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Literatur ermöglicht eine andere Wahrnehmung der Realität

Interview mit Hasier Etxeberria. Hasier Etxeberria (Elgoibar 1957) schreibt Romane und Sachbücher. Eine seiner neuesten Romane ist Iturrino handia (2007, Der grosse Iturrino). Seit 1983 arbeitet er als Journalist beim baskischen Fernsehen ETB und moderiert Sendungen über Literatur, Bildende Kunst und Gastronomie. Seine Literatursendung »Sautrela« im baskischen Fernsehen ETB1 zeigte, dass die Literatur eine Welt ist und die baskische Literatur, so klein sie ist, ein Teil davon. 

Wie stellt sich die Situation der baskischen Literatur heute dar?

Ich glaube, es geht der baskischen Literatur so gut wie nie. Nie gab es so viele Autoren, nie so viele Leser. Viele aus meiner Generation haben nicht gelernt, auf Baskisch zu lesen. Erst seit Einführung der Demokratie gibt es ein funktionsfähiges baskisches Schulsystem. Wer auf Baskisch liest, liest aber auch auf Spanisch, Französisch oder Englisch. Baskische Autoren müssen sich also gegen eine große Konkurrenz behaupten. Wenn ich auf Baskisch schreibe weiß ich, dass ich höchstens 15.000 Leser erreiche. Bei einer Auflage von 5.000 habe ich einen Bestseller gelandet. Gleichzeitig habe ich einen festen Leserstamm, unsere Leser kennen uns. Kein baskischer Autor kann vom Schreiben leben, aber in gewisser Weise befreit uns das vom Druck des Marktes. Wer schreibt, tut dies, weil er es will und hat dabei eine große Freiheit. Auch deshalb, glaube ich, ist die baskische Literatur so vielseitig wie nie zuvor.

Vor kurzem erschien Maldetan sagarrak (2007), ein Buch über das Verhältnis zwischen Literatur und politischem Konflikt im Baskenland. Sie haben darin einen Beitrag veröffentlicht.
azoka05069xDas Buch basiert auf Vorträgen, die 2005 an der Sommeruniversität in Biarritz gehalten wurden. Als ich um einen Vortrag gebeten wurde, kam mir die Idee, aus bestimmten Passagen meines Lebens – meine Eltern, Erlebnisse meiner Kindheit, Erfahrungen mit der Polizei ... – eine Art Script zu schreiben und den Teilnehmern die Frage zu stellen, ob es sich um Fiktion oder Realität handele. Ich wollte damit zeigen, dass es schwierig ist, abstrakt über dieses Thema zu sprechen, denn ich lebe mit diesem Konflikt, seit ich denken kann. Meine Sicht auf die Realität ist davon geprägt. Würde ich ein Buch über die Kaiserin Sissi schreiben, würde er wohl auch darin einfließen. Vor einigen Jahren warf man der baskischen Literatur vor, den Konflikt auszuklammern. Es ging wohl eher um die Frage, über den Konflikt zu schreiben, ihn zu bewerten. Das aber halte ich für die Aufgabe von Politikern und Journalisten. Auf literarischer Ebene wurde der Konflikt nie ausgeklammert.

In dem Buch werden verschiedene Sichtweisen dieses Konflikts dargestellt.
Selbstverständlich. Lange Zeit gab es praktisch zwei Welten. In der Mitte war eine Trennungslinie. Heute ist die Situation differenzierter, es gibt viel mehr Nuancen, feine Unterschiede.

Es gelingt also in der Literatur etwas, das in der Politik nicht gelingt?
Ja, ich denke schon. Es ist die Literatur, die uns verbindet. Bestimmte Mechanismen aus der Politik erreichen auch uns, aber wir sind Schriftsteller, keine Politiker. Jeder schreibt von seiner Realität ausgehend. Auf dieser Ebene verstehen wir uns. Viele meiner Schriftstellerkollegen haben eine andere Meinung als ich, aber das wäre kein Grund für mich, ihre Literatur abzulehnen. Ich bewerte sie danach, ob sie gut oder schlecht ist, ob sie mir etwas zu sagen hat oder nicht.

Das Buch geht unter anderem der Frage nach, ob das »Exportfähigste« an der baskischen Literatur der politische Konflikt sei.
Das müssen die Leser in anderen Ländern entscheiden. Man könnte auch fragen: Ist die Nazizeit das Exportfähigste an der deutschen Literatur? Ich glaube nicht. Literatur handelt von Menschen und den Konflikt sehe ich als die sie umgebenden Wetterverhältnisse. Würde unsere Literatur aber nur aus diesem Grund gelesen, wäre das ein Armutszeugnis.

Was ist also das Besondere an der baskischen Literatur?
Das, was sogenannte kleine Literaturen ausmacht: Dadurch, dass wir oft unsere Besonderheiten verteidigen müssen, haben wir auch eine besondere Fähigkeit, sie darzustellen. Die baskische Literatur ist ein Teil der universellen Literatur. Jeder Schriftsteller der Welt braucht zum Schreiben ein bestimmtes Material, und dieses Material hat jeweils seinen Geschmack, seinen Geruch, seine Farben.
(Donostia / San Sebastián, 26.02.2007)

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