Prähistorische Funde - wissenschaftliche Auskunft
Wenn die Bewohner*innen der Santa-Katalina-Höhle von Lekeitio vor 10.000 Jahren zum Essen ein Rentier brieten, schauten sie nicht auf das heutige kantabrische Meer. Vor sich hatten sie eine große Ebene, die heute unter dem Meerwasser liegt. Auf dieser Ebene lebten Bisons, Hirsche und Rehe, Rentiere, Löwen, Hyänen, Pferde und andere Tiere. Mit den Mitteln der modernen Wissenschaft kann mittlerweile vom Tierbestand und dessen Nahrungsgewohnheiten auf die klimatischen Verhältnisse geschlossen werden.
Fossile Entdeckungen, Höhlenmalerei und Geochemie helfen dabei, vergangene Kalt- und Warmperioden wissenschaftlich zu erforschen und die Abfolge der Klimawechsel zu bestimmen.
Heutzutage liegt die kleine Höhle von Lekeitio nur knapp über dem Meeresspiegel, dort, wo sich die Wellen an den Felsen brechen. Was in dieser Höhle gefunden wurde, stellt ein Zeitfenster dar in eine längst vergangene Zeit. Es vermittelt einen Eindruck über das Klima, das damals in Bizkaia herrschte und das nichts mit dem zu tun hat, wie wir es heute kennen: die Entwicklungs-Epoche des Pleistozän, die vor mehr als 2 Millionen Jahren begann und vor circa 10.000 Jahren endete. An dieser Stelle ist von der jüngeren, nicht ganz so lange zurückliegenden Phase die Rede.
„Jede Schicht einer Fundstelle ist für uns eine vorgeschichtliche Wetterstation. Das sagt der Paläontologe Xabier Murelaga. Paläontologie ist jene Wissenschaft, die die Geschichte von Lebenswesen und Lebenswelten der geologischen Vergangenheit erforscht. Murelaga arbeitet an der baskischen Universität EHU-UPV und ist einer der Organisatoren eines wissenschaftlichen Symposiums in Bilbao zum Thema der Meteorologie jener längst vergangenen Zeit. (1)
Das jüngere Pleistozän begann vor ungefähr 125.000 Jahren und endete um die 8.000 Jahre vor der christlichen Zeitrechnung. In jener Phase kam es zu sehr kalten und eher milderen Epochen, die für einen jeweils höheren oder niedrigeren Wasserstand des Meeres sorgten. Auch die Pflanzen- und Tierwelt war von diesen Schwankungen betroffen. In den kältesten Etappen mit Dauerfrost erreichte die Eisfläche die Breitengrade von Paris. Was wir heute als britische Inseln kennen, war mit dem Kontinent verbunden. Und die kantabrisch-baskische Küste lag Dutzende von Kilometern weiter nördlich, unter dem heutigen Meer Richtung Großbritannien. Die Ebene, die von der Santa-Katalina-Höhle überblickt werden konnte, war ein Korridor, der bis zu den Pyrenäen reichte. „In dieser Höhle haben wir die jüngsten Reste von Rentieren aus Südeuropa gefunden. Sie sind ca. 9.000 Jahre alt“, sagt der Paläantologe Pedro Castaños von der Wissenschaftlichen Gemeinschaft Aranzadi (2).
Zahn-Analysen
In Bizkaia wurde Knochen der ausgestorbenen Spezies der Wollnashörner gefunden, die auch Wollhaarnashorn oder Fellnashorn genannt wird. Dabei handelte es sich um eine Art von Nashörnern, die zwischen Westeuropa und Ostasien in der Zeit des Mittel- und Jung-Pleistozäns verbreitet war. Der Beckenknochen eines 130.000 Jahre alten Tiers aus der Lezika-Höhle von Kortezubi (bei Gernika) kann im Archäologie-Museum von Bilbao besichtigt werden. Aus der Axlor-Höhle von Dima (Durangaldea) stammen Knochen von Bisons, aus der Zeit der Neandertaler. Diese menschliche Spezies lebte von 130.000 bis 30.000 Jahre vor unserer Zeit, als sie aus bisher ungeklärten Gründen ausstarb. Knochen von Mammuts wurden bisher nicht gefunden. „In der kantabrischen Arco-Höhle sind Mammuts in Malereien dargestellt, sie liegt nur wenige Kilometer von der Ventalaperra-Höhle im bizkainischen Karrantza entfernt. Die Menschen, die die Mammuts malten, haben sicher auch welche gesehen. Das heißt, es gab auch hier solche Tiere“, sagt Mikel Unzueta, ein Archäologe der Provinzverwaltung Bizkaia. Diese Institution ist es, die das archäologische und paläontologische Kulturgut der Provinz verwaltet.
„Die Tatsache, dass Wollnashörner, Mammuts und Rentiere zur gleichen Zeit lebten, reicht nicht aus, um festzustellen, dass es sich um eine Kaltperiode handelte. Denn diese Tiere haben einen großen Bewegungsradius. Wir müssen vielmehr schauen, wieviele Tiere es von diesen Arten gab. In der Nähe der Santa-Katalina-Höhle gab es zum Beispiel viele Rentiere“, hebt Castaños hervor. „Die kleinen Säugetiere hingegen hatten nicht so viel Bewegungsspielraum. Sie haben einen mehr oder weniger festen Lebensort. Von der einen Art gibt es mehr, von der anderen weniger Exemplare. Schlafmäuse und Feldmäuse sind häufiger in waldreichen Zonen anzutreffen, also in Zeiten von milderem Klima“, sagt Murelaga. Mit den Pflanzen passiert dasselbe, sie bewegen sich nicht. Deshalb sind sie hervorragende Klima-Indikatoren.
Mit der relativ neuen Wissenschaftsdisziplin der Geochemie haben die Expert*innen seit dem 20. Jahrhundert ein weiteres nützliches Hilfsmittel. Sie befasst sich mit dem stofflichen Aufbau, der Verteilung, der Stabilität und dem Kreislauf von chemischen Elementen und deren Isotopen in Mineralen, Gesteinen, Boden, Wasser, Erdatmosphäre und Biosphäre. Damit ist sie die naturwissenschaftliche Fachrichtung, die Geologie und Chemie verbindet. Mit der Geologie hat sie den Untersuchungsgegenstand und mit der Chemie die Untersuchungsmethoden gemein. Die Analyse der Sauerstoff-Isotope in den Zähnen gibt Aufschluss über die Temperatur des Wassers, das die jeweiligen Tiere tranken. Geschlossen werden kann über den in den Zähnen enthaltenen Stickstoffgehalt auch auf die Art der Pflanzen, die jene Tiere fraßen. Den Rothirsch haben wir sowohl in kalten wie in warmen Epochen gefunden. Die Stickstoff-Isotope in seinen Backenzähnen erzählen uns, ob er sich vorwiegend von Gras ernährte. Das weist auf eine kalte Periode hin. Wenn die Nahrung mehrheitlich aus Blättern bestand ist dies ein Hinweis auf eine mildere Epoche. Denn in der Nahrung spiegelt sich die Lebensumgebung wieder“, erklärt Murelaga.
Klimawechsel
Aus der Forschung ergibt sich, dass Klimawechsel auf der Erde keine Neuigkeit sind, immer wieder wechselten sich kalte und warme Perioden ab. Der Klimawechsel, der sich seit Jahren anbahnt, ist jedoch der erste, der nicht auf natürliche Entwicklungen zurückgeht, sondern ein Ergebnis der menschlichen Aktivität darstellt. Xabier Murelaga geht davon aus, dass ein Blick in die Vergangenheit dabei helfen kann, besser vorherzusehen, was die Zukunft bringen kann und wird. In milden Perioden war die kantabrisch-baskische Küstenzone grün bewachsen. In der näheren Zukunft könnte sich das wieder verstärken. Doch wäre diese regional gesehen positive Entwicklung ein Trugbild. Denn die Klimaerwärmung hätte gleichzeitig die Folge, dass der Meeresspiegel steigt und das Klima südlich der Wasserscheiden warm und trocken wird“. (Baskultur.info 2018-06-30)
ANMERKUNGEN:
(1) Information aus dem Artikel „Cada yacimiento prehistórico vasco es una ventana al clima del pasado”, Tageszeitung El Correo 28.6.2018 (Jede prähistorische Fundstelle ist ein Zeitfenster zum Klima der Vergangenheit)
(2) Aranzadi: Die Wissenschafts-Gesellschaft Aranzadi wurde 1947 gegründet mit der Absicht, die Arbeit der im Franquismus verbotenen Gesellschaft für Baskische Studien fortzuführen. Ihr Zweck ist die wissenschaftliche Erforschung von Natur und menschlichem Wirken. Ihren Namen hat die Gesellschaft von Telesforo de Aranzadi, einem bekannten Anthropologen und Ethnologen (1860-1945). Besondere Bedeutung kommt Aranzadi heutzutage bei der Aushebung von Massengräbern aus der Zeit des Spanienkriegs und der Identifizierung der dort gefundenen Opfer des Faschismus zu.
ABBILDUNGEN:
(1) Urzeittiere (Foto El Correo)
(2) Bison Altamira (Wikipedia)
(3) Skelett Höhlenlöwe (Wikipedia)
(4) Höhlenmalerei (Spiegel)
(5) Mammut (mendezdevigo)