Die ersten Menschen in Dima
Es geschah vor 100.000 Jahren. Eine Gruppe von Jägern fing einen Hirsch und die Sippe machte sich an ein Festmahl in der nahe gelegenen Höhle – zwischen einem Kiefernwald und Birken verlief damals wie heute ein Bach, der den Wissenschaftlern im Jahr 2019 die Geräuschkulisse zu ihrer Ausgrabung lieferte. Die Archäologen lüfteten die Geschichte jener urzeitlichen Frauen und Männer. Wir befinden uns in der Axlor-Höhle in der Umgebung der bizkainischen Kleinstadt Dima, am Fuße der Urkiola-Hochebene.
In der Axlor-Höhle von Dima finden sich die Geheimnisse der ersten Bewohner*innen von Bizkaia: der Neandertaler vor 100.000 Jahren. Bereits 1932 entdeckt stammen die interessantesten Funde aus den letzten Jahren.
Das multidisziplinäre Team um die Archäolog*innen Jesús González Urquijo und Talía Lazuen hat in Dima die bisher ältesten Spuren menschlicher Besiedlung in Bizkaia entdeckt. Sie stammen von den Neandertalern, einer Spezies, die vor ungefähr 40.000 Jahren ihr Ende fand, kurz nachdem eine andere afrikanische Spezies in Europa ankam. Wir heutigen Europäer*innen können uns als Nachfahren dieser Einwanderer*innen bezeichnen. (1)
Entdeckung durch Barandiaran
Bereits 1932 hatte der bekannte baskische Archäologe und Ethnologe José Miguel de Barandiarán (2) den Fundort Axlor entdeckt. “Er kam in die benachbarte Baltzola-Höhle, um dort die Beschaffenheit der Gesteinsschichten zu untersuchen. Axlor schien damals wie ein Mantel, denn die Höhle war komplett bedeckt. Hirten weideten hier ihre Schafe, einer davon hatte ein wenig gegraben, um seinen Tieren mehr Raum zu bieten und plötzlich kamen ein paar jener typischen Schabmesser aus der Mittelsteinzeit zum Vorschein, die den Neandertalern zugerechnet werden. Im Vorbeigehen sah Barandiaran die Werkzeuge“, erklärt González Urquijo, Professor von der Kantabrischen Universität und Direktor des Instituts für Vorgeschichte (IIIPC). Axlor war die letzte Fundstätte, in der der Priester aus Ataun zwischen 1967 und 1974 Ausgrabungen machte. “Er war bereits 77 Jahre alt, als er hier zu arbeiten begann. Barandiaran war sich bewusst, dass es ein sehr wichtiger Fundort sein musste, denn die gefundenen Werkzeuge waren spektakulär“.
50.000 Jahre Geschichte
Über zwei Jahrzehnte lang untersuchten verschiedene Wissenschaftler*innen das von Barandiaran sichergestellte Material. Erst zwischen 2000 und 2008 wurden die Ausgrabungen wieder aufgenommen, mittels eines von der Provinzregierung Bizkaia und der Universität Kantabrien finanzierten Projekts. Im vergangenen Jahr 2018 wurde mit einem neuen Fünf-Jahres-Plan begonnen.
Bei den Ausgrabungen wurde klar, dass die Höhle riesig ist. Die letzte Schlussfolgerung aus den Analysen war, dass die menschliche Anwesenheit deutlich älter und zeitlich ausgedehnter gewesen sein muss, als bisher angenommen. Bis vor Kurzem gingen Archäolog*innen davon aus, dass die Höhle in der Zeit vor 55.000 bis 40.000 Jahren bewohnt war. Diese zeitliche Feststellung ist problematisch, denn die C-14-Methode geht nicht bis in jene Epoche.
Weitere Funde erwartet
Die bislang noch unveröffentlichten Ergebnisse, die in der Zwischenzeit mit anderen Methoden erzielt wurden, kommen zum Schluss, dass die gefundenen Gegenstände fast doppelt so alt sind wie ursprünglich angenommen. “Wir sind sicher, dass es noch ältere Siedlungen gibt, sowohl in Axlor wie auch an anderen Orten. Einige müssen wir noch finden, andere müssen wir erneut untersuchen und besser datieren“, so die Archäolog*innen des Ausgrabungs-Projekts.
“Axlor erzählt uns die Geschichte der Neandertaler vor 50.000 Jahren, mit einer Reihe von intensiven Besiedlungen, sehr gut erhalten, reich an Fundstücken, aus einem Zeitraum von 100.000 bis 50.000 Jahren“, erklärt die Archäologin Lazuen, die im PACEA-Labor der Universität Bordeaux arbeitet. Die Funde der Dima-Höhle “zeigen, dass die Neandertaler eine wechselhafte Entwicklung hatten, dass sie nicht immer dasselbe gemacht haben. Sie haben ihren Umgang mit der Pflanzenwelt geändert, auch die Produktion ihrer Gebrauchsgegenstände und die Organisation ihrer Lebensräume“.
40.000 Fundstücke
Diese Feststellungen bedeuten das Ende der Annahme, dass jene Neandertal-Spezies zu keiner Innovation in der Lage gewesen sei und dass sie sich nur beschränkt an neue Bedingungen habe anpassen können. Axlor bietet eine enorme Vielfalt an Fundstücken: im Fundregister der Ausgrabungszeit 2000 bis 2008 sind mehr als 40.000 Eintragungen verzeichnet, manche Eintragungen umfassen hunderte von Teilen. Nach ihrer wissenschaftlichen Untersuchung werden alle Fundstücke ins Archäologische Museum Bizkaia gebracht.
Für die Jäger und Sammler der Mittelsteinzeit war Axlor nicht einfach irgendeine Höhle. “Der Pass bei Dima ist der niedrigste zwischen der kantabrischen Küste und dem Ebro-Tal, aus diesem Grund war hier ein wichtiger Übergang für Tiere. Außerdem gibt es im Tal immer Wasser“, hob González Urquijo hervor. “Vor 100.000 Jahren war es klimatisch deutlich wärmer, wenn auch nicht ganz so warm wie heutzutage“.
Speisekarte der Neandertaler
In einer leicht kühlen Waldlandschaft “waren die Siedlungen ziemlich stabil, gewärmt durch große Feuer in den Höhlenräumen“. Die Bewohner*innen ernährten sich bevorzugt von Rotwild, etwas weniger von Wildschweinen, Ziegen und Gämsen. “Sie nutzten verschiedene Steine. Einige stammten aus der direkten Umgebung, aber den Feuerstein (Silex) holten sie ausschließlich vom Flysch in Kurtzia bei Barrika. Das war von Axlor aus in gerader Linie 40 Kilometer entfernt – für damalige Verhältnisse eine beachtlich große Entfernung“.
In der letzten Phase der Neandertal-Zeit (vor ca. 50.000 Jahren) änderten sich viele Umstände. Das Klima war nicht eiskalt, aber fast. Es war die letzte Eiszeit. Zu besseren Zeiten bestand die Landschaft aus Wiesen, in den harten Zeiten war sie steppenähnlich. Wald gab es nur in Flussnähe. In Axlor lebten weniger Menschengruppen, sie lebten von der Jagd, insbesondere von Bisons“, erklärt González Urquijo.
Aus großen Knochen wurden Werkzeuge hergestellt, mit denen die Steinwerkzeuge verfeinert wurden. “In der Industrie der Steinzeit ist ein komplexes System der Arbeitsteilung zu beobachten. Große Schaber wurden hergestellt aus einem Feuerstein, der in der Zwischenzeit aus den näher gelegenen Orten Urbasa und Treviño kam. Wenn die Schneide eines Werkzeugs abgenutzt war, wurde sie erneut geschärft, gleichzeitig entstand aus den abfallenden Steinsplittern neues Gebrauchsmaterial. Großes Werkzeug wurde also erneuert und gleichzeitig entstand neues Kleinmaterial“, erklärt Lazuen.
Menschliche Reste
Was menschliche Überreste anbelangt, sind es vor allem Zähne, die in Axlor in großer Zahl gefunden wurden. Daneben auch andere Teile des menschlichen Skeletts. “Wir haben ein Dutzend Zahnreihen aller Art und von Menschen jeden Alters“. Ein Teil des Ausgrabungsteams, das aus 30 Spezialist*innen aus aller Welt besteht, analysiert die Fundstücke. Aus der Abnutzung des oberen Zahnbelags, aus dem Zahnstein und der Zusammensetzung der Zahnwurzeln kann interpretiert werden, wie sich die Menschen jener Zeit ernährten.
Wie Baumstämme bestehen auch Zähne aus jährlich nachwachsenden Ringen. Aufgrund der Beschaffenheit dieser Ringe lässt sich auf Hungerperioden zurückschließen. “Bei den Gemeinschaften von Jägern und Sammlern bedeutete der Moment des Abstillens eine kleine Ernährungskrise, die sich in der Zahnstruktur niederschlug“, analysiert der Professor der Kantabrischen Universität. In den Neandertal-Gemeinschaften gab es, generell gesehen, keine Hungerepochen, auch keine Anzeichen von Unterernährung im Knochenaufbau. “Das Bild der ständig Hunger leidenden Steinzeitmenschen ist nicht realistisch. Die Kinder der Neandertaler waren besser ernährt als die der Homo Sapiens“.
ANMERKUNGEN:
(1) Information aus: “Los primeros vizcaínos se instalaron en Dima” (Die ersten Bizkainer ließen sich in Dima nieder) Tageszeitung El Correo 2019-09-01 (LINK)
(2) Artikel “José Miguel de Barandiaran – Baskische Anthropologie”, bei baskultur.info (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Zahnfunde Axlor (elcorreo)
(2) Axlor Ausgrabung (elcorreo)
(3) Axlor Ausgrabung (elcorreo)
(4) Zahnfunde Axlor (quo.es)
(Publikation baskultur.info 2019-10-02)