Internationale Konferenz im Baskenland
Im Juli 2017 wurde die 7. Internationale Konferenz Vía Campesina durchgeführt. Gastgeber des Kongresses war Europa, vertreten durch die baskische Stadt Derio. Die Konferenz mit 800 Besucher*innen fand in festlichem Ambiente statt und endete mit einer Demonstration in Bilbao. Ziel der Vollversammlung war eine Diagnose der aktuellen Situation der Bewegung und der kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betriebe weltweit. Besonderes Augenmerk waren die Rechte von Frauen und der Zugang der Jugend.
Vía Campesina ist eine weltweite Organisation der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, die für nachhaltige und ökologische Landwirtschaft eintreten, Landreformen fordert und die Modelle der Agroindustrie ablehnen.
„Was die derzeitigen Regierungen für unser Landwirtschaftssystem vorschlagen ist keine Lösung der aktuellen Probleme“. Mit diesen Worten begrüßte Elizabeth Mpofu, die Generalkoordinadorin von Vía Campesina, die ungefähr 800 Kongress-Teilnehmer*innen, die aus mehr als 70 Ländern aus aller Welt gekommen waren. Damit eröffnete sie die siebte Internationale Konferenz von Vía Campesina im baskischen Derio. Einige waren bereits Tage zuvor angereist, um an den im Vorfeld stattfindenden Veranstaltungen teilzunehmen, dabei denen es hauptsächlich um die Themen Jugend und Frauen in der Landwirtschaft ging, zu denen auch die Öffentlichkeit zugelassen war (1).
In ihrer Eröffnungsrede machte Elizabeth Mpofu deutlich, dass es den aktuellen Herrschern der Welt nur um Eigeninteressen gehe. „Wir haben es nicht mit fähigen Politikern zu tun, denn sie stehen in ständiger Verbindung mit den transnationalen Konzernen, die bis zum Hals in der Korruption stecken“. Das festliche Ambiente der Konferenz könnte den Eindruck vermitteln, als habe die bäuerliche Welt einen idyllischen Charakter, voller Farben und ohne Probleme. Tatsächlich ist die Arbeit der in der Landwirtschaft tätigen Personen geprägt von einem ständigen Kampf gegen Hindernisse aller Art (1).
Was ist Vía Campesina?
Vía Campesina vereinigt weltweit 200 Millionen Produzent*innen. Die Organisation wurde 1993 gegründet. Auf Deutsch könnte der Name mit „bäuerlicher Weg“ übersetzt werden. Tatsächlich wird jedoch allgemein der spanische Name als Bezeichnung benutzt, weil Lateinamerika die Geburtsstätte der Bewegung war. Bezeichnenderweise finden sich bei Wikipedia lange Beschreibungen auf Englisch und Spanisch, Deutsch hingegen ist nur mit einem Miniabsatz vertreten.
Vía Campesina ist eine internationale Bewegung von Bäuer*innen und Landarbeiter*innen. In der Organisation sind 148 „Kleinbauern-, Landarbeiter-, Landlosen- und Organisationen von Ureinwohner*innen (Indigene) aus Europa, Amerika, Afrika und Asien zusammengeschlossen (darunter die Confédération Paysanne in Frankreich, die brasilianische Landlosenbewegung MST, die peruanische CCP, die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft in Deutschland, die Österreichische Bergbauern-Vereinigung sowie Uniterre in der Schweiz. Die Organisation vertritt das Konzept der Ernährungs-Souveränität. Sie setzt sich für eine umweltfreundliche, kleinbäuerliche Landwirtschaft ein, die in erster Linie die Versorgung der lokalen Bevölkerung sicherstellen soll. Sie fordert Landreformen und stellt sich gegen den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft“ (2). Mit diesem Konzept soll die Existenz der Landbevölkerung, vor allem im Trikont, auf eine würdige Basis gestellt werden, gleichzeitig sollen gesunde und nicht manipulierte Lebensmittel hergestellt werden, entgegen der heute herrschenden Tendenzen der Biotechnologien.
Die Bewegung fordert eine demokratische Verteilung der landwirtschaftlichen Nutzfläche entgegen der aktuellen Konzentration in ehemaligen Kolonien wie Brasilien oder Kolumbien. Menschenrechte sollen respektiert werden, ebenso die Gleichstellung von Frauen in allen Lebensbereichen. Auch das Thema Flucht ist ein Arbeitsbereich von Vía Campesina. Ihren aktuellen Sitz hat die Organisation in Jakarta (Indonesien). Die Internationale Konferenz in Derio war die siebte in der Geschichte von Vía Campesina, nach Mons (Belgien, 1993), Tlaxcala (Mexiko, 1996), Bangalore (Indien, 2000), Sao Paulo (Brasilien, 2004), Maputo (Mozambique, 2008) und Jakarta (Indonesien, 2013). Zwei Fotoserien des Foto-Archiv-Txeng zeigen das Ambiente des Vía-Campesina-Kongresses (3) im bizkainischen Derio und der Demonstration in Bilbao am Abschlußtag 23.7.2017 (4).
Der 7. Weltkongress
Die Campesinas und Campesinos (Kleinbäuer*innen, Landarbeiter*innen), die sich im ehemaligen Priesterseminar und heutigen Hotel in Derio einquartierten, haben einen gemeinsamen Feind, den die Koordinatorin aus Zimbabwe als „die großen Giganten“ bezeichnet. Gegen diesen sei nur mit Aktionseinheit und unter Beteiligung von allen etwas zu erreichen. „Wir müssen zusammenrücken und gemeinsam arbeiten, um in kollektiver Aktion unseren Gegnern entgegenzutreten“. Dazu solle während der vier Konferenztage eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern gemacht werden. Eine Gelegenheit, Erfahrungen auszutauschen und zu schauen, wie eventuelle Errungenschaften verallgemeinert werden können. Vergleichspunkt war die vorherige Konferenz 2013 im indonesischen Jakarta. „Wir müssen prüfen, ob wir auf dem richtigen Weg sind oder nicht“. Eine gründliche Reflexion sei die Aufgabe aller Beteiligten. Zum Beispiel die Frage, ob staatliche Subventionen an die richtigen Adressen gingen.
Auf den Beitrag der Koordinatorin von Vía Campesina folgte Unai Aranguren, der Vertreter aus Europa und Vorsitzender der baskischen Bäuer*innen-Vereinigung EHNE (Euskal Herriko Nekazarien Elkartea). Er wies auf die Gefahr hin, vor der die Landwirtschaft derzeit stehe: „Alle drei Minuten verschwindet in Europa ein Bauernhof. Gleichzeitig kontrollieren vier oder fünf große Konzerne den gesamten Markt“. Von Vía Campesina wird das „fundamentale Recht“ auf landwirtschaftliche Selbstversorgung gefordert. Die Organisation macht deutlich, dass das Ziel der hier organisierten Bäuerinnen und Bauern die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln ist. Dabei wollen sie keine großen Organismen und keine großen Geschäfte. Ihre Forderung ist deshalb ein Schutz der landwirtschaftlichen Anbauflächen. Diese Forderungen hörten auch institutionelle Vertreter*innen wie die Verantwortliche für landwirtschaftliche Entwicklung der baskischen Regierung und die Direktorin der Abteilung Landwirtschaft der Provinzregierung Bizkaia. Anwesend war auch eine Vertreterin der linksnationalistischen Koalition Euskal Herria Bildu. „Wir müssen die Welt verändern, zu einem politischen Orientierungspunkt sind wir bereits geworden. Wir müssen die Äcker des Baskenlandes, Europas und der ganzen Welt mit dem Grün der Hoffnung füllen“, sagte Aranguren.
Anziehungspunkt für die junge Generation
„Viele kleine Leute, in kleinen Orten können mit kleinen Dingen die Welt verändern“. Das schrieb einst der uruguayische Schriftsteller, Philosoph und Aktivist Eduardo Galeano. Genau diese Losung will die bäuerliche Weltbewegung verbreiten. Dafür sind Bündnisse notwendig, alle sind sich dessen bewusst. Aranguren beschrieb eines der Diskussionsthemen: der Zugang zu Gütern und zu Märkten. Der Landwirt aus der baskischen Provinz Araba machte deutlich, wie schwierig es oft sei, die eigenen Produkte überhaupt auf den Markt zu bringen. „Insbesondere in den Städten gibt es häufig Hindernisse, Märkte zu organisieren“ (Markt: baskisch: azoka, spanisch: feria). Die Politik spiele dabei eine entscheidende Rolle, sie könne Prozesse begünstigen, zum Beispiel Verwaltung und Schutz landwirtschaftlicher Flächen. Er forderte eine Verbesserung der Ausbildungen im Bereich Agro-Ökologie und gleichzeitig Subventionen für die Wiederöffnung von Schlachthöfen.
Für Aranguren ist es entscheidend, dass die junge Generation aufs Land kommt oder auf dem Land bleibt. Wenn der Anspruch die ortsnahe Versorgung der lokalen Bevölkerung sein soll, müsse hier mehr produziert werden. Dafür seien mehr Personen nötig. Aranguren beklagte den Verlust von Produktqualität in Anbetracht eines Modells von Landwirtschaft, das auf Industrie und Massenproduktion ausgerichtet sei. Er forderte, dass die öffentliche Hand für Kantinen von Schulen, Altersheimen und Krankenhäusern lokale Produkte kaufen soll. Dadurch könnte gesichert werden, dass die Produzent*innen einen akzeptablen Lohn erzielen. Dies wiederum sei ein Anziehungspunkt für junge Leute.
Überalterung
„Das durchschnittliche Alter der Bäuerinnen und Bauern in Europa liegt bei 60 Jahren“, stellte Paula Gioia fest, sie ist Mitglied der Koordinationsgruppe und Aktivistin der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (5) in Deutschland. Ihr Land sei ein gutes Beispiel für eine völlig verfehlte Landwirtschaftspolitik. „Es ist ein Beispiel für die Politik der EU, die Gesetze im Land dienen allein dazu, die großen Agro-Industrien mit Aufträgen und Profit zu versorgen, sowohl die multinationalen Konzerne wie auch die landwirtschaftlichen Großbetriebe. Subventionen werden pro Hektar bezahlt, gleichzeitig werden Ländereien von Kleingütern aufgekauft“. Gioia betonte die Notwendigkeit, im ländlichen Bereich alternative Strukturen aufzubauen, „denn die jungen Leute, die in die Städte gezogen sind, kommen nicht zurück, solange es auf dem Lande kein kulturelles Leben gibt, solange die Landarbeit kein würdiges Einkommen bietet, und solange es keine guten Schulen und kein ausreichendes Gesundheitswesen gibt“.
Von Brasilien nach Deutschland
Je nach Land hatten die Teilnehmer*innen beim Weltkongress in Derio spezielle Geschichten hinter sich. Paula Gioia erzählte, wie sie auf einen Hof in der Gegend von Berlin kam. „Ich bin in Brasilien aufgewachsen, in einer bürgerlichen Familie, sehr konservativ, wegen meiner Geschlechtsidentität habe ich mich in diesem Ambiente alles andere als wohl gefühlt, ich konnte meine Sexualität nicht ausleben“. Sie fand Kontakt in Deutschland, machte sich auf den Weg, ohne genau zu wissen, was sie suchte. Sie machte Bekanntschaft mit dem ländlichen Berlin. „Ein Jahr lang half ich einmal die Woche einem Freund und die Arbeit gefiel mir“ (5).
Sie machte eine vierjährige Ausbildung „Biodynamische Landwirtschaft“ und schloss sich einem selbstverwalteten Landwirtschafts-Kollektiv an. „Wir verkaufen direkt an einzelne Kund*innen und an kleine Geschäfte, ohne Zwischenhändler“. Paula berichtete von der Situation in Deutschland, über den wachsenden Markt für alternative Produkte. Fast alles kommt aus dem Ausland, sowohl aus Südeuropa, alsauch aus Afrika, produziert von Landarbeiter*innen. Vordergründig geht es um Qualität der Produkte, nach der Art der Produktion werde jedoch viel zu wenig gefragt. „Da fehlt es an Menschlichkeit. Wir leben in einer Gesellschaft mit zu viel Konsum, dieser Konsumismus ist nicht tragbar“. Eine Änderung der Gewohnheiten sei angesagt. „Der Hunger greift um sich, das Schlimmste ist, dass vor allem ländliche Gebiete davon betroffen sind, also der Ort, wo die Lebensmittel produziert werden“.
„Das Produktionssystem muss dringend geändert werden, zum Wohle des Klimas und der Menschheit“. Dazu müsse die Politik die Rahmenbedingungen ändern und die Bauernschaft unterstützen. Der Preis für Boden steige ständig. „Wer kein Land erbt, hat ohne Kapital keine Chance, Land zu erwerben. Die Politik muss das berücksichtigen und der Landwirtschaft Vorrang einräumen“. Daneben sei bessere Ausbildung notwendig und zwar nicht in dem Sinne, wie es die Agro-Industrie diktieren möchte. „Wir müssen eigene Netze aufbauen“. In Lateinamerika funktioniere das schon besser als in Europa, so Paula Gioia.
„Die Selbstversorgung mit Lebensmitteln ist ein Konzept, das von der Bewegung Vía Campesina entwickelt wurde. Aber das bisher Erreichte ist nicht genug, wir müssen mehr Leute davon überzeugen, sowohl in der Produktion wie auch beim Konsum. Es muss eine Massenbewegung werden“.
Vom Fernsehen auf den Bauernhof
Alazne Intxauspe arbeitete einst beim Fernsehen, begann dann aber mit ökologischer Landwirtschaft (6). „Ich studierte Sozial- und Wirtschaftswissenschaft, war Euskara-Lehrerin und schließlich beim Fernsehen. Mit meinem Partner begann ich mit ein paar Gewächshäusern, erstmal für den Eigenkonsum. Zu Beginn hatten wir wenig Ahnung, dann machten wir einen Kurs bei der Landwirtschafts-Gewerkschaft EHNE und hatten auch schnell Abnehmer*innen für unsere Produkte. Im ersten Jahr blieb ich noch beim Fernsehen, alles sollte Schritt für Schritt gehen. Wir wollten von der Produktion leben, das erfordert Zeit. Zu unseren Kunden gehören nun zwei Schulen, jede Woche verteilen wir dreißig Gemüsekörbe an feste Kund*innen“.
Die Familie reagierte anfangs mit Unverständnis, erzählt Alazne. „Sie verstanden nicht, wie ich ein sicheres Gehalt eintauschen konnte gegen die unsicheren Einnahmen im Baserri“ (Bauernhof in baskischer Sprache). Ihr gehe es nicht allein um die Produktion von Lebensmitteln, sondern auch um die Ernährung der Bevölkerung. „Die Arbeit ist bekanntermaßen schwierig, oft gibt es keinen Feierabend oder kein Wochenende. Aber seit ich Bäuerin bin, schlafe ich ruhiger als vorher bei der Arbeit im Fernsehen“, erzählte Alazne. Nicht alle Produkte werden gerne konsumiert. Tomaten, Paprika, Zwiebeln und Zucchini gehen gut, aber Saubohnen und Boretsch zum Beispiel essen viele nicht, vor allem bei Jüngeren ist diese Gewohnheit verloren gegangen.
Die Nachfrage nach ortsnah produzierten Lebensmitteln lässt noch zu wünschen übrig. Bei lokalen Landwirtschafts-Märkten an Wochenenden ist die Nachfrage gut, aber im Alltag weniger. Das müsse sich ändern, wenn mehr Leute davon leben und von staatlicher Unterstützung unabhängig sein sollen. „Unser großer Vorteil ist die Qualität“, resümierte Alazne. „Bekannte von mir züchten Kaninchen und essen sie selbst nicht. Ich esse was ich produziere. Wir stehen für das Recht auf eine gesunde Ernährung der Bevölkerung“.
Patriarchale Gewalt
Das Engagement für ökologische Produktion abseits von der Landwirtschafts-Industrie ist überall ein Kampf ums Überleben. In Europa hat dieses Überleben eine finanzielle Komponente, in Lateinamerika hingegen geht es häufig um die nackte Existenz. Denn viele der dortigen Großgrundbesitzer schrecken auch nicht vor Auftragsmorden zurück. Trauriges Beispiel ist Berta Caceres aus Honduras. Die Feministin, Indigena-Führerin und Umweltaktivistin wurde 2016 umgebracht, nachdem sie vorher bereits mehrfach mit dem Tod bedroht worden war (7). Ihre politische Arbeit stellte für die Mächtigen eine Gefahr dar.
Iridiani Graciele berichtet über ähnliche Erfahrungen in Brasilien, Gewalt gegen Frauen existiert auf allen Ebenen. „2010 haben wir eine Kampagne gestartet gegen Gewalt gegen Frauen. Die Zahlen zeigen, dass diese Gewalt sogar zunimmt anstatt weniger zu werden, sowohl im häuslichen Bereich alsauch die politische Gewalt der Großgrundbesitzer. Das Problem wird kleingeredet und nicht bearbeitet“. Beim Kongress sollen gemeinsame Strategien entwickelt werden, die sich gegen diese patriarchale Gewalt richten (8).
Die international sicher bekannteste Vía-Campesina-Bewegung ist die brasilianische „Bewegung der Landlosen“ (Movimento Sem Terra, MST). Der brasilianische Staat habe immer auf groß angelegten Agrohandel und Großgrundbesitzer gesetzt, erzählt Iridiani. In der Lula-Regierung habe es noch einige Programme für die Landarbeiter*innen gegeben. Doch die aktuelle Putschregierung habe vieles rückgängig gemacht. „Der Staat garantiert den Einzug der transnationalen Konzerne in die verschiedenen Territorien und übernimmt gleichzeitig die Rolle, die Landbevölkerung rauszuwerfen. Gewalt wird dabei geflissentlich übersehen. Gesetze werden geändert, Rechte beschnitten. Die Großgrundbesitzer begehen Massaker, der Staat schaut weg und die Täter bleiben ungestraft“. – „Es gibt eine Allianz zwischen der Justiz, der Regierung und den Großgrundbesitzern, die im Parlament stark vertreten sind. Die Polizei unterdrückt die Kämpfe und schaut sogar bei Verbrechen zu. Die herrschenden Klassen der Bourgeoisie sind verbündet mit der internationalen Bourgeoisie, um die Ausbeutung sicherzustellen“ (8).
Frauentreffen im Vorfeld
Für die Aktivist*innen von Vía Campesina geht es rund um den Planeten um würdige Arbeits- und Lebensexistenz. Doch haben die Frauen – wie in allen Lebensbereichen – nicht nur den Kapitalismus als Hindernis vor sich, sie müssen sich auch noch mit dem Patriarchat in den eigenen Reihen herumschlagen. Die Vía-Campesina-Bewegung ist dabei keine Ausnahme. Derio war der siebte Kongress der Bewegung, gleichzeitig war es der fünfte Kongress, bei dem sich Frauen extra trafen, um Bestandsaufnahme zu machen und ihre Forderungen zu formulieren: gegen Patriarchat, Gewalt und Ungleichheit.
Francisca Pancha Rodriguez fasste die bisherigen Frauen-Kongresse zusammen und konnte Verbesserungen feststellen. Mittlerweile gibt es eine paritätische Besetzung in der Bewegung, die ausschließende Sprache wurde verändert und eine Agenda 21 für Bäuerinnen eingeführt. Vorher wurde Feminismus in den Konferenzen abgelehnt, heute ist er fester Bestandteil der Bewegung. „Für uns war das ein großer Schritt“, sagte Rodriguez (9).
Rechte der Bäuerinnen
In welchen Bereichen sich die Situation der Bäuerinnen verändern müsse, wurde Iridiani Graciele gefragt (9). „Wir haben bei Vía Campesina die Parität erreicht. Das heißt, dass an der Konferenz 50% Frauen teilnehmen, ebenso in den verschiedenen Ebenen der Leitung. Im Alltag der Organisation wurden diese Forderungen umgesetzt. Doch die Teilnahme muss hinausgehen über die zahlenmäßige Parität. Frauen müssen insgesamt mehr Protagonismus ausüben. Ein zweites Thema ist die Gewalt“.
Iridiani beschrieb, welche Verantwortung Frauen bei der Landarbeit innehaben. „Wir sind am gesamten Produktionsprozess beteiligt und sind auch noch für die Reproduktion zuständig. Erst arbeiten wir, dann kommen wir nach Hause und machen dort die Hausarbeit. Gleichzeitig sind Frauen nicht an den Orten, wo wichtige Entscheidungen getroffen werden: wo soll angebaut werden, was tun mit den Produkten – von diesen Entscheidungen sind sie weitgehend ausgeschlossen. Deshalb sind mehr Frauen in Führungspositionen nötig. Das erfordert Ausbildung, die Öffnung von Verantwortungsbereichen. Denn Führungsfrauen werden nicht geboren, sie werden ausgebildet. In vielen Gemeinden haben Frauen wichtige Funktionen, sie sind für die Gemeinwesenarbeit zuständig. Aber wenn es dann um Positionen in höheren Instanzen geht, tauchen Hürden auf. Frauen sollten nicht nur die Arbeit machen, sie müssen auch an den politischen Entscheidungen beteilgt sein“ (9).
ANMERKUNGEN:
(1) Information aus dem Artikel “Vía Campesina propone construir alianzas para cambiar el mundo“, Tageszeitung Gara 20.7.2017 (Vía Campesina schlägt Bündnisse vor um die Welt zu verändern)
(2) Vía Campesina (Wikipedia)
(3) und (4) Fotoserien vom Vía-Campesina-Kongress (Link) und der Demonstration in Bilbao am Abschlußtag 23.7.2017 (Link)
(5) Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (Link)
(6) Interview mit Alazne Intxauzpe: „Duermo mejor siendo baserritarra que cuando trabajaba en la television“, Tageszeitung El Correo, 21.7.2017 („Seit ich Bäuerin bin, schlafe ruhiger als vorher bei der Arbeit im Fernsehen“)
(7) Berta Caceres, Wikipedia (Link)
(8) Interview mit Iridiani Graciele: „Este gobierno brasileño permite que los terratenientes hagan masacres”, aus der Tageszeitung Gara 18.7.2017 (Diese brasilianische Regierung erlaubt den Großgrundbesitzern Massaker auszuüben)
ABBILDUNGEN:
(*) Weltkongress Vía Campesina, Baskenland (FAT)