Free-Bilbo statt Massentourismus
Die Stadtteil-Initiative Zirikatzen! aus dem Stadtteil Deustu hat für Bilbao-Reisende eine Handy-Anwendung vorgestellt, die es ihnen ermöglichen soll, die Stadt auf eigene Faust und in eigenem Rhythmus zu erforschen. An den verschiedenen Orten der Stadt wird eine alternative Sichtweise von Geschichte und vergangenen Ereignissen geboten. Die Anwendung kann mit Android-Telefonen einfach heruntergeladen werden, neben Information beinhaltet sie Links und Karten, die bei der Orientierung hilfreich sind.
37 interessante Orte Bilbaos beschreibt das Stadtteil-Kollektiv Zirikatzen! in einer kostenlosen Anwendung für Android-Handys: der Free Bilbo Rundgang. Dieses alternative Angebot stellt in der bizkainischen Hauptstadt eine absolute Neuheit dar, denn bislang hat sich noch nicht einmal die Tourismus-Verwaltung mit diesem Medium auseinandergesetzt. „In zwei alternativen Rundgängen findest du Information, die du in anderen Beschreibungen nicht findest, oder die anders erklärt sind“, so stellt sich Zirikatzen vor und macht deutlich, dass es nicht um irgendein Zusatz-Angebot geht, sondern um eine Alternative die provozieren soll – ganz wie es der Name der Gruppe sagt, denn Zirikatzen ist baskisch und bedeutet „Provozierend“. (2016-06-26)
Die App-Anwendung ist sechssprachig, sie begann mit Euskara und Spanisch, später kamen Deutsch, Englisch, Französisch und Katalan dazu. In der Regel erscheinen die Beschreibungen in der Sprache, die im Handy programmiert ist. Um die Anwendung in anderen Sprachen zu sehen, muss im Telefon nur die entsprechende Sprache eingestellt werden. „Die Anwendung ist offline, gratis und ohne Werbung, sie wurde als CC registriert. Zudem haben wir den Quellcode in unser Web gestellt, damit das Projekt von Interessierten benutzt und verbessert werden kann“. Neben Beschreibungen sind in den Rundgängen Landkarten mit verschiedenen interessanten Orten (Brunnen, öffentlichen WCs, spezielle Orte, …) und andere Links zu finden. Zum Download: Webseite Zirikatzen > Free Bilbo > deskargatu.Zirikatzen! – Provozieren!
Hallo und herzlich willkommen im Baskenland! Mittels dieser Anwendung schlagen wir dir zwei Rundgänge durch Bilbo vor, mit denen du die Geschichte kennen lernen kannst, um die Gegenwart der Stadt zu verstehen. Diese Android-Anwendung wurde vom Kollektiv „Zirikatzen!” erarbeitet. Wir sind eine Gruppe, die im Stadtteil Bilbo-Deustu im Bereich Kommunikation und politische Bildung arbeitet.
Wir gehen davon aus, dass eine Stadt wie Bilbo nicht zu verstehen ist ohne ihren geografischen und gesellschaftlichen Zusammenhang zu kennen. Geografisch hat Bilbo einen günstigen Zugang zum Meer, mit guter Verbindung zur übrigen Halbinsel, immer gab es einen wichtigen Hafen. Weil in Bizkaia außerdem große Mengen von hochwertigem Eisenerz gefunden wurden, wuchs Bilbo während der Industrialisierung besonders stark. Andererseits ist Bilbo eine der wichtigsten Städte in Euskal Herria, dem Land des Euskara, in dem das baskische Volk seit Jahrtausenden lebt. Wir sind ein Volk von ca. 3 Mio. Menschen mit einer eigenen Kultur und einer vorromanischen Sprache, der ältesten in Europa. Dieses Volk wurde über die Jahrhunderte von verschiedenen Imperien überfallen, heutzutage wird es von den Staaten Frankreich und Spanien dominiert. Aus diesem Grund gab es im Baskenland in den vergangenen Jahrhunderten verschiedene Konflikte, zum Teil bewaffnet.
Wir schlagen dir zwei Stadtrundgänge vor: * 1. der Rundgang am Fluss (Itsasadarra-Ría): auf dieser Strecke, mit dem Fluss als rotem Faden, lernst du die jüngere Geschichte der Stadt kennen, vor allem das 20.Jahrhundert. * 2. Der Rundgang durch die Altstadt (Alde Zaharra): diese zweite Route zeigt die Geschichte des alten Bilbo, mit allen verschiedenen historischen Epochen und aktuellen Themen.
Rundgang 1: Am Fluss entlang
In diesem Artikel geht es um den ersten Stadt-Rundgang, den das Zirikatzen-Kollektiv entwickelt hat, er führt am Nervion-Fluss entlang und zeigt, wie Bilbao aussah bevor die Stadtverwaltung den Kurs Richtung Tourismus einschlug, wovon die Mehrheit der Bevölkerung lebte. Der zweite Rundgang (Altstadt – Alde Zaharra) wird in einem extra Artikel beschrieben, der demnächst bei Baskultur.info publiziert wird.
Würdigung von Frau Casilda
Du befindest dich am Beginn des Fluss-Rundgangs, im Doña Casilda Park, einem Garten im englischen Stil, dessen Bau 1907 begann. Wie in jeder Stadt dienen Straßennamen nicht nur der Orientierung, sie stellen auch Bezüge zur Geschichte dar und sind Symbole einer Gemeinschaft. Mehr als 300 Straßen oder Alleen Bilbaos tragen Namen von Personen, Doña Casilda ist eine der wenigen Frauen mit diesem Privileg, nach ihr ist sowohl eine Straße (Viuda de Epalza), wie auch ein Park benannt. Fast 300 Straßen beziehen sich auf Männer, nur 30 tragen Frauen-Namen (mehrheitlich Heilige und christliche Jungfrauen).
Wir sehen also, dass es in Bilbo ein Privileg weniger Frauen war, öffentlich anerkannt zu werden. Warum wurde gerade Doña Casilda für würdig befunden, Namensgeberin einer Straße zu werden und eines Parks, der bis vor wenigen Jahren das einzige Stück Grün der Stadt darstellte? Casilda Margarita de Iturrizar y Urquijo (Bilbo, 1818-1900) heiratete 1859 Tomás José Joaquín de Epalza y Zubaran, einen bekannten Geschäftsmann und Mitgründer der Bilbao Bank (Vorläufer der heutigen BBVA). Nach seinem Tod finanzierte Doña Casilda den Bau der Tivoli-Schulen, organisierte Stipendien für öffentliche Schulen und hinterließ nach ihrem Tod u.a. eine Summe für das Waisenheim (Casa de Misericordia) und das Zivil-Hospital. Dieses karitative Leben reichte dennoch nicht aus, sich vom Namen ihres Ehemannes frei zu machen. Denn als „Witwe von Epalza” musste am Erinnerungs-Monument im Park ausgerechnet das Gesicht des Ehemanns erscheinen. Die Anerkennung der Frauen ist problematisch.
Euskalduna Werft
Auf dem Gelände, das du gerade betrittst, stand während des gesamten 20.Jhs. die Euskalduna Werft. Sie wurde 1900 gegründet und wurde zum Symbol der Schwerindustrie in Bizkaia. 1983 wurde die traurige Entscheidung bekannt gemacht, dass diese rentabel arbeitende Werft geschlossen wird. Das europäische Großkapital, vertreten durch die Europäische Gemeinschaft, beschloss, dass Schwerindustrie vor allem in Nord-Europa ihren Standort haben sollte, dass die südeuropäischen Länder deindustrialisiert werden und ihre Zukunft in der Dienstleistung suchen sollten. Die spanische Regierung mit Felipe Gonzalez (PSOE) führte diesen Auftrag durch.
Die Mobilisierungen gegen die Werft-Schließung wurden zu einer historischen Auseinandersetzung, die in der kollektiven Erinnerung Bilbaos präsent ist, Studierende und der ganze Stadtteil Deustu solidarisierten sich mit der Belegschaft der Werft. Der Kampf eskalierte, als am 20. November 1984 zweiundzwanzig Gruppen von Studierenden in die Werft eindrangen und sich den dort verbarrikadierten Arbeiter/innen anschlossen. Zwei Tage später begann die spanische Polizei scharf zu schießen, ein Arbeiter wurde verletzt, während der Schießerei starb der Arbeiter Pablo Gonzalez an einem Infarkt. Die definitive Schließung der Werft 1988 führte zu einer kritischen Situation in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt der Region.
Iberdrola Turm
Vor dir steht der Iberdrola Turm, mit 165 m der höchste im Baskenland. Dieser Bau geht zurück auf ein Design des Star-Architekten Cesar Pelli, damit sollte die „Marke Bilbao“ gestärkt und die Stadt zu einem touristischen Ziel gemacht werden. In diesem Gebäude befindet sich der Hauptsitz des multinationalen Konzerns Iberdrola, eines der größten baskischen Unternehmen. Nach verschiedenen Versuchen, den Sitz nach Madrid zu verlegen, erreichte die baskische Bourgeoisie den Verbleib in Bilbo. Zu welchem Preis? Heutzutage zahlt dieser Multi so gut wie keine Steuern in Bizkaia. Trotz Gewinnen von je 2,8 Milliarden Euro zahlte Iberdrola in den Jahren 2009 und 2010 keine Steuern. Iberdrola ist zudem berüchtigt für Missbrauch und Plünderung, die der Konzern in Südamerika praktiziert, zum Beispiel seine Stromgeschäfte in Bolivien oder Brasilien, wo der Strompreis mit dem Auftauchen des Multis plötzlich um 400% anstieg.
Universität Deusto
Die Universität Deusto ist eine 1886 von Jesuiten gegründete Hochschule, eine der Elite-Unis des Baskenlandes. Hier wurde und wird die baskische und spanische Oligarchie ausgebildet. Aus Kostengründen konnten Leute aus der Arbeiterklasse nicht studieren bis im Jahr 1980 die öffentliche baskische Universität gegründet wurde (Universität Bilbao 1970). In den 80er Jahren stammten von den an der Wirtschafts-Fakultät der Universität Deusto Studierenden nur 7% aus Arbeiterfamilien. Obwohl es sich bei der Universität Deusto um eine private Hochschule handelt, erhält sie hohe Zuschüsse von der baskischen Regierung. Zwischen 2015 und 2018 wird sie 30 Mio. Euro erhalten, eine Steigerung um 11%. Im selben Zeitraum sinkt der Zuschuss der öffentlichen Universität um 14%.
Während des Spanischen Bürgerkriegs wurde die Universität Deusto von den Faschisten von 1937 bis 1940 als Konzentrationslager genutzt. Von den mehr als 5.000 Gefangenen wurden 188 erschossen, weitere 143 starben an Krankheiten.
Guggenheim Museum
Bereits am Beispiel der Euskalduna-Werft war zu sehen, dass dieser Ort in Bilbo Sitz der bizkainischen Schwerindustrie war. Wo heute das Guggenheim-Museum steht, wurden über Jahre hinweg Schiffe be- und entladen. Nach dem Deindustrialisierungs-Prozess wurde 1991 beschlossen, das Guggenheim zu bauen – ein erstes Beispiel von Star-Architektur in Bilbo. Es war der Startschuss für die „Marke Bilbao“, um Tourismus ins Land zu ziehen. Wie bereits erwähnt beschloss die Europäische Gemeinschaft, dass Schwerindustrie vorwiegend in Nord-Europa ihren Standort haben sollte, dass die südeuropäischen Länder deindustrialisiert werden und ihre Zukunft in der Dienstleistung suchen sollten. Dieser Prozess wird zwar industrielle Umstrukturierung genannt, tatsächlich haben wir es mit einer De-Industrialisierung zu tun, die die PSOE-Regierung in den 80er Jahren durchführte.
Dieser Prozess brachte die Schließung vieler Industriebetriebe, die Entlassung von Arbeitskräften, die Auslagerung von Fabriken … wo die Industriebetriebe standen werden nun Einrichtungen gebaut, die der Dienstleistung und dem Tourismus dienen, wie das Guggenheim Museum oder der Euskalduna Palast. Trotz der Propaganda, die verbreitet wurde über die Bedeutung des Guggenheim für die Kultur, gilt es festzustellen, dass die Einrichtung das genaue Gegenteil bewirkt hat. Die baskische Kultur blieb ohne Fördermittel während der Jahre der Konstruktion, in die praktisch der gesamte Kultur-Haushalt der baskischen Regierung investiert wurde.
20. November: Gedenken und Gedenken
Du stehst vor der Kirche San José de la Montaña, eine von vielen Kirchen in Bilbo. Besonders erwähnenswert ist sie deshalb, weil dort jedes Jahr am 20. November eine Messe zu Ehren des Diktators Francisco Franco abgehalten wird. Am selben Tag wurden Santi Brouard (1984) und Josu Muguruza (1989) umgebracht, auch für sie werden im Baskenland Gedenkfeiern durchgeführt, es handelt sich um zwei Personen, die für die Freiheit eines Volkes kämpften und die im schmutzigen Krieg des spanischen Staates ermordet wurden. Santi Brouard, Mitglied von Herri Batasuna (die politische Organisation der baskischen Linken), wurde von den Todesschwadronen GAL am 20.November 1984 in seiner Praxis als Kinderarzt umgebracht, kurz nachdem er für Bizkaia ins baskische Parlament gewählt wurde.
Josu Muguruza war 1989 Bizkaia-Kandidat von Herri Batasuna für den spanischen Kongress. Die Eröffnungs-Sitzung im Kongress fand am 21. November statt, deshalb bereiteten die Kongress- und Senats-Abgeordneten von Herri Batasuna am Vorabend im Madrider Hotel Alcala das Vorgehen für den nächsten Tag vor. In jenem Moment drangen zwei Vermummte ein und schossen auf die Gruppe. Die Kugeln töteten Josu Muguruza, ein zweiter Abgeordneter wurde schwer verletzt.
Totalverweigerung
Das Gebäude auf deiner linken Seite ist der Sitz der Zivil-Regierung. Über viele Jahre war es berühmt, weil alle jungen Männer sich dort vorstellen mussten, wenn sie zum obligatorischen Wehrdienst eingezogen wurden. Auch wenn sie den Dienst verweigerten. In den 90er Jahren weigerten sich Tausende von Jugendlichen, ihre militärische „Pflicht“ zu erfüllen, im Volksmund hieß das „Insumision“, Totalverweigerung. In Städten und Dörfern wurden Versammlungen von Totalverweigerern organisiert, daneben gab es Unterstützungsgruppen, die sich koordinierten. Die wichtigsten Gruppen in Bilbo sind MOC und Kakitzat.
Hinter der Totalverweigerung steht eine antimilitaristische Haltung. Aus unterschiedlichen Gründen entschieden sich so viele Jugendliche für die Totalverweigerung: aus antimilitaristischer Haltung, oder weil sie weder in der spanischen noch in einer kapitalistischen Armee dienen wollten. Das Engagement für die Totalverweigerung hat verschiedene Ebenen: gewaltförmige Aktionen, plakative Aktionen wie das Anketten vor Kasernen, massenhafte Fahnenflucht … und die wichtigste: den Militärdienst total zu verweigern. In den ersten Jahren waren Haftstrafen die Folge, dazu kamen lange Jahre Berufsverbot für den öffentlichen Dienst. Als Folge der jahrelangen Kämpfe sah sich die Regierung 2002 gezwungen, den obligatorischen Militärdienst einzustellen und eine Amnestie auszusprechen für ca. 4000 Personen, die zu jener Zeit einen Prozess anhängig hatten, ob sie gerade eingesperrt waren oder nicht.
Der Elíptica-Platz
Du bist am Elíptica-Platz angekommen, viele Symbole erzählen dort die Geschichte von Bilbo. Nach dem Wahlsieg der Volksfront 1936 in der spanischen Republik organisierte die spanische Oligarchie zusammen mit einem Teil der Armee einen Staatsstreich, der anfangs nicht erfolgreich war. In der Folge kam es zu einem Bürgerkrieg, der das Volk mit der aufständischen Armee konfrontierte. Die Aufständischen siegten nach 3 Jahren Krieg. Dieser Platz wurde während der franquistischen Diktatur gebaut, sein offizieller Name ist Moyúa-Platz, eine zweifelhafte Ehrung für den faschistischen Bürgermeister von Bilbo, Federico Moyúa, der die Stadt während fast der gesamten Diktatur von Primo de Rivera (1924-1930) regierte.
Hier befindet sich das Carlton-Hotel, 1926 fertig gebaut, hier war der Sitz der ersten baskischen Regierung von 1936, mitten im Bürgerkrieg. Unter den Eingangstreppen sind bis heute die Luftschächte des Bunkers zu sehen, der sich dort befand, um die Regierung von Euskadi vor den häufigen Bombardierungen der Faschisten zu schützen. Daneben steht das Gebäude des spanischen Finanz-Ministeriums, gekrönt von einem franquistischen Symbol – eine Tatsache, die den Mangel an historischer Erinnerung zeigt, bei der Demokratie und Freiheit gewürdigt werden.
Was von den Fueros blieb
Du stehst vor dem Palast der Provinzregierung Bizkaias, ein Gebäude, das Ende des 19. Jhs. gebaut wurde. Die Fuero-Sonderrechte sind wesentlicher Bestandteil der Gesetze der baskischen Institutionen, sie gehen auf das Mittelalter zurück. Anfangs bestanden sie aus einer Reihe von Normen in Bezug auf öffentliches und privates Recht, die die Verwaltung der historischen baskischen Territorien regelten. Sie waren zwar Ausdruck der alten baskischen Gebräuche und Traditionen, bevorteilten aber Männer und Reiche.
Araba, Bizkaia und Gipuzkoa (drei der vier heutigen baskischen Provinzen unter spanischer Verwaltung) bewahrten ihre traditionellen Institutionen auch nach der gewaltförmigen Annexion durch die kastilische Krone seit 1200. Die folgenden Könige oder Landherren mussten deshalb schwören, die Fuero-Sonderrechte und die baskischen historischen Territorien zu respektieren, ihre Rechte zu achten: die Basken sollten keine Steuern an die Krone abführen, keinen Kriegsdienst leisten (außer zur Verteidigung der eigenen Territorien) und hatten die Freiheit, sich nach eigenen Kriterien zu verwalten.
Diese juristischen Besonderheiten gingen den drei Provinzen und Navarra nach einigen Teil-Aussetzungen und gescheiterten Wiederherstellungen verloren, zuletzt nach den Karlisten-Kriegen. Die spanische Verfassung von 1978 bestätigt die Gültigkeit der historischen Rechte der foralen Territorien, indem sie die Gesetze von 1841 wieder aufnimmt. Deshalb stehen diesen Territorien u.a. Steuerhoheit und Zivilrecht zu. Die Grundlage für die Rechte der Region Navarra sind festgelegt in einem speziellen Gesetz, das eine mögliche Wiedereingliederung ins Baskenland vorsieht, die Rechte der Autonomen Baskischen Gemeinschaft sind im Autonomie-Statut festgelegt.
Sprung über den Fluss
Bis zur ersten Hälfte des 19. Jhs. ließen die Grenzen Bilbaos keine räumliche Ausdehnung zu. Um dem Bevölkerungs-Wachstum Rechnung zu tragen wurde ohne jegliche Stadtplanung mit dem „Bau nach oben“ begonnen. 1863 kam der Zug nach Bilbo (Bahnhof Abando), ein Zeichen für die Bedeutung der Stadt als wirtschaftliches und finanzielles Zentrum. Ab 1875 verzeichnete Bilbo seine stärkste Entwicklung, dank der Ausbeutung der nahen Erzminen, des Handels und der Hafentätigkeit. Die Metall- und Schiffs-Industrie wurden so zu Säulen des wirtschaftlichen Wachstums. Gegründet wurden in jenem Jahrhundert die Banco de Bilbao (1857) und die Banco de Bizkaia (1901), Vorläuferin der 1989 gegründeten BBV, die im Jahr 2000 zur BBVA wurde. 1890 wurde in Bilbo die Börse eröffnet.
Diese Entwicklung zog immer mehr Menschen nach Bilbo, eine Stadterweiterung wurde unvermeidlich: die Architekten Achúcarro, Hoffmeyer und Alzola entwarfen 1876 den Ensanche-Plan. Es erfolgte der Sprung über den Fluss. Im urbanistischen Stil jener Zeit wurden breite gerade Straßen gebaut und Gebäude verschiedener Stile, sie ersetzten die Gärten und Wiesen von Abando und Albia. Die Arenal-Brücke wurde zum Symbol dieser Ausdehnung, sie erlaubte den Finanz- und Handels-Institutionen, sowie den Industrie-Betrieben den Sprung ins neue Bilbo. In der Umgebung von San Francisco und der Altstadt fand zur gleichen Zeit eine schnelle Ausdehnung ohne städtische Planung statt.
Faschistische Straßennamen
1980 wurde mit der Änderung der Straßennamen begonnen. 39 Straßen und Brücken der Stadt (wie der Platz, auf dem du gerade stehst, dessen Bezeichnung „Plaza España“ mit „Circular“ ersetzt wird) wurden umbenannt. Diese Dynamik wurde 1983 fortgesetzt mit der Neubenennung von weiteren 19 Straßen, die einen direkten Bezug zum Franquismus hatten.
So verschwanden Anfang der 80er Jahre fast 60 Namen, die mit dem Krieg von 1936 in Verbindung standen. Andere Namen blieben, weil den betreffenenden Personen unabhängig von ihrer Haltung im Krieg ausreichende Verdienste zugeschrieben werden (Gregorio Balparda, Pedro Eguillor) oder weil es sich um Namen mit doppelter Bedeutung handelt. Bestimmte Berge zum Beispiel wie „Peña Lemona“, „Alto de Kanpazar“ oder „Monte Saibigain“ waren 1937 die Schauplätze heftiger Kämpfe, die die Franquisten siegreich beendeten. Dennoch sind sie auch eine ehrenvolle Erinnerung an den Widerstand der Besiegten, die sich der aufständischen Armee entgegen stellten. Tatsächlich gibt es nur noch wenige Namen, die mit dem Krieg in Zusammenhang stehen. Dies ist v.a. die Folge einer Politik der herrschenden Klasse, die mit „dem Übergang von der Diktatur zu Demokratie“ den Militäraufstand und die folgende Diktatur vergessen machen wollen.
Freundschaft und Kampf
Wir sind in der Amistad-Straße (Freundschaft) unterwegs, hier wurden Salvador Gaztelumendi und José Miguel Bustinza erschossen. In der Nacht zum 24. September 1997 wurden die beiden ETA-Aktivisten von der Guardia Civil überrascht (im Abschnitt „Polizeipräsenz” beim Weg durch die Altstadt erwähnt), als sie in einem Auto warteten. Bei der folgenden Schießerei starb einer der beiden sofort, der andere starb beim Transport ins Basurto-Krankenhaus. Der baskische Gesundheitsdienst gab bekannt, einer der Toten sei an einem Herzschuss gestorben.
Ein Beispiel für das blutige Vorgehen der staatlichen Sicherheitskräfte im Baskenland, die ihren Krieg bis heute führen. Viele Demonstrant/innen wurden auf der Straße erschossen, manche regelrecht exekutiert, oder starben in fernen Gefängnissen. Für all diese Toten wird jedes Jahr am 27. September der Gudari Eguna begangen (Tag der Kämpfer/innen), in Erinnerung an die letzten Hinrichtungen des franquistischen Regimes: die ETA-Aktivisten Jon Paredes Manot (Txiki) und Ángel Otaegi Etxebarria, sowie die FRAP-Aktivisten José Luis Sánchez Bravo, Ramón García Sanz und Humberto Baena.
Venezuela Platz
Gegenüber siehst du die Büste des Befreiers Simon Bolivar, dem im Stadtteil Indautxu auch ein Straßenname gewidmet ist. Zweifellos hat diese historische Figur eine starke Verbindung mit dem Baskenland. Seine Familie kommt aus Bolibar, ein 40 Kilometer von Bilbo entferntes Dorf. Der Familienname kommt aus der baskischen Sprache und bedeutet „Fluss-Mühle“ (bolu = Mühle und ibar = Fluss). Gleichzeitig wollen wir die parallele Entwicklung des Kolonialismus in Amerika und der kastilisch-aragonesischen Expansion auf der iberischen Halbinsel beschreiben. Zu Beginn des 16. Jhs., parallel zur Eroberung Amerikas, schickten die Könige von Kastilien und Aragon ihre Armeen ins Königreich Navarra, das die die Mehrheit der baskisch-sprachigen Territorien umfasste (das Euskara wurde auch Lingua Navarrorum genannt). Damals formierte sich, was wir heute als „Spanien“ kennen. Simon Bolivar kämpfte unermüdlich dafür, Amerika vom kolonialen Joch Spaniens zu befreien. Für die Unabhängigkeit von Bolivien, Kolumbien, Ekuador, Panama und Venezuela ist er eine wichtige Figur. In Lateinamerika sind die meisten Befreiungs-Prozesse vollendet, im Baskenland hingegen steht die Forderung nach freier Selbstbestimmung weiter auf der Tagesordnung.
Hebebrücken
Wie im Abschnitt „Sprung über den Fluss“ beschrieben sah das Stadterweiterungs-Projekt von 1876 die Annexion der Nachbar-Gemeinden Abando, Begoña und Deustu vor. Der Bürgermeister Bilbaos während der Diktatur von Primo de Rivera, Federico Moyúa, versprach den Bau von zwei Brücken über den Fluss (1936 vollendet), die die Verbindung mit den „neuen“ Stadtteilen erleichtern sollten. Die Brücke, auf der du stehst, ist die Rathaus-Brücke. Die andere ist die Deustu-Brücke, die du am Punkt „Euskalduna-Werft“ überquert hast. In beiden Fällen handelt es sich um Hebebrücken nach dem Vorbild der Brücken von Chicago. Denn der Schiffsverkehr auf dem Fluss, in jener Zeit fundamental für die Hafenarbeiten, die sich in diesem Bereich des Flusses abspielten, durfte durch die Brücken nicht gestört werden. Gebaut wurden sie von den Euskalduna-Werken (davon war im Punkt „Euskalduna Werft“ die Rede) und von Babcock & Wilcox.
Wie alle Brücken Bilbaos wurden auch diese beiden auf Befehl der baskischen Regierung gesprengt, bevor die franquistischen Truppen 1937 die Stadt einnahmen, 1941 wurden sie wieder aufgebaut und eingeweiht. Nachdem 1970 der Schiffsverkehr auf dem Fluss verschwand, wurde aus der Hebebrücke eine feste Brücke (bei der Deustu-Brücke ist die Hebe-Vorrichtung noch vorhanden und sichtbar). Wie vom Rathaus-Ufer zu sehen ist, ist der Kontrollturm erhalten, von dem aus die Arbeiter die Brücke öffneten. Später hatte er andere Funktionen, Kartenhäuschen für Stierkämpfe und Tourismus-Büro.
Große Festwoche
Gegenüber seht ihr den Arenal Park von Bilbo. Dieser Park ist eng verbunden mit der Aste Nagusia, der großen Festwoche. Es ist die größte Fiesta der Stadt, die jedes Jahr Ende August über neun Tage gefeiert wird. 1978 wurde ein neues Fiesta-Modell entwickelt, bei dem die Konpartsa-Festgruppen eine große Rolle spielen, sie organisieren die Fiesta und geben der Aste Nagusia einen volksnahen Charakter. Seither ist viel passiert. Einige sind froh über die zunehmende Passivität der Bevölkerung und vergießen von ihren bequemen Sitzen aus Krokodilstränen über „jene wunderschönen Jahre“. Gleichzeitig wollen sie das aktuelle Fiesta-Modell ändern, weil es „anachronistisch“ sei. Ersetzt werden soll es durch ein „von oben gesteuertes kommerzielles Modell“.
Neben dem Arenal steht das Rathaus von Bilbo. Dort seht ihr die beiden offiziellen Fahnen, die baskische Ikurriña und die spanische. Über Jahre hinweg wurde die spanische Flagge nur während der Fiesta-Woche gehisst, was regelmäßig zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstrant/innen und der Polizei führte, und im Volksmund als „Fahnenkrieg“ bekannt war. Heutzutage wird die spanische Flagge per gesetzlicher Auflage täglich gehisst.
Artxanda
Um nach oben zu kommen musst du die Funicular-Seilbahn nach Artxanda nehmen. Über den Link unten findest du weitere Infomation. Die Funicular wurde 1915 in Betrieb genommen, um Bilbo mit dem Artxanda-Berg zu verbinden. Dort befindet sich ein Freizeit- und Erholungsgebiet. Während der Belagerung Bilbaos im Spanischen Bürgerkrieg von 1936/37 wurden die obere Station und die Gleise bombardiert und waren zeitweise nicht benutzbar.
Von Artxanda aus hast du einen hervorragenden Blick über Bilbo, über den Fluss, bis zu seiner Mündung. Entlang des Flusses siehst du die Reste der Industrie-Ansiedlungen, die im 20. Jh. die Lebensgrundlage für die ganze Region darstellten. Interessant ist ein Besuch bei dem „Huella”-Denkmal (Fingerabdruck), es ist den Bataillonen von Gudari-Kämpfern und Milizionären gewidmet, die das Baskenland während des Spanischen Krieges verteidigten. Mit Sicherheit ein guter Ort, diesen Rundgang zu beenden. Wir hoffen, es hat dir gefallen. Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit.
So viel zum Stadt-Rundgang „Fluss“, den das Kollektiv Zirikatzen! entwickelt hat für alle, die nicht oder nicht nur die offizielle Version von Stadtgeschichte erfahren wollen, eine Version, die leider viele Aspekte der jüngeren Geschichte der Stadt ausspart, weil sie anscheinend nicht ins Bild passen von einem hochmodernen und attraktiven Bilbao, das in den Reiseschlagzeilen aktuell nur mit Superlativen bedacht wird. Der zweite Rundgang (Altstadt – Alde Zaharra) wird in einem weiteren Artikel beschrieben, der demnächst an dieser Stelle bei Baskultur.info publiziert wird.
Link zum zweiten Teil des alternativen Stadtrundgangs "Free Bilbo" von der Stadtteil-Initiative Zirikatzen! zu den Themen Altstadt und Gentrifizierung in San Francisco ... (Link)
FOTOS:
(1) Der Kongress-Palast Euskalduna ist eines der Gebäude, die am Standort der ehemaligen Euskalduna-Werft stehen, die 1986 geschlossen wurde und für hohe Arbeitslosigkeit sorgte. (Foto Archiv Txeng – FAT)
(2) Der Stadt-Rundgang (1) von Free Bilbo führt am Fluß entlang, wo sich in den vergangenen 25 Jahren die hauptsächlichen Veränderungen der Stadt abgespielt haben. (FAT)
(3) Casilda de Iturrizar war Banker-Witwe und demonstrierte ihre karitative Ader, sie ließ Schulen und Waisenheime bauen und ist die einzige zweifach vertretene Frau im Straßenbild Bilbaos. (FAT)
(4) Der Energiekonzern wurde mit teuren Steuergeschenken (wie der Turm) bewogen, seine Zentrale in Bilbao zu behalten. (FAT)
(5) Das Guggenheim-Museum verschlang viele baskische Steuer-Millionen und wurde zum touristischen Anziehungspunkt. (FAT)
(6) Die baskischen Politiker Santi Brouard und Josu Muguruza wurden nicht zufällig jeweils am 20.November, dem Todestag Francos umgebracht. (FAT)
(7) Im 1926 fertig gestellten Carlton-Hotel hatte die baskische Regierung während des 36er-Krieges ihren Sitz. (FAT)
(8) Nach dem Franquismus wurden die Fiestas von Bilbo reaktiviert. Marijaia – die Fiesta-Marie – ist das Symbol der Festwoche. (FAT)
(9) Im Naherholungsgebiet Artxanda (zu erreichen per Funicular) steht das Denkmal für die Verteidiger der spanischen Republik und des Baskenlandes im Krieg von 1936. (FAT)