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LETZTE GRENZE – Kunst und Kultur

Wo vor 2000 Jahren die Römer vorbeikamen, wo sich vor 800 zwei Königreiche gegenüberstanden, wo vor 60 Jahren noch ein Schlagbaum stand, wo die Mikeletes genannte Polizeitruppe Schmuggel und illegalen Grenzübertritt verhindern sollte – dort haben verschiedene Künstlerinnen und Künstler in der Natur große Skulpturen aufgestellt, im Buchenwald und auf den Weiden. LETZTE GRENZE heißt das Kunst- und Kulturprojekt, das nach 2016 bereits in seinen zweiten Durchgang geht – auf Baskisch: AZKEN MUGA.

Ein Kunst- und Kultur-Projekt der ganz besonderen Art findet von Juli bis September 2017 an der Grenze zwischen den baskischen Regionen Gipuzkoa und Navarra statt.

azkenmu-2Im vergangenen Jahr hatte sich eine Gruppe von sieben Künstler*innen zusammengetan und das erste Azken-Muga-Festival organisiert. Gemessen an der Beteiligung der benachbarten Bevölkerung und sonstiger Besucher*innen wurde es zu einem Erfolg. Dabei verdienen die Kunstschaffenden an der Aktivität nichts als Anerkennung, im besten Fall werden durch öffentliche Zuschüsse die Unkosten gedeckt.

Was also ist die Motivation, sich einen Sommer lang zusätzliche Arbeit aufzuhalsen? „Wir wollen die Kunst aus geschlossenen Räumen herausholen, sie soll öffentlich zugänglich sein, zum Anfassen“, erklärt Guillermo Olmo, einer der Organisatoren von Azken Muga. Sein Kollege German de los Ríos ergänzt: „Letzte Grenze ist ein kollektives Kunst- und Kultur-Projekt, das zeitweise in der Natur installiert ist. In unterschiedlichen Formen reflektieren Künstler*innen diese Grenze, die bis heute zwischen Gipuzkoa und Navarra existiert. Dabei sind die Bewohner*innen der Gegend einbezogen in die Aktivitäten, von der Planung bis zur künstlerischen Durchführung. Neue avantgardistische Kunst-Formen werden hier in eine ländlich-natürliche Umgebung gebracht“.

Im alten Grenzerhäuschen werden wechselweise Ausstellungen gezeigt und auch sonst ist viel Umtrieb angesagt: Tanzgruppen werden auflaufen, Chöre und Orchester ihre Musik zum Besten geben, Volksessen wird es geben und baskische Bertsolari-Reimsänger*innen werden die Aktivitäten auf ihre besondere Art kommentieren.

Der Kulturverein Baskale ist mit dabei

azkenmu-4In diesem Jahr hat sich der in Bilbao ansässige Kulturverein Baskale dem Projekt angeschlossen. „Die Idee hat uns fasziniert, da nehmen wir gerne die Fahrerei von Bilbao in Kauf, um unseren Beitrag zu leisten“, kommentiert Amaia Urrutikoetxea von Baskale. „Unsere spezielle Aufgabe war, Künstler*innen in Holland, Deutschland und der Schweiz vom Projekt zu berichten und zur Teilnahme zu animieren“. Was Deutschland anbelangt, war dieser Versuch erfolgreich. Im August kommt eine kleine Gruppe von Kreativen aus dem niedersächsischen Wendland, um aktiv teilzunehmen. „Ausgerechnet Leute im Wendland zur Teilnahme zu motivieren, war gar nicht so schwieirg, denn dort gibt es ein Kultur-Projekt, das eine gewisse Ähnlichkeit hat mit Azken Muga: die Kulturelle Landpartie“.

Internationale Beteiligung

Dabei sind es nicht nur Deutsche, die ihren Beitrag leisten zum Gelingen von Azken Muga 2017. Zwei Künstler aus Südafrika und aus USA haben ihre Werke bereits aufgebaut, neben vier anderen Kreativen aus dem Baskenland und umzu. Auch aus dem vergangenen Jahr stehen noch Skulpturen, zum Beispiel ein Ei aus Holzlatten, das wie eine Grenze durchquert werden kann. Oder ein überdimensionaler Stuhl, der in fünf Metern Höhe die Bühne für allerlei Tänzer*innen und Sänger*innen darstellt.

azkenmu-5Nach und nach werden weitere Werke hinzukommen, Wald und Wiesen werden sich langsam mit Farben und Formen füllen. Und weil das Projekt das Thema Grenze in seinem Namen trägt, hat auch die baskische Pro-Flüchtlings-Bewegung einen Beitrag zugesagt. Bereits seit Beginn der Veranstaltungen hängt am Grenzerhaus eine Fahne mit der Aufschrift „Ongi etorri errefuxiatuak“, zu Deutsch: „herzlich willkommen Flüchtlinge“.

In einer ersten Veranstaltung berichtete ein Paar von jungen Schäfer*innen von ihrer Arbeit, die in den vergangenen Jahren auch für die nachwachsende Generation wieder etwas attraktiver geworden ist. Sie berichteten von Wölfen, Käseproduktion und zeigten, wie Wolle gesponnen wird. Ganz nebenbei entstand auch noch eine Baskenmütze aus Schafswolle – sehr zum Interesse der anwesenden Kinder.

Gemeinsame Station bezogen haben Organisator*innen und Künstler*innen in einem Haus in Azkarate, von dort wird über den Sommer hinweg alles geplant. Besucher*innen bei Azken Muga werden vor allem an den Wochenenden erwartet, zum Programm, das über Plakate und die Presse bekannt gegeben wird – frei weidende Kühe haben sich die Kunstwerke bereits aus der Nähe betrachtet.

Bilder der ersten Veranstaltungen 2017

Eine Fotoserie zeigt Szenen der Eröffnungsveranstaltung von Azken Muga / Letzte Grenze am 27. Juli 2017 (Link)

In einer zweiten Fotoserie sind die Skulpturen zu sehen, die bislang im Wald aufgestellt wurden (Link)

Bilder von der Schafwolle-Veranstaltung sind unter folgendem Link zu finden (Link)

Zum Konzept des Kunst-und Kultur-Projekts AZKEN MUGA und seinem Verlauf im vergangenen Jahr 2016 erschien folgender Artikel bei Baskultur.info (Link)

Das Konzept „Letzte Grenze“

azkenmu-6„Der Fortbestand der Grenze bei Bedaio-Azkarate ist die anachronistische Teilung einer Gegend, deren Bewohnerinnen dieselbe Geschichte haben, dieselbe Sprache sprechen und das gleiche Leben führen in einer schönen Umgebung. Die teilnehmenden Künstlerinnen nehmen diesen Umstand zum Anlass, über das Thema Grenzen der aktuellen Gesellschaft zu reflektieren; über willkürliche Grenzen in natürlichen Räumen; über Befehlsgewalten entfernter Mächte über Menschen vor Ort; über Teilungen von Völkern und Familien durch Linien, die von unbekannten Fremden gezogen werden; über den Gehorsam vor absurden, seltsamen und lächerlichen Normen; über Strukturen, aus denen wir ableiten, in die Natur einzugreifen, sie uns anzueignen und zu verhindern, dass Auswärtige sie betreten; über die Frage, ob die Erde uns gehört oder wir zu ihr; und ob wir nur dann Weltbürgerinnen sind, wenn wir Grenzen ziehen“ – so lautet die Eigenbeschreibung auf der Webseite von „Azken Muga“.

Die Künstlerinnen hinterfragen diese Realität und treten bei „Azken Muga“ als Agitatorinnen gegen eine anachronistische, ungerechte und festgefahrene Situation auf, die normalisiert erscheint und gesellschaftlich akzeptiert ist. Daneben wird auch die Rolle hinterfragt, die Künstlerinnen allgemein zugeschrieben wird, auch Arbeitsmethoden sowie die Reichweite und Bedeutung ihrer Werke stehen zur Debatte.

 

Aktive Teilnahme der Bevölkerung

Beim Projekt „Letzte Grenze“ geht es um einen kreativen Austausch zwischen Künstlerinnen verschiedener Disziplinen und Menschen, die ohne künstlerisches Selbstverständnis in ihrer üblichen Lebensumgebung in kulturellen Projekten arbeiten. In diesem Fall kommen nicht die Zuschauerinnen zum Ort der Kunst, vielmehr bewegt sich die Kunst in die Lebenswelt der Menschen. Leute, die von ihrer Geschichte erzählen und von ihren Lebensformen, die gesellschaftlich immer mehr in den Hintergrund geraten. Gemeinsam soll ein respektvolles und naturintegriertes Projekt entwickelt werden, an dem möglichst viele teilhaben, didaktisch, provokativ und festlich. Dabei sollen neue Ausdrucksformen entstehen – Kultur, Natur und künstlerische Kreativität sollen neu bewertet werden. Gleichzeitig sollen Personen, die das Projekt „nur“ besuchen, überrascht und zur Teilnahme animiert werden.

azkenmu-7Die ländliche Umgebung soll aufgewertet werden, obwohl oder gerade weil sie so weit entfernt ist von den städtischen Zentren, in denen üblicherweise wesentliche Entscheidungen getroffen werden. Der ländliche Raum ist ein privilegiertes Umfeld, in dem alte Erfahrungen und Gebräuche noch lebendig sind, die an anderen Orten bereits verloren gingen und an die respektvoll erinnert werden soll. Um diesen Ort von außergewöhnlicher Schönheit „in Szene zu setzen“ wird versucht, neue künstlerische Formen zu entwickeln und der „Letzten Grenze“ auf diese Art die Anerkennung der urbanen Lebenswelt zu sichern.

Schauplätze der Initiative

Der zentrale Ort der Aktivitäten liegt am Weg zwischen den Orten Bedaio (Navarra) und Azkarate (Gipuzkoa), auf dem Zarate-Höhenzug, inmitten von Weiden und Buchenwäldern. Das kleine Haus, in dem vor Zeiten die Grenzbewacher ihre Station hatten, dient als Ausstellungsraum. Alle übrigen Veranstaltungen finden im Freien statt, Künstlerinnen und Bewohnerinnen verleihen der Umgebung den Charakter von Treffpunkt, Vergnügen und Überraschung. Weitere Veranstaltungen werden in den beiden Dörfern organisiert.

ANMERKUNG:

(*) Baskultur.info publizierte im vergangenen Jahr bereits einen Artikel über die erste Ausgabe von Azken Muga (Link)

ABBILDUNGEN:

(*) Projekt Letzte Grenze 2017 (FAT)

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