Prachtstück der baskischen Höhlenmalerei
Die Malereien und Gravuren in der Santimamiñe-Höhle von Busturialdea werfen ein Licht auf die Lebensform der baskischen Bewohnerinnen in der Zeit vor 14.500 und 12.000 Jahren, für die Rekonstruktion der baskischen Geschichte sind sie besonders wertvoll. Seit 2008 ist Santimamiñe Welt-Kultur-Erbe. Entdeckt wurde sie von Kindern zufällig im Jahr 1916, also vor genau 100 Jahren. Zum Santimamiñe-Geburtstag werden von den Behörden wissenschaftliche Konferenzen und Höhlenbesuche der speziellen Art organisiert.
Als Kinder 1916 zufällig die Santimamiñe-Höhle entdeckten, hielten sie die vor ca. 13.000 Jahren an die Wand gemalten Figuren für Wölfe, tatsächlich waren es jedoch Braunbären, die die bedeutendste Höhle des Baskenlandes schmücken. Die Kinder aus dem Örtchen Kortezubi, nahe bei Gernika, hatten bei der San Mamés-Kapelle im Wald gespielt, als sie den Eingang zur Santimamiñe-Höhle fanden. Dort lebten – so die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschungen – vor 14.500 bis 12.000 Jahren verschiedene Gruppen von Menschen, in Gruppen von ca. 20 Personen, die ihr Leben als Sammler und Jäger fristeten. Die Kinder brachen ein paar der Stalaktiten von den Decken, um sich den Weg frei zu machen. Sie entdeckten einen bis dahin unbekannten großen Saal, der später als die „Sixtinische Kapelle“ des Naturschutzgebietes Urdaibai bezeichnet werden sollte. Das Kinder-Abenteuer ereignete sich am 2. Januar jenes Jahres – 2016 jährt sich die Entdeckung dieses urzeitlichen Universums, das mit den Bildern von Bisons, Ziegen, Pferden, einem Hirsch und dem besagten Braunbären bestückt ist, zum hundertsten Mal. Nach wie vor weckt die Höhle das Interesse von Forscherinnen, Studierenden und anonymen Besucherinnen. (1) (2016-05-11)
Die in Santimamiñe gefundenen urzeitlichen Kunstwerke waren die ersten Höhlenmalereien, die im Baskenland gefunden worden waren. Bis dahin gab es nur das Bärenbild, das der Priester Lorenzo Sierra 1904 in der Ventalaperra-Höhle gefunden hatte, gerade mal 100 Meter vor der kantabrischen Grenze. In Anbetracht der vielfältigen interessanten Funde in Kantabrien und der Höhlenvielfalt in den Pyrenäen war es wissenschaftlich gesehen schwer zu erklären, warum es gerade im Baskenland keine Höhlen geben sollte. Bekannt waren zwar die steinzeitlichen Siedlungen, von denen es im Baskenland eine ganze Reihe gab, aber da fehlte etwas, es musste aus dieser historischen Epoche auch Höhlenmalereien geben. So war es dann auch. Mit neuen technischen Methoden wurden weitere Höhlen mit künstlerischen Darstellungen entdeckt, unter anderem jene von Askondo oder Lumentxa.
Umbruch in der Wissenschaft
In den Jahren vor der Entdeckung von Santimamiñe erlebte die Archäologie eine bewegte Zeit. 1902 musste der französische Prähistoriker Emile Cartailhac (2) eingestehen, dass die Malereien von Altamira authentisch waren, was der bekannte Wissenschaftler vorher angezweifelt hatte. Sein „Mea Culpa“ kam einem wissenschaftlichen Erdbeben gleich und öffnete der Höhlenforschung neue Türen.
Insgesamt sind es mehr als 50 Malereien und Gravuren, die der Santimamiñe-Höhle aufgrund ihres künstlerischen und archäologischen Wertes im Jahr 2008 den Status eines Welt-Kultur-Erbes einbrachten. Gefunden wurden in Santimamiñe Knochenreste (ein halbes Dutzend verschiedener Spezies), Tierskelette (Hirsche, fellige Nashörner), Lebensutensilien (Harpunen mit Feuersteinspitze, die dem in Barrika-Flysch entstammen (3), Nähnadeln aus Knochen), sowie Spuren aller Art, die Rückschlüsse zulassen auf die verschiedenen Etappen menschlichen Lebens in jener Epoche. Ein von der Provinzregierung Bizkaia beauftragtes Archäologen-Team arbeitet seit Jahren in der Höhle, um mit Grabungen weitere Daten über die baskische Urgeschichte herauszufiltern.
Neue Grabungen
Das geschieht in der Eingangshalle von Santimamiñe, wohin noch das Tageslicht reicht. An jener Stelle bereiteten die Cromagnon-Clans üblicherweise ihre Mahlzeiten zu, wenn sie auf ihren Wanderschaften gerade in dieser Höhle wohnten. Der Wechsel der Wohnorte war verknüpft mit der Suche nach Lebensmitteln. Neben den genannten Funden wurden auch Feuerstellen von einem Meter Durchmesser entdeckt, die über lange Zeit benutzt worden waren, mit Resten von Hirschen, Seeigeln, Forellen und Lachsen. Daneben tauchten Reste skandinavischer Rebhühner auf und Reste eines Weißfischs von 10 kg Gewicht, der möglicherweise tot an der Küste angeschwemmt worden war. Vielleicht lebten diese Fische zu jener Zeit auch näher an der Küste als dies heute der Fall ist. Der Eingang der Höhle liegt am Fuß des Ereñozar-Berges, vom Südhang führt sie insgesamt 365 Meter tief in den Berg.
Die genannten Funde weisen auf die Veränderungen von Klima und Landschaft hin, die sich seit der Altsteinzeit abgespielt haben, nach dem Ende der letzten Eiszeit. Heute liegt Santimamiñe 6 bis 7 km von der Küste entfernt, vor 14.000 Jahren war der Meeresspiegel jedoch niedriger, die Küste war 4 bis 5 km weiter entfernt, also 10 bis 12 Kilometer. Die durchschnittliche Temperatur war 10 bis 15 Grad niedriger, was mit der zu Ende gehenden Eiszeit zu tun hatte. Dass die Temperaturen langsam anstiegen führte zu einem Wachstum der Bevölkerung jener Zeit. Die Menschen hatten weniger Probleme, alles Nötige zum Überleben zu finden. Jene baskischen Vorfahren hielten sich in Höhlen auf wie Goikolau (4), Lumentxa (5) oder Atxurra (6). Sie legten Zufluchtsorte an wie in der Höhle bei Santa Catalina vor dem heutigen Lekeitio. Dort wurden Kabeljau-Gräten, Hirsch- und Pinguin-Knochen, sowie Reste von Eulen gefunden.
Schäden durch Massenbesuch
Es wird geschätzt, dass Santimamiñe seit ihrer Entdeckung von ca. einer Million Personen besucht wurde, die meisten seit Mitte der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Das führte zu beachtlichen Schäden in der Höhle und bedrohte das dort befindliche Kulturerbe, besonders schädlich war das installierte Lichtsystem. Die direkte Folge des massiven Besuches war der Anstieg der Höhlen-Temperatur, der Luftfeuchtigkeit und des Kohlendioxids als Konsequenz der Atemluft. Deshalb wurde der Malereien-Saal von Santimamiñe 1996 für den Besuch geschlossen, 2007 wurden weitere Bereiche dicht gemacht. Nur in den Eingangsraum, in dem die Ausgrabungen stattfinden, werden noch reduzierte Besuchsgruppen zugelassen. Dort wurde eine Plattform eingerichtet, von der aus die Ausgrabungs-Arbeiten zu sehen sind und die Erklärungen vorgenommen werden. Dort beschreiben Fachkräfte die Eigenschaften der Höhle. Vorher können die Besucherinnen jedoch die San Mamés Kapelle aufsuchen, die zu einem kleinen Kino umgewandelt wurde. Gezeigt wird dort eine eindrucksvolle virtuelle Replik der gesamten Höhle in drei Dimensionen.
Das Archäologen-Trio
Zuerst erforscht wurde Santimamiñe von drei Koryphäen der baskischen Archäologie und Anthropologie: Telesforo de Aranzadi (7), Enrique de Eguren (8) und José Miguel de Barandiaran (9). „Höhlenmenschen“ wurden diese drei Wissenschaftler genannt, die Früchte ihrer Arbeit sind aus der baskischen Geschichte nicht wegzudenken. Zwischen 1918 und 1925 untersuchten sie die steinzeitlichen Figuren: Malereien und Gravuren, die in einheitlichem Stil angefertigt wurden innerhalb eines Zeitraums von ca. 1.000 Jahren. Die letzten der Werke wurden zum Ende der Höhlenmalereien-Epoche produziert. Bereits im September des Entdeckungsjahres 1916 wurde Santimamiñe von dem Priester und berühmten Archäologen und Ethnologen Henri Breuil aus der Normandie besucht, er bestätigte, dass die Kunstwerke an den Wänden der Höhle authentisch waren (10). Gleich nach der Entdeckung erwarb die Provinzregierung Bizkaia das Gelände, brachte vor dem Eingang ein Gitter an und kümmerte sich fortan um die Erforschung und Bekanntmachung des urzeitlichen Ortes.
Diesem legendären Trio wird heute zum Teil vorgeworfen, bei den ersten Ausgrabungen zu grobschlächtig agiert und damit detaillierte Funde vernichtet zu haben. Gleich nach ihrer Entdeckung war Santimamiñe zum Forschungshit im kantabrischen Raum geworden, zu einer Bastion innerhalb der wissenschaftlichen Rekonstruktion der baskischen Geschichte. Barandiaran war innerhalb der Expedition für Archäologie und Ethnografie zuständig, Aranzadi untersuchte die menschlichen Reste und Eguren war Naturwissenschaftler. Tatsächlich waren die Methoden ihrer Ausgrabungen und Forschungen bei Weitem nicht so detailliert und präzise, wie dies heute der Fall ist. Juan Carlos Lopez Quintana, der aktuelle Ausgrabungsleiter verteidigt trotzdem die damalige Vorgehensweise. „Sie waren beispielhaft. Es besteht kein Zweifel, dass bei den Ausgrabungen damals eine Menge Information verloren ging. Doch für ihre Zeit haben sie eine hervorragende und gründliche Arbeit geleistet. In der Zukunft wird sicher jemand sagen, dass wir heute ebenfalls grobschlächtig gearbeitet haben“. Er besteht darauf, dass im Baskenland nie zuvor eine derart wichtige multidisziplinäre Arbeit gemacht wurde. (1)
Neue Ausgrabungen
Seit 2004 wird erneut gegraben in Santimamiñe. Das Team mit dem Archäologen Lopez Quintana an der Spitze hat über Jahre hinweg insgesamt 25 Monate gearbeitet und hat sich jährlich im Durchschnitt 10 bis 15 cm in die Tiefe gearbeitet. Mit dieser minutiösen Arbeit war es möglich, sogar Igelstacheln ausfindig zu machen und verkohlte Samen. Steinzeitlicher Pollen konnte analysiert werden, was Rückschlüsse zulässt auf das Klima jener Zeit.
Die Arbeiten in Santimamiñe in ihrer letzten Etappe zwischen 2004 und 2016 waren auch für andere Höhlen in Bizkaia entscheidend, von denen einige bereits im 20. Jahrhundert erforscht und ausgegraben worden waren. Anhand der Forschungs-Ergebnisse von Santimamiñe wurden die Malereien in den übrigen Höhlen erneut untersucht, auch in Höhlen ohne Malereien wurden zusätzliche Untersuchungen angestellt. Dabei wurden neue Höhlen und neue Kunstwerke gefunden. In Santimamiñe selbst wurden zusätzlich vier rote Punkte gefunden, die offenbar mit Fingern angebracht worden waren. Verschiedene Grotten wurden von biologischer „Last“ (durch Besuche) und Müll befreit, es kam zu weiteren Schließungen. Nach dem Santimamiñe-Modell wurden auch andere Höhlen virtuell kopiert, um ihre Schätze der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ohne sie durch die Begleiterscheinungen menschlicher Anwesenheit zu gefährden. Solche virtuellen Nachbildungen gibt es mittlerweile von Ventalaperra und El Rincón in Karrantza, Arenaza in Galdames, Askondo in Mañaria, Morgota in Kortezubi und Lumentxa in Lekeitio.
Daten zu Santimamiñe
Die nach dem baskischen Heiligen San Mamés benannte Höhle liegt am Ende einer Abzweigung von der Landstraße Gernika-Lekeitio, unweit des bekannten bemalten Oma-Waldes. Es wird angenommen, dass vor 18.000 Jahren die ersten Menschen in der Höhle wohnten und dass sie im 4. Jh. nach Christus definitiv verlassen wurde, in der spätrömischen Zeit. Die ersten Ausgrabungen begannen bereits 1916 unter der Anleitung der Wissenschaftler Barandiaran, Eguren und Aranzadi. Durch den Spanischen Krieg von 1936 bis 1939 wurden sie unmöglich gemacht, danach gingen sie bis 1952 schleppend weiter. In der Zeit bis 1969 wurde die Höhle in ihrer gesamten Ausdehnung erforscht, es wurde ein System von Treppen und Laufstegen gebaut. In dieser Zeit untersuchte Barandiaran erneut die Schichtungen der Höhle und begann mit den Ausgrabungen im Höhleneingang. Mit der Einrichtung einer Beleuchtungsanlage wurde die Höhle nach 1969 einem breiteren Publikum zugänglich gemacht – es war die Zeit, in der im gesamten Staat der Tourismus entdeckt wurde. „Betroffen“ war auch die weltbekannte kantabrische Höhle Altamira. Mit der Erkenntnis, dass dieser massive Besuch das Kulturgut in absehbarer Zeit beschädigen oder zerstören würde, setzte sich die behördliche Bereitschaft durch, Repliken zu erstellen und die originalen Schauplätze zu schließen. Die modernen Technologien von lokaler Vermessung, Film und virtueller Darstellung vermitteln dennoch ein spektakuläres und unmittelbares Bild von der Geschichte und den Kunstwerken von Santimamiñe und vergleichbaren Orten.
ANMERKUNGEN:
(1) Die Information zu diesem Text stammt aus zwei Artikeln. Zum einen „Ene, emen otsue, un grito centenario“ (Vater, hier ist ein Wolf – ein hundertjähriger Ruf) aus der baskischen Tageszeitung Deia vom 8.Mai 2016; zum anderen „Santimamiñe, 18.000 años y un siglo después“ (Santimamiñe, 18.000 Jahre und ein Jahrhundert danach), Tageszeitung El Correo 6.Mai 2016.
(2) Émile Cartailhac (1845 bis 1921) französischer Prähistoriker. Berühmt ist sein Werk über die Höhle von Altamira, das er mit Henri Breuil verfasste. 1902 musste er eingestehen, sich mit seinen Zweifeln an der Echtheit der Höhlenmalereien in Kantabrien (1879) geirrt zu haben. Er berichtete 1885 über die unpublizierten Grabungen von Carlos Ribeiro (1813–1882), der die ersten Felskuppelgräber (Quinta do anjo oder Casal do Pardo, bei Palmeda) in Portugal erforscht hatte, aber dann starb.
(3) Flysch bezeichnet in der Geologie eine marine sedimentäre Fazies, die meistens durch eine Wechselfolge von Tonsteinen und grobkörnigeren Gesteinen (typischerweise Sandsteine) repräsentiert ist. Diese Sedimente sind oftmals nachträglich gefaltet, z. T. so intensiv, dass es sich um metamorphe Gesteine handelt. Flyschserien entstehen während gebirgsbildender Prozesse und die grobkörnigeren Gesteine stellen das erodierte Material der sich bildenden Gebirgskette dar. Da dieses Material in aller Regel in Form von Suspensionsströmen in den Ablagerungsraum gelangt, ist in der Geologie im Zusammenhang mit Flysch auch oft die Rede von Turbiditen. An der baskischen Küste ist der Ort Zumaia (Gipuzkoa) besonders bekannt für seine eindrucksvollen Flysch-Formationen, daneben auch Barrika in Bizkaia. (Wikipedia)
(4) Die Goikolau-Höhle in Berriatua (Bizkaia) wurde 1935 von Jose Miguel de Barandiaran entdeckt. In der Höhle wurde unter anderem eine 4.000 Jahre alte Schmuckkette gefunden
(5) Lumentxa-Höhle: in Lekeitio, an der Küste Bizkaias (Link)
(6) Atxurra-Höhle: Zum Schutz von Fledermäusen wurden 2013 die Höhlen Santa Isabel in Karrantza und Atxurra in Berriatua geschlossen.
(7) Telesforo de Aranzadi Unamuno (1860-1945): auf Anthropologie, Botanik und Zoologie spezialisierter Wissenschaftler, Doktor in Pharmazeutik und Naturwissenschaften. Außerdem war Aranzadi Professor für Mineralogie und Zoologie an den Universitäten Granada und Barcelona. Die Wissenschafts-Gesellschaft Aranzadi im Baskenland trägt seinen Namen. (Glossar Baskultur.info)
(8) Enrique de Eguren: Enrique Eguren Bengoa war Archäologe (Gasteiz-Vitoria 1888 – Oviedo/Asturien 1944). Industriellensohn, der am Priesterseminar studierte und den 8 Federico de Baraibar und andere kennenlernte (Euskomedia – Auñamendi).
(9) José Miguel de Barandiaran (Link)
(10) Henri Breuil (1877 bis 1961): französischer Prähistoriker und katholischer Priester. Er begründete die Erforschung von Fels- und Höhlenbildern und schuf die Grundlage für die Chronologie der Altsteinzeit.
FOTOS:
(1) Zaun am Eingang der Santimamiñe-Höhle in Kortezubi (Foto Archiv Txeng – FAT)
(2) Denkmal für José Miguel de Barandiaran vor der Santimamiñe-Höhle (FAT)
(3) Eingang der Santimamiñe-Höhle in Kortezubi (Foto Archiv Txeng – FAT)
(4) Flysch-Formation in Zumaia / Gipuzkoa (FAT)
(5) Ausgrabungen im Inneren von Santimamiñe (FAT)