Altes Gewerbe im Baztan
Wenn Leute im Baztan-Tal nach derSchmugglerei gefragt werden, erzählen sie, dass fast alle Bewohnerinnnen in irgendeiner Weise am Geschäft beteiligt waren. Das Baztan-Tal liegt ideal für diese illegale Tätigkeit, am Fuße der noch niedrigen Pyrenäen, unterhalb der französisch-spanischen Grenze, nicht leicht zugänglich. Der neueste Trend: die Geschichte der Schmugglerwege wird nun in alternativem Tourismus aufgearbeitet, ein Verein bietet Exkursionen an, eine Nacht oder sieben Tage.
Das Baztan-Tal liegt ungefähr 60 Kilometer nördlich der navarrischen Hauptstadt Pamplona (bask: Iruñea). Zur Grenze geht es Richtung Norden über Urdax, Zugarramurdi nach Dantxarinea, nach Osten geht es über Erratzu über die Grenze nach Baigorri. Doch das sind nur die offiziellen Wege, die heute mit Autos befahren werden, früher aber mit Ochsenkarren oder zu Fuß zurückgelegt wurden. Es versteht sich von selbst, dass die Schmuggler diese Wege vermieden so gut sie konnten. Daneben gab es ausreichend alternative Wege, an Bachläufen entlang, Hänge hinauf und hinab, schmale Pfade durch das Gehölz, an Felsgruppen entlang, quer durch die Wälder der Gegend. Dort gingen die Leute aus dem Baztan einem alten Gewerbe nach: sie bedienten dies- und jenseits der Grenzen die Bedürfnisse, die sonst nicht zu erfüllen gewesen wären. Dabei ging es vor allem um Konsumgüter, aber nicht nur, auch Waffen und andere Gebrauchsgüter waren Gegenstand nächtlicher Transporte und Wanderungen. Und es wurden Personen über die Grenzen gebracht, Leute, die ihre Gründe hatten, nicht die offiziellen Wege zu benutzen und unerkannt in das Nachbarland einzutauchen.
Über lange Zeit hinweg war das Schmuggler-Geschäft der wichtigste Geschäftszweig des Tals, es war die Tätigkeit, die die meisten Einnahmen brachte und wurde so zum wirtschaftlichen Motor. Seine große Zeit hatte die Schmuggelei zwischen 1945 und 1965, im tiefsten Franquismus, der Spanien von Europa abzuschottten versuchte. Bauern waren es vor allem, die der "gau lana", der nächtlichen Arbeit nachgingen. Neben der harten, gefährlichen, nächtlichen Arbeit führte dies ganz nebenbei dazu, dass bei Familienfeiern in den meisten Haushalten immer eine Flasche guten französischen Cognacs von den großen Marken vorhanden war, manchmal sogar Champagner – Produkte, die im spanischen Staat überhaupt nicht oder nur für viel Geld zu kriegen waren.
Historische Daten
Im Jahr 1950 schrieb die Zeitschrift "Pregón" (spanisch, Rufer): "Drei Dinge sind es, die die Basken von den beiden Hängen der Pyrenäen miteinander verbinden: das Blut, der Regen und der Schmuggel. Nur der Regen ist sichtbar, nur der Schmuggel hat eine solide Basis". Schmuggel gab es seit es Grenzen gab. Solange Süd-Navarra noch eigene Grenzen hatte, als die Ribera bei Tudela noch die Grenze zu Kastilien bildete, spielte sich der Schmuggel dort ab. Nachdem die Grenze 1841 per Dekret aufgelöst und Navarra der letzte Hauch von Autonomie genommen wurde, verlagerte sich das Geschäft Richtung Norden. Die Karlisten-Kriege bedeuteten Hochkonjunktur für die Wanderer zwischen den Welten, denn in entfernten Orten wurde Nachschub benötigt, Karlisten und Liberale mussten über die Grenze und zurück. Es ist dokumentiert, dass der Urheber der Karlistenkriege, der Thron-Prätendent Carlos V. ganze 300 Franken zahlen musste, um in den dreißiger Jahren des 19.Jhs über die Berge gebracht zu werden. Doch die goldene Zeit kam mehr als 100 Jahre später mit der internationalen Isolierung der Franco-Diktatur.
Schmuggler-Anekdoten
Das Schmuggler-Geschäft im Baskenland hatte verschiedene Formen: der Mugalari (baskisch für Grenzgänger) brachte Personen über die Grenze, der Ramalero (spanisch für Viehtreiber) brachte Tiere von einem Ort zum anderen, der Paquetero (spanisch für Paketbote) war für den Transport von Waren zuständig. Die meisten damals geschmuggelten Dinge waren Güter, deren Kauf und Konsum heute selbstverständlich sind: Zucker, Kaffee, Knöpfe, Feuerzeuge oder Kupfer. Doch zu jener Zeit waren es Luxus-Gegenstände von hohem Preis. Es wird erzählt, dass in einem Fall sogar ein Auto hinüber gebracht wurde in einem Ochsenwagen, der mit Gras beladen und getarnt war. Oder dass die Setzmaschine, mit der die Zeitung "El Pensamiento Navarro" angefertigt wurde, auf Schmuggler-Schultern durch den Ort Elizondo wanderte, der größten Gemeinde des Baztan-Tals. Zu den Anekdoten gehört auch die Strategie, mit der 100 Paar Schuhe über die Grenze gebracht wurden. Die rechten Schuhe wurden in Navarra über die Grenze gebracht, die linken Schuhe hunderte von Kilometern entfernt in Katalonien, zwischen Portbou und La Junquera. Der Grund dafür: falls eine Ladung entdeckt und konfisziert werden sollte, war es kein großes Problem, die Ware zurückzukaufen. Denn beschlagnahmte Ware wurde versteigert und wer wollte schon lauter linke oder rechte Schuhe kaufen. Also war der Kaufpreis gering. Ähnliches wird von einem gewissen Periko Arburua erzählt, ein Mann aus Elizondo, der während der mexikanischen Revolution mit dem Schuhverkauf reich wurde. Er lieferte an beide Seiten, an die Staatsvertreter und an die Rebellen. Aber auch nur die linken oder die rechten Schuhe. Erst wenn er kassiert hatte, berichtigte er seinen "Irrtum" mit der Lieferung der jeweils fehlenden Schuhsammlung.
Die Schmuggler waren, wie sich leicht vorstellen lässt immer in Gefahr, festgenommen zu werden. Denn auch die Guardia Civil oder die Zollpolizei kannte einen Teil der Schmuggelpfade. Dabei konnte natürlich auch die Ware verloren gehen. Aus historischen Dokumenten kann geschlossen werden, dass nur zwei von zehn Schmuggelgängen schlecht liefen, insgesamt also zum Vorteil der Schmuggler, ein rundes Geschäft. Dazu kam, dass die beschlagnahmte Ware in vielen Fällen von der Eigentümern zurückgeordert werden konnte, nach einem Besuch bei den Behörden, einem entsprechenden Telefonanruf und der Übermittlung der entsprechenden Bestechungs-Summe. Ein altes Volkslied mit dem Titel "El Valle de Baztan" erzählt in einer Strophe davon. Sie ist dem Dorf Erratzu gewidmet, dort war die Zollbehörde, die für den Grenzübergang Izpegi zuständig war: "die von der Polizei kassierten fleißig ihre Kommission".
Geschäft in Kooperation
Die Presse jener Zeit berichtete gelegentlich über Festnahmen. Dabei war manchmal sogar von Schüssen die Rede. Schmugglerei war illegal, es war ein Vergehen der Steuerhinterziehung und wurde entsprechend bestraft. Und die Kerker des Franquismus waren alles andere als ein Zuckerschlecken. Doch oft hieß es in den Berichten einfach: "Den Schmugglern gelang die Flucht". Daraus und aus Erzählungen alter Aktivisten lässt sich schließen, dass die Polizisten oft kein gesteigertes Interesse hatten an Verfolgung und Verhaftung. Denn sie verdienten schlecht und der Einsatz in einem derart gottverlassenen Gebiet wie dem Baztan-Tal wurde als eine Art Strafe betrachtet. In dieser Situation war jeder kleine Zuverdienst willkommen. Die Guardia Civiles bekammen 300 Peseten Lohn und mussten davon 270 für Unterkunft und Essen gleich wieder abgeben. Das öffnete die Tür für eine gewisse Verständigung mit den Schmugglern. Manche der Guardias waren in der Lage, den gesamten Lohn an die entfernte Familie zu schicken, was einen Einblick zulässt in die zusätzlichen Einkommen. Auf diese Art war das Schmuggelgeschäft für alle Beteiligten rentabel, für die einen mit mehr, für die anderen mit weniger Risiko verbunden. Verlieren konnte bei so viel illegaler Geldbewegung nur die Finanzbehörde. Xabier Arzalluz, ehemaliger Partei-Vorsitzender der baskisch-konservativen PNV, soll die Schmuggler einmal verteidigt haben, indem er sagte: "wir Basken waren es nicht, die die Grenzen erfunden oder festgelegt haben". Tatsächlich waren es nicht die Nationen und nicht die Völker, sondern die Nationalstaaten, die ihre Macht durchsetzten und Grenzen zogen (bask: muga, span: frontera, limite) oder Grenzsteine setzten (bask: mugarri, span: mojón). Zusammen gehörende Menschen wurden so voneinander getrennt, was menschliche und soziale Spuren hinterließ. Ganz beiläufig trug das Schmugglergeschäft dazu bei, die Auswirkungen dieser Grenzziehungen zu relativieren und erträglich zu machen.
Was in Euskal Herria, dem Baskenland, vor Jahrzehnten ein Beitrag zum Überleben war, ist nunmehr auch zu einer Freizeitaktivität geworden. Im Rückgriff auf die Schmuggler-Erfahrung hat die Organisation Bidasoako Kontrabandistak (Schmuggler vom Bidasoa-Fluss) ein Konzept entwickelt, das zum einen ökologische Reiseangebote beinhaltet und zum anderen die Geschichte einer verbotenen Arbeit vermittelt. Für Freundinnen des Radfahrens wird eine 175 Kilometer lange Strecke angeboten, die in Begleitung absolviert wird. Alternativen sind eine Nachtwanderung über die Schmugglerpfade, oder eine siebentägige Rundwanderung durch die Region. Angebote, die sicher keinen Massentourimus befürchten lassen. (2)
Monument für den Beruf
In Elizondo (baskisch: Neben der Kirche, oder: Gute Kirche), größter Ort des Baztan-Tals und somit einstige Schmuggler-Hauptstadt, wurde den nächtlichen Bergwanderern im wahrsten Sinne des Wortes ein Denkmal aufgestellt. Auf Steinblöcken sind drei schwer bepackte Grenzgänger zu sehen –Monument für einen ehrenwerten Beruf.
QUELLE:
(1) Wochenendbeilage ON 2015-05-02, Artikel "Nosotros, los contrabandistas baztandarras" von Lander Santamaria
(2) Die Wander- und Tour-Angebote bei Mendiak und Kontrabandistak
FOTOS:
Alle Fotos stammen aus der Gegend Baztan, Etxalar, Zugarramurdi. Sie zeigen u.a. einen ehemaligen Grenzübergang und einen Mojón, Mugarri,Grenzstein. (FAT- Foto Archiv Txeng)