Geisterstadt“ mit „sagenhaften Leuchtturmwärtern“ gelten darf, mag die geneigte Leserin beim Besuch selbst beurteilen. Die in der Bucht liegende Muschelinsel Santa Klara war einmal Gefängnis und Verbannungsort für Pestkranke, auch hatte sie einen Friedhof, seit 1864 nur noch einen Leuchtturm, der den Seeleuten heimleuchtet.
Der Christus der Franquisten
Die Christus-Figur auf dem über der Altstadt liegenden Urgull-Berg wird mit jener in Rio verglichen (S.105). Das Baujahr 1950 hätte die Aufmerksamkeit der Autor*innen erregen können, denn in jener Zeit ließen die Franquisten überall Kreuze, Heilige und faschistische Denkmäler errichten. So wundert es nicht, dass der Christus-Architekt mit gewisser Regelmäßigkeit für die Franquisten arbeitete und Reiterstatuen für Franco und seine Generäle entwarf. Ein simpler Blick ins Internet verrät diese Querverbindung. Leider erfahren wir dieses interessante Detail nicht aus dem Reisebuch.
Dass Donostia einst Jahrhunderte lang Teil des Königreichs Navarra war lernen wir aus einer Bemerkung über den Bau von Verteidigungsanlagen auf dem Berg im 12. Jahrhundert, um die Stadt gegen die relativ häufigen Angriffe zu schützen. Die Stadt war einfach zu exponiert und wurde mehrfach überfallen, geplündert und niedergebrannt. Am Urgull-Bergrücken liegt der vernachlässigte englische Friedhof, 1924 eröffnet, aber ohne jede Zukunft.
Hafengeschichte und Wasserhunde
Die Hafengeschichte macht gleichzeitig einen großen Teil der Stadtgeschichte Donostias aus (S.109), zumindest bis der Tourismus die Fischerei in den Schatten stellte. Hier geht es um Stadtrecht, Walfang, Neufundland, Kaperfahrten, das Meeresmuseum, den Beitrag des Katholizismus zum Verzehr von Kabeljau und ein stattliches Aquarium. Perfekter Überblick auf sieben Seiten. Dazu passt die Anekdote vom Wasserhund, einer heute weitgehend vergessenen Fischereipraxis (S.120).
KULTUR
Bei den sportlichen „Kraftprotzen“ (S.72) geht es nicht allein um die bekannten Leistungs-Sportler*innen, sondern auch um alternative Sportvarianten, die im Baskenland mit Hingabe gepflegt werden. Herri Kirolak zum Beispiel, Volkssport. Verstanden werden darunter alte Berufe und Tätigkeiten, die in der modern-postindustriellen Zeit nahezu verschwunden sind. Nicht so im Baskenland: Steintragen, Wiesenmähen, Stämmehacken werden bei Festen und in Wettbewerben praktiziert. Bei Idi-Frogak ziehen zwei Ochsen ein Gespann mit tonnenschweren Steinblöcken – und Tierschützer*innen laufen Sturm. Von den Walfängern des 19. Jahrhunderts sind die Trainera-Ruderrennen übrig, der ewige Hit der Sommersaison. Ein lesenswerter Überblick, der auch Pelota nicht vergisst, die wohl bekannteste urbaskische Sportart.
Stierkampf
Auf sechs Buchseiten wird das polemische Thema Stierkampf behandelt (S.88) und die These erläutert, dass die Schlächterei keine andalusische sondern eine baskische Erfindung war. Nicht nur blutig ist sie, sondern auch machistisch und elitär, weil sich bis heute insbesondere die Oberklassen zum Spektakel einfinden. Nicht mehr in Donostia, wo die Arena vor sich hinsiecht. Allerdings nicht – wie im Buch geschildert – nach einer Abschaffung. Auch war es nicht die rechtsnationalistische Partei PNV, sondern die linksliberale Koalition EH Bildu, die schlicht die Subventionen verweigerte. Denn wirtschaftlich ist der Stierkampf schon lange nicht mehr, wo er noch existiert hängt er am öffentlichen Tropf. Orte, die das Treiben zu verbieten versuchten, sahen sich der Gegnerschaft der spanischen Rechten gegenüber, die den Stierkampf zum schützenswerten Kulturerbe erklärte und damit unverbietbar machte. Gesetzlich geschütztes Patriarchat sozusagen.
Feste und Feiern
Von mehr oder weniger typisch donostiarrischen Festen ist bei „Fiesta Total“ die Rede, insbesondere vom Tamborrada genannten 24-Stunden-Marathon, der im übrigen Baskenland teilweise belächelt wird (S.128). Dabei geht es um eine militaristische Trommelorgie von Mitternacht bis Mitternacht, an der Tausende von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen teilnehmen. Und das auch noch mitten im nasskalten Januar – nicht nur ein Mal musste das Spektakel wegen Unwetter abgesagt werden. Daneben gibt es im Dezember noch den Bauernmarkt Santo Tomas, an dem die Massen vor allem Sidra trinken und traditionell einen Talo mit Txistorra essen – das ist eine fette Wurst im Teigfladen aus Maismehl. Im August die Große Fiestawoche Aste Nagusia, der im Gegensatz zu den populären Sommerfesten der anderen großen Städte Steifheit und Snobismus nachgesagt wird.
Künstler Chillida
Kunstbewanderten Deutschen dürfte bekannt sein, dass die Großskulptur vor dem Bundeskanzleramt in Berlin von Eduardo Chillida stammt (S.150). In Donostia wurde der Windkamm (Peine del Viento), des Künstlers Geschenk an seine Heimatstadt, zu einem der lokalen Wahrzeichen. Unter dem Igeldo-Berg am Ende des Ondarreta-Strands trotzt die Metallkonstruktion über den Wellen seit 1977 Wind, Wetter und Salz. Es ist nicht das einzige Werk Chillidas in der Stadt, erst spät kam eine Skulptur seines bildhauerischen Konkurrenten Jorge Oteiza hinzu.
Txirimiri
Der Txirimiri genannte Nieselregen, von dem gegen Buchende zu lesen ist, wird meist mit Bilbao in Zusammenhang gebracht (S.160). Doch letztendlich ist es ein Phänomen, das viele Küstenstädte kennen dürften. Auch Bremerinnen und Hamburger können ein Lied davon singen, sie haben nur keinen so wohlklingenden Namen dafür. Die baskische Version dieses Niederschlags weist gleich verschiedene Begriffe auf, neben Txirimiri auch Sirimiri oder Zirimiri, was kastilisiert zu Chirimiri führt. Freie Auswahl. Dann endet auch dieses Kapitel mit dem (scheinbar unvermeidlichen) Geschäftsverweis, in diesem Fall ein dem Regen nachempfundenes Parfüm.
Stadtchronik, Wissenswertes
Dankbar nehmen wir die dreiseitige Stadtchronik zur Kenntnis (S.164), kurz und bündig ab dem Jahr 1014. Das folgende Wissenswerte (S.168) bezieht sich nicht auf das geliebte Donostia, sondern hat das Baskenland insgesamt zum Thema – und zwar nicht nur die zur Autonomen Gemeinschaft gehörenden drei Provinzen Araba, Bizkaia und Gipuzkoa, sondern auch Navarra und das in Frankreich liegende Iparralde. Beschrieben werden in alphabetischer Ordnung Geschichte, Orte, kulturelle Besonderheiten und politische Details. Abgerundet wird das Reisebuch – unvermeidlicherweise – mit einer ausgewählten Liste zum Essen, Trinken, Schoppen und Schlafen (S.178). So wird aus dem glücklichen Reisebuch am Ende noch ein wenig Reiseführer, mit Praxistipps, deren Auswahlkriterien wir nur erahnen können.
FAZIT
Reiseliteratur macht häufig den Eindruck, als wären kritische Beschreibungen ein Schandfleck für den jeweiligen Ort. Ein großer Fehler. Reiseliteratur muss davon wegkommen, Paradiese zu verkaufen, die keine sind. Reisende haben das Recht, vernünftige anstatt dauergeschönte Information zu erhalten. Leider besteht, mit einer Ausnahme, auch im rezensierten Buch diese Tendenz. Negativmomente in der Beschreibung sollten als Anhaltspunkt für eine komplette Berichterstattung verstanden werden, abseits von Superlativen. Tourismus ist – Ausnahmen bestätigen die Regel – oberflächlich und erfasst die lokale Realität praktisch nicht. Die Reisenden werden in gewünschte Bahnen gelenkt und kaufen, was ihnen vorgelegt wird. Die Wirklichkeit bleibt im Dunkeln. Das vorliegende Reisebuch bedient solche Neigungen. Rucksack-Touristen werden sich wenig wiederfinden.
Etwas mehr als eine Formalität sind die baskischen Landes-Bezeichnungen: Was ist denn nun eigentlich mit Baskenland gemeint? Im Buch ist einmal von Euskadi die Rede, ohne nähere Erklärung. In der Klappe der Buchrückseite offenbart sich das Definitions-Dilemma, indem die drei West-Provinzen Euskal Herria genannt werden (richtig ist: Autonome Gemeinschaft Baskenland, oder auch: Euskadi). Euskal Herria ist jedoch der historische Begriff für alle sieben baskischen Provinzen diesseits und jenseits der Grenzen und hat mit dem abgedruckten Dreierplan (Araba, Bizkaia, Gipuzkoa) nur beschränkt zu tun. Ein typischer Faux-pas im Dschungel der komplizierten politischen Definitionen.
Wer oberflächliche Schönheit sucht ist in Donostia gut aufgehoben. Wer Charakter sucht eher in Bilbo, auf der Suche nach den Relikten der Arbeiterkultur. Oder warum nicht Gasteiz-Vitoria, mit einer nicht so überlaufenen Altstadt, einem einmaligen Kathedralen-Umbau, vielen Ausstellungen und Parks ohne Ende. – Interviews sind in Zeitschriften oder auf Reiseseiten als Artikel besser aufgehoben. Da sprechen sie für sich, der Unterschied zwischen Subjektivität und praktischer Information wird klarer. – Die Nennung von Kneipen, Hotels oder Läden ist fragwürdig, wenn die Kriterien für die Auswahl nicht offen gelegt werden. Jeder Betrieb leckt sich die Finger nach einer kostenlosen individuellen Nennung in einem tausendfach verbreiteten Medium. Und was ist mit dem Rest?
Die in der Reisebranche Arbeitenden stehen immer wieder vor der Frage, welche Art von Tourismus wir mit unseren Reisebeschreibungen fördern. Mittlerweile ist überall von Massentourismus und seinen fatalen Folgen die Rede. Die politisch Verantwortlichen setzen voll auf diese Karte, Anwohnerinnen und Mietsuchende wehren sich zunehmend. Auch in Donostia. Die Altstadt ist bereits an die Grenzen des Erträglichen gekommen: Preise, Airbnb, Verdrängung. Davon finden wir in der „glücklichsten Stadt“ kein Wort. Tatsächlich handelt es sich für die Betroffenen um keinen Glücksfall. Diese Tendenzen hätten eine Erwähnung verdient gehabt.
Susanne Jaspers und Georges Hausemer haben ihre Begeisterung für San Sebastián und die vorgefundenen Kolleg*innen von ganzem Herzen zum Ausdruck gebracht und ein interessant-humorvolles Buch mit einer Menge Subjektivität vorgelegt. Es sei allen Donostia-Reisenden ans Herz gelegt – nicht alle gehen an die Lektüre mit derart kritischen Maßstäben wie der Schreiber dieser Zeilen. In drei Stunden ist das Reisebuch gelesen, praktisch auf dem Flug von wo auch immer in Deutschland nach Bilbo plus Bustransfer nach Donostia.
Hinweise zu den Autor*innen
Susanne Jaspers wurde 1970 in Aachen geboren und studierte in Trier Literaturwissenschaften. Neben literarischen Texten in Zeitschriften und Anthologien, sowie Reisereportagen hat sie mehrere Bücher veröffentlicht, Romane und Erzählungen. Seit 2012 leitet sie gemeinsam mit Georges Hausemer den Verlag capybarabooks. 2017 erschien das ebenfalls gemeinsam mit Hausemer verfasste Reisebuch „Luxemburg. Das einzigartigste Großherzogtum der Welt“.
Georges Hausemer (1957-2018) war ein luxemburgischer Schriftsteller und Übersetzer. Ein weiteres Buch zum Baskenland aus seiner Feder trägt den Titel „Die kochenden Kerle von der Muschelbucht“ (2010). Georges Hausemer galt als einer der bedeutendsten Luxemburger Autoren. Hausemer hat seit 1982 Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten und Gedichte veröffentlicht. 1986 war er Gründungsmitglied des Lëtzebuerger Schrëftstellerverbands (LSV). 2012 gründete er zusammen mit Susanne Jaspers den Verlag capybarabooks. Seine Reisereportagen machten Hausemer über die Grenzen des Großherzogtums hinaus bekannt. Seit 2016 berichtete er in seinem Blog “Ich und mein Tumor” über seine Krebserkrankung. (4)
ANMERKUNGEN:
(1) Buch „Donostia San Sebastián – Die glücklichste Stadt der Welt“, 2015 Verlag Capybara, George Hausemer, Susanne Jaspers
(2) Baskultur-Interview mit Mikel zu Txokos und Sociedades Gastronomicas (Auszug, bisher unveröffentlicht)
(3) Ikastola: Das Sprechen der baskischen Sprache Euskara war während des Franquismus verboten. Deshalb wurden in den 1950er Jahren sogenannte Ikastolas gegründet, auf Baskisch „Orte des Lernens“, sie fanden in Privatwohnungen statt oder in Txokos und waren als spanische Privatschulen getarnt. Aus den Ikastolas gingen nach der Diktatur private Baskischschulen hervor, die heute einen bedeutenden Teil des baskischen Schulsystems ausmachen.
(4) „Der Luxemburger Schriftsteller Georges Hausemer ist tot“, Lëtzebuerger Tageblatt 14.8.2018 (Link)
ABBILDUNGEN:
(1) Buchtitel Jaspers Hausemer
(2) DSS Insel (FAT)
(3) DSS Pintxos (FAT)
(4) DSS Christus (FAT)
(5) DSS Chillida (FAT)
(6) DSS Britischer Friedhof (FAT)
(7) San Telmo Museum (FAT)
(8) Georges Hausemer (Tageblatt)