Ein Christkind voller Covid!
Der zweite Alarmzustand neigt sich dem Ende zu, droht aber verlängert zu werden. Alle wollen – um Himmels Willen – das Weihnachtsgeschäft retten, um der Gewinnspanne, dem Konsumismus und der Familientradition ihren gewohnten Tribut zu zollen. Während die Covid-Zahlen beruhigend nach unten gehen, warnen einige bereits vor der dritten Welle im Januar, wenn die Kauf- und Familienexzesse für ausreichend Neuansteckungen gesorgt haben. Die Gastronomie steht bei fortgesetzter Schließung vor dem Abgrund.
Baskultur.Info-Nachrichten aus dem Monat Dezember 2020: Wieviele Gastronomie-Betriebe gehen zu grunde? Wieviele Familienmitglieder dürfen sich über den Weihnachtsbraten stürzen? Wie lange dauert die Ausgangssperre noch? Im Dezember wurde ein berühmter Zimmermann geboren, es starben Argala und Carrero.
INHALT:
* (31-12) Pentagon wusste Bescheid * (30-12) Zweites Guggenheim in Gernika * (29-12) CO2-Emissionen * (27-12) Razzia gegen Afrikaner * (26-12) Weihnachtliche Gnade * (24-12) Sterbehilfe beschlossen * (22-12) Unabhängigkeits-Barometer * (21-12) Argala, der Dünne * (20-12) Unrechts-Justiz im Staat * (16-12) Folter im spanischen Staat * (15-12) Internationale Anerkennung der baskischen Fußball-Auswahl * (14-12) Bateragune-Rachejustiz * (11-12) Exhumierungen im Franco-Mausoleum * (10-12) Ulm und die Schönen Künste * (9-12) Mumia und die Passionsblume * (7-12) Franco ist tot - Alles in Butter * (4-12) Die Linke stimmt dem Haushalt zu * (3-12) 50 Jahre Burgos-Prozess * (1-12) Wissenschaft oder Manipulation: Streit um die Römerstadt *
(2020-12-31)
PENTAGON WAR INFORMIERT
“Die wahrscheinlichste und bedeutendste Gefahr ist eine neue Atem-Krankheit, die auf einen neuen Grippe-Virus zurückgeht“, hieß es in einem US-Militär-Dokument, das der Presse zugespielt wurde. Und so kam es auch. Coronavirus wird mehrfach namentlich genannt, ebenso wurde seine weltweite Verbreitung vorhergesehen.
Ein anonymer Mitarbeiter des US-Verteidigungs-Ministeriums hat ein aufschlussreiches Geheimdokument durchsickern lassen. Denn trotz der Lügen und Beteuerungen des blonden Machos, das Coronavirus sei “plötzlich aus dem Nichts gekommen“, wusste man im Pentagon bereits seit Jahren, was kommen könnte und lag mit den Szenarien ziemlich nahe an den heutigen Realität. 2017 war bereits klar, dass – wenn die “neue Grippe“ kommt – es an Beatmungs-Geräten, Masken und Krankenhaus-Betten fehlen würde. Praktisch fünf Richtige (von sechs).
Es handelte sich um einen Pentagon-Vorgang, bei dem Aktionspläne für den Fall einer Pandemie aktualisiert wurden. Der 103-seitige Entwurf heißt “Plan de la Sección del USNORTHCOM 3560: pandemische Grippe und die Antwort auf Infektions-Krankheiten”. Denis Kaufman, der von 2014 bsi 2017 beim Geheimdienst des Verteidigungs-Ministeriums beschäftigt war, sagt offen, dass die Gefahren einer Pandemie seit Jahren bekannt waren. Das sagen auch Kritikerinnen des Covid-Managements in Europa.
“Seit wengistens zwei Jahrzehnten warnen die Geheimdienste vor einer hoch ansteckenden Grippeform, seit mindestens fünf Jahren ganz konkret vor einem Coronavirus“, sagte Kaufmann in einem Interview. Neben dieser genauen Vorhersage wurde auch das 2020 erlebte Manko im Umgang mit der Pandemie profezeit: das Fehlen von Material aller Art, um der Pandemie zu begegnen: Atemgeräte, Handschuhe, Sanitäts-Material, Logistik.
Der Plan beschäftigt sich mit einer globalen Sichtweise des Problems, möglichen Komplikationen und dem Einsatz des Militärs. “Sogar die hochindustrialisierten Länder haben nicht ausreichend Betten und Material, um die Bevölkerung während einer gravierenden Pandemie angemessen zu versorgen.“ (Sogar – ist an dieser Stelle der falsche Begriff, weil er impliziert, dass die reichen Länder vernünftige Gesundheits-Systeme haben, was angesichts der neoliberalen und privatisierenden Politik ein Witz ist; aber egal).
Da spricht nicht Caritas, sondern die in aller Welt kriegsführende Behörde der USA. Vom amtierenden Ober-Kriegsfürsten waren im ablaufenden Jahr andere Töne zu hören, die so weit gingen, das anzuzweifeln, was seiner Militärbehörde längst klipp und klar bekannt war. Erneut müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir hinters Licht geführt wurden, dass bestimmte Gremien genau wussten, was hätte kommen können und was kam. Dass keinerlei Vorbereitungen getroffen wurden. Mit Sicherheit auch, was der Ursprung des Übels ist und wer die Verantwortung trägt.
(2020-12-30)
ZWEITES GUGGENHEIM GEPLANT
Geldbeschaffung in Brüssel: Die EU hat in ihrem Haushalt Mittel für Projekte verschiedenster Art, die von Regierungen der Mitgliedsstaaten beantragt werden können. Über Madrid hat sich auch die baskische Regierung in die Warteschlange für diesen Geldsegen angestellt. Förderthemen sind zum Beispiel: Gesundheit, Bildung, nachhaltige Mobilität, Digitalisierung. Für den Bereich “Urbane Habitat“ haben Urkullus Leute 81 Millionen für eine “indirekte Erweiterung“ des Guggenheim-Museums (Bilbao) auf ihren Wunschzettel geschrieben.
Schon lange ist diese Schnapsidee einer der Hits bei den baskischen Christdemokraten: im Biosfären-Reservat Urdaibai (bei Gernika) ein zweites Guggenheim hineinzuklatschen. Nach dem großen internationalen Erfolg der bilbainischen Sardinenbüchse, der zur vielsagenden Bezeichnung “Guggenheim-Effekt“ geführt hat, soll diese Erfolgsbilanz geklont werden. Mit einem weiteren Prachtbau in einem der schönsten Naturschutzgebiete an der baskischen Küste.
Urdaibai ist ein zwanzig Kilometer langes Feuchtgebiet, gezeitenabhängig und mit mildem Mikroklima. Was dazu geführt hat, dass sich seltene Tierspezies aller Art dort angesiedelt haben, Wandervögel zum Beispiel verzichten zugunsten von Urdaibai auf die Weiterreise nach Afrika. Wer die Gegend kennt weiß, dass auf jeder Seite des Oka-Flusses eine zweispurige Landstraße von Gernika ans Meer führt. Ein Massentourismus, wie er mit einem Guggen-II unweigerlich eingeläutet werden würde, brächte den im Sommer durch Badegäste ohnehin grenzwertigen Verkehr mit Sicherheit vollends zum Erliegen. Einzige Lösung wäre eine Autobahn von Gernika nach Bermeo, oder vielleicht gleich weiter bis Gaztelugatxe, einen weiteren Schandfleck auf der baskischen Tourismus-Landkarte.
Derzeit wird die Feststellung nicht überraschen, dass das Guggenheim Bilbao derzeit ziemlich leer und unbesucht daherkommt, dank der kunst- und tourismus-feindlichen Coronavirus-Pandemie. Eine Lehre daraus könnte sein, dass es gefährlich ist, auf Monokulturen zu setzen, sprich, sich von einer Branche (wie dem Tourismus) abhängig zu machen. Von ökologischen Argumenten ganz zu schweigen. Aber als lernfähig zeigen sich Politiker*innen bekanntlich erst im Katastrophenfall, wenn das Kind schon im Brunnen liegt.
Der erste Anlauf zu einem Urdai-Guggen scheiterte an der Wirtschaftskrise von 2008 und am Widerstand der Sozialdemokraten. Die sitzen nun (stumm) mit in der PNV-Regierung. Wo noch irgendein Stück Grün in der Landschaft leuchtet, werden sofort Begehrlichkeiten geweckt. Supersur, Hochgeschwindigkeits-Zug, Bolintxu, Urdaibai ... Urkullus Masterplan: “Es gibt noch viel zu zementieren, werft den Betonmischer an!“ Die Bauunternehmer-Freunde danken es postwendend.
(2020-12-29)
CO2-EMISSIONS-REKORDE
Navarra und Euskadi haben neben der spanischen Region Murcia ihre CO2-Emissionen zwischen 2018 und 2019 am stärksten gesteigert. Dies geht aus einem Bericht des Observatorio Sostenibilidad (Observatorium Nachhaltigkeit) hervor. Navarra ist zudem die Region mit der höchsten Emission pro Kopf der Bevölkerung. Diese Tendez hat mit kohle-befeuerten Heizkraftwerken zu tun und mit Schwerindustrie in wenig bevölkerten Gegenden. So die Studie.
Die Region Baskenland (Euskadi) hat ihre Eimissionen seit 1990 um 9,5% gesteigert und liegt hinter Murcia an dritter Stelle der Verschmutzer. Nach Aussage des Observatoriums seien die Emissions-Spitzenwerte in allen Regionen des Staates zwar Vergangenheit. Aufgabe der Regierungen sei jedoch, sich von der Kohle zu verabschieden. Insbesondere in einem derart entscheidenden Jahrzehnt bis 2030.
(2020-12-27)
RAZZIA GEGEN AFRIKANER
Die Stadtverwaltung Bilbao hat in den letzten Tagen des Jahres noch einmal gezeigt, was sie unter “Frohe Weihnacht“ und “Fest des Friedens“ versteht. Während Hunderte von Kneipengänger*innen ihre letzten erlaubten Aperitive tranken, liefen am zentrischen Etxebarrieta-Platz in der Altstadt Stadtpolizisten auf, um einer Gruppe von Afrikanern die nicht ganz legale Verkaufsware abzunehmen. “Top Manta“ werden sie hierzulande genannt, ungefähr “ Teppich-Bestseller auf der Straße“ (denn “manta“ bedeutet Teppich).
Es war nicht das erste Mal, aber vermutlich war es der letzte Polizei-Einsatz dieser Art gegen die vielgeliebten Afrikaner, von denen viele keine andere Chance haben, als sich mit gefälschten Klamotten den Lebensunterhalt zu verdienen, weil sie keine Papieren haben oder keine Arbeitserlaubnis.
Der Einsatz der Schwarz-Gelben blieb nicht ohne Antwort. Denn die Volksseele solidarisierte sich instinktiv mit den gepeinigten Straßenhändlern. “Lasst sie in Ruhe“, “arme Leute“ oder “macht doch eine vernünftige Arbeit“ schallte es den Stadtbeamten entgegen. “Geht doch 100 Meter weiter, in die Iturribide, dort wird gedealt“. Weil die Ablehnung des Einsatzes unter den Anwesenden ganz offenbar war, wurde Polizei-Verstärkung angefordert. Immer wieder wurden die “Munipas“ aufgefordert, die Verkäufer, die sichtlich verzweifelt waren, doch endlich in Ruhe zu lassen.
Tasächlich ist es eine lange bekannte Tatsache, dass etwas weiter oben in der Straße gedealt wird und dass dort, in einer engen Gasse, eine Situation von Unsicherheit herrscht, für Anwohner*innen und Passant*innen. Ebenso bekannt ist, dass die Polizei um diesen Konfliktherd einen großen Bogen macht. Dass die Razzia Mittags um 13 Uhr stattfand, sozusagen zur besten Poteo-Ausgangs-Zeit, kommt erschwerend hinzu. Es wurde nicht einmal der Versuch gemacht, die unliebsame Aktion zu verstecken oder dem Licht der Öffentlichkeit zu entgehen. Nein. Es musste vor einem größtmöglichen Publikum sein. Ein Weihnachts-Theater sozusagen. Um Entschlossenheit zu demonstrieren. Das ist gründlich in die Hose gegangen.
Gerade die Afrikaner von südlich der Sahara haben sich in der Bevölkerung einen vorzüglichen Ruf erarbeitet. Sie suchen die Integration, die Kinder lernen Baskisch. Zuletzt haben sie begonnen, sich in Interessengruppen zu organisiseren, zum Beispiel die “Manteros“ in der Gewerkschaft Mbolo Moye Dole. Gemeinsam mit anderen nach Ethnien organisierten Vereinen fordern sie Papiere für alle, Arbeiterlaubnis für alle: Latinas, Afrikaner*innen, Leute aus dem Maghreb. Dafür erleben sie in der baskischen Bevölkerung viel Sympathie und Unterstützung. Doch Papiere werden nicht in Bilbao ausgegeben, sondern in Madrid.
Eine Razzia bedeutet doppelte Strafe: erstens verlieren die jungen Männer ihre Ware, zweitens erhalten sie dazu noch ein Bußgeld. Verfluchte Weihnachten aber auch!
(2020-12-26)
WEIHNACHTLICHE GNADE
Mit viel Neid haben spanische Ultrarechte dieser Tage nach Westen geblickt, über den Ozean, um die letzten Gnaden-Taten des scheidenden Macho-Präsidenten zu verfolgen. Wie andere vor ihm nutzte das blonde Untier die letzten Tage seines Mandats zur Verkündigung von Gnadenakten. Unverfroren, arrogant und ohne jegliche Rechenschaftspflicht wurden politische Kumpels begnadigt, die sich der Korruption schuldig gemacht hatten, vor Gericht gelogen. Besonders gravierend: die Amnestie für Söldner des privaten Kriegs-Unternehmens Blackwater, die bei einem Massaker im Irak vierzehn unbewaffnete Zivilisten ermordeten. Der Begriff “Waterboarding“ ist allein durch Blackwater weltbekannt geworden. Für den Unsäglichen haben diese eiskalten Mörder “eine lange Liste des Dienstes an der Nation vorzuweisen“. Echte Patrioten also.
Von solcher Macht können die spanischen Faschisten nur träumen. Bisher. Trump war nicht der erste, der zu dieser Maßnahme griff. Als die Franquisten 1977 angesichts einer Massenbewegung auf der Straße keine andere Möglichkeit mehr sahen, als die geforderte Amnestie für politische Gefangene zu beschließen, nahmen sie als Kleingedrucktes noch eine Amnestie für alle Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ihrer eigenen Leute mit ins Gesetz. Was dazu führte, dass bis heute keines dieser Verbrechen vor einem Gericht verhandelt werden konnte. Keine Enteignung, keine Folter, kein Horrorurteil, keine willkürliche Erschießung.
Auch in Katalonien wird Begnadigung gefordert. Für die Gefangenen aus dem Unabhängigkeits-Prozess. Ihr Verbrechen: dem Volk die Chance auf Entscheidung zu geben. Kein Blut, keine Toten, kein Terror, keine Korruption. Die spanischen Sozialdemokraten hatten bereits die Augen zugedrückt, als die katalanischen Gefängnis-Behörden Freigang beschlossen, aber die spanische Rechts-Justiz hat diese Großzügigkeit schnell korrigiert. Justiz ist nicht unabhängig, sie ist immer politisch und wird exekutiert im Namen der Macht und die steht rechts. In spanischen Staat wie in den USA.
In den USA müssten Gefangene wie Leonard Peltier oder Mumia Abu-Jamal (und viele andere aus der Panther-Zeit) längst begnadigt werden – wenn sie schon keinen fairen Neu-Prozess bekommen. Nicht mal Obama traute sich das.
Dier Amnestie von 1977 bedeutete zweierlei. Die Politischen (weit über Baskinnen und ETA hinaus) wurden herausgelassen, nachdem sie einen Teil ihrer Haft verbüsst hatten. Die Faschisten saßen keinen Tag, was durch das Gesetz weiterhin gesichert wurde. Soll mir niemand mit einem Diskurs von Demokratie kommen. Diese Demokratie und ihre Justiz haben außer dem Schutz des Privateigentums und der “Einheit der Nation“ keine weiteren Ambitionen.
(2020-12-24)
STERBEHILFE
Der spanische Staat ist der sechste weltweit, der Euthanasie oder Sterbehilfe (unter genau definierten Umständen) legalisiert. Das hat eine große Mehrheit im spanischen Parlament beschlossen: Sozialdemokraten, Podemos, die rechte Partei Ciudadanos, die linken Basken und (vielleicht erstaunlich) die baskisch-katholische PNV. Dagegen gestimmt haben die post-franquistische PP und die neo-franquistische Partei Vox. Sie haben andere Vorstellungen vom Tod, die eher in standrechtlicher Erschießung, Konzentrationslagern für Abweichler und Massengräbern ihren Ausdruck findet.
Giftig wurde es bei der Parlaments-Abstimmung, als als eine Vox-Abgeordnete das Wort ergriff. “Damen und Herren von der radikalen Linken, Erben des Terrorismus, Separatisten, Kommunisten, Feinde Spaniens. Wenn Sie dieses erbarmungslose, illegitime Gesetz verabschieden, werden Sie dies mit einem grausamen Lächeln feiern und für die Allerschwächsten Todesurteile unterschreiben.“
Die Neofaschisten beschuldigte die sozialliberale Regierung, “die Kosten für den Krankenhaus-Aufenthalt der Alten sparen zu wollen, die die Gesellschaft verehren sollte“. Und weiter: “Die Alten werden merken, dass ihr Leben nicht wert ist, gelebt zu werden, deshalb wird das ganze System Druck machen, damit sie sterben wollen. Das Gesetz stellt die Möglichkeit dar, auf privaten Wegen beim Sterben zu helfen, um die Todesindustrie zu installieren.“
Wider einmal steht die Welt Kopf. Zumindest den Diskurs betreffend. Wenn Vox vom “Leben der Alten“ spricht, dann ist nur ein Teil gemeint. Sicher nicht die alten Republikanerinnen, Anarchisten, Baskinnen und Kommunisten. Nämlich all jene, die vor 84 Jahren irgendwo an der Friedhofsmauer oder am Straßengraben liquidiert und verscharrt wurden.
Zweitens. Die Todesindustrie haben genau jene erfunden, auf die sich Parteien wie Vox berufen. Die Nazis mit dem Holocaust und der industriellen Vernichtung in den Konzentrationslagern. Die Franquisten, die mit nazideutscher Anleitung dasselbe auf der Halbinsel kopierten. In Miranda del Ebro, Saturraran, Larrinaga oder im KZ an der Jesuiten-Universität Deustu (um in der baskischen Umgebung zu bleiben).
Allgemein bekannt ist, dass die Lebensschützer ihre Mission darin sehen, ungeborenes Leben zu verteidigen. Das Leben der Zwanzig-, Fünfzig- oder Achtzig-Jährigen in Armut oder republikanischer Tradition interessiert dann nicht mehr. So haben es die verrenteten spanischen Generäle eben deutlich gemacht. Millionen killen, um die spanische Einheit, den harten Katholizismus nach dem Opus-Modell und die uneingeschränkte Macht irgendwelcher Führer und Oligarchen abzusichern.
Billige Diskurse sind dazu da, jene zu ködern, denen der Stammtisch ausreicht zum Austausch intellektueller Plattitüden. Vom Leben der Migrantinnen ganz zu schweigen, die sollen nach Ansicht dieser Lebenschützer doch in ihren Stammländern an Elend, Hunger oder Kriegen sterben, die von den alten und neuen Kolonisatoren angezettelt werden. Dann stehen wir vor der “Rassen-Überlegenheit“, der Nordamerikaner gegenüber den Latinas, oder der Europäer gegenüber Afrika.
Aber seien wir selbstkritisch. Der Diskurs verfängt. Für das Europa-Parlament haben 100 Millionen Personen ihre Stimme für Faschisten (verschiedener Prägung) abgegeben. Der emanzipatorische, solidarische, internationalistische Diskurs erfordert etwas mehr Nachdenken und Tiefgang. Und etwas mehr ziehen an einem Strang.
(2020-12-22)
DAS UNABHÄNGIGKEITS-BAROMETER
Das neue Umfrage-Barometer, das den Wunsch der baskischen Bevölkerung zur Unabhängigkeit (oder nicht) prüfen soll, hat seine erste Etappe durchlaufen. Naziometroa heißt das Institut und 42,5% der Bask*innen sollen für einen eigenen Staat sein, oder für ein mit Spanien abgestimmtes Referendum. Hinter Naziometroa stehen der Think-Tank Telesforo Monzon eLAB und die Forschungsgruppe Parte Hartuz der baskischen Universität.
Der günstigste Fall wäre, wenn die spanischen Institutionen mit den baskischen zu einer Vereinbarung kommen würden, ein legales Referedum über die Zukunft des Baskenlandes durchzuführen. Sozusagen nach schottischem Modell. Das,was in Katalonien seit Jahren gefordert wird. Ergebnis wären 42,5% Befürwortung, 31,5% Ablehnung, 12% Enthaltung, 13,5% wissen nicht, was sie wollen oder wollen es nicht mitteilen.
Interessant ist, dass 63% der Befragten dafür ist, dass im Baskenland selbst über die Zukunft desselben entschieden werden soll. Nach Regionen aufgeteilt: in Euskadi wären 64% dafür, in Navarra 63% und in Iparralde 58%. Die Mehrheit der Befragten (79%) spricht sich dafür aus, dass es mehr Beziehungen gibt zwischen den drei unterschiedlichen baskischen Verwaltungs-Gebieten (in Euskadi 81%, in Navarra 67%).
PANDEMIE-KRISE
Daneben wurde nach dem Grad der Zufriedenheit mit dem Coronavirus-Management gefragt. Die Lokal-Verwaltungen kamen dabei am Besten weg, 43% waren zufrieden, die Zufriedenheit mit der Regional-Regierung lag bei 42%. Die Provinz-Regierungen fielen ab auf 34% Zustimmung, die EU lag bei 30%. Am schlechtesten kamen die Zentral-Regierungen weg mit ihrer Krisenverwaltung: 23% Befürwortung. So liegt es nicht fern, dass 45% der Befragten mehr Covid-Kompetenzen in Händen der Regionen sehen wollen.
Das Neue am Naziometroa soll sein, dass nicht nur sporadisch Meinungen über Fragen der Selbstbestimmung abgefragt werden, sondern regelmäßig. Mit entsprechender soziologischer Auswertung. Gleichzeitig soll wissenschaftliche Gründlichkeit garantiert werden, weil solcherart Umfragen schnell zu Polemik führen. Für die erste Umfrage wurden zwischen dem 2. Oktober und dem 9. November 2020 insgesamt 1.289 Interviews gemacht, 629 in Euskadi, 420 in Navarra und 240 in Iparralde.
(2020-12-21)
ARGALA, DER DÜNNE
Der gestrige 20. Dezember war Todestag des von Franco als Nachfolger bestimmten Admirals Luis Carrero Blanco, der für die Kontinuität des Franquismus sorgen sollte. Er starb, als sein Fahrzeug per Autobombe über ein mehrstöckiges Haus katapultiert wurde. Der spanische Faschismus hatte einen seiner Köpfe verloren und musste eine schwere Niederlage verbuchen. Gegen ETA, die für den Anschlag verantwortlich zeichnete. Zum Kommando gehörte José Miguel Beñaran, “Argala“ genannt, der Dünne. Geboren 1949 in Arrigorriaga (Bizkaia) betrieb er heimlich marxistische Studien und schloss sich ETA an.
Schon 1968 musste er untertauchen, vorerst in Gipuzkoa. Er war beteiligt an einem Befreiungsversuch der Angeklagten des Burgos-Prozesses, über einen Tunnel sollten die 13 angeklagten Männer aus dem Gefängnis geholt werden, der Plan scheiterte. Im Exil in Iparralde beteiligte er sich an der Neustrukturierung der Untergrund-Organisation, die sich gespalten hatte und nicht ihren stärksten Moment erlebte. Argala wurde bekannt als guter Analytiker und Stratege. Aus seinen Überlegungen ging ETA-militar hervor, jene ETA, die sich im Jahr 2018 auflöste.
Vorher jedoch wurde in Madrid im Jahr 1973 die “Operation Menschenfresser“ durchgeführt, die von der sozialistischen Schriftstellerin Eva Forest im gleichnamigen Buch dokumentiert wurde. Wieder ging Argala nach Iparralde, heiratete und ließ sich in Anglet nieder. Dort wurde er am 21. Dezember 1978 mit einer Autobombe getötet, von der Faschisten-Gruppe BVE (Batallón Vasco Español), einen Tag nach dem fünften Todestag von Carrero.
Ein Platz in seinem Heimatort wurde nach ihm benannt, jährlich fand eine Gedenkveranstaltung statt. Bis ein Madrider Richter dies als “Verherrlichung von Terrorismus“ definieren und verbieten ließ, der Platz wurde umbenannt.
(2020-12-20)
WAS FÜR EINE DEMOKRATIE!
Der vom spanischen Supremo-Gericht angesetzte zweite Bateragune-Prozess hat nach langer Zeit endlich einmal wieder den Coronavirus aus den Schlagzeilen verbannt. Eine gewisse Erleichterung. Gleichzeitig bietet die Entscheidung dieses politisch ziemlich reaktionär besetzten Gerichts eine Reihe von Lesarten. Beginnen wir mit dem theatralischen Teil. Der Farce. Oder sollte es eine Komödie werden?
Wenn der Prozess tatsächlich stattfindet, werden sechs Personen vor Gericht stehen, denen vorgeworfen wird, “Terroristen“ im Auftrag einer Organisation zu sein, die seit 12 Jahren nicht mehr aktiv und seit 2 Jahren definitiv aufgelöst ist. Ein überaus aktueller Prozess also.
FARCE ODER KOMÖDIE
Die Beweislage im Farce-Komödien-Prozess wird dieselbe sein wie vor 10 Jahren. Verhandelt wird jedoch vor der Audiencia Nacional, das kommende Strafmaß geht mit Sicherheit nicht über das damals ausgesprochene hinaus. Freispruch ist undenkbar, So ergibt sich ein juristische Weltneuheit: Angeklagte werden zu einer Strafe verurteilt, die sie bereits abgesessen haben (in weiser Voraussicht). An dieser Stelle überwiegt die Komödie. Richter verdienen auch nur Geld und die spanische Ultrarechte hat endlich wieder einen Grund, stolz zu sein auf die postfranquistische Justiz.
POLITISCHER JUSTIZ
Eine europäische Rechtsregel besagt, dass niemand für “dasselbe Delikt“ zwei Mal prozessiert werden kann. Das Supremo hingegen interpretiert, dass durch die Anullierung des Urteils durch Straßburg de facto kein Prozess existiert hat, der zweite also der erste sein wird. Ist das nun Justiz oder Hermeneutik? Oder schlicht franquistische Tradition? Ein Teil der Begründung für die Neuansetzung ist zynisch: die Angeklagten haben eine Strafe abgesessen, für die es kein Urteil gibt, das muss nachgeholt werden, den Angeklagten müsse Recht wiederfahren.
Sogar die Audiencia Nacional, als Instanz untergeordnet, und jahrzehntelang als Verurteilungs- und Folter-Instanz gegen alle politischen Abweichlerinnen aktiv, sah das anders und wollte keine aufgewärmte Suppe. Gegenwind kommt von Rechtsgelehrten aller Couleur, die über die Ausnahmeregel (einen zweiten Prozess zu führen) sagen, dass dies nur zum Vorteil der Angeklagten ausgelegt werden dürfe. Nicht aber zum Zweck einer zweiten Verurteilung. Und um genau das geht es.
Die falsch veruteilten und falsch Eingesessenen haben in der Zwischenzeit Haftentschädigung beantragt – ein zusätzliches Ärgernis für den Staat. Der Mitangeklagte und Mitverurteilte Arkaitz Rodriguez, mittlerweile Generalsekretär von Sortu, fragte sich und sein Publikum kurz nach Bekanntwerden des Neuverfahrens über die Sozialen Medien “Demokratie? Welche Demokratie?“. Nun, die Demokratie, die ETA als franquistische Kontinuität durchschaut hatte; die Demokratie, der die Rodriguez Partei vor ein paar Wochen mit der Haushalts-Zustimmung aus der Patsche geholfen hat. Ist das so schwer zu verstehen?
(2020-12-16)
FOLTER – SYSTEMATISCH
Alle wissen es, die Spatzen pfeifen es von den Dächern, nicht einmal die größten Freunde trauen sich: in Spanien wird gefoltert, systematisch, von Guardia Civil und Nationalpolizei. Diese im Franquismus begonnene Praxis – gegen Anarchistinnen, Kommunistinnen und Baskinnen – hat seit den 1960er Jahren nie aufgehört. Bereits mehrfach hat die spanische Justiz versucht, in Frankreich die Auslieferung von Iratxe Sorzabal zu erreichen. Zum vierten Mal ist die Antwort: NEIN. Dabei lässt es die “befreundete“ Justiz in Paris an Klarheit nicht mangeln: Es ist nicht auszuschließen, dass Iratxe Sorzabal nach ihrer Auslieferung gefoltert würde.
Wer ist Iratxe Sorzabal? Eine Baskin, die sich bereits vor langer Zeit ETA angeschlossen hat und derzeit in France eine Haft verbüßt wegen Mitgliedschaft. Bereits 2001 wurde sie einst in spanischen Gefilden festgenommen. Und gefoltert. Sie machte eine Anzeige, aber die Ermittlungen (so sie überhaupt erfolgten) wurden eingestellt. Wie in Hunderten von anderen Fällen. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bereits mehrfach kritisiert. Die spanische Auslieferungs-Begründung basiert auf Aussagen, die Iratxe Sorzabal unter Folter gemacht hat. Nebenbei gilt sie als die Frau, die mit zwei männlichen Kollegen unter Kapuzen das Ende von ETA verkündet hat. Keine strafmildernden Umstände.
ISTANBUL-PROTOKOLL
Woher wissen die Richter in Frankreich, dass die Folter “echt“ war und nicht erfunden, wie die spanische Justiz immer behauptet? Weiße Folter, also Folter, die keine körperlichen Spuren hinterläßt (wie die Badewanne, psychische Folter, Vergewaltigung oder die Tüte) ist schwer nachzuweisen. Auf diesem Gebiet (der Vertuschung) haben die spanischen Sicherheitskräfte enorme Fortschritte gemacht.
Weil dies so ist, haben Wissenschaftler*innen das sogenannte Istanbul-Protokoll entwickelt. Es ist ein psychologisches Befragungs-Protokoll, dass die Glaubwürdigkeit von Folter-Aussagen überprüfen kann. Im Baskenland wurde es mehrfach angewandt, vom bekannten Gerichtsmediziner Paco Etxeberria zum Beispiel, der im Auftrag der baskischen Regierung einen umfangreichen Folterbericht erstellte (der in Spanien zum Skandal führte). Denn Folter hinterlässt psychische Spuren. Und diese Spuren lassen sich bei einer Opfer-Befragung nach dem Istanbul-Protokoll nachweisen. Folterfolgen sind weit mehr als die Aussage “Ich habe die Bank nicht überfallen“ oder Ähnliches.
Iratxe Sorzabal hat sich diesem Protokoll unterzogen und wurde deshalb von der französischen Justiz als Folteropfer anerkannt. Folter, die sich wiederholen könnte. Aus den selben Gründen haben in der Vergangenheit bereits Justizbehörden in der Schweiz, in Belgien und Großbritannien gleichfalls Auslieferungen untersagt. Amnesty International und UNO-Kommissionen gegen Folter sind zur selben Feststellung gekommen, das EGMR hat verschiedene Urteile aufgehoben. Auch unter politischen Verbündeten ist der spanische Staat als Folterstaat bekannt. Bis 2023 bleibt Iratxe Sorzabal in französischer Haft. Dann wird sie ausgewiesen.
(2020-12-15)
ANERKENNUNG BEI FIFA UND UEFA
Eine Frau und drei Männer sind vom Baskenland in die Schweiz gereist. Nicht zum Skifahren, sondern um den 15. Dezember 2020 zu einem historischen Tag zu machen. Zumindest aus baskischer Sicht. Die Viererbande hat heute offiziell den Antrag gestellt, dass baskische Auswahl-Teams in Zukunft bei offiziellen internationalen Turnieren spielen können und als Voll-Mitglied anerkannt werden. Deshalb ging die Reise erst nach Zürich, dort ist der Sitz der FIFA, dem Weltverband, und danach 255 km weiter nach Nyon, wo sich der Sitz des Europaverbands UEFA befindet.
Am 12. Dezember 2018 hatte die Vollversammlung des baskischen Fußball-Verbandes fast einmütig beschlossen, den Antrag zu stellen, zwei Jahre und drei Tage danach wurde die Mission erfüllt. Dafür waren Jon Redondo (Direktor der Abteilung Sport der baskischen Regierung), Luis María Elustondo (Präsident der baskischen Fußball-Föderation), Nerea Zalabarria (Vize-Präsidentin des Verbands) und David Salinas-Armendariz (auf Sport-Recht spezialisierter Jurist der baskischen Regierung) unterwegs.
Im Koffer hatten sie nicht nur den Wunsch des Fußball-Verbandes und der baskischen Regierung, die offizielle Anerkennung ist auch ein lang gehegter Wunsch in der Mehrheit der baskischen Bevölkerung. Dieser Wunsch ist legitim und wäre machbar, wenn Big Brother nur zustimmt. Denn in den Statuten der FIFA existiert ein Paragraf, der besagt, dass auch regionale Verbände Mitglied werden können, hinter denen kein Staat steht. Europäische Beispiele sind Schottland, Wales, Nordirland, die Färoer-Inseln, Kosovo und Gibraltar. Auf internationaler Ebene wären Puerto Rico und Palästina zu nennen. Gleichzeitig sagt besagter Paragraf, dass der jeweilige staatliche Verband dem regionalen Antrag jedoch zustimmen muss: Big Brother, der spanische Fußball-Verband.
Verhandeln müssen die Baskinnen und Basken somit zuerst mit dem Zentralverband, ein mehr als schwieriges Unterfangen. Der erste Schritt ist jedenfalls gemacht, unter den eingereichten Papieren ist auch das Curriculum des baskischen Verbandes seit 1915 und eine Bilanz der Spiele, die die baskische Auswahl – immer inoffiziell – in dieser Zeit ausgetragen hat.
(2020-12-14)
BATERAGUNE, UNERMÜDLICHE RACHEJUSTIZ
Bateragune ist das Synonym für ein politisches Urteil der spanischen Justiz, ein Skandalurteil, das auch zehn Jahre danach noch Wellen schlägt, von Madrid bis Straßburg und zurück ins Baskenland. Jetzt soll es in eine neue Runde gehen. Zur Erinnerung:
2009 befanden sich mit Ausnahme der Gewerkschaft LAB praktisch alle Organisationen der baskischen Linken in einem Status der Illegalität und hatten keine institutionelle Vertretung mehr. Allgemein bekannt war zu jener Zeit, dass die maßgeblichen Verantwortlichen der baskischen Linken bereits eine Zeit lang am Ende von ETA arbeiteten und auf allen Ebenen zu neuen Koalitionen gelangen wollten. Dafür wurden alle möglichen Fäden bewegt. Die spanische Polizei und Justiz legte dies als den Versuch aus, die illegale Partei Batasuna neu zu gründen, die war als Teil von ETA definiert worden, also waren die Verantwortlichen der neuen Phase – Bateragune genannt, Ort des Zusammengehens – ebenfalls von ETA. “Alles ist ETA“ war damals das Leitmotiv der spanischen Politik.
FRIEDENSMACHER ODER TERRORISTEN
Folglich wurden 2009 Arnaldo Otegi, der ehemalige LAB-Generalsekretär Rafa Diez und acht weitere Personen festgenommen, wegen “Mitgliedschaft bei ETA“. Die Empörung war groß, weil das Ende von ETA bereits im Raum stand und klar war, dass genau die Festgenommen an diesem Strategiewechsel der abertzalen Linken maßgeblich beteiligt waren. Es wurde gemutmaßt, der tiefe Staat wolle mit den Festnahmen ETA zur Rückkehr zur bewaffneten Aktion bringen.
Nicht nur im linken Lager wurden die Verhaftungen scharf kritisiert. 2011 begann der Bateragune-Prozess, von der vorsitzenden Richterin, einer strammen Rechten, skandalös geführt. Er endete mit den erwartet langen Haftstrafen und Amtsverboten. Das Oberste Gericht (Supremo) setzte die Strafen deutlich herunter, dennoch sollten Otregi und Diez sechseinhalb Jahre absitzen. So kam es. Otegi wurde 2016 entlassen.
EGMR
Wäre die europäische Justiz schneller gewesen, wäre den Verurteilten Jahre Knast erspart worden. Denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilt, dass beim Verfahren elementare Rechte der Angeklagten verletzt wurden. Eine schallende Ohrfeige für die spanische Justiz, nicht die erste und nicht die letzte aus Straßburg. Weil das Urteil also unrechtmäßig war, musste das Oberste Gericht das Urteil aufheben. Doch damit nicht genug. Jetzt wurde der Prozess neu angesetzt. Denn was damals strafbar war, darf nicht ohne Strafe bleiben. So die Begründung für das Aufbacken alter Kamellen.
Noch einmal zur Erinnerung: Seit 2008 hatte ETA mit ihren Aktionen aufgehört. 2011 hatte sie einen definitiven Waffenstillstand erklärt, der von internationalen Beobachterinnen bestätigt wurde; im selben Jahr wurden die Bateragune-Leute verurteilt. 2015/2016 wurden die Verurteilten entlassen, 2017 kündigte ETA ihre Entwaffnung und Auflösung an, was bis 2018 vollzogen war. Für die Umsetzung des 2018 erfolgten Urteils aus Straßburg brauchte das Supremo zwei Jahre, bis zum Mai 2020. Schneller ging nun die Neuansetzung des Verfahrens.
Vor knapp zwei Wochen ist die neue Partei der offiziellen baskischen Linken (EH Bildu) staatstragend geworden und hat in Madrid dem Staatshaushalt über die Runden geholfen, auf dringendes Antraten Otegis. Nun steht er wieder vor Gericht.
(2020-12-11)
EXHUMIERUNG ERLAUBT
Das “Tal der Gefallenen“ ist auch ohne Franco ein Monster, ein Mordor ohne Sauron. Vor mehr als einem Jahr wurden die Knochen des Massenmörders entfernt und die Kompetenzen des faschistischen Klosterleiters beschnitten. Doch die Aufarbeitung steht nach wie vor am Anfang. Denn das “Valle de los Caidos“ ist nicht nur eine pyramiden-große Beerdigungsstätte für einen blutigen Diktator, sie beherbergt zudem mehrere Zehntausend Leichen von Gefallenen aus dem von Franco angezettelten Krieg. Um die 33.000. Man könnte annehmen, Franco habe sich für sein Nachleben mit “den Seinen“ umgeben wollen, mit den Nationalen, mit den Aufständischen, mit den Bluthunden, die ihm 40 Jahre Regime erlaubt hatten. Weit gefehlt.
Der Gipfel des Zynismus ist, dass dort auch Tausende von Toten aus dem republikanischen Lager liegen. Gemeinsam mit ihren Mördern, Schulter an Schulter sozusagen. Denn nachdem die vorgesehenen Grabkammern nicht mit Franquisten-Leichen gefüllt werden konnten, griffen die Faschisten ganz pragmatisch eben auf tote Republikaner zurück, die aus ihren Massengräbern geholt und neben ihren Feinden bestattet wurden. Ohne die Angehörigen zu fragen oder ihr Einverständnis einzuholen. Falls sie sich dieser Ungeheurlichkeit überhaupt bewusst waren.
Damit soll nun ein Ende sein. Schon lange haben Angehörige versucht, die Gebeine ihrer republikanischen Angehörigen – Väter, Brüder, Ehemänner, Opas – aus dem Valle herauszuklagen. Doch der Fortbestand des franquistischen Regimes (unter demokratischem Deckmantel) verhinderte dies. Der Falange-Vorsteher des dortigen Klosters ließ (vom Vatikan unterstützt) keinen rein und raus. Diese Kirchenherrschaft geht nun zu Ende. Die aktuelle sozialliberale spanische Regierung hat 23 baskischen Familien (und weiteren 40 aus anderen Orten des spanischen Staates) zugestanden, ihre Angehörigen aus der franquistischen Todeskammer zu holen. Wenn sie denn identifiziert werden können. Denn die Gebeine wurden dort nicht in Gräbern oder Särgen aufbewahrt, sondern in Gruben von Massen von Leichen.
Mit dieser Entscheidung aus Madrid kann somit eine unerträgliche Situation beendet werden, die mehr als 50 Jahre Bestand hatte. Denn Franco und andere putschten gegen eine legitime republikanische Regierung; die Verteidiger dieser Regierung wurden Rebellen genannt und nach dem Krieg zu Tausenden verhaftet, verurteilt, enteignet und umgebracht. Oft in anonymen Massengräbern. Viele wurden in Sklavenarbeit zum Bau des monströsen Mausoleums in einem Madrider Bergmassiv geholt. Um Jahre später neben ihren potenziellen Mördern gespeichert zu werden – von Beerdigung zu sprechen wäre ein Euphemismus.
Ein paar Dutzend Familien können auf diesem Weg ihre Seelenruhe finden. Der der ungeklärte Verlust von Angehörigen – und sei es vor 80 Jahren – wiegt psychologisch schwer auf allen Nachfahren, bewusst oder unbewusst. Nun ein konkreter Abschied kann über ein solches Trauma hinweghelfen. Auch ohne Hilfe der Kirche.
(2020-12-10)
ULM UND DIE SCHÖNEN KÜNSTE IN BILBO
Zugegeben, das Museum der Schönen Künste in Bilbo ist wenig antifa-verdächtig. Umso größer mag die Überraschung sein für jene, die sich etwas genauer mit dem aktuellen Ausstellungs-Programm beschäftigen. Schon mal von Otl Aicher gehört? Sehr wahrscheinlich nicht! Im besten Fall kennen ihn Zeitgenossinen aus dem schwäbischen Ulm, die Stadt mit Münster, Einstein, Donau und Spatz. Der Mann war Jahrgang 1922 und Designer, einer der besten in der zweiten Häfte des vergangenen Jahrhunderts.
Dass dieser Otl Aicher es geschafft hat, ausgerechnet in Bilbao bei den Schönen Künsten eine monografische Ausstellung zu ergattern, hat einen stichhaltigen Grund, den die große Mehrheit der Bilbo-Bewohnerinnen ebenfalls nicht kennt, obwohl sie seine Arbeit jeden Tag vor Augen haben. Aicher hat nämlich das Logo der Metro-Bilbao entworfen, die 1995 auf Reisen ging, erst linksflüssig, dann auch rechts und bald mit einer fünften Linie. Überall an den Haltestellen und auf den Zügen prangt Aichers Symbol in Form dreier in sich verschlungener Ringe in orange-roter Farbe. Diesen Auftrag hatte Aicher dem englischen Architekten und Pritzker-Preisträger Norman Foster zu verdanken, der den Auftrag erhielt, der neuen U-Bahn ein Gesicht zu geben.
Aicher hat übrigens auch die Plakate für die Münchener Olympischen Spiele 1972 gemacht und Sportsymbole entwickelt, die bis heute unvergessen sind. Und er war verheiratet mit einer gewissen Inge Scholl – Schwester von Sophie und Hans Scholl, die vom Hitler-Faschismus wegen Flugblättern hingerichtet wurden. Aicher selbst war Nazi-Gegner, wurde eingesperrt, weil er nicht der Hitler-Jugend beitrat und desertierte 1945. Zu seiner Arbeit als Designer gehörten auch politische Plakate gegen Faschismus und Atomkrieg. Zu sehen im Museum der Schönen Künste in Bilbao, bis 28. Februar 2021 (wenn der Coronavirus es zulässt).
(2020-12-09)
GEBOREN UND VERHAFTET AM 9. DEZEMBER
Im Kalender unserer historischen Jahrestage ist der heutige Tag doppelt markiert. Heute vor 39 Jahren wurde in Joe Fraziers Heimatstadt Philadelphia der afro-amerikanische Journalist Mumia Abu-Jamal festgenommen. Er wurde beschuldigt, einen weißen Polizisten erschossen zu haben, dabei hatte er selbst eine Kugel in der Lunge und stand kurz vor dem Tod. Mumia war im falschen Moment am falschen Ort. Auf seiner Taxifahrt kam er zufällig an einer Ecke vorbei, wo seinem Bruder übel mitgespielt wurde. Was danach passierte, wird sehr unterschiedlich geschildert. Jedenfalls wurde Mumia in einem skandalösen Prozess zum Tode verurteilt. Seither ist er eingesperrt, erst 30 Jahre in der Todeszelle, seit neun Jahren in der “Normalhaft“ des privatisierten US-Gefängnis-Systems.
Für Polizei und Justiz kam es gerade recht, dass Mumia in jener Nacht 1981 an besagter Stelle vorbeikam. Denn er war ein bekannter Aktivist bei den Black Panthers. Bereits mit 14 Jahren war er Pressesprecher der radikalen Partei, später erarbeitete er sich als Journalist den Namen “Stimme der Stimmlosen“ und verteidigte die anarchistische MOVE-Kommune. In einer von einem rassistischen und faschistoiden Bürgermeister regierten Stadt konnte das nicht ohne Folgen bleiben. Nur einer weltweiten Solidaritäts-Bewegung ist es zu verdanken, dass die beiden Exekutions-Befehle, die einst erteilt wurden, nicht ausgeführt wurden.
Trotz der nach wie vor vielen politischen Gefangenen aus dem Baskenland ist Mumia auch hier zu einer politischen Referenz geworden. Sein Bild hängt seit Jahren gut sichtbar am Platz eines bilbainischen Arbeiterviertels. Mumia hat seine Unschuld immer klargestellt. Andere haben dies bestätigt. Sogar der anonyme Schütze selbst. Das reichte bisher nicht aus, um ihn aus dem Gefängnis zu holen. Seine Freilassung ist eine Aufgabe, deren Erledigung noch aussteht. 39 Jahre nach seiner Inhaftierung.
1895
Etwas weiter zurück in der Geschichte finden wir den 9. Dezember als Geburtstag einer der bekanntesten kommunistischen Revolutionärinnen. Dolores Ibarruri hieß sie mit bürgerlichem Namen, international bekannt wurde sie als “La Pasionaria“, die Passionsblume, die im kleinen Bergbauort Gallarta vor Bilbao geboren wurde. Mit 20 heiratete sie 1915 einen Kommunisten und Bergarbeiter, vier ihrer sechs Kinder starben aufgrund der Lebensbedingungen infolge extremer Armut. Dolores trat 1921 der Kommunistischen Partei bei, schrieb Artikel für ein Bergarbeiter-Blatt und integrierte sich in die Arbeiterbewegung. Als gute Rednerin stieg sie zur Partei-Funktionärin auf und wurde ins spanische Parlament gewählt.
Nach dem faschistischen Militärputsch 1936 mobilisierte sie zur Verteidigung der Hauptstadt Madrid. Ihre Parole “No pasarán!“ – “Sie werden nicht durchkommen!“ wurde zum Schlachtruf der Verteidiger der Republik. Ihre Partei spielte während des Krieges eine zweilichtige Rolle. Die KPE hatte wenig Kräfte, kontrollierte aber die Waffenlieferungen aus der Sowjetunion, die teilweise gegen die spanischen Anarchisten eingesetzt wurden – an einer Revolution, wie die Anarchisten sie planten, hatte Stalin kein Interesse. 1939 ging Dolores ins sowjetische Exil, begündete in den 1960er Jahren den Euro-Kommunismus, kehrte 1977 nach Spanien zurück und wurde erneut ins Parlament gewählt. 1989 starb sie an einer Lungenentzündung. Die Pasionaria ist eine der wenigen Frauen der Geschichte, der Monumente auch außerhalb ihres Herkunftslandes gewidmet sind.
(2020-12-07)
FRANCO IST TOT – ALLES IN BUTTER!
Wenn Massenmörder und Diktatoren friedlich im Bett sterben, ist dies ein schlechtes Zeichen für die Nachwelt. Es bedeutet, dass sie alle Massaker, Kriegsverbrechen und Menschenrechts-Verletzungen überlebt und weggesteckt haben, ohne je dafür belangt zu werden. Einer der großen Unterschiede zwischen dem Hitler-Faschismus und dem spanischen Franquismus, die sich immer nahestanden und kooperierten, auch wenn Franco nicht mit in den Weltkrieg zog.
Einer der meist-zitierten Sprüche der vergangenen 45 Jahre Jahre im Baskenland lautet auf Spanisch: “Todo está atado, y bien atado“, ein Zitat von Franco selbst, das übersetzt lautet: “Alles ist festgezurrt und gut festgezurrt“. Gemeint war seine eigene Nachfolge und die Kontinuität des Franquismus in den gewohnten blutigen Bahnen. Als der Alte die Augen schloss, ging alles weiter wie vorher. Viel wurde und wird schwadroniert über den “beispielhaften demokratischen Übergang“ und die demokratische Konstitution. Dabei war alles von langer Hand festgezurrt.
Die Militärs blieben die selben und erzogen den uniformierten Nachwuchs weiter nach ihren Kriterien. Die Richter sprachen weiter Recht im franquistischen Sinne. Die Guardia Civil folterte weiter dieselben politischen Feinde. Die Polizei schoss weiter auf Streikende. Nur die Riege der Politiker musste den Stress auf sich nehmen, die Krawatte zu wechseln, sich im pseudo-demokratischen Parteien-Spiel zu üben und sich alle paar Jahre vom Pöbel wahltechnisch bestätigen zu lassen.
Bevor Verfassung und Autonomie-Statute verhandelt und die rebellischen Parteien wieder zugelassen waren, beschloss man für sich und alle Mitverbrecher eine Amnestie, die bis heute Gültigkeit hat. Keine politische Verhandlung mit Basken, Katalanen oder Kommunisten, die nicht genau beobachtet und kontrolliert wurde, ganz im Sinne des Caudillo. Keinen Millimeter durften die Privilegien der faschistischen Klasse eingeschränkt werden, jeder Ruf der Arbeiterklasse (Gasteiz 1976) oder der periphären Nationen (Baskenland, Katalonien) wurde mit eindeutigen Drohungen beantwortet.
Als es den Demokratie-Faschisten zu bunt wurde, schickten sie im Februar 1981 Panzer auf die Straße und nahmen das Parlament als Geisel. Dem von Franco eingesetzten König selbst wird die Initialrolle zugeschrieben. Doch in einem propagandistischen Schwenk verklärte er sich zum Oberdemokraten und ließ die Putschisten auflaufen. Doch sind sie nicht tot zu kriegen. Weil “das Land von Vaterlands-Verrätern, Kommunisten, Pro-Etarras und Sezessionisten regiert“ werde, begehren sie wieder auf und schießen dieselben Drohungen wie immer in den Raum.
PUTSCHISTEN, VOX UND EIN FRANCO-ENKEL
Sie schwanken in ihrem Diskurs, diese Neo-Franquisten. Einerseits sagen sie offen, dass früher alles besser war; gleichzeitig schwingen sie sich auf zu den großen “Verteidigern der Demokratie“. Nichts ist schlauer, als dies am “nationalen Feiertag zum Gedenken an die Verfassung“ zu tun. Eine Verfassung, die sie nie wollten und die sie 40 Jahre lang mit Füßen getreten haben. 271 pensionierte Militärs haben die Kanonen in Stellung gebracht und drohen offen mit Konsequenzen, wenn die “nationale Einheit und die verfassungsmäßige Ordnung“ in Gefahr bleiben. Die Mehrheit der “Demokratie-Beschützer“ hat die siebzig Jahre hinter sich gebracht, ist also noch zu Francos Zeiten in die Uniform geschlüpft, wie sich leicht nachrechnen lässt.
Putschisten von 1981 oder Brandredner gegen das katalaniasche Autonomie-Statut – alle sehen sie die Demokratie in Gefahr. Zum 42. Jahrestag des Referendums über die Verfassung (die im Baskenland keine Mehrheit erhielt) legten die Ultrarechten ein Manifest vor und griffen frontal die Regierung an. Den 271 schlossen sich weitere 200 an, der Zug ist nicht zu Ende. Die spanische Armee umfasst 200.000 Rentner.
Ex-Befehlshaber der Bodentruppen, der Marine und der Luftwaffe beklagen “die Auferlegung eines Einheitsdenkens” durch die derzeit Regierenden, ausgerechnet sie, die ein Regime vertraten, über das nie auch nur einmal abgestimmt worden wäre, das mit Blut und Schwert herrschte. Worin die “demokratische Sorge“ dieser Veteranen zum Ausdruck kommt, lässt sich im Internet und in Pressearchiven leicht nachlesen.
Kommandant Ricardo Pardo Zancada, zum Beispiel, wurde wegen Beteiligung am Februar-Putsch zu 12 Jahren Haft verurteilt– sicher mit bester demokratischer Absicht! General-Leutnant José María Mena wurde 2006 als General in Sevilla entlassen und verhaftet, weil er bei einer Militärparade anregte, Truppen nach Katalonien zu schicken, falls das neue Autonomie-Statut “unzulässige Grenzen überschreitet“ – ein waschechter Demokrat!
Divisions-General Juan Chicharro ist Präsident der Stiftung Francisco Franco – kann sich jemand eine gemeinnützige Hitler-Stiftung vorstellen? Falls nicht, bitte den Blick weit nach rechts wenden in spanische Gefilde. Sogar eine PP-Regierung war es gewesen, die seine Entlassung als Sprecher des San Hermenegildo Ordens akzeptierte, nachdem er ebenfalls eine Militär-Intervention gefordert hatte. Um die Demokratie zu retten!
General-Leutnant Emilio Pérez Alamán, der Admiral José María Treviño, der Divisions-General Luis Gómez-Hortigüela Amillo und der Brigaden-General Carlos Blond Álvarez del Manzano unterschrieben ein Manifest zur Wiedergutmachung für Franco, mit dem die Figur des Diktators verherrlicht und der MIlitärputsch von 1936 gerechtfertig wurde, als 2018 die Pläne bekannt wurden, die Überreste des Massenmörders aus dem Mausoleum Valle de los Caidos zu holen. Álvarez del Monzón drohte: “Wenn Katalonien unabhängig wird, muss das Parlament mit Kanonen in die Luft gesprengt werden“. Leicht zu erkennen: die durch und durch demokratische Gesinnung.
Auf der Unterschriften-Liste sind auch der General-Leutnant César Muro Benaya, der Divisions-General Luis Carvajal Raggio und der Brigaden-General Adolfo Coloma zu finden, letzter formulierte das Manifest, das im Oktober 2019 an den Vatikan geschickt wurde, auf Empfehlung der Franco-Stiftung. In diesem Schreiben wurde “die gigantische Anstrengung zur Versöhnung und die enorme Großzügigkeit und Milde“ des Diktators gelobt. Einem “Demokraten“, der während und nach dem Krieg von 1936 jeweils eine viertel Million Opfer auf dem Gewissen hatte.
Das “demokratische Verständnis“ dieser alten Garde ist unschwer zu erkennen: entweder es geht so wie wir wollen, oder wir schlagen mit Eisenbahn-Schienen zu. Militär-Ausbildungen sind weder Kaffeekränzchen noch antiautoritäre Kindergärten. Wer in Pablo Iglesias einen Krypto-Kommunisten sieht und in Arnaldo Otegi einen Pro-Etarra, hat den Bezug zur Realität verloren. Solcherart Realitäts-Verlust wird neuerdings auch im “demokratischen“ Parlament gepredigt, die Abgeordneten der Vox-Partei kommen dabei sehr direkt und ohne Umschweife zur Sache: Franco-Demokraten der besten Sorte. Und schließlich hat auch die PP von Aznar und Rajoy einen Ruf zu verlieren: den der postfranquistischen Sammlungsbewegung, der Krawattenwechsler und geläuterten Faschisten.
(2020-12-04)
HOHN UND SPOTT FÜR DIE LINKE
Wer falsche Entscheidungen trifft, muss sich über Hohn und Spott nicht wundern. Mit ihrer Zustimmung zum Staats-Haushalt 2021 hat die offizielle baskische Linke große Teile ihres ökologischen und anti-monarchischen Diskurses im Bermuda-Dreieck versenkt. Dies ist auch den politischen Gegnern nicht verborgen geblieben, die nun den Finger in die Wunde legen und frohlocken, wie wenig konsequent die linke Stimmabgabe in Madrid doch sei. Der Drang, sich zu Realpolitik in der Lage zu zeigen, fällt den Offiziellen nun auf die Füße.
REALPOLITIK
Zur Erinnerung: mit der Entscheiung zum Haushalt wurde die weitere Finanzierung des viel kritisierten Hochgeschwindigkeits-Zugs AHT-TAV auf den Weg gebracht. Der Kritik an der korrupten Borbonen-Monarchie, an migrationsfeindlichen und todbringenden Abwehrzäunen, oder gegenüber den folternden Guardia Civil wurde der Boden unter den Stelzen weggespült, sodass sie nun zu fallen droht. Realpolitik, in Deutschland weiß die Linke spätestens seit Joschka Fischer, was darunter zu verstehen ist: “Was kümmert mich mein Diskurs von gestern“.
MONARCHIE UND ALLTAG
In Notzeiten von Pandemie, Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise 5,3 Milliarden in ein anti-ökologisches und wirtschaftlich sinnnloses Projekt zu stecken, ist so verdaulich wie Granit. Mit den Stimmen der offiziellen baskischen Linken, so die Bezeichnung jenes Teils der Bewegung, die auf Parlamente und Institutionen setzt. Denn es gibt auch noch einen anderen (meist nicht genannten) Teil, der sich an seine vergangenen Diskurse hält und für Ökologie, Gerechtigkeit, offene Grenzen für alle und gegen Rassismus einsteht.
“Die basksiche Linke stimmt gegen die wichtigsten Tabus ihres bisherigen Diskurses“, kommentiert ironisch das Sprachrohr der baskischen Rechts-Nationalisten, die in Madrid schon immer ihre Felle teuer verkauft haben und sich nun von links in ihrer Strategie bestätigt sehen. “Sie haben sich unterwegs gebeugt und ihre Inhalte verkauft. Immmer haben sie den Hochgeschwindigkeits-Zug und die Monarchie verteufelt, oder den Fortbestand der Guardia Civil im Baskenland.“ Der (direkt aus dem Deutschen entliehenen) Begriff “Realpolitik“ könnte in der spanischen Sprache ambivalent verstanden werden: 1. als machbare Politik, und 2. als Politik für das Königshaus, la Casa Real.
Was in den Kolumnen von Baskultur schon lange vor der Zustimmung problematisiert wurde, hat im Lager der Offiziellen überraschenderweise noch nicht einmal zu Polemik geführt. Zumindest nicht öffentlich. Bösartigerweise hat der Schreiber dieser Zeilen seine linken Kontakte in Bilbao mit dem höhnischen Gelächter der Gegenseite gefüttert und dabei seltsame Reaktionen erhalten. “Ich wusste gar nicht, dass dieser Schnellzug durch unseren Stadtteil führt“, schreib einer, um unter Beweis zu stellen, dass sein Blick nicht über den Kirchturm hinaus reicht.
GENTSCHER-SYNDROM?
Nachdem Otegi bereits vor drei Wochen die Zustimmung zum Haushalt in Aussicht gestellt hatte, zog einen Tag später der Sortu-Chef Arkaitz Rodríguez nach, mit einem Angriff auf die baskische Rechte: “Ihr seid nach Madrid gezogen, um für den Zug und für Steuerfreiheit zu betteln. Wir werden dort soziale Rechte und Arbeitsrechte herausholen. Jahrzehntelang habt ihr das Regime unterstützt zum Preis von Vorteilen von einigen wenigen. Wir gehen nach Madrid, um dieses Regime definitiv zu stürzen, zum Vorteil der Mehrheit der Völker.“ Drei Wochen später, so das mediale Zentralorgan der rechten PNV, “haben sie dieser Investition zugestimmt“. Hohn und Spott. Pikanterweise war Arkaitz Rodríguez vor seiner Verhaftung im Jahr 2009 einer der Sprecher der Bewegung gegen den Schnellzug.
Aber nicht genug. “EH Bildu hat auch die 8,4 Millionen für das Königshaus abgesegnet, 6,9% Kosten-Steigerung inbegriffen, gemeinsam mit der PP übrigens“. Es folgt eine Aufzählung der Errungenschaften die die PNV bei ihrem Stimmen-Geschacher auf ihrem Konto verbuchen konnte. Für die offizielle baskische Linke gab es keine Gegenleistungen, weder die versprochene Rücknahme der neoliberalen Arbeitsreform von Rajoy, noch dessen Maulkorb-Gesetz, Wahlversprechen der PSOE sebst. Bleibt nur die vage Hoffnung, dass die Gefängnis-Behörden die vorsichtige Öffnungs- und Annäherungs-Politik gegenüber den baskischen politischen Gefangenen fortführen möge.
Angesichts der schwerwiegenden politischen Dimension der zum Haushalt gehörenden Fragen wären andere Wege der Entscheidungsfindung möglich gewesen. Zum Beispiel eine offene und kritische Dikskussion darüber, welche Konsequenzen die HH-Zustimmung hat. Ehrlich, kontrovers, mit offenem Visier, aber einer linken Organisation würdig. Das genaue Gegenteil war der Fall. Ohne jegliche offene Diskussion: der Chef empfahl (befahl), die Herde folgte (mit Ausnahme der 5% schwarzer Schafe).
(2020-12-03)
50 JAHRE BURGOS-PROZESS (3)
Heute vor 50 Jahren begann in Burgos vor einem Militär-Tribunal der Prozess gegen 16 ETA-Mitglieder, denen das Attetat gegen den Folter-Polizisten und Nazi-Kollaborateur Meliton Manzanas vorgeworfen wurde. Der Franquismus schwächelte, überall gab es Streiks und illegale Demonstrationen. Da war der Prozess gegen die Aufrührer ein willkommener Anlass, die eiserne Hand zu zeigen.
Doch daraus wurde nichts. Der Prozess fand internationale Beachtung, das faschistische Regime zeigte sich von seiner schlechtesten Seite, Politiker (auch konservative) aus der halben Welt protestierten gegen das Verfahren. Gleichzeitig versuchten sich die Angeklagten keineswegs zu entschuldigen oder herauszureden. Ihre Strategie war offensiv, sie gingen zum Gegenangriff über. Die Diktatur wurde auf die Anklagebank gesetzt. Sie bekannten sich zu ihrer ETA-Mitgliedschaft und zu ihrer Opposition gegen das Franco-Regime. Internationale Beobachter trugen die Ereignisse in alle Welt, ETA erfuhr im spanischen Staat eine ungekannte Berühmtheit und Sympathie.
Der Schnellprozess, in dem nichts auch nur halbwegs mit Justiz zu tun hatte, endete wie vom Regime geplant: mit harten Strafen. Sechs Personen wurden zum Tode verurteilt, drei davon gleich zwei Mal. Die übrigen bekamen hohe Haftstrafen bis zu 70 Jahren, nur eine Angeklagte wurde freigesprochen. Dieses Urteil provozierte erneut Proteste auf internationalem Parkett, was dazu führte, dass die Todesurteile in Haftstrafen umgewandelt wurde. Am 28. Dezember wurden die Strafen verkündet, nur zwei Tage später beschloss der franquistische Ministerrat, die Todesurteile nicht umzusetzen.
Der Burgos-Prozess gilt als einer der Wendepunkte des Franquismus. Unter den Regime-Gegner*innen im Staat war die Sympathie für die entschlossen vorgehenden Bask*innen stark verbreitet – wer sollte sich auch über den Tod eines berüchtigten Folter-Polizisten aufregen. Fünf Jahre später kam es erneut zu einem Prozess gegen Regime-Gegner. Diemal waren zwei ETA-Aktivisten angeklagt und drei Militante der linken Organisation FRAP. Nur zwei Monate vor dem Tod Francos wurden alle fünf zum Tode verurteilt. Wieder kam es zu internationalen Protesten. Doch stand in diesem Fall das Regime derart mit dem Rücken zur Wand, dass sich die Hardliner durchsetzen konnten. Die Todesurteile wurden vollstreckt.
(2020-12-01)
STREIT UM DIE RÖMERSTADT (1-12)
Wissenschaft ist keineswegs objektiv, sie wird interpretiert, nach wissenschaftlichen, historischen und kommerziellen Gesichtpunkten. Geschichte ist ohnehin ein Schmelztiegel von Halbwahrheiten und Manipulationen, angefangen damit, dass sie meist die Überlieferung der Herrschenden darstellt und die Unterklassen praktisch nicht vorkommen. Nicht einmal die Archäologie ist neutral, ein Stein, eine Scherbe, ein Feuerstein kann alles oder nichts bedeuten.
Iruña Veleia liegt 10 Kilometer westlich der Euskadi-Hauptstadt Vitoria-Gasteiz und ist schon lange bekannt als Standort einer großen römischen Siedlung. Im 14. Jahrhundert wurde der Name erstmals niedergeschrieben, im 19. Jahrhundert wurden die ersten Ausgrabungen vorgenommen. Danach kam es alle paar Jahrzehnte zu neuen Grabungs-Kampagnen, die immer reichhaltige Resultate brachten.
Im Jahr 2002 erhielt eine Firma mit Namen Lurmen die Konzession zu neuen Ausgrabungen, vier Jahre später wurde es spannend. Berichtet wurde von sensationellen Funden, die so manche historisch-wissenschaftliche These zum Wanken bringen könnte. Gefunden wurden Tonscherben, die mit Schriftzeichen graviert waren. Vor allem die Sprache dieser Zeichen hatte es in sich: Latein war gemischt mit Baskisch, daneben kamen ägyptische Hieroglyphen zum Vorschein. Für die einen bedeuteten diese Funde neue Erkenntnisse, für die anderen die Bedrohung ihrer bisherigen Forschungen mitsamt der Begleit-Literatur, von der viele denn auch leben.
Und was war an den Schrifttafeln so gefährlich? Im Zentrum geht es um die baskische Sprache. Der allgemeine wissenschaftliche Konsens lautet, dass es sich beim Euskara um “die älteste überlebende europäische Sprache handelt“ – wohlgemerkt, nicht die älteste schlechthin, sondern jene, die die Jahrtausende überlebt hat. Ab wann die Völker und Stämme zwischen Bordeaux, Santander, Rioja und Saragossa Baskisch sprachen, darüber gehen die Ansichten jedoch weit auseinander. Ideologische und kolonialistische Elemente finden sich in diesem Disput wieder. Spanische Intellektuelle haben sich schon in dümmliche Behauptungen verstiegen, wie: Euskara sei ein Dialekt des Spanischen. Hintergrund ist, dass es den auf ihre “Kultursprache“ derart stolzen Iberern nicht ins Gemüt will, dass ausgerechnet die Sprache “dieser unzivilisierten Basken“ Tausende von Jahren älter ist als ihr von der Römersprache abgeleitetes Kastilisch.
Die Geschichte und historische “Anwesenheit“ des Euskara zeitlich zu reduzieren, ist somit durchaus auch eine imperiale Mission, mit deren Durchführung Wissenschaftler beauftragt sind, die davon leben. Geforscht wird dort, wo es sich lohnt. So ließ die Reaktion auf die “Sensationsfunde“ nicht lange auf sich warten. “Wissenschafts-Kollegen“ äußerten ihre Zweifel, die zum Abbruch der Ausgrabungen führten und im Vorwurf gipfelten, der Lurmen-Chef habe die Schriftgravuren selbst auf den Tafeln angebracht.
Danach teilte sich die wissenschaftliche Gemeinschaft zu dieser Frage in Verteidiger der Lurmen-Ergebnisse und solche, die von Fälschung sprechen. Die Verteidiger sprechen davon, dass nach dem damaliegn Abbruch der Ausgrabungen erneut gegraben worden sei, jedoch nicht in üblicher archäologischer Weise mit dem Schäufelchen, sondern mit dem Bagger. Um weitere Funde zu verhindern oder zu zerstören. Eine von ihnen geforderte internationale unabhängige Untersuchung wurde abgelehnt. Mit der Negation der Lurmen-Fundstücke kann eine Reihe von “Experten“ weiter behaupten, die baskische Sprache sei erst ab dem sechsten Jahrhundert “aus dem Norden importiert“ worden, die Christianisierung sei ebenfalls spät erfolgt. Der Lurmen-Chef wurde übrigens elf Jahre danach vor Gericht gestellt und 2020 wegen Fälschung verurteilt.
ABBILDUNGEN:
(0) Collage FAT
(1-12) Iruña Veleia (wikipedia)
(1-12) Iruña Veleia (elcorreo)
(3-12) Burgos-Prozess
(4-12) Baskischer Schnellzug
(7-12) Faschistische Militärs
(9-12-) Mumia Abu-Jamal
(9-12) La Pasionaria
(10-12) Otl Aicher
(11-12) Tal der Gefallenen
(14-12) Bateragune
(15-12) Folter, systematisch
(16-12) Für internationale Anerkennung der Kicker*innen
(20-12) Unrechts-Justiz im Staat
(21-12) Argala
(22-12) Umfrage zur Selbstbestimmung
(24-12) Sterbehilfe
(26-12) Gegen Rassismus
(29-12) CO2-Emissionen (ap)
(30-12) Guggenheim in Urdaibai
(31-12) Pentagon Covid
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2020-12-01)