Befreiungstheologie auf Baskisch
Das Baskenland hat den Tod einer geliebten und verehrten Person zu beklagen. Am 24.Juni 2015 starb der abertzale Arbeiterpriester Periko Solabarria. Sein politisches Engagement geht bis in die Zeit des franquistischen Regimes zurück. Auch als Parlamentarier blieb er seinen sozialistischen Ideen und Idealen treu. Bis kurz vor seinem Tod erfuhr Periko Solabarria Repression und Gefängnis, vor allem aber großen Respekt von Unterdrückten und sozialen Bewegungen, für die er sich stark machte.
In der bizkainischen Industriestadt Portugalete wurde Periko Solabarria (Pedro María Solabarria Bilbao) am 27. Januar 1930 geboren, sechs Jahre bevor die faschistischen Generäle putschten und der Spanische Krieg begann. Seine Mutter war Hausbedienstete aus Bakio, sein Vater Minenarbeiter in der Bergbauregion von Trapagaran (Bizkaia). Den Krieg erlebte Solabarria in seiner Geburtsstadt, das elterliche Haus wurde bei einem Bombenangriff schwer beschädigt.
Das Priesterleben
Im Jahr 1941, mit 11 Jahren, ging Periko ins Priesterseminar von Gordexola, später studierte er in Bergara, Artea und Gasteiz. Mit 24 Jahren (1954) wurde er Pfarrer in der Arbeitergemeinde Triano in La Arboleda, dort widmete er sich von Beginn an der Bildung der Minenarbeiter und ihrer Familien. Periko Solabarria war der erste Arbeiterpriester Bizkaias als sich der Franquismus in seinen dunkelsten Zeiten befand. Er unterstützte illegale Streiks und wurde 1962 in die Pfarrgemeinde Santa Teresa in Barakaldo versetzt, ebenfalls im Industriegebiet vor Bilbao. 1968 wurde er zum ersten Mal verhaftet und 3 Monate lang inhaftiert in einem speziell für widerständische Geistliche errichteten Gefängnis in Zamora (Kastilien), das die Franquisten mit dem Vatikan ausgehandelt hatten. Sein Delikt waren drei Predigten, in denen er kein Blatt vor den Mund genommen hatte. Ein Jahr später musste Periko Solabarria weitere zwei Monate in Haft verbringen wegen der Verbreitung von Flugblättern. Danach gab er das Priesteramt auf und arbeitete als Hilfsarbeiter im Baugewerbe, wo er sich durch Baustaub bedingt ein schweres Lungenleiden holte. (1)
Seine Wohnung, ein feuchter Keller, diente vielen antifranquistischen Widerstandskämpfern als Unterschlupf. Er half legalen Organisationen wie den christlichen Arbeiter-Organisationen JOC oder HOAC, aber auch illegalen Gewerkschaften wie ELA, USO, CCOO oder der Arbeiterfront (Frente Obrero) von ETA. 1975, nach dem Tod Francos, war er maßgeblich am Aufbau der abertzalen Gewerkschaft LAB beteiligt. (2)
Solabarria als Parlamentarier
Im Jahr 1977, bei den ersten Wahlen nach dem Tod Francos, war Solabarria Kandidat der links-nationalistischen Partei Euskadiko Ezkerra für das spanische Parlament. Ein Jahr später tritt er der links-nationalistischen Wahlplattform Herri Batasuna bei und wird 1979 und 1982 bei den Wahlen zum spanischen Parlament zwei Mal zum Abgeordneten gewählt, nimmt seinen Sitz gemäß der Parteidoktrin jedoch nicht wahr. 1980 wird er ins baskische Regionalparlament mit Sitz in Vitoria-Gasteiz gewählt, verzichtet aber ebenfalls. Später war er zwischen 1983 und 1991 Stadtrat von Barakaldo und Abgeordneter im Regionalparlament von Bizkaia, ebenfalls für Herri Batasuna. Bis zu seinem Tod war Periko Solabarria unermüdlich aktiv im Kampf für soziale Rechte. Er engagierte sich in der Nachbarschaftsbewegung, gegen Stierkampf, in der Ökologiebewegung, war Internationalist, setzte sich für die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ein und kämpfte in Zeiten der Wirtschaftskrise mit der Bewegung gegen Zwangsräumungen.
Der solidarische Geist
Periko Solabarrias Leben war geprägt vom Kampf für eine bessere Welt. Einen tiefen Eindruck hinterlässt er nicht nur unter denen, die seinen sozialen Aktivismus aktiv mittrugen, sondern auch in anderen politischen Lagern, die seine Führungsqualitäten und seinen unermüdlichen altruistischen Charakter anerkannten. Obwohl von schwacher Gestalt war er immer bis zur Erschöpfung bereit, dort zu helfen wo es nötig war.
Bereits in jungen Jahren entwickelte Periko ein starkes Klassenbewusstsein, auch wenn sein eigentlicher "Einstand", wie er selbst sagte, erst begann, als er als junger Pfarrer in das Bergbaugebiet von La Arboleda geschickt wurde. In Triano lag es auf der Hand, was Ungleichheit und Armut wirklich bedeuteten, in diesem Dorf von Bergarbeiter-Familien, in dem es keinen Strom und kein Abwasser gab. Auf der anderen der Flussmündung hingegen, in Neguri, in den Wohnvierteln der Minenbesitzer, in Sichtweite sozusagen, gab es alles im Überfluss. "Ich fragte mich was meine Aufgabe als Pfarrer sei. Die Messe lesen? Nein. Predigen? Auch nicht. Die Würde des Menschen steht über jedem Evangelium und über allen Religionen. Ich legte die Soutane ab und machte mich an die Arbeit. Hier fehlte kein Pfarrer, hier musste Klassenbewusstsein geschaffen und die Arbeit in Gruppen organisiert werden. Um bessere Lebensbedingungen für alle zu erreichen, musste gegen Ungleichheit und Armut gekämpft werden", erklärte Periko Solabarria später.
In jenen Jahren entwickelte Periko den Charakter, der ihm bis zu seinem Tod eigen war und alle prägte, die ihn kannten. Für jene, die ihr Leben damit verbrachten, fast mit bloßen Händen für einen miserablen Lohn Eisenerz abzubauen wurde er zum Lehrer. Als Priester lehrte er sie, dass mit Kampf auf allen Ebenen Ziele erreicht werden konnten. Seine "Universität von Triano" war der erste von vielen Schützengräben, in denen dieser schmächtige und gleichzeitig so energische Mann aktiv war.
Der Journalist Juan Mari Arregi lernte Solabarria kennen, als er 1966, damals selbst Pfarrer, in die Gemeinde Ortuella geschickt wurde. Im gesamten Minenabbaugebiet (bask: Meatzaldea) "galt er als Heiliger. Und mit heilig meinten wir, dass er uneigennützig, großherzig, den anderen zu Diensten, direkt und kämpferisch war, dieser Don Pedro, später Periko genannt, er war es sein Leben lang", führt er aus. "Als erster Arbeiterpfarrer Bizkaias zeigte er uns anderen Arbeiterpfarrern den Weg". Arregi erinnert sich, wie Solabarrias Wohnung während des Franquismus, zuerst in Triano, dann ein feuchter, dunkler und kalter Keller in Barakaldo zum "Schauplatz klandestiner Versammlungen wurde und zum Arbeitsplatz für die Herstellung von Flugblättern mit Matrizendrucker". Er nutzte die Tatsache, dass es sich um die Priester-Wohnung handelte. So fanden in diesem bescheidenen Souterrain viele vom Regime verfolgte Aktivisten vorübergehend Schutz oder Unterschlupf, unter anderem Txabi Etxebarrieta von ETA, die baskischen Sozialdemokraten Ramón Rubial und Nicolás Redondo von der PSOE, oder der spätere spanische Regierungschef und heutige Parteirechte Felipe Gonzalez.
Solabarria war maßgeblich am Aufbau der abertzalen Koalition Herri Batasuna beteiligt, bis zu seinem Tod war er trotz schlechter Gesundheit auf der Straße, auf Seiten der Armen und Marginalisierten. Erwerbslose, kämpfende Arbeitergruppen, von Männergewalt betroffene Frauen, soziale Aktivistinnen, Migrantinnen, aus ihrer Wohnung Zwangsgeräumte, alle konnten mit Perikos Solidarität und Präsenz rechnen. "Bis zu seinem Tod", betont Arregi nachdrücklich, "war Periko einer der Unentbehrlichen, von denen Bertolt Brecht spricht, einer der wenigen, die ihr ganzes Leben lang kämpfen."
Gefängnisstrafen
Seine Anklage gegen die Diktatur von der Kanzel der Kirche Santa Teresa in Barakaldo brachte ihn 1968 ins Gefängnis von Zamora, das speziell für die vielen gegen die Diktatur agierenden katholischen Priester eingerichtet worden war, mit Einverständnis des Vatikans. Periko wurde von franquistischen Gerichten zu drei Geldstrafen von jeweils 36.500 Peseten, während sein Jahresgehalt 36.000 Peseten betrug. "Ich träumte davon, weiter gegen die Ungerechtigkeiten zu predigen, gegen die Abschaffung von Meinungsfreiheit, für gewerkschaftliche Organisierung, Streikrecht und Demonstrationsrecht, für einen Kampf im Untergrund und gegen eine Kirche, die sich zum Werkzeug der Diktatur machte. Die Kanzel war die Bühne meines Kampfes, gleichzeitig arbeitete ich als Hilfsarbeiter im Baugewerbe. Meine Stimme war Schrei, Anklage, Streik", erinnerte er sich.
Seine Solidarität mit dem Streik in der Eisenverhüttungsfabrik Altos Hornos de Vizcaya brachte ihn 1969 erneut ins Gefängnis. "Mein Prozess fand vor dem franquistischen Sondergericht (Tribunal de Orden Público) statt. Sie boten mir an, mich gegen Zahlung einer Kaution freizulassen, aber ich lehnte ab. Im Gefängnis dachte ich, dass dies eine weitere Etappe meines politischen und gewerkschaflichen Kampfes war", sagte Solabarria. Bei einem anderen Streik 1977 wurde er verantworlich gemacht für eine 135 Tage dauernde Arbeitsniederlegung im Bauwesen Bizkaias, was 45 Tage Knast bedeutete. "Der Richter machte mich zum Alleinverantwortlichen eines Streiks von 3.000 Arbeitern. Ich träumte davon, dass der gesamte Arbeitgeberverband meine Freiheit forderte, weil Periko im Gefängnis bedeutete, dass die Arbeit nicht wieder aufgenommen wurde. Es war der längste Streik nach dem Krieg: 180 Tage", berichtete er.
Der Kampf war für Periko Solabarria eine ständig präsente Aktionsform, immer stand er auf der Seite seiner sozialen Klasse und seines Volkes. Er war bescheiden, lehnte jegliche Privilegien ab und wurde zum Beispiel für mehrere Generationen von Baskinnen und Basken. "Ich träumte von der Fortsetzung des Kampfs und davon, die Seele eines Minenarbeiters zu haben, ein Guerrillero zu sein. Das Träumen", sagte er, "gab mir Kraft für die alltäglichen Kämpfe an den Orten der Arbeit".
Soziale Bewegungen
Zeitlebens war Periko Solabarria Teil der linken baskischen Unabhängigkeits-Bewegung. Das hielt ihn in seinen letzten Lebensjahren nicht davon ab, sich auch mit anderen sozialen und ökologischen Bewegungen solidarisch zu zeigen, die ideologisch anders orientiert waren. Im Gegensatz zu den meisten anderen politischen Aktivisten suchte er das Verbindende und nicht das Trennende.
Im Jahr 2008 war Solabarria einer der beiden Protagonisten des Dokumentarfilms "Euskal Herria Helmuga" (Ziel: Baskenland), bei dem es um die frühere und heutige Inmigration ins Baskenland ging. Dieser Film wurde zu einem Zeitzeugnis seines Lebenswerks. Periko erzählte von der Armut in den Bergbaugebieten, von den Streiks, von den Migrantinnen aus unterschiedlichen Regionen des spanischen Staates, die in der baskischen Industrie ihr Glück suchten. Bei seinen Schilderungen machte er deutlich, dass viele der Streiks und Widerstandsaktionen niemals möglich und erfolgreich gewesen wären ohne die oft unsichtbare Unterstützungsarbeit der Frauen.
Periko Solabarria war einer der ersten, der vor Jahren das Internet und die sozialen Medien für seine politische Arbeit entdeckten, vielen Jüngeren war er dabei einen Schritt voraus. Bekannt war er unter den Foto-Journalisten, die zur Berichterstattung zu Demonstrationen kamen. Immer hatte er eine kleine Digitalkamera dabei, die er an einen der anwesenden Fotografen reichte mit der Bitte "Mal doch bitte mal ein paar Fotos für mich". Keiner der Profis sagte jemals nein zu diesem Anliegen.
Doch sein delikater Gesundheitszustand führte dazu, dass er nicht mehr an allen Schauplätzen präsent sein konnte, auch wenn es ihm schwer fiel, auf Abstand zu gehen. Seine Solidarität mit der baskischen Jugend führte dazu, dass er vom Spanischen Sondergericht (Audiencia Nacional, Nachfolge-Instanz des franquistischen Sondergerichts TOP, Tribunal de Orden Público) wegen Verherrlichung des Terrorismus angeklagt wurde. Anlass dafür war seine Teilnahme an der Gründungsversammlung der neuen abertzalen Jugendorganisation ERNAI. Die Verfolgung schüchterte ihn nicht ein, am Ende wurde er nicht verurteilt. Mit den anderen Angeklagten fuhr er nach Madrid zur Verhandlung, wo er dann wegen seines Gesundheitszustands vom Verfahren ausgeschlossen wurde.
Wegen einer Lungenentzündung wurde Periko Solabarria im Juni ins Krankenhaus gebracht. Bis zu seinem Tod ließ er sich jeden Tag Zeitungen bringen, um auf dem Laufenden zu sein über die Ereignisse in der Welt. Am 24. Juni 2015 starb er im Santa Marina Krankenhaus von Bilbao.
Fotoserie der Gedenkveranstaltung für Periko Solabarria in Barakaldo am 28.Juni 2015 (LINK)
ANMERKUNGEN:
(1) Tageszeitung Gara "Agur a una vida entera de lucha" (Ende eines lebenslangen Kampfes), von Agustin Goikoetxea, 25-06-2015.
(2) abertzal: baskisches Wort für patriotisch, das vor allem in einer linksorientierten Bedeutung benutzt wird.
ABBILDUNGEN:
(1) bis (3) Ehrung für Periko Solabarria in Arboleda im Jahr 2013. Alle Fotos stammen aus dem FAT – Foto Archiv Txeng
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2015-06-28)