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Schwierige Vergangenheits-Bewältigung

Am 26. April 2019 ist es 82 Jahre her, dass die baskische Stadt Gernika von Fliegern der deutschen Legion Condor in Schutt und Asche gebombt wurde. Die NS-Regierung unterstützte damals einen Militärputsch gegen die spanische Republik. Presseberichte über den Angriff und Fotos von den Ruinen sorgten weltweit für Entsetzen. Pablo Picasso schuf unter dem Eindruck des Krieges sein bekanntestes Gemälde, nannte es „Guernica“ und machte diesen Namen zum Synonym für die Leiden der Zivilbevölkerung im Krieg.

Auch 82 Jahre nach der Zerstörung der baskischen Stadt Gernika durch die Nazi-Luftwaffe haben sich deutsche Behörden nicht offiziell zu diesem Kriegsverbrechen geäußert, geschweige denn entschuldigt. Die Kontroverse schwelt, insbesondere um Wunstorf, in deren Militär-Garnison viele Piloten der Legion Condor ausgebildet worden waren.

In Spanien und Deutschland stritten die Täter, die im Bild unsichtbar bleiben, jegliche Verantwortung ab und behaupteten, die Basken selber hätten ihr kulturelles Zentrum angesteckt. Die Augenzeugen wussten es besser, doch während der Franco-Diktatur war es in Spanien strikt verboten über das Bombardement zu sprechen. Wer es dennoch wagte, riskierte verhaftet und in eines der zahlreichen Konzentrationslager und Gefängnisse gesperrt zu werden. Nach dem Tod des Diktators 1975 wurden die unter seiner Herrschaft begangenen Verbrechen weiterhin verschwiegen und sind bis heute nicht vollständig aufgearbeitet. Militärarchive blieben verschlossen. (1)

Aufarbeitung: weder hier noch dort

1977, zwei Jahre nach dem Tod des Massenmörders Franco, wurde für sämtliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Zeit des Krieges und der folgenden Diktatur eine Amnestie beschlossen, deren Ziel eine historische Amnesie war. Kein einziger Vertreter der alten franquistischen Garde wurde jemals vor Gericht gestellt. Formal wurde der postfranquistische Staat in eine parlamentarische Monarchie mit einer neuen Verfassung umgewandelt, in Wirklichkeit blieben die franquistischen Verhältnisse unangetastet. In Politik, Justiz, Polizei und Militär bestimmten dieselben Figuren wie zuvor während der Diktatur. Der neue König schwor seinen Eid auf Franco, die Falange und die national-katholischen Werte, seine politische Figur wurde nie bei einem Referendum zur Diskussion gestellt.

GWLC02Auch in der Bundesrepublik Deutschland schwiegen die Täter (nicht nur) über das Kriegsverbrechen von Gernika. Ein Teil der Bomberbesatzungen von Gernika (2) kam aus der Garnisonsstadt Wunstorf bei Hannover. Im Zuge der Remilitarisierung Westdeutschlands, bei der ehemalige Wehrmachts-Offiziere eine maßgebliche Rolle spielten, waren öffentliche Fragen nach den Einsätzen der Wehrmacht im Spanischen (Bürger-)Krieg und im Zweiten Weltkrieg tabuisiert.

Mantel des Schweigens

Die Verbrechen der Wehrmacht wurden in der BRD erst Jahrzehnte nach der NS-Diktatur einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Das Vertuschen der Verbrechen erleichterte es vielen Deutschen nach dem Krieg, sich ausschließlich als Opfer des alliierten Bombenkrieges zu begreifen und damit zu entlasten. Von den verheerenden deutschen Bombenangriffen auf Gernika, Madrid, Warschau, Rotterdam, Coventry, London, Belgrad, Minsk, Stalingrad – um nur einige wenige Beispiele zu nennen – weiß bis heute in Deutschland kaum jemand etwas. In Wunstorf marschierten die Fliegerveteranen – unter anderem der Legion Condor – bereits Anfang der 1950er Jahre wieder durch die Stadt und sorgten dafür, dass erneut eine Straße zu Ehren ihres Geschwaders benannt wurde.

Als der Arbeitskreis Regionalgeschichte (aus Neustadt, in unmittelbarer Nachbarschaft von Wunstorf) 1984 nachwies, dass Bombereinheiten, die zuvor auf dem Fliegerhorst Wunstorf ausgebildet worden waren, als Angehörige der Legion Condor im Spanienkrieg eingesetzt und einige auch an der Vernichtung Gernikas beteiligt waren, wurde ein Tabu gebrochen. Die Abwehrreaktionen der Bundeswehr und des offiziellen Wunstorf fielen heftig aus, obwohl sie doch eigentlich hätten sagen können, dass die Bundeswehr mit der NS-Wehrmacht nichts zu tun habe. Stattdessen wurden die Autorinnen beschimpft, die Taten der NS-Luftwaffe zunächst abgestritten und später relativiert.

GWLC03Totaler Krieg – totales Vergessen

Die Kriegsverbrechen von deutschen Luftwaffen-Angehörigen in Gernika 1937 und beim Angriff auf Polen 1939, ferner die Geschichte der militärischen Traditionspflege in der Garnisonsstadt Wunstorf werden im 2010 erschienenen Buch „Luftwaffe, Judenvernichtung, totaler Krieg“ umfassend dargestellt (3). Aber die Auseinandersetzungen in Wunstorf gingen auch in den Folgejahren weiter: Im Mittelpunkt standen nun die Ausstellung in der „JU-52-Halle“ auf dem Fliegerhorst Wunstorf, sowie die Forderung nach Umbenennung der Oswald-Boelcke-Straße in der Stadt Wunstorf.

In der an dieser Stelle vorgestellten Broschüre, die vor zwei Jahren aus Anlass des 80. Jahrestages der Bombardierung von Gernika publiziert wurde, geht es um Schwierigkeiten bei der Aneignung von Geschichte in Spanien und Deutschland. Im Text der nach dem Franquismus in Gernika gegründeten „Comisión de Bombardeo“ wird das jahrzehntelange Vertuschen des Kriegsverbrechens von Gernika beschrieben. Deutlich wird gleichzeitig der politische Hintergrund, vor dem die Auseinandersetzungen mit der Vergangenheit stattfinden: die baskischen Autonomie-Forderungen gegenüber dem spanischen Staat. Diese Forderungen mag man teilen oder nicht, aber man sollte zur Kenntnis nehmen, dass der ungelöste Nationalitäten-Konflikt Einfluss auf die Diskussion über die Kriegs- und Diktaturgeschichte in Spanien und im Baskenland hat.

Broschüren-Inhalt

Im ersten Kapitel der Broschüre „Kriegsfolgen des Arbeitskreises Regionalgeschichte Neustadt gibt es eine Analyse der „Comisión de Bombardeo“ aus Gernika. Diese Gruppe (ohne jegliche behördliche Unterstützung) war unmittelbar nach dem Tod des Diktators eine der ersten Volksinitiativen, die mit der Aufarbeitung der Verbrechen aus Krieg und Diktatur begannen. Der Text lässt den Franquismus, den sogenannten demokratischen Übergang (Transición) Revue passieren, er beschreibt die Geschichte des Picasso-Gemäldes und die Situation 50 Jahre nach der Zerstörung der Stadt. Beleuchtet wird die Städtepartnerschaft mit Pforzheim, dubiose Machenschaften bei einem Gernika-Kongress in Berlin 1986, die Erklärung eines Bundespräsidenten zum 60. Jahrestag, und die Rolle des Friedensmuseums in Gernika. Abgeschlossen wird das Kapitel mit einem Ausblick auf die verbleibende Erinnerungsarbeit und Geschichtsaufarbeitung.

Dem Gernika-Kapitel folgt eine Reihe fotografischer Eindrücke (Bilder aus Gernika 2012 und 2014): Stadtansichten, Verwüstung 1937, Wandbild Picasso, Rathausempfang, Gedenkveranstaltungen am Jahrestag der Bombardierung.

GWLC04Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der Kontinuität von NS-Straßennamen in der Garnisonsstadt Wunstorf: „Wie die Hindenburg- und die Oswald Boelcke-Straße zu ihren Namen kamen … und wieso sie diese Namen behielten. Zur Nachhaltigkeit von NS-Straßen-Umbenennungen in Wunstorf“. Im Zusammenhang mit der Ausstellung „Ein voller Erfolg der Luftwaffe“ wird die Diskussion um die Straßennamen in Wunstorf geführt. Hindenburg, Göring, Hitler, Boelcke – alle waren vertreten, manche sind es noch. Der Text wirft Rückblicke auf diese Persönlichkeiten und ihre Verwicklung mit dem Nazismus. Er beschreibt die Zurückhaltung der Alliierten bei der Beseitigung militaristischer Gedenkkultur nach dem Krieg und die nach und nach einsetzende Wiederbenutzung bereits getilgter Namen.

Das vierte Kapitel der Broschüre setzt sich mit der Funktion des „Militärmuseums“ auseinander, das innerhalb der Garnison Wunstorf steht: „Das Museum ist Privatbesitz der Traditionsgemeinschaft – Warum ein Chor aus Gernika die JU-52 nicht sah, dafür aber etwas über deutsche Verhältnisse erfuhr“. Hier wird die Geschichte des „legendären“ Bombenfliegers Junkers 52 verherrlicht, von seiner Funktion im Spanienkrieg ist nicht die Rede, von Gernika ebenso wenig. Beschrieben wird der Beinahe-Besuch eines Chors aus Gernika im Museum, der mit Hausverbot und einem kleinen Eklat endete, sowie die öffentliche Kontroverse um die „Traditionspflege“ in den Nachbarstädten.

Die in der hier rezensierten Broschüre gesammelten Aufsätze der „Comisión de Bombardeo“ aus Gernika (Übersetzung: Mechthild Dortmund) und des Historikers Hubert Brieden, sowie die Fotos von Tim Rademacher geben auf 40 Seiten einen guten Eindruck, wie unterschiedlich Geschichte in Europa nach wie vor wahrgenommen wird.

Was in der Broschüre fehlt sind die Ereignisse von 2018, ein Jahr nach ihrer Publikation. In der Garnison wurde – unter Ausschluss der Öffentlichkeit, weil Militärbereich – ein Gedenkstein eingeweiht, der den Namen „Guernica“ trägt und die Friedensmission der Bundeswehr unterstreichen soll. Dazu waren neben Politiker*innen aus der Gegend, inklusive Grünen-Vertreterinnen und Militärs auch der Bürgermeister aus Gernika eingeladen. Der kam nicht selbst, sondern schickte eine Vertreterin. Dass sich die Bundeswehr bei all ihrer Ignoranz gegenüber dem Thema Gernika und Spanienkrieg den Namen „Guernica“ als Friedenssymbol auf ihren Stein schreiben lässt, ist schlimm genug. Ein Skandal ist es jedoch, dass die Stadtverwaltung der baskischen Stadt (PNV, nationalistische Christdemokraten) diesem Spektakel auch noch ihren Segen erteilt. Vorgesehen war sogar, dass an der Einweihungsfeier auch eine Schulklasse teilnehmen sollte, die sich zu jener Zeit zum Schülerinnen-Austausch in Neustadt befand. Dies konnte mit Mühe abgewendet werden.

 

ANMERKUNGEN:

(1) Broschüre „Kriegsfolgen“. Edition Region und Geschichte / Bestellung ak.reg(ad)t-online.de / www.ak-regionalgeschichte.de / Preis: 9 Euro.

(2) „Gernika“ ist der baskische Name der von der Legion Condor am 26. April 1937 vernichteten Stadt. „Guernica“ ist die spanische Version, die auch das Gemälde von Picasso als Titel führt.

(3) „Luftwaffe, Judenvernichtung, totaler Krieg – Deutsche Geschichtspolitik, Traditionspflege in der Garnisonsstadt Wunstorf, Vergessene Geschichte in Hannover-Langenhagen“. Edition Region und Geschichte / Bestellung ak.reg(add)t-online.de / www.ak-regionalgeschichte.de / 339 Seiten / Preis: 16,50 Euro

ABBILDUNGEN:

(1) Guernica-Graffiti (FAT)

(2) Junkers-52 (ju52-halle.de)

(3) Gernika zerstört (angelviñas)

(4) Picasso Wandbild (FAT)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2019-04-25)

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