1936/37: Faschisten siegen in Euskadi
Die Geschichte des Spanienkrieges von 1936 bis 1939 mit den Interventionen ausländischer Mächte ist bekannt. Im Baskenland dauerte dieser Krieg bis zum Fall Bilbaos nur 11 Monate. In dieser Zeit hatte die spanische Republik dem Baskenland die erste Autonomie seiner Geschichte zugestanden. Wie baskische Sozialisten, Anarchisten, Christdemokraten und Kommunisten vergeblich versuchten, der militärischen Übermacht der Franquisten und ihrer Verbündeten zu trotzen, beschreibt ein Buch von Ingo Niebel.
Mit seiner Publikation “Das Baskenland im Spanischen Bürgerkrieg 1936/37“ hat der deutsche Historiker, Schriftsteller und Baskenland-Kenner Ingo Niebel einen weiteren Beitrag geleistet zum besseren Verständnis des Baskenlandes und seiner Geschichte.
Das baskische Volk lebt bekanntlich zwischen den Staaten Frankreich und Spanien, nördlich und südlich der Pyrenäen. Heimisch geworden sind die Bask*innen in den beiden Staaten nie, denn ihre Sprache und Kultur wurden von den beiden Hegemonialmächten nie respektiert, sondern weitgehend unterdrückt. Einst hatte es einen eigenen baskischen Staat gegeben, besser gesagt ein Königreich, in dem alle sieben baskischen Provinzen vereinigt waren. Dieses Königreich Navarra genannte Staatswesen dauerte von 890 bis 1512, Schritt für Schritt wurde es militärisch erobert: der Süden in zwei Etappen vom Königreich Kastilien (dem späteren spanischen Staat), der Norden 200 Jahre später per Eingliederung ins Frankenreich.
Seit den 1920er Jahren kämpften die Basken im Süden für eine regionale Autonomie, die für die baskischen Provinzen Navarra, Gipuzkoa, Araba und Bizkaia gelten sollte. Erreicht wurde dieses Ziel unter den denkbar schwierigsten Umständen im Oktober 1936. Drei Monate vorher hatten faschistische Militärs gegen die neugewählte spanische Republik geputscht, mit den Generälen Mola und Franco an der Spitze. Als am 7. Oktober 1936 der erste Ministerpräsident der baskischen Geschichte vereidigt wurde, war von den vier Provinzen nur noch Bizkaia übrig. Navarra hatte sich vorzeitig vom Autonomie-Wunsch verabschiedet und war nach dem Militärputsch sofort auf die Seite der Faschisten eingeschwenkt. Dasselbe ereignete sich in Araba (span: Alava). In Gipuzkoa hatte es zwei Monate lang Widerstand gegeben, danach mussten alle politisch Aktiven überstürzt die Gegend verlassen, wenn sie ihr Leben retten wollten, denn die faschistischen Sieger agierten mit Mord und Vernichtung.
Die Geschichte der Bask*innen im Spanischen Bürgerkrieg, oder besser im Spanienkrieg, erzählt und analysiert der Historiker Ingo Niebel in seiner Doktorarbeit unter dem Titel “Gebildet … freier baskischer Staat – Das Baskenland im Spanischen Bürgerkrieg“, erschienen 2014 im Pahl-Rugenstein-Verlag. Es ist die Geschichte der rechts-nationalistischen baskischen Partei PNV, die sich für die Verteidigung der sozialdemokratischen spanischen Republik entscheidet, obwohl sie ideologische Gemeinsamkeiten mit den aufständischen Kräften hat (1). Beschrieben werden die Zweifel der PNV-Partei, auf welche Seite sie sich stellen soll, und die Anstrengungen der Zentralregierung, die Basken im Norden auf ihrer Seite zu halten. “Der PNV-Vorstand, dem der Baskenführer Aguirre nicht angehörte, zögerte fast zwei Monate, bis er beschloss, seine Milizen aktiv in das Kriegsgeschehen eingreifen zu lassen. Die Umstände, die den Politikwechsel der PNV-Führung verursachten, sind bestenfalls Fachkreisen in Spanien und im Baskenland bekannt“ (1). Diesen Hintergründen geht Ingo Niebel auf die Spur.
“In der Partei gab es drei Optionen: eine Strömung stellte sich kompromiss- und bedingungslos auf Seiten der Republik, die zweite tendierte zum Abwarten und zur Neutralität und die dritte suchte nach einer Einigung mit den Putschisten, denen sie ideologisch und gesellschaftlich näher stand als den Linken. Das machte die PNV bis Ende September 1936 unberechenbar, weil sie versuchte, sich jede Option offen zu halten“. (1)
Voran geht der Analyse der baskischen Rolle im Spanienkrieg die Schilderung der baskischen Geschichte, seiner Aufteilung in zwei Staaten, seiner Verwaltungsformen, der damals existierenden Parteienlandschaft, sowie seiner Rolle in der zweiten Republik zwischen 1931 und 1936. Es folgen die Kriegsereignisse und die Auswirkungen der militärischen Einmischung der Nationalsozialisten auf Seiten der Aufständischen, die im Baskenland für mehr als 1.200 Bombardierungen verantwortlich waren. Der erste Luftangriff der franquistischen Flotte ereignete sich nur 4 Tage nach dem Putsch (in Otxandio) und war der Auftakt zu einem langen und tödlichen Krieg aus der Luft. Der Krieg im Baskenland dauerte nur 11 Monate, bevor die von Bataillonen aus Asturien unterstützten baskischen Milizen mit der Hauptstadt Bilbao die letzte Bastion räumen mussten.
In Deutschland bekannt ist die baskische Stadt Gernika, auf die das nazistische Luftwaffen-Geschwader “Legion Condor“ am 26. April 1937 einen verheerenden Luftangriff startete, bei dem Tausende Menschen umkamen. Die Nazis nutzten den Spanienkrieg als Testlauf für den bereits in Planung befindlichen großen Krieg. Hier hatten sie die Gelegenheit, ihre Waffen und Bomber zu proben und die Todesmaschinerie zu verbessern. Dem Gemetzel aus der Luft widmete Pablo Picasso eines seiner bekanntesten Gemälde.
“Constituido siete octubre gobierno estado vasco libre“ – Gebildet siebter Oktober Regierung freien baskischen Staates. Mit diesen Worten begann ein Telegramm, in dem das Präsidialamt der neuen baskischen Regierung die österreichische Gesandtschaft in Paris im Herbst 1936 darauf hinwies, dass nicht mehr der spanische Zivilgouverneur die baskischen Provinzen in Nordspanien kontrollierte, sondern ein neuer Akteur die politische Bühne betreten hatte (1). Zynischerweise lag auch die Zentrale der militärischen Verschwörung gegen die demokratische spanische Republik im Baskenland, nämlich in Pamplona, wo General Emilio Mola sein Hauptquartier hatte.
Der Historiker Ingo Niebel stellt in dieser ersten deutschsprachigen Monographie die Geschichte des Baskenlandes während des Spanischen Bürgerkriegs in allen ihren Facetten dar. Dazu hat er nicht nur spanische und baskische Literatur ausgewertet, er stützt seine Darstellung auch auf umfangreiche Recherchen in spanischen und baskischen, sowie erstmalig auch in deutschen Archiven. Niebel ist zuvor mit der unter Historikern hoch gelobten Untersuchung ‘Das Baskenland. Geschichte und Gegenwart eines politischen Konflikts‘ (Wien 2009) hervorgetreten. Bei dem hier vorgestellten Buch handelt es sich um die Doktorarbeit des Verfassers. Die Agrarfrage, das Verhältnis Staat/Militär, die katholische Kirche und die “peripheren Nationalismen“ (Katalonien und Baskenland) nennt Niebel die “vier großen Konfliktfelder“ Spaniens. Die Kontinuität der 1936 betriebenen Staatsbildung als Ausdruck der nationalen Selbstbehauptung drückt sich bis in die jüngste Vergangenheit in dem Plan eines baskischen “Freistaats“ (2004) aus. (2)
Im Detail ist die Rede von den Evakuierungen der baskischen Regierung, als sich die militärische Niederlage andeutet, als Tausende von Kindern nach England, Belgien und in die Sowjetunion verschifft wurden. Es geht um die Kompetenz-Spannungen mit Madrid und innerhalb der baskischen Verteidigungs-Verbände, insbesondere mit der anarcho-syndikalistischen CNT. Niebel wirft einen Blick auf die Kapitulation der PNV-Truppen auf dem Rückzug im kantabrischen Santander und auf die Repression, die die Machtübernahme der Faschisten für das Baskenland bedeutete.
Sein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis, die ausgearbeitete Chronologie, Karten und Bilder, sowie das Personenregister machen Ingo Niebels Buch zu einem Standardwerk der baskischen Geschichte in deutscher Sprache. Ingo Niebel (Jg. 1965) ist promovierter Historiker und freier Journalist. Er lebt und arbeitet in Köln und Gernika und hat in den vergangenen Jahren mehr als sechs Bücher zum Baskenland publiziert. Seit den 1990er Jahren arbeitet er für verschiedene internationale Medien, darunter als Deutschland-Korrespondent für die linke baskische Tageszeitung GARA.
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2019-05-15)
ANMERKUNGEN:
(1) Ingo Niebel, “Gebildet … freier baskischer Staat. Das Baskenland im Spanischen Bürgerkrieg 1936/37“, Pahl-Rugenstein 2014, 485 S., 29,90 Euro (LINK)
(2) NJUUZ: Buch der Woche: Ingo Niebels "Baskenland 1936/37“, vom 10.08.2015 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Buch Ingo Niebel (FAT)
(2) Präsident Aguirre (FAT)
(3) Picasso: Guernica (FAT)
(4) Bataillon Gernika (FAT)